Die Liebesgeschichte des Kanzlers Schlick

und der schönen Sienerin

Nach einer alten Erzählung

[134] Gnädige Frau! Sie werden es nicht übersehen haben, wie gern ich Sie oft angesehen. Ihre Ähnlichkeit mit einem mir sehr werten Gemälde war nicht der einzige Grund, mehr wirkte noch das reizend Zusammenstimmende aller Ihrer Bewegungen, die von einer neuen, alles beherrschenden Sehnsucht erfüllt waren. Sie waren unendlich reizend als Sie liebten und Sie verlieren jetzt täglich von Ihren Reizen, nun Sie nicht mehr lieben. Ich bitte Sie gnädige Frau um Ihrer Schönheit willen, vergessen Sie entweder den Flüchtling ganz, den die Ehre in entfernte Gegenden geführt zu den stolzen Spanierinnen, oder sterben Sie vor Sehnsucht, oder lieben Sie einen andern, oder lieben Sie die Tugend. Und wenn Sie gerade keinen andern und keine Tugend wissen, die Sie lieben möchten, lieben Sie mich, und lieben Sie die Tugend in mir: ich bin die Tugend des Mitleidens um Ihre Schönheit, die noch als lebendige Gestalt vor mir steht, während sie auf Ihren Wangen nur als eine halb vergessene Erinnerung noch für kurze Nachsommertage zu weilen und in die Vergangenheit umzublicken droht. Besinnen Sie sich und finden Sie mich dann noch immer allzuhäßlich, so verschmähen Sie wenigstens meinen Trost nicht, den ich Ihnen aus gutem Herzen und alten Geschichten zusammengelesen. Sie werden finden, daß Ihnen nichts Besonderes widerfahren mit dem Adjutanten des Marschalls, dem Sie als Gefangenen eine milde Zuflucht in Ihrem Hause gestatteten und der Sie als Sieger verließ, zwar klagend und ewige Treue verlobend, aber Sie wissen besser als ich wie er die in Paris gehalten. Sie möchten nun gern wissen, woher ich das alles weiß,[134] aber meine Gnädige, ehe Sie mich nicht lieben, verrate ich das nicht: genug, es ist kein Brieflein von Ihnen, das ich nicht abgeschrieben, ich erinnere nur des Zeichens wegen an jenen, worauf Uniformknöpfe gesteckt waren, ferner an das kleine braune Mal, wo Ihr Herz pocht, an die Verkleidung, wie Sie als Sträußermädchen bei der großen Parade neben Ihrem Liebling standen, der das Ehrenkreuz erhielt, wie gingen Sie nachher so eilig mit ihm in seine Wohnung! Sie sehen, der Verräter schläft nie, oder hat er auch geschlafen, worüber Sie vielleicht keine Nachricht geben wollen, so schlafe ich nicht, ich lasse alles drucken, wenn Sie meine Hand nicht durch einen Händedruck lähmen. Doch Scherz beiseite, der sich für Ihre Trauer und für meine Gutmütigkeit nicht schickt, Sie sehen wohl, wir leben nicht mehr in der guten Ritterzeit, für die ich Sie durch häufiges Vorlesen des Heldenbuchs vorbereiten wollte, wo Reisen und Kriegsunternehmungen nur darum ausgeführt wurden, um Liebe aufzusuchen und in ihrem Dienste nur einmal im Leben aber ganz allen Schmerz und Freude, Hoffnung und Trostlosigkeit zu einer ewigen Treue zu häufen. Wenn Sie aus diesem hellen Traume mitten in der dunklen Nacht unsrer Zeit aufgewacht sind, wo in tausend Mißgriffen der eine nicht sein Zimmer, der andre nicht sein Bett finden kann und alles in trostloser Mannigfaltigkeit gestört und verwirrt wird, so trösten Sie sich damit, daß diese Verwirrung auch schon sehr alt gewesen, älter als alle dreieckigte Hüte in der Welt. Sie werden das nicht glauben wollen, es scheint Ihnen alles einzig, lesen Sie darum diese Geschichte aus der Zeit des Kaiser Sigismund, die Liebesgeschichte seines Kanzler, des Ritters Caspar Schlick, wie sie der Papst Pius der Zweite beschrieben, er, als ein Geistlicher, wird alles Unanständige vermieden haben, ich habe nur ausgezogen, damit ich der meuchelmörderischen Stichelei nicht beschuldigt würde. Vielleicht gelingt es mir, Sie und viele unsrer Landsmänninnen in ihrer Liebe künftig patriotischer zu machen, sie ganz der vaterländischen Jugend zuzuwenden: ein ähnlicher Zweck wie in den »Römischen Elegieen«, in den »Venezianischen Epigrammen«, in der »Fiammetta« und in der »Corinna«. Europa ist zu mannigfaltig ausgebildet um sich einer Leidenschaft ganz zu ergeben, wir stehen nun einmal gar nicht mehr auf der Erde wie die andern Weltteile, sondern, von diesen auf dünnem Seile in der Luft getragen, sei es unser Bemühen[135] wie gute Seiltänzer, wo wir der Menge unvermeidlich als fallend erscheinen, uns am höchsten von dem Seile aufschnellen zu lassen; das feste Bestehen ist doch einmal nicht möglich. So sehe ich Sie, gnädige Frau, wie Sie nach dem Lesen dieser Geschichte aus dem Halbdunkel Ihres Zimmers und Ihrer Traurigkeit aufspringen, mir entgegen eilen, Sie kennen den hüpfenden Gang meines hölzernen Beines, mir in die Arme fliegen und alle unpatriotischen Liebesgedanken vergessen, die wie fliegende Brücken über wilde Ströme, je reißender diese die Länder scheiden, desto schneller die getrennten Bewohner zusammen führen. Jetzt hat aber der Eisgang die Brücken und Ihren Geliebten fortgerissen. – Sie sehen, seit ich Invalide geworden, weiß ich recht schöne Betrachtungen anzustellen.

Der Invalide


Das gesunde Fräulein behauptete am Schlusse des Briefes, das wäre boshaft, und der Invalide müßte knieend Abbitte tun. »Wir kennen uns besser«, sagte die Frau vom Hause, und gab ihm die Hand. »Sie gäben viel darum, wenn Sie nicht über das Rührende lachen müßten, weil Ihnen sonst die Augen wehe tun.« – »Und mein hölzernes Bein bleibt doch von Holz«, fügte er hinzu und las weiter.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 2, München 1962–1965, S. 134-136.
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