Achtundzwanzigster Gesang

[402] 1.

Ihr Fraun, und wer die Frauen weiß zu schätzen,

Ich bitt' euch, leiht der Märe nicht das Ohr,

Die jener Wirt, um euch herabzusetzen,

Sich anschickt zu erzählen vor dem Mohr,

Kann euch auch nicht berühren und verletzen

So niedre Zunge: kommt's doch immer vor,

Man weiß es längst, daß dumme Leute schmähen,

Und um so mehr, wovon sie nichts verstehen.


2.

Laßt diesen Sang: auch ohne solche Kunde

Bleibt der Zusammenhang nicht minder klar.

Weil sie Turpin hat, bring' ich sie zur Stunde

Und nicht voll List und böser Absicht gar.

Durch tausend Proben – nicht nur mit dem Munde,

Der euch zu feiern niemals müde war –

Hab' ich, daß ich euch liebe, ja bewiesen,

Und daß ich euren Dienst nur kann erkiesen.


3.

Sechs, acht der Blätter möge, wem's gefalle,

Hier übergehn; liest einer weiter fort,

Acht' er's nicht mehr als jene Märchen alle,

Die tollen, die man hier trifft oder dort.

Doch kommen wir jetzund zu unserm Falle!

Der Wirt nimmt Platz, nachdem er für sein Wort

Gehör erwirkt, den Ritter im Gesichte,

Und alsobald beginnt er die Geschichte:
[403]

4.

»Astolf, der Longobarde, dem gelassen

Vom Mönch, dem Bruder, jenes weite Reich,

War jung so schön, es ließ sich gar nicht fassen;

Es kam ihm wohl kaum jemals einer gleich:

Apelles', Zeuxis' Kunst müßt' hier erblassen,

Und wer an Malern noch berühmter gleich.

Schön waren seine Züge, schön sie galten;

Am schönsten ward er von sich selbst gehalten.


5.

Nicht daß er sich des höchsten Rangs erfreute

Weit über alle andern, wie's ihm schien;

Sein Volk auch nicht, und daß er Goldesbeute

Reichlich gewann, entzückt' am meisten ihn,

Nein, daß er angestaunt ward: alle Leute

Erhoben seine Wohlgestalt und Mien'.

Am liebsten hört er, daß auf alle Weise

Man seine hohe Schönheit lob' und preise.


6.

In seiner Gunst stand Faust Latin (er ragte

Da sehr hervor), ein röm'scher Edelmann.

Der oft auf ihn – was ihm gar wohl behagte –,

Auf Hand und Antlitz, stimmt ein Loblied an.

Als er nun eines Tages diesen fragte,

Reich' irgendwo (nah – fern) an ihn heran

Ein schöner Mann – ganz anders, als er dachte,

Der Ritter Faustus die Entgegnung machte:


7.

›Nach allem, das ich sah und andre meinen

Und laut bekennen, klang's aus Faustus' Mund,

»An Schönheit wen'ge dir gewachsen scheinen;

Doch lebt ein Bruder mir – er heißt Jukund:

Die wenigen beschränk' ich auf den einen.

Nimmt man ihn aus, kann sich im Erdenrund

An Schönheit, glaub' ich, niemand dir vergleichen;

Der wird dich schlagen oder doch erreichen.«‹
[404]

8.

Das waren Worte, die unglaublich klangen:

Bisher nannt' Astolf stets die Palme sein.

Er fühlte übermächtiges Verlangen,

Jenen zu prüfen durch den Augenschein,

Bis seine Bitten schließlich Faustus zwangen,

Herbeizuholen jenes Brüderlein,

Obwohl den zu der Reise zu bewegen

Recht schwer erschien; auch sagt ihm Faust, weswegen:


9.

Sein Bruder sei ein Mann, der nie im Leben

Heraus aus Rom und seinen Mauern kam;

Der allezeit, was ihm das Glück gegeben,

Wunschlos und ruhig zu genießen nahm;

Der weder sinken ließ noch auch sich heben,

Was er an Gut vom Vater einst bekam.

Ihm werde weiter, nach Pavia wandern

Erscheinen als zum Don hin einem andern.


10.

Als größte Schwierigkeit jedoch verbleibe,

Ihn von der Gattin losgetrennt zu sehn;

Mit solcher Liebe häng' er an dem Weibe:

Ohn' ihren Willen könne nichts geschehn.

Doch weil die Pflicht ihn zu gehorchen treibe,

Tu' er Unmögliches und wolle gehn.

Der König fügte Spenden zu den Bitten,

Und jeder Weig'rungsgrund ward abgeschnitten.


11.

Der geht: eh viele Tage noch verstreichen,

Zu Rom in seinem Hause langt er an

Und fleht und sucht den Bruder zu erweichen,

Bis er ihn schließlich überreden kann;

Und schweigend stand ('s war schwerer zu erreichen)

Die Schwägerin, als er vor ihr begann,

Der Sache Vorteil auseinandzusetzen:

Stets werd' er dankbar ihre Güte schätzen.
[405]

12.

Nun sorgt Jukund für Diener und für Pferde,

Bestimmt auch für den Aufbruch dann den Tag,

Nimmt Festgewand und Schmuck, daß deutlich werde,

Wie Putz die Schönheit zu erhöhn vermag.

Die Frau sagt Tag und Nacht, mit Schmerzgebärde,

Mit Augen tränenschwer und lauter Klag',

Sie wisse nicht, ob sie wohl noch zu leben

Vermöge, müsse sie sich drein ergeben.


13.

Schon beim Gedanken woll' es ihr erscheinen,

Als reiß' ihr aus dem Busen sich das Herz.

›Ach, süßes Leben,‹ sprach er, ›laß das Weinen!‹

Und weint doch selbst mit ihr in bittrem Schmerz.

›So möge Glück sich meinem Weg vereinen:

Ich strebe in zwei Monden heimatwärts,

Und laß um keinen Tag mich länger halten,

Sollt' ich des halben Reichs als Herrscher walten.‹


14.

Doch wenig Trost vermag ihr das zu bringen:

Sie meint, zu lange währe solche Pein

Sollt' ihr zu leben bis dahin gelingen,

So würde dies ein wahres Wunder sein.

Sie kann nicht Speise mehr hinunterschlingen –

So wild packt sie der Schmerz –, schläft nicht mehr ein.

Jukund, dem Mitleid fast das Herz gebrochen,

Bereut, was er dem Bruder fest versprochen.


15.

Sie nahm von ihrem Nacken eine Kette

Mit einem Kreuz und Steinen reicher Art,

Reliquien, die einst an heil'ger Stätte

Ein Böhm' gesammelt hatte und bewahrt.

Ihr Vater, der ihn bis zum Sterbebette

Im Hause pflegte nach der Pilgerfahrt,

Hatte sie nach des Kranken Tod bekommen:

Dies Kettlein hat sie jetzt vom Hals genommen
[406]

16.

Und bringt's dem Gatten, fleht, daß er es trage

Am Hals: so denk' er stets an sie zurück.

Jukund gefiel die Gabe ohne Frage;

Zwar brauch' er nicht ein solch Erinnrungsstück,

Denn keine Ferne, keine Lebenslage

Und keine Zeit noch bös und gutes Glück

Trüben ihr Bild ihm – Lachen nicht noch Trauern –;

Selbst nach dem Tod werd' ihm Erinnrung dauern.


17.

Die ganze Nacht bis zu des Frührots Prangen

(Die letzte Frist war dieser Tagesschein)

Fühlt er halbtot im Arm die Gattin hangen,

Die bald ihm nun entrissen sollte sein.

Sie schliefen nicht. Eh Dämmrung kommt gegangen,

Stellt sich Jukund zum Abschiednehmen ein.

Er steigt zu Pferd und scheidet von der Stätte:

Die Gattin aber ging zurück ins Bette.


18.

Er ritt noch keine Stunde, schmerzzerrissen,

Als er des Kreuzleins, das sie ihm geweiht,

Gedenkt: er legte 's abends unters Kissen,

Und dort verblieb es aus Vergeßlichkeit.

›Ach,‹ sagt er sich, ›ein Mittel jetzt zu wissen,

Daß mir die gute Gattin dies verzeiht!

Ich achte nicht, wird sie gewiß nun denken,

Womit sie Liebe trieb, mich zu beschenken.‹


19.

Er sinnt. Dann meint er, schlechte Aufnahm' fänden

Bei ihr Entschuldigung und jedes Wort,

Das er durch Leut' und Boten könne senden;

Am besten trag' er selbst die Botschaft fort.

Er hält und spricht zu Faust: ›Geh du dich wenden

Hin nach Baccan, langsam, zum Wirtshaus dort.

Ich muß nach Rom zurück in aller Schnelle,

Worauf ich baldigst schon mich dir geselle.
[407]

20.

Die Sache selbst zu tun, dünkt mich gescheiter;

Ich bin bei dir in kurzer Zeit bestimmt.

Leb' wohl! Er geht, wobei er als Begleiter

Sich aber niemand vom Gesinde nimmt.

Und als aufs neu den Fluß gekreuzt der Reiter,

Flieht schon die Nacht, und Licht im Osten glimmt.

Zu Haus ist er sogleich ans Bett gegangen

Und findet die Genossin schlafumfangen.


21.

Geräuschlos, leis läßt er den Vorhang gleiten

Und sieht – o, nimmer ahnt er solche Schau! –

Die keusche, treue Gattin, und zu Seiten

Hat einen Jüngling noch die schöne Frau.

Er kannte diesen schon seit langen Zeiten

Als einen Hausgenossen ganz genau.

Ein Bursche war's, den er zu seinem Knechte

Erzogen hatt', aus niederem Geschlechte.


22.

Ob er versteinert stand und wie vernichtet,

Dies zu erfahren stets euch ferne sei!

Doch denkt es euch und glaubt, was man berichtet

Vom großen Schmerz, den er empfand dabei!

Im ersten Grimm hätt' er sie fast gerichtet:

Er dacht' ans Schwert, zu töten alle zwei,

Bis seinen Zorn die große Liebe kühlte,

Die er – ob widerwillig – jetzt noch fühlte.


23.

Sie aufzuwecken, wehrt die böse Liebe

(So hat sie ihn, ihr Knecht zu sein, gelehrt);

Er möchte lieber, daß sie schlafend bliebe;

Sie fände sich vor ihm sonst schuldbeschwert.

Er schleicht hinab die Trepp' gleich einem Diebe,

Ganz leis, und schwingt sich draußen auf sein Pferd

Und spornt, wie ihn die Liebe spornt von innen,

Und trifft die Schar, eh sie im Orte drinnen.
[408]

24.

Verändert fanden alle seine Mienen:

Daß er nicht frohgestimmt, war ihnen klar.

Doch keiner konnte mit dem Schlüssel dienen,

Und das Geheimnis ward nicht offenbar.

Er ging nach Rom hin, also schien es ihnen,

Derweil er wirklich doch in Hornberg war.

Daß Lieb' im Spiel sei, mochte jeder sehen;

Doch niemand weiß zu sagen, was geschehen.


25.

Der Bruder sucht die Ursach' immer wieder:

Er härmt sich, denkt er, daß die Frau allein;

Und just das Gegenteil lähmt ihm die Glieder:

Daß sie Gesellschaft hat, das macht ihm Pein.

Der Arme steht und schaut zum Boden nieder;

Er kraust die Stirn und preßt die Lippen ein.

Umsonst sucht Faust ihm jeden Trost zu spenden:

Er kennt den Grund nicht, kann das Leid nicht enden.


26.

Er salbt den wunden Fleck mit falschen Säften,

Daß er nicht heilt und immer ärger sticht;

Er bohrt und zerrt am Riß, statt ihn zu heften,

Indem er stets ihm von der Gattin spricht.

Ruh' flieht den Bruder, und er kommt von Kräften;

Schlaf, Eßlust weichen, er erholt sich nicht.

Sein Antlitz, früher doch so schön zu nennen,

Verändert sich und ist nicht mehr zu kennen.


27.

Die Augen wollen sich im Kopf verstecken,

Die Nase wächst, das Angesicht wird klein.

Die Schönheit schwand, kann nicht mehr Neid erwecken

Und geht nun nimmer einen Wettstreit ein.

Am Arno, an der Arbia hält den Recken

Gefangen noch ein Fieber obendrein.

Und was sich von der Schönheit mochte finden,

Muß, gleich der Ros' im Sonnenbrande, schwinden.
[409]

28.

Ist Faustus sehr betrübt des Bruders wegen,

Der ihm vor Augen dergestalt verfällt,

Will ihn der Kummer noch viel mehr bewegen,

Daß Astolf ihn für einen Lügner hält.

Versprach er doch den allerschönsten Degen

Und bringt den häßlichsten, der auf der Welt.

Indessen muß er weiter mit ihm traben,

Bis sie erreicht die Stadt Pavia haben.


29.

Nicht aber plötzlich soll ihn Astolf sehen,

Damit er nicht des Unverstands ihn zeih'.

So läßt er denn voraus ein Schreiben gehen:

Sein Bruder komm' und kaum am Leben sei.

An Herzensgrame schein' er zu vergehen;

Durch den, und schlimmes Fieber noch dabei,

So jammervoll entstellt sein Antlitz scheine,

Daß man nicht ihn Jukund, zu sehen meine.


30.

Nichts Lieb'res konnt' es für Herrn Astolf geben;

Er freute sich, als käm' ein Freund daher,

Den schönen Mann zu sehn! Niemals im Leben

Ersehnt' er noch bisher etwas so sehr.

Und daß es mit der Schönheit hapert eben,

Mißfällt ihm nicht; denn Sieger bleibt nun er.

Er sah recht wohl: das Übel kam gelegen;

Der wär' ihm gleich sonst oder überlegen.


31.

Er läßt ihn wohnen im Palaste drinnen,

Besucht ihn täglich, schickt ihm Boten her,

Behagen, ist sein Wunsch, mög' er gewinnen,

Und überhäuft ihn schier mit Gunst und Ehr' –:

Jukund siecht hin: es nagt das böse Sinnen

Ob eines schlimmen Weibs an ihm zu sehr.

Nicht Spiel, Musik und was das Herz mag freuen,

Kann einen Deut von seinem Schmerz zerstreuen.
[410]

32.

Er hatte nah dem Dach die letzten Zimmer

Und einen Saal davor, gar alt und weit.

Dort pflegt' er, weil Gesellschaft, Festesschimmer

Ihm widerwärtig war, in Einsamkeit

Zu weilen; still für sich erwägt er – immer

Mit schwereren Gedanken – altes Leid.

Hier ward – wer möcht' es glauben! – ihm zum Heile,

Genesung seiner Wunde jetzt zuteile.


33.

Wo es ganz finster ist, am andern Ende

(Zu öffnen pflegte man die Läden nicht),

Schließt schlecht die Planke, sieht er, an die Wände,

Und aus der Fug' ein heller Lichtstrahl bricht.

Er lugt und sieht, was er unglaublich fände,

Sagt' es ein Menschenmund ihm ins Gesicht.

Er hört es nicht von andern, kann es schauen

Und wagt doch seinen Augen nicht zu trauen.


34.

Das Leibgemach war's, drein die Blicke drangen,

Das allerschönste der Gebieterin,

Wo niemand anders ward von ihr empfangen,

Als wer ihr zugetan mit treustem Sinn,

Und seltsam jetzt im Kampf sich dort umschlangen

Ein Zwerg, ein kleiner, und die Königin;

Wobei der Knirps so starke Tat vollbrachte,

Daß er die Königin erliegen machte.


35.

Verblüfft, betäubt und wie aus Stein gehauen,

Zu träumen wähnend, erst der Ritter stand;

Dann wagt' er es, sich selber zu vertrauen,

Als er nicht einen Traum, nein, Wahrheit fand.

›Solch garst'gem Unhold, greulich anzuschauen,‹

Sprach er bei sich, ›gibt die sich in die Hand!

Sie hat den Schönsten, der im Weltgebiet ist,

Zum Ehgemahl! Was das für Appetit ist!‹
[411]

36.

Er sinnt nun nach, und Reue will ihn fassen,

Daß er an seinem Weib so schwer es rügt,

Weil sie sich mit dem Knecht hat eingelassen;

Entschuldbar scheint es, sagt er sich vergnügt.

Den Fehler des Geschlechtes muß man hassen,

Das niemals sich mit einem Mann begnügt!

Steht jede da mit ihrem Tintenkleckse,

So wählte sie sich doch kein Mißgewächse.


37.

Er ist aufs neu am nächsten Tag zur Stelle,

Zur selben Stund' und an demselben Ort,

Und wieder wirft die Frau und ihr Geselle

Den Ehrenschatz des Königs über Bord.

So Tag für Tag: flott geht auf alle Fälle

Und ohne Feiertag die Arbeit fort,

Und – daß ein Rätsel nach dem Rätsel bliebe –

Die Fürstin klagt, wie lau der Zwerg sie liebe!


38.

Er sah sie eines Tags mit blassen Wangen,

Voll Traurigkeit, verstört das Angesicht.

Zweimal war schon die Zofe fortgegangen,

Den Zwerg zu rufen, und er kam noch nicht.

Sie schickt ein drittes Mal: ›O Herrin,‹ klangen

Der Zofe Worte, ›spielend sitzt der Wicht!

Der Rüpel weigert sich, Euch jetzt zu sehen:

Es könnt' ein Heller ihm verlorengehen.‹


39.

Des Ritters Stirne glättet sich zur Stunde,

Nachdem sein Glück ihn solches sehen ließ:

Sein Auge strahlt, ein Lächeln spielt am Munde

Und heiter ward er wirklich, wie er hieß.

Fröhlich und dick und rot macht ihn die Kunde,

Wie einen Engel aus dem Paradies.

Sein Bruder und der Fürst und all die Seinen

Ob der Verwandlung höchst verwundert scheinen.
[412]

40.

Wenn Astolf brennt, vom Ritter zu erfahren,

Was ihm so plötzlich habe Trost gebracht,

So brennt Jukund, es ihm zu offenbaren,

Daß ihm der Frevel werde kundgemacht.

Doch soll der Herrscher strenger nicht verfahren,

Als er der eignen Unbill hatte acht.

Drum nicht zu strafen, was er werde hören,

Ließ er ihn auf das Agnus Dei schwören.


41.

Er ließ ihn schwören: was er auch vernähme

Und was den Augen noch sich zeigen tät',

Und wenn auch unbedingt zu Schaden käme

Die Ehre selber Seiner Majestät,

Er doch zu keiner Zeit drob Rache nähme,

Auch allzeit schweige drüber, früh und spät,

Der Schuld'ge dürfe nimmermehr gewahren,

Durch Wort und Tat, daß es der Herr erfahren.


42.

Der Fürst, der allem andren mehr entgegen

Als solcher Kunde sah, tat seinen Schwur.

Jukund begann nun alles darzulegen:

Wie er die Untreu' seines Weibs erfuhr,

Das ihn betrog so niedren Knechtes wegen,

Und wie der Kummer ihn ohn' eine Kur,

Die ihm geworden sei an dieser Stätte –

Zur rechten Zeit! –, wohl bald getötet hätte.


43.

In Seiner Hoheit Haus jedoch entfalte

Sich etwas, das ihm lindre seine Pein:

Wenn ihm sein Los sich auch zur Schmach gestalte,

So wiss' er doch, es treff' ihn nicht allein.

Er spricht's und führt den König nach der Spalte

Und zeigt den Zwerg ihm unten, häßlich, klein,

Der grad die fremde Stute hat bestiegen

Und so sie spornt, daß ihre Schenkel fliegen.
[413]

44.

Ob tadelnswert dem Fürsten das geschienen –

Glaubt's ohne Schwur! Euch sagt es der Verstand:

Er war wie toll, mit wutverzerrten Mienen,

Und wollte mit dem Kopfe durch die Wand,

Den Pakt mißachten; drohen wollt' er ihnen,

Doch schweigen muß er trotz dem Zornesbrand,

Den Trank hinunterschlucken, drein sich finden,

Weil ihn die Schwüre auf die Hostie binden.


45.

›Was tu' ich, Freund? Was rätst du zu beginnen,‹

Spricht er zum Ritter, ›weil du ja gewillt,

Daß meine würd'ge Rach' im Busen drinnen

Und höchst gerechter Zorn bleib' ungestillt?‹ –

›Laß uns den Falschen,‹ sprach Jukund, ›entrinnen;

Die fremden jetzt es zu erproben gilt:

Den Frauen andrer soll's durch uns ergehen,

Wie unsern durch die andern ist geschehen.‹


46.

Jugend und Schönheit sind uns beiden eigen,

Wie man nicht leicht sie findet in der Welt.

Wie sollt' ein Weib uns Sprödigkeit erzeigen,

Wenn sie dem Häßlichen zum Opfer fällt?

Und will sie nicht sich junger Schönheit neigen,

Nun, dann gewinnt sie eben unser Geld.

Bis du von tausend Fraun des Sieges Ehren

Erobert hast, sollst du nicht wiederkehren.


47.

Durch Länder schweifen, lange ferne weilen,

Verkehr mit andern Fraun an fremdem Ort,

Nimmt, scheint es, oft das Gift von Amors Pfeilen,

Die Liebesleiden aus dem Herzen fort.‹ –

Astolf gebeut, die Reise zu beeilen,

Denn löblich fand er seines Freundes Wort.

In wenig Stunden, außer mit dem Ritter

Noch mit zwei Knappen, seines Weges ritt er.
[414]

48.

Durch Welschland in Verkleidung und durch Franken

Und dann nach Flandern ging's und Engelland:

Wo hold ein Wänglein lockte die Gedanken,

Fand ihre Bitte keinen Widerstand.

Sie gaben – nahmen Trinkgeld ohne Schwanken,

Wobei sich oft Ersatz für Zahlung fand.

Wenn sie um Gunst gar viele Damen flehten,

So wurden sie von vielen auch gebeten.


49.

Ein Monat hier, zwei Monde dort vergehen,

Sie finden allerorten den Beweis:

Wie bei den eignen Frauen, ist zu sehen

Bei fremden Keuschheit, Treu' in keiner Weis'.

Allmählich will es ihnen widerstehen,

Stets Neues zu verfolgen auf der Reis':

In andrer Türen schleichend einzudringen,

Muß ja Gefahr des Todes mit sich bringen.


50.

Drum auszuwählen scheint es mehr ersprießlich

An Mien' und Art ein angenehmes Kind:

Befriedigung dann haben beide schließlich,

Und ohne daß sie eifersüchtig sind.

›Warum‹, sprach Astolf, ›wär' ich doch verdrießlich,

Daß ich in dir nun den Genossen find'?

Ich weiß ja, daß vom ganzen Weiberheere

Zufrieden keine mit nur einem wäre.


51.

Wir könnten, ohn' uns allzusehr zu plagen,

Sobald der Wunsch käm', in Bequemlichkeit

Der einen uns erfreun, und in Behagen,

Und hätten niemals Hader oder Streit.

Sie selber dürfte kaum sich drob beklagen,

Denn, hätte jede zwei zu gleicher Zeit,

Mehr als dem einen wär' sie treu wohl zweien,

Und nimmer gäb's so viele Zänkereien.‹
[415]

52.

Mit dem, was Astolf sagte, einverstanden

Erschien vollkommen Romas Rittersmann.

Durch Berg und Tal hindurch in vielen Landen

Mit solcher Absicht schweiften sie sodann,

Bis sie die Tochter eines Schankwirts fanden

(Der auf Gewinn im Port Valencias sann);

Sie, niedlich, artig und mit holden Blicken,

Scheint sich für ihren Plan recht wohl zu schicken.


53.

Die Kleine stand im ersten Lenzesprangen,

War zart, fast herb; der Vater hatt' im Haus

Zu seinem Ärger gar so viele Rangen,

Und Armut war für diesen Mann ein Graus.

So war es leicht, das Mädchen zu erlangen;

Er lieferte das Kind den Herren aus:

Sie dürften, wo sie wollten, sie behalten,

Nachdem sie zugesagt, sie wohl zu halten.


54.

Wie sie beim Mädchen nun den Dienst versehen!

Erst der, dann der, in Frieden, wohlgemut,

Wie Blasebälge nacheinander wehen,

Erst der, dann jener, in des Ofens Glut!

Dann reisen sie, ganz Spanien anzusehen

Und Syphax' Reich jenseits der Meeresflut.

Am Tag des Abschieds von Valencia dachten

Sie in Xativa noch zu übernachten.


55.

Die Herren machten gleich sich auf die Beine,

Um Straßen, Kirche, Markt zu sehn und Schloß;

Denn so vergnügten sie sich im Vereine

In jeder Stadt, die ihnen sich erschloß.

Zu Hause beim Gesinde blieb die Kleine:

Da ward das Bett besorgt und hier das Roß,

Die Mahlzeit dort, daß alles fertig wäre

Zum Speisen, wenn die Herrschaft wiederkehre.
[416]

56.

Im Gasthof führt ein Bursch als Knecht den Besen,

Der in des Mädchens Haus in frührer Zeit,

Beim Vater dienend, war ihr Schatz gewesen;

Sie hatt' ihm ihre Blüte einst geweiht.

Sie sahn sich, zeigten aber fremdes Wesen,

Entdeckung fürchtend von Vertraulichkeit.

Doch heben sie, als Herren und Gesinde

Gegangen sind, die Augenbraun geschwinde.


57.

Der Bursche fragt, wohin die Reise gehe,

Und welchem von den Herrn sie sei zur Hand:

Drauf meldet ihm Flammette, wie es stehe

(So wurde sie und Greco er genannt).

›Nun ich, mit dir zu leben, grad – o wehe! –‹,

Sprach Greco dann, ›die Zeit gekommen fand,

Flammette, Liebchen, willst du just verschwinden?

Wir werden nimmer, ach, uns wiederfinden!


58.

O daß in Leid sich süße Träume wenden,

Nun du mit andern gehst in weite Welt!

Ich wollte – denn ich hatte just in Händen,

Mit Müh' und Schweiß erspart, ein Sümmchen Geld

Vom Lohn zurückgelegt und was von Spenden

Im Wirtshaus durch die Gäste man erhält –

Zurück zum Vater nach Valencia gehen,

Als Ehefrau von ihm dich zu erflehen.‹


59.

›Zu spät!‹ mit Achselzucken spricht die Kleine:

›Was stellst du nicht zur rechten Zeit dich ein?‹

Und Greco weint (und übertreibt, ich meine):

›So willst du, daß ich sterben soll in Pein?

Einmal zum wenigsten sei noch die Meine,

Damit gekühlt der Sehnsucht Gluten sei'n.

Machst du mich glücklich, ehe du geschieden,

Nur einen Augenblick, sterb' ich zufrieden.‹
[417]

60.

Das Mädchen läßt von Mitleid sich erfassen

Und spricht: ›Glaub' mir, ich wäre gern bereit;

Doch sind zu viel der Augen, und nicht passen,

In keiner Weise, will hier Ort und Zeit.‹

Greco versetzt: ›Es wird sich machen lassen.

Fühlst du ein Dritteil meiner Zärtlichkeit,

So kannst du in der Nacht es sicher fügen,

Daß wir uns etwas miteinand vergnügen.‹


61.

Die Kleine spricht: ›Wie sollte das geschehen?

Ich liege zwischen zwein die ganze Nacht

Und muß von einem stets zum andern gehen,

Weil dieser bald, bald der sich Kurzweil macht.‹

Greco versetzt: ›Wirst schon 'nen Ausweg sehen

Aus dieser Klemme, sei nur drauf bedacht!

Du kommst heraus, liegt dir es recht am Herzen

Und wenn du Mitleid hast mit meinen Schmerzen.‹


62.

Sie überlegt und sagt, er möge kommen,

Sobald im Hause schlafe jedermann;

Was ihm beim Kommen und beim Gehn mag frommen,

Das zeigt sie klar, und was geschehen kann.

Als Greco kein Geräusch mehr hat vernommen

Des Nachts, geht er – so wies das Kind ihn an –

Zur Tür und drückt: sie weicht, und leise, leise

Mit Füßen tastend, fängt er an die Reise.


63.

Ein Bein lang vorgestreckt, eins stützt, so schreitet

Er wohlbedacht, als ob ihm bange sei –

Dem Manne gleich, der über Glas hingleitet

Oder den Weg sich sucht von Ei zu Ei –,

Wobei die Hand das Schleichen stets begleitet;

Er tappt und schwankt und kommt ans Bett dabei,

Und wo der andern Füße sich erhoben,

Hat er, den Kopf voran, sich vorgeschoben.
[418]

64.

Und zwischen beide Kniee der Flammette,

Die auf dem Rücken liegt, gelangt er hier,

Küßt droben sie, als ob er Eile hätte,

Und bleibt fast bis ans Tageslicht bei ihr.

Er ritt sehr scharf – und ritt doch nicht Stafette,

Denn nie zu wechseln braucht' er ja sein Tier.

Gar munter schien das Rößlein ihm zu traben:

Ohn' abzusteigen, möcht' er's immer haben.


65.

Obwohl das Herrenpaar das Stampfen hörte,

Davon das Bett erbebte immerfort,

Kam's daß sie beide dieser Wahn betörte:

Der Freund, der andre, sei am Werke dort.

Als Morgenlicht den Burschen Greco störte,

Glitt er auf gleichem Wege wieder fort.

Am Horizonte war die Sonn' entglommen:

Aufsteht Flammett' und läßt die Diener kommen.


66.

Der König spricht im Scherz zu dem Genossen:

›Gewiß hat, Bruder, dich der Weg beschwert;

Ruh' hübsch dich aus, viel Zeit ist ja verflossen;

Du warst die Nacht beständig auf dem Pferd.‹

Drauf spricht Jukund – er spricht es recht verdrossen:

›Dein Ratschlag hätte sich bei dir bewährt:

Du solltest rasten; laß dir's gut behagen!

Du rittest ja die ganze Nacht zum Jagen.‹


67.

›Wohl hatt' ich Lust,‹ spricht der, ›zur Jagd zu ziehen;

Gern schickt' ich meinen Rüden ins Gefild:

Hättest du nur das Rößlein mir geliehen

Ein Weilchen, bis die Sehnsucht mir gestillt.‹

Jukund versetzt: ›Nach Wunsch wär' dir's gediehen;

Ich bin Vasall: des Herrschers Wille gilt.‹

Es brauchte keiner Umschweif' hier, ich meine;

Was sagtest du nicht einfach: ›Laß die Kleine!?‹
[419]

68.

Der sprach und der; allmählich kam's zum Streite,

Bis derber schon ein jeder um sich schlug:

Manch beißend Wort gab nun dem Scherz Geleite,

Weil keiner so gefoppt zu sein vertrug:

Man ruft Flammette (diese stand beiseite,

Voll Furcht, daß schon entdeckt sei der Betrug).

Sie soll ins Antlitz beiden jetzt erzählen,

Was, wie es scheint, sie beid' einander hehlen.


69.

›Sprich‹, so beginnt der Fürst mit strengen Brauen,

›Und fürchte nichts von diesem noch von mir,

Wer war der Held, der bis zum Morgengrauen

Dich hielt und keinem gönnte Teil an dir?‹

Ein jeder will den Freund als Lügner schauen

Und harrt gespannt auf den Bescheid von ihr –

Entdeckt sich wähnend, wirft sich da Flammette

Auf ihre Knie, daß sie das Leben rette,


70.

Fleht um Verzeihung, daß aus Wohlgefallen

Und Mitleid mit dem Freund aus frührer Zeit

In liebgequälten Herzens heißem Wallen

(Er litt um sie auch gar so manches Leid)

Die Nacht sie in den Fehler sei gefallen,

Und gibt dann Kunde nach der Wirklichkeit,

Wie er der Hoffnung voll sich herbegeben,

Daß jeder denk', es sei der Freund daneben.


71.

Die zwei – wie sie verdutzte Mienen machen,

Vor Staunen starr das Haupt und das Genick!

Sie meinen, niemals gab es solche Sachen,

Nie traf zwei Männer noch ein solch Geschick!

Dann platzen sie heraus in tolles Lachen,

Mit offnem Mund und mit geschloßnem Blick:

Der Atem stockt, es schmerzen Brust und Seiten,

Bis hintenüber auf das Bett sie gleiten.
[420]

72.

Die Augen weinten, und die Stirnen glühten,

Die Rippen taten weh, Bewußtsein schwand.

Dann sagten sie: ›Wie kann ein Weib man hüten,

Wie leisten dem Verhängnis Widerstand,

Wenn zwei umsonst sich die zu sichern mühten,

In ihrer Mitte, greifbar mit der Hand?

Nichts kann den Ehmann vor Verrat bewahren,

Wär' er versehn mit Augen wie mit Haaren.


73.

Wir prüften tausend, die als schön zu loben:

's war keine drunter, die da sagte nein.

So zeigt sich's auch, wenn wir die andern proben,

Doch dieses soll die letzte Prüfung sein.

Als schlimmer können nicht beiseit geschoben

Die unsern werden und als minder rein.

Sind sie nun alle so vom ganzen Schwarme,

So gehn wir heim in unsrer Frauen Arme.‹


74.

Sie riefen – das schien wirklich noch am besten –

Auch Greco durch Flammett' an jenen Ort

Und gaben ihm das Mädchen vor den Gästen

Als Eheweib mit einer Mitgift dort.

Drauf stiegen sie zu Pferd, und statt nach Westen,

So wie bisher, nach Osten ging es fort.

Sie ließen sich bei ihren Frauen nieder

Und härmten sich um diese niemals wieder.«


75.

Zu Ende ging der Wirt mit dem Berichte,

Den allgemeines Lauschen wohl empfahl.

Still folgte Rodomont auch der Geschichte;

Er unterbrach sie nicht ein einzig Mal.

Dann sprach er: »Frauenränke, die dem Lichte

Verborgen blieben, sind wohl ohne Zahl.

Daß nur ein Tausendteil verzeichnet werde,

Dazu reicht kein Papier der ganzen Erde!«
[421]

76.

Da war ein alter Mann von Mut und Geiste,

Dem gab ein beßres Urteil sein Verstand,

Ihn litt's nicht länger, daß man sich erdreiste,

Die Frauen so zu richten miteinand.

Er spricht zu ihm, der hier das allermeiste

Gesündigt hat: »Man hört oft, wie bekannt,

Etwas erzählen, das doch gar nicht wahr ist;

Daß dies von deiner Märe gilt, mir klar ist.


77.

Dem Mann, der dir's erzählt, will ich nicht trauen,

Und wär' er sonst auch ein Evangelist.

Nicht auf Erfahrung scheint er aufzubauen,

Nein, auf Vermutung, wie man Fraun bemißt.

Unbillig haßt und schmäht er alle Frauen,

Weil er mit einer, zwein zerfallen ist.

Doch ist sein Zorn vorbei, wird sich's erweisen:

Mehr, als er jetzt sie schilt, wird er sie preisen.


78.

Viel weiter ist, sobald wir loben wollen,

Als wenn es Fehler rügen gilt, das Feld:

Wir müssen Hunderten Verehrung zollen,

Wo Tadel auf nur eine Schlechte fällt.

Nicht alle schelten, nein, verkünden sollen

Wir Trefflichkeit der vielen aller Welt.

Und will dies dein Valer nicht gelten lassen,

Dann spricht sein Meinen nicht, es spricht sein Hassen.


79.

Nun sagt einmal: wird einer sich begnügen

Von euch, die Treu' zu halten, die er schwor?

Ist einer, der nicht, konnt' es so sich fügen,

Sogar mit Geldverlust, ein Lieb erkor?

Gibt's einen in der Welt? Der würde lügen,

Der's sagte; wer es glaubte, wär' ein Tor.

Gibt's eine Frau, die euch gerufen hätte

(Ich spreche nicht von Dirnen großer Städte),
[422]

80.

Vom schönsten Weib die Schritte fortzulenken –

Wer wäre nicht sogleich dazu bereit,

Dürft' er das Ziel nur zu erreichen denken

Bei einer andern Frau mit Leichtigkeit?

Was tät' er, wenn ihn, lockend mit Geschenken,

Zu kommen bät' ein Frauchen, eine Maid?

Ich glaub', um der und jener zu gefallen,

Da wäre feil die eigne Haut uns allen.


81.

Wo eine Frau dem Mann nicht treu geblieben,

Da ist er selber schuld gemeiniglich:

Sie sah, wie er, durch Gier von Haus getrieben

Zu andern, lüstern seine Wege schlich.

Wer selbst geliebt sein will, der muß auch lieben:

Wo nicht, in gleichem Maße rächt es sich.

Ich gäb' (hätt' ich zu schaffen mit Gesetzen)

Eins – keiner dürfte dem sich widersetzen:


82.

Den Tod, so hieß' es, soll der Frau man geben,

Die je dem Gatten ihre Treue bricht,

Beweist sie nicht, daß er in seinem Leben

Einmal durch Ehbruch selbst vergaß die Pflicht.

Beweist sie's, darf sie sich von dannen heben,

Frei, ohne Furcht vor Ehmann und Gericht.

Wir sollen uns bei Christi Wort bescheiden:

Tut keinem, was ihr selbst nicht wollt erleiden!


83.

Man sagt, die Fleischeslust läßt sich nicht töten;

Das gilt wohl manchmal, nur nicht allgemein.

Doch sind wir da nicht selbst in größern Nöten?

Kein einz'ger wird von uns enthaltsam sein.

Da müßten wir viel stärker noch erröten:

Denn Lug und Trug und Mord und Räuberein,

Lästrung und was noch Ärgres mag geschehen,

Seh' ich die Männer fast allein begehen.«
[423]

84.

Zu seinen Gründen gibt der wackre Alte

Aufrichtig noch Exempel allerlei,

Von mancher, keusch in Tat und Herzensfalte,

Die von der Tugend nie gewichen sei.

Ergrimmt jedoch, daß Wahrheit sich entfalte,

So wild blickt auf ihn hin der Mohr dabei –

Er bleibt aus Furcht in seiner Rede stecken;

Nur seine Meinung nahm ihm nicht der Schrecken.


85.

Als sich der Fürst vom Tisch zum Gehn gewendet,

Nachdem der Streit durch ihn sein End' erreicht,

Streckt er sich auf das Bett. – Die Ruhe endet,

Als früh die dichte Dunkelheit entweicht

(Mehr Zeit als für den Schlaf hat er verwendet

Zum Schelten auf die armen Fraun vielleicht).

Sobald die Strahlen nun gekommen waren,

Beschloß er, mit dem Schiff davonzufahren.


86.

Doch weil er wohl die rechte Rücksicht kannte

Des guten Reiters auf ein gutes Pferd

Und jenes Prachttier, das er Sakripante,

Und Roger auch, bis jetzt noch hat verwehrt,

Sehr stark ins Joch – an beiden Tagen – spannte

(Das ist ja sonst bei gutem Roß verkehrt), –

Nimmt er ein Boot, um diesem Ruh zu gönnen

Und selbst die Reise schneller tun zu können.


87.

Er heißt den Fährmann flugs das Schiff bereiten;

Und seht, die Ruder tauchen in die Flut.

Stromabwärts auf der Saône hin sie gleiten:

Weil schwach beladen, geht die Barke gut.

Doch will zu Land und Wasser ihn begleiten

Ein treuer Weggesell, der trübe Mut:

Er ist am Spiegel, ist am Stern zu finden;

Beim Reiten will er nicht vom Pferde schwinden.
[424]

88.

Er sitzt im Herzen, ist zum Kopf geschlichen,

Aus dem er Freud' und Ruh' entfliehen läßt.

Der Arme sieht, die Rettung ist entwichen,

Setzt sich der Feind in seiner Burg schon fest.

Der Hoffnung letzte Schimmer sind erblichen,

Wenn seine eigne Mannschaft ihn verläßt.

Bei Tag und Nacht, statt ihm zur Seit' zu stehen,

Die Argen gegen ihn zu Felde gehen.


89.

In tiefem Leid so Tag und Nacht ihm schwinden,

Als er dahinfährt längs dem Uferrand:

Er kann die schwere Kränkung nicht verwinden

Von seiner Braut und König Agramant,

So daß ihn Gram und Pein im Schiffe finden,

Wie auf dem Land die Qual den Reiter fand.

Das Feuer drinnen löschen keine Fluten;

Die Orte wechseln, nicht des Schmerzes Gluten.


90.

Ein Kranker, den das Fieber will verzehren,

Er wechselt schwach und müde oft den Ort:

Er muß sich auf die andre Seite kehren,

Und stets Erleichterung verhofft er dort:

Doch keine Lage will ihm Ruh' bescheren;

Gequält, gepeinigt bleibt er immerfort.

So sucht zu Land, zu Wasser dieser Heide

Umsonst Erleichterung in seinem Leide.


91.

Zuletzt verdrießt es ihn, so hinzugleiten:

Er steigt ans Land, um nach Lyon im Trab,

Dann nach Vienne und nach Valence zu reiten

Und nach der Brück' von Avignon hinab;

Denn alles Land, vom Fluß bis wo vom weiten

Gebirge auf die Ebne schaun herab,

Gehorchte Afrikas und Spaniens Scharen,

Seitdem sie in der Schlacht die Sieger waren.
[425]

92.

Er wandte sich nunmehr nach rechtshin gegen

Stadt Aiguesmortes, nach Algier rasch zu gehn;

Da sah er, hübsch an einem Fluß gelegen,

Bacchus und Ceres lieb, ein Dörflein stehn,

Doch öd und leer, vielfacher Plündrung wegen

Durch Kriegesvolk; kein Mensch war drin zu sehn;

Hier weites Meer, dort in den Tälern sonnig

Wogen die reifen Ähren blond und wonnig.


93.

Da zeigt sich ihm ein Gotteshäuschen droben,

Ganz frisch erbaut auf eines Hügels Rand:

Die Priester waren alle fortgestoben,

Nachdem die Kriegesfackel rings entbrannt.

Weil's schön gelegen, dacht' er nun hier oben

Zu wohnen – auch, weil es so ferne stand

Vom Kriegsgezelt, das seine Augen hassen;

Drum will er Algier für das Kirchlein lassen.


94.

Er gibt es auf, nach Afrika zu eilen,

So lieblich dünkt ihn dieser Ort, und schnell

Nimmt er Besitz; der Hengst, die Diener teilen

– Wie sein Gepäck – die gleiche Ruhestell'.

Entfernt ist Montpellier nur ein paar Meilen

Und nah bei manchem prächtigen Kastell

Das Dorf, daran des Baches Wellen fließen;

Behaglichkeit kann er hier wohl genießen.


95.

Dort steht er eines Tags in tiefem Sinnen

(So wie es jetzt gewöhnlich seine Art),

Als er – auf keinem Pfad – in Wiesen drinnen,

Die er durchkreuzt, ein Mägdelein gewahrt,

So hold, sie muß ein jedes Herz gewinnen;

Ein Mönch geleitet sie mit weißem Bart.

Hinter dem Paare kommt ein Hengst gegangen

Mit einer Last, und die ist schwarz behangen.
[426]

96.

Wer's sei, und wer der Mönch, und was da trage

Das Pferd, das wird Euch wohl nicht dunkel sein.

Ihr denkt schon Isabellas ohne Frage

Und Prinz Zerbins in seinem schwarzen Schrein.

Ich ließ sie bei dem Greis in trüber Lage:

Sie wollte in das Land Provence hinein,

Auf das Geheiß des Mönchs ihr reines Leben

Fortan dem Dienste Gottes hinzugeben.


97.

Obschon ihr ein verhärmtes Antlitz eigen

Und ob verwirrt und ungepflegt ihr Haar,

Ob Seufzer aus dem heißen Busen steigen,

Die Augen strömen – wie zwei Quellen klar –

Und noch gar viele andre Spuren zeigen,

Wie traurig und wie schwer ihr Leben war,

Ist groß ihr Reiz, gleich einem holden Traume,

Der Grazien und Gott Amors Lieblingsraume.


98.

Der Mohr hat jene Schöne dort gesehen,

Worauf er plötzlich keine Lust mehr spürt,

Die liebe Schar zu hassen und zu schmähen,

Der für des Daseins Schmuck der Kranz gebührt.

Recht würdig scheint sie ihm und ausersehen,

Daß er als zweites Schätzchen sie erkürt

(Versunken soll die erste Liebe bleiben,

Wie Nägel aus dem Brett die Nägel treiben).


99.

Er kommt heran, und mit so süßem Munde

Wie möglich, süßrem Blicke noch dabei,

Erbittet er ob ihrer Lage Kunde,

Und sie erklärt ihm, wie die Sache sei:

Wie sie zu frommem Tun, mit Gott im Bunde,

Sich scheide von der Weltlust Narretei.

Der Heide lacht: er glaubt nicht, daß ein Gott ist,

Weil Satzung, Religion für ihn nur Spott ist.
[427]

100.

Er meint, daß sie damit sich selbst betrüge;

In argem Irrtum habe sie gelebt

Und mahn' an eines Geiz'gen Gier und Lüge,

Der seine Schätze vor der Welt vergräbt,

Nicht etwa, weil er sich damit vergnüge,

Nein, nur, damit kein andrer Mensch sie hebt.

Man schließe Löwen ein und Bären, Schlangen,

Unschuld'ge Dinger nicht und zarte Wangen.


101.

Gefahr bedroht nun leicht die Tugendreiche,

Drum lauscht und wacht besorgt der gute Greis

Als kund'ger Schiffer (daß sie nimmer weiche

Vom guten Weg), der wohl zu steuern weiß,

Und rüstet sich, daß er ein Mahl ihr reiche,

Ein geistlich Mahl, köstlich erlesne Speis';

Doch war Geschmack dem Mohren nicht beschieden:

Er rümpft die Nas' und zeigt sich unzufrieden.


102.

Und als er oft den Mönch hat unterbrochen

Und der nur weiterredet, immer mehr,

Da hat die Ungeduld den Zaum gebrochen,

Wild fällt er über diesen Pred'ger her. –

Nun hätt' ich selbst am End' zu viel gesprochen,

Wenn ich jetzund nicht mäuschenstille wär'.

Ich schließe; was durch Reden mag geschehen,

Läßt mich der Alte wie im Spiegel sehen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 402-428.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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