Siebenter Auftritt.

[35] Der Schauplatz verwandelt sich in eine Straße vor dem Hause des Viren und der Olympie, beide treten auf den Balkon.


VIREN. Nach so viel Leiden, verseufzten Tagen und verwachten Nächten, da fühlt ich im Gedeihen eines lustigen Lebens, daß Liebe gar nichts sei, ein leerer blendend heller Spiegel in muthwilliger Hand der unerwartet wirft der Sonne Bild in unsre Augen erschreckend glauben wir, sie strahle plötzlich aus einer andern Region zu uns – da ist es fort. Hätt ich die bang verlorne Zeit zurück!

OLYMPIE. Du quälest mich, wie einen Kranken dem seines Lebens Ausgang vorerzählt wird, dem ein[35] gewisser Tod wird vorgerechnet, das Leben quälet ihn, doch hat ers lieb. Ach lieber Bruder, wie du mir so durchdringend dies Gefühl beschriebst, so wie du es erfahren, an das wir glauben müssen gegen alle Überlegung, das in uns lebt und außer uns in ewgem Zwiespalt mit uns selber, so etwas fühlt ich auch, als sich Cardenio mir ganz zu eigen gab. Mir zu eigen? Mir selber hat er mich entführt und schweift mit mir ich weiß nicht wo, herum, ich will in meinen Büchern lesen und gähne, will gern an meine alten Freunde schreiben und kann nicht aus den ersten Worten kommen, mir ists, als müßt ich ihm weit über Hügel folgen; bin ich im dunklen Thal, so steht er auf der Höh in Abendsonne schön beglänzt und steig ich zu der Höh so ist er fort – wie wird mir doch ums Herz so weh.

VIREN. Ei wie verändert, stolzes Schwesterchen du stolze Frucht an einem Tag gereift am höchsten Gipfel und schon gefallen in des Mannes Schoos. Gedenk ich noch an gestern, der hochgefeierten Selbstständigkeit, des treuen Bunds mit allen edlen Mädchen vom Ehejoche frei zu bleiben.

OLYMPIE. Ich habe nie davon gesprochen, daß jede Ehe eine Bürde sei, nur die gezwungne wär mir unerträglich.

VIREN. Ihr Mädchen werft die Worte aus wie Kupfermünzen, der Mühe überdrüßig, sie zu zählen;[36] wie sprachst du allgemein von Männertyrannei. Je liebes Kind, ist je ein Mensch auf Erden zum Tyrannen ganz geschaffen, so ists Cardenio.

OLYMPIE. Ich muß gehorsam sein, ich bin dazu geschaffen, du hättest früher warnen sollen, oder nie; gehörst du auch zu denen, die den Brunnen decken, wenn erst das Kind hineingefallen ist?

VIREN. Ich glaubte dich Lysandern längst verlobt, er ist ein hübscher Mann, ein Mann von Ehre, hat Ansehn und Vermögen, er liebt dich treulich nun so lange.

OLYMPIE. Du glaubtest es, weil du es wünschtest, ich hab dir nie davon geschrieben, ich hab ihm jede Gunst, selbst die gewöhnlichen, die dem Verliebten leicht ein Zeichen der Geneigtheit werden, so streng versagt, daß er wohl glauben mag, ich hasse ihn, wie ich doch nie gethan. Er ist ein werther Freund; Aufmerksamkeit, bescheidne Schmeichelei in allem, was mir lieb, so viele kleine Dienste, die er uns geleistet, verpflichten mich zur Dankbarkeit, ja fast wie eine Angewohnheit ist mir seine Nähe, die ich nicht gerne misse, Cardenio ist mir Bedürfniß, Speise, Trank und Luft des höheren Lebens, nichts bin ich ohne ihn.

VIREN. Cardenio, ich läugne nicht, ist ausgezeichnet unter Tausenden, erhöht von der Natur, geschmückt mit Kunst, doch löscht ein Fehler alles Gute aus. Er ist ein zorn'ger Wüthrich, ein ew'ger Streiter[37] gegen tausend Kleinigkeiten, die der gewohnte Lauf der Welt als harmlos duldet, und was er meint das sagt er aus, und was er will, das setzt er durch, ihn fürchtet jeder, keinen fürchtet er. Nur sein gelehrter Ruf hat gegen die Verbannung ihn beschützt, er wär von den Studenten längst schon ausgeschlossen, wär nicht in ihm der Kern von allen, eine ganze Akademie. Beim Trinken drückt er erst die Menschen an sich, als wollt er sich für eine Ewigkeit verbrüdern nun sieht er sie in hellster Nähe an, bemerkt die feinen mikroscopschen Züge und stößt sie mit Verachtung fort – mir selbst ists so begegnet, ich rettete mich nur von einem großen Streit durch einen witzig leichten Seitensprung. Solch Uebel wächst mit jedem Streite, was erst unleidlich ist, die widerhaar'ge Spannung wird bald ein angenehmer Reiz, es juckt da immer, wo man oft gekratzt und seine Ehre ist ihm gar ein kitzlich Fleckchen, doch findet er noch sicher seinen Meister, denn jeder Händelmacher findet den, er stirbt ganz sicher nicht natürlich, oder er muß flüchten in die weite Welt, was hast du dann?

OLYMPIE. Mein lieber Bruder, wer auf den sicheren Besitz von etwas herrlichem nur eine Stunde rechnet, nein der besitzt es nie, der hat es nie besessen sich nie dem Augenblicke hingegeben, der Jahre aufwägt. Und sind nicht Augenblicke muth'gen Glücks und seliger Erhebung mehr, als ungenoss'ne achtzigjähr'ge[38] Dauer des stets verkümmerten Daseins. Hab ich mit ihm die Freudenzeit genossen, so leid ich auch mit ihm so kann ich mit ihm sterben.

VIREN. Ei liebe Schwester, spricht Natur aus dir? So fremd und so beredt hab ich dich nie gefunden, es ist ein neuer Stolz, der dich ergreift, den alten Stolz der scheuen Jungfrau hast du schon vergessen.

OLYMPIE. Sprich nicht von meinem Stolz, ich fühl ihn heute nicht, ich fühle nichts als milde Güte, ein Wohlthun möcht ich üben gegen alle Welt, mir an das Herz sie drücken, damit es eine Haltung fände, – denn es ist schwach. O sieh mich an, kann seine Wildheit mir wohl widerstehn, wenn ich ihn also bittend blicke an, der Blick muß ihn entwaffnen, der muß das lose Schwert fest in der Scheide halten, ich will ihm decken seiner Augen Glanz mit meiner Hand, wie mit dem Schilde der Vernunft, wenn er in Zorn ausstürmen möchte.

VIREN. Das ist doch lustig, das läßt sich alles anders auch verstehen, es ist mir lieb, daß Niemand gegenwärtig! O Schwester, das klingt ja ganz erschrecklich sinnlich.

OLYMPIE. Aus meinen Augen fort, du Ungeheuer, du stellst dich ernsthaft, machst mich ganz treuherzig, ich weiß von nichts, du hast mit aller Thorheit dich besudelt, die du Erfahrung nennst, und nun ich[39] offen mit dir rede, als wolltest du mich freundlich gern verstehen, mir gütig beistehn, da lachest du mit fremdem Scherz herein, ich schäme mich meines offnen Sinns, bei Gott, wär ich kein Weib ich könnte dich ausfodern darum, und umbringen, und dann machst du Cardenio daraus noch eine Sünde, wenn er so oft in Händel sich verwickelt. So wie du schlecht von mir gesprochen, gehts auch ihm, die anderen verderben seine Worte eben so.

VIEREN. Ja Schwester, wie du wieder alles mißverstehst; daß ich dich nicht für eine Göttin halte, das kränket dich? Ich bin kein Gott und weiß doch noch aus früheren Jahren, stolze Schwester, wo wir vertraulich stets beisammen waren.

OLYMPIE. Da warst du gar ein andrer Mensch.

VIREN. Du warst wie andre Mädchen hattest auch die Nase in die Länge.

OLYMPIE. Fort, fort, ich kratz dir sonst die Augen aus.

VIREN lachend. Damit ich niemals sehen soll, was du mit Cardenio unter vier Augen thust. Ab.

OLYMPIE. Wahrhaftig ich geh noch heute fort von dir, wenn du mir so begegnest. – Ein sonderbares Recht, daß sich die Herren Brüder meist anmaßen, uns alle Unanständigkeiten her zu sagen, die sie von andern niemals um uns leiden mögen, sie möchten uns allein damit versorgen. Es hat mich doch[40] verstimmt, ich lebte ganz in dem Gedanken an ihn und bei Cardenio da fällt mir lauter Schönes ein, du weißt o Himmel, meine Lieb zu ihm ist rein, entlade mich den heftigen Gedanken, womit der Zorn das Herz mir tief erregte, ich bin zu heftig, ich habe so viel anderes zu denken, da mir der Abendstern entgegenblickt.


Aus der heitern freien Bläue

Tritt ein Stern so heimlich vor,

Ach, wo war er doch zuvor?

Und nun seh ich gar schon zweie,

Die so fest verbunden scheinen,

Als wenn Gottes Hand sie band,

Und nun gehn sie Hand in Hand,

Und ich muß hier einsam weinen.


Immer muß ich beider denken,

In die Augen eingebrannt,

Blicken sie so unverwandt

Und ich muß die Blicke senken,

Seh nicht mehr die keuschen Sterne,

Alle ziehn so fern vorbei;

Sah sie gestern noch so frei,

Gestern sah ich sie so gerne.


Und nun ich wieder aufzublicken wage. Die armen beiden kleinen Sterne, kaum sind sie zu erblicken, so schämen sie sich vor der Sonne, die sie noch mit durchdringenden hellem Aug bestrahlt. Sie bleibt in sich verloren nach den Sternen aufblickend stehen.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 35-41.
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