Kaiser Nero

[43] Sahst du das prachtvoll düstere Nerobild,

Das Meister Kaulbach's flüchtige Hand entwarf?

Sein Zauberreiz bleibt unauslöschlich

Winkend mir tief in das Herz gegraben.


Hoch oben steht machtstrahlend der Caesar da

Im lässig weichumhüllenden Prunkgewand,

Indessen hält die ausgeklung'ne

Leier ein knieender, schöner Knabe.


Hoch als Apollon ragt er, im Lorbeer stolz;

Von links drängt an vollbusiger Weiber Schaar,

Mänadisch schön, mit liebestrunk'nen

Augen, in üppiger Leibesnacktheit.


Links aber nah'n mit grinsenden Sclavenblick

Sich Männer, feig und seelenverderbt, ob nun

Die weite Toga, ob der Panzer

Schmücke die immer noch stolzen Glieder.


So schlängeln glückwunschbringend sie sich zum Herrn,

Der eben aussang – Aber betrachte jetzt

Den Kaiser selbst: Was sieht sein Auge?

Welche Tragödie sich zu Füßen?


Ein Christenhäuflein! Petrus am Marterpfahl!

Den nackten Säugling hier und die Mutter dort!

Jünglinge, trotzig schön in Demuth,

Hoffend wie Paulus und schweigsam duldend ...


O schnöder Zeitgeist, welcher gefangen hält

In dumpfem Bann ach alle Gemüther – ha,

Wie Kaiser Nero möcht' ich heute

Sitzen und richten vom goldenen Thronstuhl.
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Sie alle rief' ich, riefe bei Namen sie,

Die frecher Selbstsucht fröhnen, und die sogar

Der blinden Armuth dünnen Mantel

Nächtens zu rauben sich nicht entblöden.


Viel and're, mehr noch! Donnernd, ein Nero-Zeus,

Würf' ich des Urtheils zürnenden Racheblitz –

Und als Apollon-Nero säng' ich

Einen gewaltigen Schicksalshymnus.


Ha, wär' ich Nero ... Träumergemüth, und dann?

Sanft, blumenfromm blüht immer ein deutsches Herz:

In Wort und Bild nur läßt es kühn die

Rachegedanken des Zorns verbrausen.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 43-45.
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