Nr. 122.

[302] Mel: Zion klagt mit angst und schmertzen.


O du allertiefste liebe/ die in Christo Jesu ist/ In der ich mich stetig übe/ Der mein Hertze nicht vergisst: Schencke mir doch deine kron/ und dein perlein/ o mein lohn/ Drück es doch in meine seele/ die ich dir nun gantz befehle.


2.

O du allersüßste liebe/ Ich bin zwar unrein für dir/daß ich mich drumb stets betrübe/ Und fast schäme selbst für mir: Aber du/ mein Herr und Gott/ Ach! zerbrich durch deinen tod/ Was die arme seel beflecket/ Und sie ins verderben stecket.


3.

Führe meiner seelen dürsten Doch durch deinen tod und grauß/ O du Fürst der sieges-fürsten/ Zu den thriumphiren aus! O mein Gott!/ Herr Zebaoth/ Schlage doch in deinen tod Mich den alten gantz darnieder/daß der neue lebe wieder!


4.

Bist du doch in mir erschienen/ Ey so bleib doch auch in mir/ Ich will dir ja willig dienen/ Und dein bleiben für und für: Fasse mich doch gantz in dich/ Halt mich in dir festiglich/ daß ich nicht von dir kan weichen/Laß mich dieses heyl erreichen.
[302]

5.

Du bist mir gantz auserlesen/ O du meiner seelen gut/Jesu/ ach dein himmlisch Wesen Sey mein brod/ mein tranck dein blut/ Tränck aus deinem brünnelein Meine seel und führe ein deine lieb in mein verlangen/ Laß mich seyn in dir gefangen.


6.

Adam ist von dir gewichen/ Und ich auch in ihm zugleich/ drumb ist auch mein bild verblichen/ Und ist tod am himmelreich: Nun so weck es durch dein wort Wieder in mir auf/ mein hort/ Gib du wieder geist und leben/ Ich will mich dir wieder geben.


7.

Es hat ja all deinen frommen Zugesagt dein treuer mund/ daß du wilt zu ihnen kommen/ Wohnen in des hertzens grund/ Ja dein süsser mund verheisst denen deinen guten Geist/ die in deiner heilgen hütten Suchen dich/ und darumb bitten.


8.

Nun ich führ in die zusage Meiner seelen hunger ein/diß wort soll mein lebetage Mein brod in dem hunger seyn: Ach vermehre du in mir Meinen hunger stets nach dir/ Stärcke mich/ o süsse liebe/ In des geistes krafft und triebe.


9.

Weck in dir mich auf zum leben/ Daß ich deine süßigkeit Möge schmecken/ und erheben Meinen geist aus dieser zeit: Bleibe doch durch deine krafft Selbst in mir: ach gib doch safft/ Edler weinstock/ deinen reben/ Ohne dich kan ich nicht leben.


10.

O du allersüßte liebe/ Durch die liebe bitt ich dich/Die des Vaters zorn vertriebe/ Und verschlang zur lieb in sich: Ach! verschling doch auch den zorn/ Der in meiner seel erbohrn/ Durch dieselbe grosse liebe/Daß sie sich in lieben übe.


11.

Führe dich in meinen willen/ Und mich auch in deinen ein./ Laß dein hertz mein hertze stillen/ Laß mein hertz in deinem seyn: Dein gehorsam sey in mir/ Mein gehorsam sey in dir/ daß ich dir noch auf der erden Möge gantz gehorsam werden.

12.

Was soll ich mich hier noch quälen/ Und der welt anhängig seyn? Nimm du den durst meiner seelen doch in deine wunden ein! In die wunden/ da dein blut Ausqvall und des zornes glut In der süssen liebe dämte/ Und den grimm der höllen hemmte.
[303]

13.

Führ in deine hole seiten/ Daraus blut und wasser rann/ Meinen hunger jederzeiten/ Nimm/ o felß/ dein täublein an: Wirff mich gantz und gar darein/ Ich bin dein/ sey du doch mein/ Habe mich in deinem leben/Laß mich fest an dir bekleben.


14.

Edler weinstock/ dem ich diene/ Gib doch deiner reben safft/ daß ich in dir wachs und grüne/ Aus dir ziehe meine krafft: Bring durch deine krafft in mir Eine rechte krafft herfür/ Ach/ laß mich mit früchte bringen Nach des Vaters seegen ringen.


15.

Dich will ich mir auserwählen/ Denn du bist mein süsses licht/ Leuchte meiner armen seelen/ Du weist/daß es ihr gebricht: Weil diß fleisch und blut/ der mist/ Ihr ein finster kercker ist/ Führe sie auff rechter strasse/ daß sie von dem irrthum lasse.


16.

Triff mein hertz mit deinem Hammer/ Führe mich/ o Jesu/ du/ Durch des grimmes todes-kammer Ein in deinen tod und ruh: daß mein leib am jüngsten tag In dir aufferstehen mag Auff dein wort/ aus deinem sterben/ Und dein ewigs leben erben.


17.

Lehre du mich alles halten/ Was du von mir forderst nun; Laß mich dich nur lassen walten/ Sey mein wissen/ will und thun; Ach mein leiter/ laß doch mich Nirgends gehen ohne dich/ denn ich hab mich deinem Nahmen Gantz und gar ergeben/ amen.

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 302-304.
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