Das Lied

[197] Tönet Saiten, tönet,

Was das Herz ersehnet,

Was die Brust erfüllt;

Daß mit Eurem Schalle

Lust und Schmerz verhalle,

Friede mich umhüllt.


Wie den vollen Klängen

Stürmt mit jähem Drängen

All' mein Fühlen nach!

Aus den tiefsten Tiefen

Meiner Seele riefen

Lust und Schmerz sie wach.


Wie, wenn Meeresfluthen,

Oder Feuersgluthen,

Brausend jagt der Wind;

Dann, wie Zephir spielet,

Unter Blüthen wühlet,

Wie die Quelle rinnt.


Wie die Stürme schweigen

Und nach wildem Reigen

Stillen ihre Kraft,

So verhallt der Klänge

Zügellose Menge,

Schweigt die Leidenschaft.


Aus der Saiten Schüttern,

Ihrem leisen Zittern

Zwischen Schmerz und Lust,

Schwebt nach bangem Ringen

Auf des Liedes Schwingen

Friede in die Brust.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 197-198.
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