Neunundzwanzigster Gesang

[428] 1.

O Männersinn, unstet und leicht beweglich!

Wie sehr ist unsre Laune wechselvoll!

Wie ändern sich doch die Gedanken täglich,

Zumal die uns gebracht der Liebesgroll!

Ich sah den Mohr in Wut und Grimm unsäglich

Gegen die Fraun, ganz außer sich und toll:

Lau würden, glaubt' ich, solchen Hasses Flammen

Nimmer – und niemals sänken sie zusammen.


2.

Ihr edlen Fraun, was an Verrätereien

Der Mohr, euch scheltend ohne jedes Recht,

Begangen hat, werd' ich ihm nicht verzeihen,

Bis er es merkt, wie bös er war und schlecht.

Und Tint' und Feder soll dem Ausdruck leihen,

Damit man sieht, wie sehr's ihm Nutzen brächt',

Hätt' er sich eh'r die Zunge abgebissen,

Als euren hohen Wert herabgerissen.


3.

Zwar daß er wie ein Narr, dumm und verwegen,

Gesprochen hat, macht ihm Erfahrung klar:

Auf alle schwang er wild des Zornes Degen,

Sah nicht: es gibt doch Unterschied fürwahr –

Da blitzt ihm Isabellas Aug' entgegen,

Und andrer Meinung wird er ganz und gar:

Statt jener möcht' er sie sein eigen nennen,

Beim ersten Blick und ohne sie zu kennen.
[429]

4.

Und weil ihn neuer Liebe Wunden stechen,

Bringt er hervor unnützer Worte Schwall,

Den hohen, reinen Sinn in ihr zu brechen,

Auf ihn gerichtet, der da schuf das All.

Ihr Hort, der Mönch, mit frommer Rede Bächen

Will sie beschützen, hindern ihren Fall,

Und sucht aus stärkern und aus bessern Gründen

Zum Schirm ein sicher Bollwerk ihr zu gründen.


5.

Als lang der Heide mit verhaltnem Grolle

Gehört des tapfern Mönchleins Litanei

Und ihm umsonst geraten hat, er trolle

Sich hübsch allein in seine Wüstenei,

Und merkt, daß jener keinen Frieden wolle

Und offen ihm zu schaden eifrig sei,

Greift er ihm an das Kinn mit wildem Hassen

Und reißt vom Bart heraus, was er kann fassen.


6.

Es wuchs sein Wüten: und er schnürt dem Greise

Den Hals mit Händen wie mit einer Zang';

Dreht ihn ein-, zweimal flink herum im Kreise,

Daß er sich durch die Luft zum Meere schwang.

Was aus ihm ward, weiß ich in keiner Weise;

Verschiedene Gerüchte sind im Schwang:

Am Felsen ward er so zerschellt – sagt einer –

Was Kopf war, was die Füße, wußte keiner.


7.

Ein andrer sagt, er sei ins Meer geflogen,

Das eine Stunde sich von da befand,

Und sei dort umgekommen in den Wogen,

Trotz Betens, weil er Schwimmen nicht verstand.

Ein Heil'ger hab' ihn an den Strand gezogen,

So sagt ein andrer; sichtbar war die Hand.

Erlaubt, daß auf Ergründung ich verzichte:

Er kommt nicht weiter vor in der Geschichte.
[430]

8.

Als Rodomont ihn sah von dannen schweben

(Der alte Schwätzer stört' ihn länger nicht),

Begann er gleich viel milder sich zu geben,

Zeigte der Dam' ein freundliches Gesicht

Und nannte sie sein Herzchen und sein Leben

Und was wohl sonst noch ein Verliebter spricht;

Sein Hoffen, seinen Trost, mit vielen Dingen

Und Namen, wie sie oft zusammenklingen,


9.

Bemüht, sich rechten Anstands zu befleißen,

Mit keiner Spur von Zwang und von Gewalt –

Gelöscht hat und vernichtet all die heißen

Flammen des Stolzes diese Huldgestalt.

Er könnte gleich die Frucht wohl an sich reißen

Und macht bescheiden an der Schale halt:

Ihm ist, als ob der Kern nicht munden könne,

Wenn sie ihn nicht als frei Geschenk vergönne.


10.

Für seine Lust gedacht' er zu gewinnen

Allmählich so die Dame hier im Haus.

Ihr war an diesem öden Ort zu Sinnen

Wie wohl im Katzengriff der armen Maus:

Sie wäre lieber ja im Feuer drinnen –

Und schaut inzwischen stille für sich aus,

Ob irgendwie nicht Weg und Mittel seien,

Um rein zu bleiben und sich zu befreien.


11.

Lieber durch eigne Hand den Tod erleiden,

So steht es fest in Isabellas Sinn,

Als schnöd zu Willen sein dem argen Heiden,

Gegen den Teuren eine Sünderin:

Ja, Schuld an ihrem Herrn will sie vermeiden,

Der ihr getötet ward im Arme drin

Und dem sie schwur im innersten Gedanken,

In ihrer Keuschheit nimmermehr zu wanken.
[431]

12.

Sie sieht von immer stärkrer Gier entzündet

Den Sarazen und weiß sich keinen Rat.

Sie merkt, daß sich bereits der Ausgang kündet,

Trotz ihres Ringens, zu der schnöden Tat.

Da hat sie doch ein Mittel noch ergründet,

Nachdem sie lang erwogen früh und spat,

Zu ew'gem Ruhm die Keuschheit sich zu wahren;

Und wie? Das sollt Ihr alsogleich erfahren.


13.

»Darf ich,« sprach sie zum wüsten Sarazenen,

Der jetzt schon in sie drang in andrer Art

Und auch mit andern Worten, als mit denen

Ihr anfangs Höflichkeit erwiesen ward,

»Darf ich mich meiner Ehre sicher wähnen?

Zeigt, daß Ihr jeden Unglimpf mir erspart!

Dann könnt' ich etwas sagen, und es wäre

Euch mehr wert als der Raub an meiner Ehre.


14.

Um Freuden, die so rasch wie die vergehen

(Ihr trefft sie überall im ganzen Reich),

Solltet Ihr nicht ein dauernd Gut verschmähen

Und wahren Schatz, der keinem andern gleich:

Leicht könnt Ihr hundert, tausend Frauen sehen

Von holdem Antlitz und an Schönheit reich;

Doch niemand oder wenige nur leben

Auf Erden wohl, Euch solch ein Gut zu geben.


15.

Ich kenn' ein Kraut, und noch beim Kommen schaute

Ich einen Ort, wo es sich finden läßt:

Kocht's bei Zypressenfeuer drin mit Raute

Und Eppich! Wird der Saft dann ausgepreßt,

Macht er, wenn einer Jungfrau Hand ihn braute,

Den, der drin dreimal badet, also fest,

Daß er sich gegen Feuersglut und Eisen

Vollkommen unverwundbar wird erweisen.
[432]

16.

Er muß dem Bade dreimal sich vertrauen,

So bleibt er einen Monat unverletzt.

Dann gilt's aufs neue nach dem Kessel schauen;

Nicht länger hilft es, daß man sich benetzt.

Das Wasser kenn' ich, will es heut noch brauen:

Ihr sollt es gleich erproben, heut und jetzt.

Es mag Euch, denk' ich, größre Freude schaffen,

Als zwängt ihr ganz Europa mit den Waffen.


17.

Ihr legt den Schwur auf Eure Treue nieder,

Daß Ihr, sobald der Saft für Euch bereit,

In Wort und Tat mir künftig nimmer wieder

Noch meiner Zucht und Ehre lästig seid.«

Sie spricht's und macht den Mohren plötzlich bieder:

Gar sehr lockt ihn die Unverwundbarkeit:

Er hätte, geh' ihm diese nicht verloren,

Viel mehr noch als von ihm verlangt beschworen.


18.

Und seinen Schwur gedacht' er auch zu halten,

Bis er erprobt den wunderbaren Saft,

Und jetzt sich der Gewalttat zu enthalten,

Nicht zu mißbrauchen seine große Kraft;

Sodann jedoch nach Willkür frei zu schalten,

Nicht Gott und Heil'genfurcht hielt ihn in Haft:

So wenig achtet keiner Schwures Bande,

Durchsucht man Afrikas verlogne Lande.


19.

Er schwört der Dame mehr als tausend Eide,

Auf Rücksicht sei er allezeit bedacht,

Daß es nur bald sich mit dem Saft entscheide,

Der ihn zum Cygnus und Achilles macht.

Fern Stadt und Dorf, hat sie der stillen Heide,

Der Bergeshänge, dunkler Tiefen acht

Und sammelt viele Kräuter; ihr zur Seite

Bleibt stets der Mohr und gibt ihr das Geleite.
[433]

20.

Kräuter genug, gepflückt von fleiß'gen Händen,

Teils mit, teils ohne Wurzel, sind bereit,

Worauf sich beide zum Gemache wenden:

Dort will dies Muster von Enthaltsamkeit

Die Nacht, die angebrochen, ganz verwenden

Zum Kräuterkochen, bis zur Morgenzeit.

Und allen Zaubers bleibt dabei gewärtig

Der Fürst von Algier, bis das letzte fertig.


21.

Die wen'gen Diener braucht er als Genossen

Und hat im Spiele dort die Zeit verbracht.

Als, in dem engen Raume eingeschlossen,

Das Feuer ihnen allen Durst gemacht,

Geschah es, daß in ihre Kehlen flossen

Zwei Fässer Griechenwein in dieser Nacht

(Den führten mit sich unterwegs zwei Leute:

Man nahm die Fässer fort als gute Beute).


22.

Nun wußte Rodomont nichts von den Weinen,

Weil sie verpönt sind für den Muselman;

Der Trank sei herrlich, göttlich, möcht' er meinen,

Nicht Manna und nicht Nektar reicht heran.

Die Mohrensatzung wollt' ihm schlecht erscheinen:

Becher und Krug – voll – durch den Schlund ihm rann,

Der gute Wein mußt' in der Runde gehen,

Bis alle Köpfe sich wie Kreisel drehen.


23.

Vom Feuer, drin die Kräuter alle sieden,

Nimmt nun das Fräulein ihren Kessel fort

Und spricht: »Ist Zweifel noch, werd' er vermieden!

Ich sprach nicht in den Wind ein leeres Wort;

Was Wahrheit oft von Lüge hat geschieden

Und was selbst Dummen wird ein Weisheitshort,

Biet' ich: Erfahrung, daß sie dir verbleibe,

An andern nicht, nein, hier an meinem Leibe.
[434]

24.

Zuvörderst will ich an mir selbst erproben

Die Zauberkraft der Mischung wundervoll;

Dann wird der Argwohn auch beiseit geschoben,

Daß ich ein tödlich Gift dir bringen woll'.

Zu Hals und Brust herab vom Scheitel oben

Sogleich der Saft die Haut mir salben soll.

Versuche Kraft und Schwert: es wird sich zeigen,

Ob Schärfe diesem, Wucht der andern eigen.«


25.

Sie wusch sich, wie sie sprach, hielt ihm entgegen

Den bloßen Hals: – der unbedachte Mohr

(Ja, unbedacht, dazu dem Wein erlegen:

Kein Helm und auch kein Schildrand schützt davor),

Er schenkt ihr Glauben, schwingt den grausen Degen,

Den unbarmherzigen – der arge Tor –,

Und von dem schönen Haupt, dem Sitz der Liebe,

Trennen sich Brust und Rücken bei dem Hiebe.


26.

Drei Sprünge tat es, und man hörte schallen

Den Namen, den sie scheidend rief: »Zerbin!«

Sie fand, um dem Geliebten nachzuwallen,

Seltsamen Weg, dem Mohren zu entfliehn.

O Seele, die du höher hieltst vor allen

Das Gut (das fremd und unbekannt erschien

In unsrer Zeit) der Treue und der Tugend

Als selbst dein Leben, deine blühnde Jugend,


27.

Geh, selig schönes Wesen, geh in Frieden!

Es fehlt am Willen nicht und nicht an mir,

Wär' meinem Liede nur die Kraft beschieden,

Die aller Redekunst gibt Schmuck und Zier –

Zu singen, daß viel tausend Jahr' hienieden

Dein heller Name kling' auf Erden hier.

Zieh hin in Frieden nach den Himmelsauen,

Der Treue Vorbild für der Erde Frauen!
[435]

28.

Der Schöpfer blickte von dem Himmel oben

Auf diese Tat erhaben, wundersam,

Und sprach dabei: »Dich muß ich höher loben

Als, die Tarquin das Reich im Sterben nahm.

Drum sei jetzt dieses zum Gesetz erhoben

(Von jenen, denen nie ein Ende kam),

Und bei den ew'gen Fluten will ich schwören:

Kein künftiges Jahrhundert soll's zerstören!


29.

Jede, die deinen Namen noch wird führen

In künft'ger Zeit, soll hohen Geistes sein

Und Schönheit, Huld und Anmut sich erküren

Mit aller Ehr' und Weisheit im Verein.

Der Dichter preisend Lied wird ihr gebühren,

Es krönt der Ruhm den hehren Namen dein:

Vom Helikon, Parnaß und Pindus helle

Erkling' es: Isabelle, Isabelle!«


30.

Des Herren Wort läßt rings den Wind sich legen;

Es glättet sich, wie nie zuvor, das Meer.

Dem dritten Himmel fliegt die Seel' entgegen

Und feiert mit Zerbin die Wiederkehr.

Der zweite Brehus blieb zurück, verlegen,

Der Mitleidlose, mit der blut'gen Wehr.

Nachdem des Weines Dünste nun verflogen,

Sind Reu' und Trübsinn in sein Herz gezogen.


31.

Besänft'gen möcht er, wenn nicht ganz versöhnen

Den sel'gen Geist der edlen Isabell:

Wenn er zu Tode schlug den Leib der Schönen,

Leb' ihr Gedächtnis fort an dieser Stell'.

Er will, um sie zur Milde zu gewöhnen,

Zu einem Grabmal wandeln die Kapell',

In der sie wohnte, wo sie ward erschlagen:

Wie das geschah, will ich Euch weiter sagen.
[436]

32.

Rings aus den Orten, nahen so wie weiten,

Durch Güt' und Schrecken holt er Meister her;

Sechstausend kommen so von allen Seiten;

Dann schlägt er in den Bergen Blöcke schwer

Und läßt ein mächtiges Gebäu bereiten,

Hoch neunzig Ellen (soviel zählet er),

Und schließt die Kirch' hinein, damit sie berge

Vom treuen Liebespaar die beiden Särge.


33.

Der prächt'gen Burg, die an des Tibers Wällen

Erbaut hat Hadrian, das Bauwerk glich.

Noch einen Turm ließ er zum Grabmal stellen

(Dort weilt' er selbst nachher gelegentlich),

Ein schmales Brücklein bauen, breit zwei Ellen;

Zum andern Rand des Flusses streckt es sich.

Lang war der Steg, allein gering an Breite:

Kaum schritten dort zwei Pferde Seit' an Seite,


34.

Wenn sie den schmalen Weg zusammen gingen,

Oder sich trafen von verschiednem Strand;

Die Enge konnte stets zu Falle bringen,

Weil kein Geländer auf dem Steg sich fand:

Es sollte keinem Menschen je gelingen,

Ihn zu gebrauchen hier von Rand zu Rand;

Der Mohr gedenkt mit tausend Beutestücken

Erschlagener der Dame Gruft zu schmücken.


35.

Zehn Tage gehen hin, da steht vollendet

Der Steg, der hier zu gehen möglich macht;

Der Bau wird aber nicht zugleich beendet;

Dem Turm ist noch die Spitze nicht gebracht,

So hoch indeß, daß leicht, hinauf gesendet,

Ein Kriegsmann oben Umschau hält und Wacht,

Um alle Ritter, die zu nahen streben,

Durch Hornstoß Rodomonte kundzugeben.
[437]

36.

Der wappnet sich, stellt jedem sich entgegen,

Auf dieser bald und bald auf jener Seit':

Will einer sich vom Turm aus fortbewegen,

Ist Rodomont am andern Strand bereit.

Dann, auf dem engen Brücklein, kommt's zu Schlägen,

Und weicht das Pferd nur ein paar Spannen breit,

So stürzen in die Wellen Roß und Reiter –:

Die Welt kennt solche Fährlichkeit nicht weiter.


37.

Wenn er sich öfter in Gefahr begebe,

So wähnt der Mohr, und falle dort hinein,

Kopfüber, wo es Wasserschlucken gebe,

So müss' ihn dieses von der Schuld befrein,

Die er beging durch jenen Saft der Rebe,

Und rein und sauber werd' er künftig sein;

Als ob das Werk von Wein, von Zung' und Händen

Durch Wasser oder Wein sich könne wenden.


38.

In wen'gen Tagen kommen ihrer viele.

Die einen ziehn geradenwegs fürbaß;

Denn wer Italien, Spanien hat zum Ziele,

Der fände nimmer so bequeme Straß.

Bei andern ist die Ruhmbegier im Spiele,

Der Wunsch, sich auszuzeichnen über Maß.

Sie müssen alle, statt zu triumphieren,

Die Waffen, oft das Leben auch, verlieren.


39.

Bezwang er Heiden, ließ er sich's genügen,

Zu nehmen, was er grad an Waffen fand

Für seine Mauer, wo in großen Zügen

Der Name des beraubten Ritters stand.

Die Christen (bis sie Sklavenketten trügen,

Zu Algier) hielt der Kerker festgebannt.

Da läßt – als noch im Bau die Werke stehen –

Der tolle Roland sich am Turme sehen.
[438]

40.

Zufällig muß der Graf gerad erscheinen

Am Ufer hier, der hirnverrückte Mann,

Als Rodomont, wie schon gesagt, mit seinen

Bauwerken all nicht fertig werden kann,

Dem Turm, der Gruft, kaum mit dem Steg, dem kleinen,

Und alle seine Waffen hatt' er an

Bis auf den Helm – den hatt' er abgezogen –,

Als Roland eintraf an des Flusses Wogen.


41.

Roland ward von dem Wahnsinn so geleitet,

Daß er zur Schranke und aufs Brücklein sprang;

Zu Fuße, wie er ist gerade, schreitet

Der Mohr mit finstern Braun den Steg entlang,

Von weitem drohend; doch sein Schwert bereitet

Ihm nicht – zu viel der Ehre wär's – Empfang:

»Du frecher Lümmel, unverschämter,« schreit er,

»Tollkühner Rüpel, geh vom Stege weiter!


42.

Der wird von Herrn und Rittern nur erkoren

Und ist für dich, du Rindvieh, nicht gemacht!«

Doch Roland, in Gedanken tief verloren,

Geht stets voran und hat des Rufs nicht acht.

»Ich muß ihn zücht'gen, den verrückten Toren«,

Der Heide spricht und naht mit aller Macht,

Weil den hinabzuwerfen ihn gelüstet;

Auf Widerstand, traun, ist er nicht gerüstet.


43.

Da – seht! – ein edles Fräulein kommt gegangen

Zum Steg, der nach dem andren Strande führt,

Zierlich geschmückt und schön, mit holden Wangen

Und schüchtern, wie für Mägdlein sich's gebührt.

Sie ist's (Ihr kennt sie, Herr!), die voll Verlangen

Allübrall hat nach Brandimart gespürt;

Nur nach Paris, wo ihr Geliebter steckte,

Ihr eifrig Forschen niemals sich erstreckte.
[439]

44.

Als Flordelis (wie sich das Fräulein nannte)

Nun an die Brücke hingekommen war,

Wo Rodomont gerad auf Roland rannte,

Der ihn ertränken wollte, Mitleids bar,

Nahm sie, die ja genau den Grafen kannte,

Beim ersten Blick den Ritter Roland wahr

Und mußte sehr ob dieser tollen Launen,

Die splitternackt ihn gehen ließen, staunen.


45.

Sie steht und schaut, wer wohl den andern zwänge,

Von zweien also stark an Kraft und Mut.

Daß er den Gegner von der Brücke dränge,

Was nur ein Mensch vermag, ein jeder tut.

»Bringt eines Narren Kraft mich in die Enge?«

Knirscht in die Zähne Rodomont voll Wut.

Er windet, dreht sich, nimmt in Zornes Flammen

All seinen Stolz und seine Macht zusammen.


46.

Mit der und jener Hand, so wie er seinen

Vorteil ersieht, sucht er stets neuen Halt;

Stemmt vorne erst, dann zwischen Rolands Beinen

Den linken Fuß jetzt und den rechten bald.

Dem dummen Bären gleicht er, sollt' ich meinen,

Der – ihn zu fällen – einen Baum umkrallt,

Von dem er niederstürzte auf die Erde,

Und Wut schnaubt, daß darob ihm Rache werde.


47.

Roland – den Sinn, wer weiß wo, in den Weiten –

Hat unwillkürlich nur die Kraft verwandt,

Die große Kraft, darin zu allen Zeiten

Ein Nebenbuhler kaum ihm noch erstand.

Er läßt sich rücklings in das Wasser gleiten,

Umschlingt dabei den Mohr mit Arm und Hand:

Sie stürzen beid' in Stromes Tiefen nieder –

Aufspritzt die Flut, die Ufer hallen wider.
[440]

48.

Schnell lassen sie sich los im Wasser drinnen:

Roland ist nackt und schwimmt wie Fische; leicht

Mit Arm und Füßen rudert er von hinnen

Und hat das andre Ufer bald erreicht

Und läuft und denkt nicht dran, sich zu besinnen,

Ob das zum Lob, zum Tadel ihm gereicht.

Der Heide, stark beschwert von seinen Waffen,

Kann erst viel später sich der Flut entraffen.


49.

Das schöne Fräulein ist indes gegangen –

Ganz ungefährdet – nach des Ufers Port;

Blickt auf und ab am Grab: – am Ende prangen

Des teuren Brandimarte Waffen dort.

Doch weder Rock noch Rüstung sieht sie hangen

Und hofft, sie treff' ihn wohl an anderm Ort.

Den Weg zurück zum Grafen laßt uns finden,

Der Turm und Fluß sah hinter sich verschwinden!


50.

Toll wär' es, jede Tollheit zu erzählen,

Die er begangen, alles nach der Reih';

Damit zu enden, würde Zeit mir fehlen,

So viele waren's und so mancherlei.

Als wert des Sanges laßt mich eine wählen,

Die recht für die Geschichte passend sei:

Berichten will ich, was durch ihn geschehen

Unweit Tolosa, in den Pyrenäen.


51.

Durch manche Länder war der Graf gegangen

Und stets, vom Wahn getrieben, fortgeeilt.

Da muß er zu dem Berge hingelangen,

Der spanisch Volk von dem Franzosen teilt –

Die Stirne dorthin, wo der Sonne Prangen,

Bevor es in der Meerflut auslöscht, weilt.

Hier geht er nun auf einem schmalen Pfade,

Steil über einem engen Tal gerade.
[441]

52.

Zwei Burschen kamen, als er dort erschienen –

Holzhauer waren's –, diesen Weg daher;

Ein holzbeladner Esel war mit ihnen;

Daß es im Kopf mit ihm nicht richtig wär',

Erkannten sie sogleich an seinen Mienen.

Sie schrien laut ihn an und drohten sehr:

Umkehren soll er oder stehn beiseite,

Die Mitte lassend in der ganzen Breite.


53.

Roland hat alles schweigend hingenommen;

Ein Tritt nur mit dem Fuß von ihm ergeht;

Den hat der Esel auf die Brust bekommen

Mit jener Kraft, vor der ja nichts besteht,

Und in der Luft gleich solche Höh' erklommen: –

Ein Vogel scheint er Euch, wenn Ihr ihn seht;

Und fällt auf einen Berg mit einem Male,

Hoch oben, eine Stunde überm Tale.


54.

Dann stürzt der Tolle sich auf die zwei Jungen:

Der eine, der mehr Glück hat als Verstand,

Ist in der Todesangst hinabgesprungen

Die sechzig Ellen hohe Felsenwand.

Auf halbem Weg Gestrüpp, mit Grün verschlungen,

Macht linder seinen Fall durch Widerstand:

Es kratzt die Haut ihm vom Gesicht herunter,

Entläßt ihn aber sonst doch frei und munter.


55.

Der andre packt ein Felsriff, dran zu hangen

Und nach der Höhe sich emporzuziehn:

Er hofft, könn' er nur erst hinaufgelangen,

Der Wut des Narren oben zu entgehn.

Der aber hat nach seinem Blut Verlangen,

Und an den beiden Füßen faßt er ihn

Und spreizt die Arme, wie er sie kann strecken –:

Zerrissen ist der Knab' vom tollen Recken!
[442]

56.

Wir sehen wohl, daß man auf solche Weise

Mit einem Reiher, einem Huhn verfährt,

Wenn man sein heißes Eingeweid' als Speise

Dem Falken oder Sperber auch beschert.

Ein Glück, daß jener bei der schnellen Reise

Den Hals nicht brach, er blieb fast unversehrt,

Damit er andern melde die Geschichte

Und so zuletzt Turpin sie uns berichte!


57.

Dies und viel andres hat er auf dem Pfade

Übers Gebirg vollbracht mit starker Hand.

Nach langem Suchen steigt er ab, gerade

Gen Mittag und hinein in spanisch Land,

Wo sich um Tarragona her, am Bade

Des Meers, die Straße hinzieht dicht am Strand;

Und wie des Wahnsinns Launen just erwachen,

Denkt er im Sande Wohnung sich zu machen:


58.

Er gräbt sich in den Sand, den dürren, feinen,

Und schützt sich also vor der Sonne Strahl,

Dort bleibt er. – Da mit einemmal erscheinen

Angelika und Medor, ihr Gemahl.

Sie stiegen (Ihr entsinnt Euch, möcht' ich meinen)

Von dem Gebirg hernieder in das Tal.

Sie hatt' ihn früher noch nicht wahrgenommen

Und war auf Armesläng' ihm nahgekommen,


59.

Ohne daß sie den Paladin erkannte

(Denn nichts gemahnte hier sie mehr an den).

Immer, seitdem ihn dort der Wahnsinn bannte,

In Sonn' und Schatten war er nackt zu sehn.

Wär' er geboren, wo der Garamante

Den Ammon ehrt, im glühenden Syen

Oder wo Nilflut strömt von Bergen nieder,

Nicht ausgedörrter wären seine Glieder.
[443]

60.

Das Antlitz mager, wie ein Knochen trocken,

Das Auge steckte in der Höhlung tief;

Zerzaust, verworren, struppig, wild die Locken;

Beim wirren Bart ein Graun sie überlief.

Sie sah den Tollen und, zum Tod erschrocken,

Voll Beben, wandte sie das Roß und rief

Hinauf zum Himmel, kehrte sich voll Beben

Um Hilfe dann zum Reitersmann daneben.


61.

Sie festzuhalten, ist nun aufgesprungen

Roland der Tor, sobald er sie gewahrt:

Verlangen war ihm gleich ins Herz gedrungen,

So schön fand er das Wänglein hold und zart.

Daß sie ihn einst zu Lieb' und Dienst gezwungen,

Davon hat die Erinnrung nichts bewahrt.

Er läuft ihr nach, so wie durch das Gefilde

Der Hund, begierig schnuppernd, einem Wilde.


62.

Der Jüngling sieht den tollen Menschen eilen

Hinter der Dam' und stößt auf ihn das Pferd

Und haut zugleich und sticht auf ihn derweilen,

Sobald er sieht, daß der den Rücken kehrt.

Er meint, das Haupt vom Halse abzuteilen,

Doch Haut, wie Knochen hart, ihm das verwehrt,

Vielmehr wie Demant, weil der Graf gefeit ist

Und unverwundbar seit der frühsten Zeit ist.


63.

Als Roland hinten einen Streich verspürte,

Hat er, die Faust geballt, sich umgedreht,

Worauf er einen Schlag aufs Rößlein führte

Mit jener Kraft, die zu Gebot ihm steht;

Er trifft den Kopf –: als ob er Glas berührte,

Zerspringt der Schädel, der in Stücke geht.

Gleich wendet sich der Narr, in mächt'gen Sätzen

Der Schönen, die entfliehn will, nachzusetzen.
[444]

64.

Die Dame treibt ihr Pferd zur höchsten Eile,

Mit Sporn und Gerte stachelt sie das Tier;

Doch flög' es auch dahin gleich einem Pfeile,

Für ihre Hast erschien es langsam schier.

Sie denkt des Rings: der wird ihr ja zum Heile,

Wenn sie zum Mund ihn führt; sie hat ihn hier,

Und sieh! – wie noch die Kraft in ihm sich findet:

So wie ein Licht man auslöscht, sie verschwindet.


65.

Sei's, weil ihr bangte, oder weil die Gute

Zu hastig nahm den Ring von ihrer Hand,

Sei's, daß ins Stolpern just geriet die Stute

(Ob's dies ob das war, ist mir unbekannt):

Sobald der Ring auf ihrer Zunge ruhte,

Und vor dem Blick ihr hold Gesicht verschwand,

Da rutschten aus dem Sattel ihre Glieder,

Kopfüber sank sie auf den Boden nieder.


66.

War dieser Sprung zwei Zoll zu kurz geschehen,

So flog sie grad dem Tollen an den Hals

Und müßte durch den Stoß zu Grabe gehen:

Ihr Stern beschützt sie vor der Wucht des Pralls.

Gern würde sie ein neues Pferdchen sehen,

Wie jüngst sie eines stahl; denn jedenfalls

Wird sie dies Rößlein niemals wiederkriegen,

Das sie vor Roland sieht von dannen fliegen.


67.

Nun, zweifelt nicht, daß sie sich helfen werde!

Wir folgen Roland nach zu dieser Frist.

Stets wilder fliegt er, grimmer von Gebärde,

Weil sie sich ihm versteckt mit arger List.

Hin durch den nackten Sand folgt er dem Pferde,

Bis daß er näher, immer näher ist:

Jetzt rührt er's an – und jetzt die Mähne hält er –

Und jetzt den Zaum – und bringt zum Stehn den Zelter.
[445]

68.

Mit solcher Freude hält er es am Zügel,

Wie wohl ein andrer hielte seinen Schatz,

Sorgfältig ordnet er ihm Zaum und Bügel

Und springt in Sattel drauf mit einem Satz.

Viel Meilen jagt er's über Tal und Hügel,

Hier-, dorthin, ruhelos, in wilder Hatz;

Doch läßt er ihm den Zaum, den Sattel immer

Und gönnt ihm Gras und gönnt ihm Futter nimmer.


69.

Nun über einen Graben will er jagen:

Kopfüber fällt er mit dem Pferd hinein.

Er fühlt es nicht und kann es auch vertragen,

Doch liegen bleibt das arme Tier in Pein.

Was diesem helfen mög' in seinen Plagen,

Er weiß es nicht, packt auf das Rösselein

Und geht voran mitsamt der schweren Bürde,

So weit ein Pfeilschuß dreimal dringen würde.


70.

Er merkt, daß ihm das Tier doch Last bereitet,

Und legt es ab, zieht mit der Hand es fort.

Als hinter ihm das Rößlein hinkend schreitet.

Spricht Roland: »Geh!« – vergebens ist sein Wort.

Und hätt' es ihn auch im Galopp begleitet,

Sein Wahnsinn würd' es stacheln, immerfort.

Dem Kopf hat er den Halfter dann entwunden

Und an dem rechten Fuß ihn festgebunden.


71.

So schleppt er's fort und sucht ihm Trost zu spenden:

»Nun, geht es jetzt nicht viel bequemer?« schreit

Er, fragt nicht, ob am Weg sich Steine fänden:

Hautfetzen, Haare fliegen weit und breit.

Und schließlich muß das arme Roß verenden

Vor Ungemach und Schmerz und Mattigkeit.

Er sieht es nicht, und ohn' etwas zu denken,

Eilt er, die Schritte weiter fortzulenken,
[446]

72.

Läßt noch das tote Tier am Boden schleifen

Und richtet stets den Lauf nach Westen hin,

Um plündernd so durch Haus und Hof zu schweifen,

Wenn Appetit sich regt im Magen drin,

Und blindlings Früchte, Fleisch und Brot zu greifen,

Und alle Leute quält sein Räubersinn.

Den einen läßt er tot und lahm den andern,

Bleibt kurze Zeit, und weiter geht das Wandern.


73.

Auch seine Dame büßte es wohl bitter,

Versteckte sie sich nicht durch ihren Ring;

Denn Schwarz und Weiß nicht unterscheidend schritt er,

Und Schaden bracht' er, wenn er helfen ging.

Verwünscht der Ring, verwünscht auch jener Ritter,

Von dem Angelika ihn einst empfing!

Wenn seine Zauberkraft nicht Schutz ihr brächte –

Wie Roland sich und tausend andre rächte!


74.

Nicht sie bloß sollt' in Rolands Hände kommen,

Nein, alle Fraun von heute miteinand:

Undankbar haben alle sich benommen;

An keiner noch ein gutes Haar man fand.

Mißtönig aber würden leicht vernommen

Des Liedes Saiten, schlaff in meiner Hand:

Ein andermal drum will ich weitersingen,

Daß sie dem Hörer nicht verdrießlich klingen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 428-447.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon