Vierterzehnter Auftritt.

[240] PAMPHILIO tritt eilig auf. Viren, Lysander, habt ihr Cardenio nicht gesehn? Verzeihet meine Hast mit der ich das Gespräch durchschnitten, sein Lebensfaden ist dadurch vom Durchschnitt zu erretten, womit ihm die Justiz jetzt droht.

LYSANDER. Wir dürfen seinen Weg dir nicht verrathen, er hats uns streng verboten.

PAMPHILIO. Wenn ers verboten hat, da fürcht ich auch nicht mehr für ihn; so bald er furchtsam wird ist er auch gescheidt wie andre Leute. Ein Sohn vom alten Nathan hat ihn heut verrathen, daß er am Felsen hier gesehen worden, er droht ihm wegen seines Wechsels mit Arrest, ei seht da kommen schon die Diener des Gerichts.


Häscher, Gerichtsdiener, zum Theil mit Kürassen gepanzert treten durch den Thurm langsam auf.


EIN HÄSCHER. Ihr seht doch nichts, er ist nicht hier.

EIN ANDRER. Er könnte in der Höhle sein.

EIN DRITTER. Geh du voran, es ist da dunkel.

DER ANDRE. Laß immer sein, wie bringen wir ihn durch, wenn wir ihn fangen, die Herren Studenten schwören ja uns Arm und Beine zu zerschlagen, wenn wir ihn schleppen, auch könnte er geladne Gewehre bei sich führen.[241]

DER ANDRE. Geladene Gewehre; das wär infam.

NATHANAEL im Thurme. Ihr Leutchen sucht nur recht und bindet ihn recht fest, daß er nicht um sich schlägt.

DER ANDRE. Er hat geladene Gewehre, die richtet er gerade auf den Thurm.

NATHANAEL. Laß ihn los, mit geladenen Gewehren ist kein Spaßen.

VIELE. Nun wenn sie es nicht wollen, unsertwegen mag er laufen.

NATHANAEL. Um Gottes Willen lauft mir nicht davon, ich höre viel Studenten.

EINER. Ihr Leute kommt nur in den Thurm zum Juden, der soll uns noch aufwichsen, da können wir uns auch verstecken, bis die Studenten all vorbei gezogen.


Sie gehen alle nach dem Thurme ab.


PAMPHILIO. Da ziehn die Kerls alle ab, ganz wie ein lächerlicher Sturm, der erst ein Schiff im Meere zu versenken droht und sich begnügt den Huth dem Schiffer abzunehmen. Das sind die schlimmsten Leute nicht, es kommen andere Gefahren, Soldaten die in Friedenszeiten nichts besseres zu thun verstehen, als Reisende recht gründlich auszufragen. Ich glaub, ich hab in einem Tag mehr Angst gehabt für den Cardenio, als er für sich in seinem ganzen Leben.[242]

LYSANDER. Jetzt kannst du ruhig sein, schon hat er dieses Landes Grenze überschritten und eh ihn dort die Mahnung der Gerichte noch kann finden, ist er schon weiter und zu Ländern hingedrungen, die aller Flüchtgen Freistadt sind.

PAMPHILIO. Wohl ihm er ist nun frei, ich sehe ihn nicht wieder, er denket meiner wohl nicht mehr und ich muß seiner denken immerdar, mit wem soll ich auf weiter Welt nun leben! Er geht ab.

VIREN. Wie alle an den einzigen Cardenio so glauben, was ist es denn, was sie an ihn gebannt? Warum ist dieser Einzige mit allem ausgestattet, was Freundschaft, Liebe, Kunst und Wissenschaft uns geben kann?

OLYMPIE. Und er durft wagen alles zu verschmähen, alles aufzugeben um seiner Seele Heil.

VIREN. Warum bleibt mir von allem Herrlichen das Letzte nur, das Mitleid derer denen ich durchs Blut verbunden.

LYSANDER. Wie du doch alles aufnimmst.

VIREN. Ja, daß ich eure Liebe so aufnehmen muß, das lieget auch in mir, in der zerdrückten und gescheiterten Natur.

OLYMPIE. Mein Bruder, ganz gewiß thut der die schwerste Sünde, der sich verkennt, noch bleibt dir Jugend, sie kann die kalten Tage leicht in Frühlingsschein umwandeln.[243]

VIREN. Wie weit von mir liegt meine Jugend, ich hatte keine Jugend.

OLYMPIE. Du wagst mit uns zu gehen, ein neues Leben zu beginnen, das ist Jugendmuth der sich dem falschen Weg entreißen kann und sich dem neuen Zufall anvertrauen mag.

VIREN. Du sprichst mir tröstlich zu Olympie, doch du trauest mir zu viel; erst wenn die neuen Triebe kommen, da wird sichs zeigen wie viel der Zweige schon erstorben sind.

OLYMPIE. Nun denn, so nehm ich dich in meinen Arm wie einen Todten, der sich nicht wehren kann, was auch die Lebenden mit ihm beginnen. Doch drücke ich dir nicht die Augen zu, ich öffne dir die Augen, ich heb dein Haupt empor, sieh rings die weite Welt und fühl in diesem Kuß, daß dir ein Schwester Herz so nah. Du wirst schon wach, so schaue unter dir den Strom im rothen Morgenglanz, vorher da starrtest du und grubst mit deinem Stabe in der schwarzen Erde. Sieh jetzt des Stromes fröhliche Bewegung, da schwimmet eine Schaar Studenten auf leichten Kähnen schnell daher, den Schwänen nach die drohend ihre Jungen schützen, am Himmel singen tausend Lerchen, als strömten sie aus hohem Sonnenthor die Sonne scheinet früher aufgewacht die rasche Jugend spiegelnd zu begrüßen, der Jugend stahlt sie ahnend durch die Nacht, blick wieder hoffend zu der[244] Sonne, meiner Jugend Mitgenosse und Gefährte, mein bester Freund, mein liebster Bruder.

CHOR DER STUDENTEN in den Kähnen, die ungesehen singend vorbeifahren.

Taucht der Strom in Morgenglut

Wächst im frischen Herzen Muth.

EINER.

Jaget nach den lichten Schwänen,

Die so stolz die Flügel schwellen,

Jaget vor den hohen Wellen,

Daß sie schäumen an den Kähnen,

Kochend übern schmalen Rand.

CHOR.

Ruder brennen in der Hand,

Jagt die Wellen übers Land.

EINER.

Wie ein Roß voll Lust zum Streite,

Seine Adern sich aufbeißet,

Gleiche Lust mich rastlos reißet,

Zu der ungemeßnen Weite

Übers eng verschloßne Wehr.

CHOR.

Übers Wehr reißt uns die Ehr,

Übers Wehr ins goldne Meer.

EINER.

Wo kein Schiffer wagt zu fahren,

Durch des Wasserfalles Wolke

Ziehe ich mit jungem Volke,

Und wir spotten der Gefahren,

Unsre Lust ist dieser Streit.[245]

CHOR.

Muth gewinnt sich neue Zeit,

Bald wird uns die Welt so weit.

EINER.

Froh hinüber durch Gefahren

Zu dem ewig grünen Lande

Ruhen wir im kühlen Sande

Froher Sang der Vögel-Schaaren,

Füllt das Herz mit süßem Drang.

CHOR.

Mit der Vögel Zaubersang

Uns die Liebe sanft umschlang.

EINER.

Auf, ihr holden Nachtigallen,

Alle Sinne mir durchdringet,

Meine Worte lieblich zwinget,

Zu der Liebe Wohlgefallen,

Liebe füllet meine Brust.

CHOR.

Taucht der Strom in Morgenlust,

Schlägt das Herz in junger Brust.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 240-246.
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