Die Verweisung

[11] Ein vielbewegtes Leben lag hinter mir, als ich im August vorigen Jahres meinen Aufenthalt in Berlin nahm. In früher Jugend mit einem Manne verheirathet, der meinem Herzen fremd, ehe die Ahnung der Liebe in mir lebendig geworden; im Besitze alles äußern Glücks, in der Mitte der glänzendsten Verhältnisse allein und unglücklich, lernte ich schon früh das moderne Leben in all seinen Conflikten und Widersprüchen kennen, und bald auch den gewaltigsten Gegensatz, der das Herz einer Frau vernichtet, und einmal die sociale Weltordnung aus ihren Angeln zu heben droht, den Gegensatz zwischen Liebe und Ehe, Neigung und Pflicht, Herz und Gewissen.[11]

Die Frauen, denen ein ruhiger Besitz und ein idyllisches Glück geworden, werden diesen Gegensatz nicht begreifen, weil sich ihnen zu schöner Harmonie verschmilzt, was bei mir feindlich auseinander liegt. Sie werden mich als eine Abentheuerin verdammen, die, untreu dem eignen Herzen, und einem gesetzlich anbefohlenen Glück, in aller Unruhe eines stürmischen Lebens den Frieden sucht, den ihr die heimathliche Stätte, des Weibes eigenster Wirkungskreis, nicht zu gewähren vermochte. Doch vom sichern Ufer aus läßt sich leicht der Sturm beschwören und verachten, mit dem auf offner See das schwankende Schiff vergebens kämpft. Ich habe durchfühlt, was die Prophetenstimme eines George Sand den zukünftigen Geschlechtern verkündet; den Schmerz der Zeit, den Wehruf der Opfer, welche die Unnatur der Verhältnisse zu Tode foltert. Ich weiß es, welcher Entwürdigung eine Frau unter dem heiligen Schutze des Gesetzes und der Sitte ausgesetzt ist; wie sich diese hülfreichen Penaten des Hauses in nutzlose Vogelscheuchen verwandeln, und das Recht zum Adjudanten brutaler Gewalt wird! –

Doch ich schreibe weder einen Roman, noch eine[12] Biographie. – Unsere Ehe wurde geschieden. Aus dem allgemeinen Schiffbruche meiner höchsten und theuersten Güter und Interessen rettete ich nichts, als den festen Entschluß, durch freien Blick und starken Sinn mich über das Schicksal zu stellen, durch Bildung des Geistes das Herz zu stählen, und seine Unruhe gefangen zu halten durch die Ruhe des in sich selbst befriedigten Gedankens. Das war meine Absicht, als ich nach Berlin zog, angeregt von der jungen lebendigen Wissenschaft, um in dem geistvollen Kreise ihrer Vertreter die Wunden zu vergessen, die mir das feindliche Leben schlug. Auch wollte ich mich bilden und sammeln zu litterarischer Thätigkeit, die ich ja nicht aus eitlem Dilettantismus ergriff, sondern zu der mich meine Schicksale machtvoll hin drängten, weil ich in dem eigenen Erlebniß das allgemeine Loos vieler Tausende erkannte, und schärfer, bis zur Vernichtung, ausgeprägt, so daß mir die tödtliche Macht unserer Verhältnisse am klarsten geworden. Berlin, mit dem reichen geistigen Leben, die Stadt des Gedankens und der Intelligenz, schien mir am geeignetsten zu meinen Zwecken, zur Erfüllung meines litterarischen Berufes. Ich erhielt, nach Angabe meiner[13] Verhältnisse, in denen alle gesetzliche Bedingungen erfüllt waren, ohne Schwierigkeiten eine Aufenthaltskarte von der Polizei.

Am 12ten Februar 1846, war diese Aufenthaltskarte abgelaufen, und ich schickte an jenem Tage zur Polizei, mit der Bitte sie zu erneuern, erhielt aber keine neue Karte, sondern die Weisung, selbst zu kommen. Da ich krank war, ließ ich mir durch meinen Arzt, Herrn Dr. Perle, ein Attest ausstellen, welches ich, mit der nochmaligen Bitte um Erneuerung der Karte dem Präsidium einsandte. Mein Gesuch wurde abermals ignorirt. Einige Tage darauf erschien ein Polizeibeamter Goldhorn, im Namen des Polizeirathes Hofrichter, »um einige Fragen an mich zu richten.« Gleichzeitig theilte er mir mit, daß man meine Karte nicht verlängern wolle, weil mehrere anonyme Briefe an das Präsidium, ja, an Se. Majestät den König selbst, über mich eingegangen seien, in denen ich beschuldigt wurde, die frivolsten Herrengesellschaften zu besuchen, einen Klubb emancipirter Frauen gestiftet zu haben, und außerdem nicht an Gott zu glauben. Dann spräche gegen mich die Widmung der Gottschall'schen[14] Gedichte »Madonna und Magdalena« in denen ähnliche Tendenzen gefeiert würden, deren Verwerflichkeit der Recensent in den »Blättern für litterarische Unterhaltung« auf's Bündigste nachgewiesen. Ich suchte diesem Beamten, so gut es ging, eine bessere Ansicht über mich und mein Leben beizubringen, und schrieb dann an den Polizei-Präsidenten von Puttkammer selbst. In diesem Schreiben setzte ich auseinander, wie mein Glauben und Denken mein Eigenthum sei, und Niemanden etwas angehe; wie jene anonymen Briefe nur von einem persönlichen Feinde herrühren könnten, und bat um Verlängerung der Aufenthaltserlaubniß, weil meine litterärische Thätigkeit, besonders das baldige Erscheinen meiner Gedichte, der »wilden Rosen,« mich in Berlin fesselten, und meinen Aufenthalt daselbst nöthig machten.

Ich wies nach, daß man mir nur insofern Unsittlichkeit zum Vorwurfe machen kann, als es unsittlich sei, Cigarren zu rauchen und mit wissenschaftlich gebildeten Männern unzugehen; und schloß mit der Bitte, mir zu gestatten, auch fernerhin eine Einwohnerin des sittlichen Berlins zu heißen, so wie[15] etwaige Formfehler in meinem Schreiben zu übersehen.

Auf Grund dieses Schreibens wurde ich Ende Februar auf das Präsidium vor dem Deputirten Stahlschmidt beschieden, welcher mich ersuchte, so lange im Vorzimmer zu warten, bis der Regierungsrath Lüdemann, der eigentlich mit mir zu sprechen hätte, seine anderweitigen Geschäfte beseitigt, und für meine Angelegenheiten Zeit gewonnen. Inzwischen unterhielt sich Herr Stahlschmidt höchst freundlich und gemüthlich scherzend mit mir, brachte die Rede auf Religion und auf Ehe, und veranlaßte mich durch die verschiedensten Kreuz- und Querfragen, wenn auch in scherzender Form doch meine innersten Ansichten auszusprechen. Ich nahm deßhalb keinen Anstand mich frei zu äußeren, weil ich nach der Art und Weise, wie diese Fragen gethan wurden, dies Gespräch für ein durchaus privates halten mußte. Nachdem unsre Conversation zu Ende war, führte mich Herr Stahlschmidt in das Zimmer des Regierungsrathes Lüdemann, und überreichte diesem zu meiner größten Überraschung ein Protokoll, mit den Worten: »Dies ist das Glaubensbekenntniß der[16] Madame Aston!« Dies Protokoll, das man während meiner Unterhaltung mit Herrn Stahlschmidt ohne mein Wissen niedergeschrieben, wurde mir nun vorgelesen. Ich war erschrocken und befangen – eine Befangenheit, die bei einem Manne lächerlich, gewiß bei einer Frau zu entschuldigen ist, welche in die Staats- und Polizeiwissenschaft keine tiefer eingehende Studien machen konnte, und mit der Methode der preußischen Administration gänzlich unbekannt war. Aus dieser Befangenheit und Ängstlichkeit weigerte ich mich das Protokoll zu unterzeichnen; und gab erst dem freundlichen Zureden des würdigen Herrn Lüdemann nach, der im gutmüthigsten Tone mich versicherte, es thue meiner Sache keinen Schaden, wenn ich unterschriebe: er gäbe sein Wort darauf. Das Wort eines Regierungsrathes schien mir hinlängliche Bürgschaft für die Wahrheit; denn ich wußte nicht, daß »Worthalten« in das alte Testament der Staatswissenschaften gehöre, und seit Macchiavell aus der höhern und niedern Politik verbannt sei. In meiner Naivetät, in meinem guten Glauben unterschrieb ich das Protokoll, und widerlegte schon dadurch die Anklage des Unglaubens.[17]

Inzwischen hatte ein müßiger Correspondent der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« aus Stoffmangel meine Person und Gesinnung zu einem socialistischen Debüt benutzt, meinem unschuldigen Cigarrenrauchen eine welthistorische Bedeutung beigelegt, aus beiläufig ausgesprochenen Ansichten kühne Weltverbesserungspläne gemacht, und ohne das Einschreiten der Polizei, eine organisirte Berliner Frauen-Emancipation in Aussicht gestellt. Dieser Correspondent schien sich mehr an der Genialität seiner produktiven Phantasie, an der Kühnheit seiner Combinationen, und an den allgemeinen Schrecken den sie verbreiteten, zu ergötzen, als an eine förmliche Denunciation zu denken, obgleich dies der einzig passende Namen für seinen Correspondenz-Artikel ist.

Am 21sten März erhielt ich wieder eine Verfügung, auf der Polizei zu erscheinen, wo mir Herr Assessor Köppin mündlich den Befehl ertheilte, »Berlin binnen 8 Tagen zu verlassen, weil ich Ideen geäußert, und ins Leben rufen wolle, welche für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien

So wurde mir von der Polizei eine Wichtigkeit[18] beigelegt, die ich selbst mir beizulegen nie gewagt hätte, denn wie kühn müßten die Träume einer Frau sein, welche sich für eine staatsgefährliche Person hielte.

Schon um jener traumhaften Selbstüberschätzung zu entgehen, wandte ich mich am 23sten März an den Minister von Bodelschwingh, und ersuchte ihn in nachfolgendem Schreiben um Aufhebung jenes Befehls:


Hochwohlgeborener Herr!

Hochgebietender Herr Staatsminister!


Seit dem August vorigen Jahres halte ich mich an hiesigem Orte auf, und bin am 5ten März d. J., bei dem Polizei-Präsidium um das Niederlassungsrecht für die Residenzstadt Berlin eingekommen, worauf mir am 21sten dieses Monats auf dem hiesigen Präsidium eröffnet worden ist, daß das Niederlassungsrecht mir nicht bewilligt werden könne, daß ich vielmehr binnen 8 Tagen den Berliner Polizei-Distrikt zu meiden habe, weil ich Ansichten geäußert, und ins Leben rufen wolle, welche[19] für die bürgerliche Ruhe und Ordnung gefährlich seien.

Gegen die Ausführung dieser Verfügung, welche für mich höchst traurig sein würde, da ich eben im Begriff stehe, durch Herausgabe einer von mir gedichteten Liedersammlung eine litterarische Laufbahn zu beginnen, welche meine und meiner Tochter Lage bedeutend zu verbessern verspricht, erlaube ich mir Ew. Excellenz hohen Schutz unterthänigst anzuflehen. Als Grund meiner Ausweisung werden die Ansichten angeführt, welche ich zu Anfang dieses Monats in einem Gespräche mit dem Deputirten Stahlschmidt über Religion und Ehe geäußert, wobei freilich von meiner Seite in keiner Art Vorsicht und Rückhalt beobachtet wurde, da ich das Gespräch für ein durchaus privates und consequenzloses zu halten berechtigt war; nicht aber für ein Examen, dem man meinen Glauben, und meine Überzeugung unterwerfen wollte. Dieser Glauben, und diese Ansichten sind mein eigenster Besitz; sie sind eine natürliche Folge der unglückseligen Verhältnisse, die ich durchlebt, der schmachvollen Behandlung, die ich erduldet habe; und ich kann nicht glauben, daß man bei der Gewissensfreiheit, die[20] in Preußen jedem Unterthanen gestattet wird, und welche der Stolz der Nation ist, mir aus meinen Ansichten einen Vorwurf machen kann, ehe es nicht gewiß, oder wenigstens wahrscheinlich geworden, daß diese Ansichten mich dahin führen, etwas gegen die Gesetze des Landes Verstoßendes oder für die Ruhe Gefährliches zu unternehmen. Zu dieser Annahme aber liegen gegen mich keine Gründe vor; es sind keine Thatsachen, keine von mir begangenen Handlungen bekannt, welche, dies zu beweisen, geltend gemacht werden könnten.

Nach den Verhandlungen, welchen ich auf dem hiesigen Präsidium beiwohnen mußte, scheint es mir, daß besonders zwei Umstände zu dem für mich so harten Beschluß geführt haben könnten; nämlich erstens: die an mich gerichtete Widmung zweier von Herrn R. Gottschall verfaßter Gedichte »Madonna und Magdalena« und zweitens: ein in der Deutschen Allgemeinen Zeitung abgedruckter Correspondenzartikel, welcher auf mich gedeutet wird: sowie einige verläumderische anonyme Briefe, welche über mich an das Polizeipräsidium geschickt sind.

Was jene Widmung betrifft, so kann man unmöglich[21] daraus die Folgerung ziehen, daß ich die in jenen Gedichten enthaltenen Ansichten zu vertreten habe. Hinsichts der anonymen Briefe aber habe ich bereits einem Hochlöblichen Polizei-Präsidium die sehr trübe Quelle angegeben, aus welcher dieselben wahrscheinlich stammen.

Meine genügende Existenzmittel habe ich nachgewiesen, so daß von dieser Seite kein Grund zu meiner Verweisung genommen werden kann.

Als geborne Preußin, als Tochter eines hohen Geistlichen, im Bewußtsein meiner Schuldlosigkeit, und im Vertrauen zu Ew. Excellenz Weisheit und Humanität wende ich mich an Ew. Excellenz mit der ehrfurchtsvollen Bitte:


meinen fernern Aufenthalt in Berlin hochgeneigtest gestatten zu wollen.


In tiefster Verehrung verharre ich Ew. Excellenz


gehorsamste

Louise Aston,

geb. Hoche.
[22]

In Folge dieses Schreibens kam mir am 24sten April folgende Verfügung des Ministeriums des Innern zu:


Auf die Vorstellung vom 23sten v. M., wird Ihnen eröffnet, daß das Ministerium die Verfügung des hiesigen Königlichen Polizei-Präsidii, wonach Ihnen die Erlaubniß zur Niederlassung in Berlin, und zur Fortsetzung Ihres Aufenthaltes hierselbst versagt worden ist, für gerechtfertigt erachten muß, und daß es daher bei dieser Verfügung sein Bewenden behält.


Berlin, den 24sten April 1846.

Ministerium des Innern.

Zweite Abtheilung:

von Manteuffel.


An die separirte Aston, Louise,

geb. Hoche.

hier.

T. 2764, a.
[23]

Da der kurze Geschäftsstyl eine Auseinandersetzung der Gründe nicht zu erlauben schien; und doch grade in solcher Auseinandersetzung für zweifelhafte Fälle der einzige Trost und die einzige Beruhigung liegt, so beschloß ich an demselben Tage den Minister um eine Audienz zu ersuchen, in der Hoffnung, wenigstens gesprächsweise die Gründe zu erfahren, welche meine Verweisung nothwendig machten, um mich dann ruhiger in das Unvermeidliche zu finden. Auch täuschte mich meine Hoffnung nicht. Nur waren die Motive anderer Art, als ich erwartete. Während die Polizei als Motiv meine Ideen anführte, die der bürgerlichen Ordnung gefährlich seien; und mich verwies, damit ich nicht Andere verführe, und in Berlin Proselyten für meine Unsittlichkeit mache; schien der Minister aus einem ganz entgegengesetzten Beweggrunde zu handeln: aus unbedingtem Wohlwollen gegen mich, aus Fürsorge für mein persönliches Wohl, für das Heil meiner Seele; kurz, aus jener väterlichen Gesinnung, durch welche die preußische Regierung ihre echte Christlichkeit bezeugt, und sich die kindliche Liebe und Ergebung ihrer Unterthanen zu erwerben weiß. So sehr mich diese[24] Freundlichkeit, diese Sorge für mein zeitliches und ewiges Heil rührte: so war ich doch zu bestürzt und verwirrt, um gleich in passenden Worten meinen Dank äußern zu können. So läßt sich mein Benehmen in dem folgenden Dialoge rechtfertigen, den ich getreu aus dem Gedächtnisse nachschreibe:


Minister: Sie haben sich so frivol und außergewöhnlich benommen, Madame Aston, daß ich mich wundern muß, wie Sie es wagen, gegen Ihre Verweisung zu protestiren.

Ich: Ich weiß nicht, was Ew. Excellenz frivol nennen?

Minister: Warum stellen Sie Ihrem Glaubensbekenntnisse voran, daß Sie nicht an Gott glauben? –

Ich: Weil ich nicht heuchle, Excellenz!

Minister: Man muß Sie an einen kleinern Ort verweisen, wo Sie der Verführung nicht so ausgesetzt sind, um wahrhaft für Ihr Seelenheil zu sorgen.[25]

Ich: Aber meiner schriftstellerischen Carriere wegen ist mir der Aufenthalt in Berlin wünschenswerth, wo ich stets neue geistige Anregung finde.

Minister: In uns'rem Interesse ist es keineswegs, daß Sie Ihre künftigen Schriften, die gewiß so frei, wie Ihre Ansichten sind, hier verbreiten.

Ich: Nun, Excellenz, wenn sich erst der preußische Staat vor einer Frau fürchtet, dann ist es weit genug mit ihm gekommen!

Minister: Ich bin beschäftigt – (ab).


So hatte diese Unterredung für mich auch kein weiteres Resultat; außer der Erkenntniß, wie wohlmeinend man durch meine Verweisung, meiner Seele den Weg zum Himmel bahnen wolle, die sie leichtsinnig verscherzt, und durch eig'ne Kraft nicht mehr zu finden im Stande sei. Meine Angelegenheit schien aus dem Gebiete der Jurisprudenz auf das der Theologie hinübergespielt, ein Tausch der Fakultäten, bei dem meine Sache allerdings im Himmel gewann, auf Erden aber augenscheinlich verlor. Ich konnte mich[26] daher auch hiebei nicht beruhigen, und wandte mich am 28sten April, als an die letzte Instanz, an Sr. Majestät den König, in folgender Immediat-Eingabe:


Allerdurchlauchtigster großmächtigster König!

Allergnädigster König und Herr!


Ew. Majestät wollen diese meine unterthänige Zuschrift mir allergnädigst zu Gute halten, und einer gerechten Prüfung unterwerfen.

Ich bin preußische Unterthanin, Tochter des verstorbenen Consistorial-Raths und Superintendenten Hoche, zu Gröningen, eines Mannes der 34 Jahre seinem Könige und Lande treu gedient hat.

Nach einer neunjährigen, für mich sehr unglücklichen Ehe mit dem Fabrikbesitzer Aston, aus England, gegenwärtig in Burg, sah ich mich genöthigt, endlich eine Scheidung von demselben durchzusetzen.

Ohne Eltern, ohne irgend einen besondern Schutz, stehe ich jetzt seit zwei Jahren mit einer vierjährigen Tochter allein da; nach einem Leben in sehr glänzenden Verhältnissen auf die allerdings zureichende, jedoch[27] viele Einschränkungen und Entbehrungen bedingende Alimentation von Seiten meines geschiedenen Mannes angewiesen. Zur Verbesserung meiner ganzen Lage, hauptsächlich aber mir die Mittel zu einer sorgfältigen und anständigen Erziehung meines Kindes zu schaffen, habe ich meine Zeit, besonders das letzte Jahr in Berlin, damit zugebracht, mich theils durch eigene Studien, theils durch den Umgang wissenschaftlich gebildeter Leute zur Schriftstellerin heran zu bilden. Beides: meine schriftstellerische Laufbahn, und die Erziehung meines Kindes, ließ mich den Aufenthalt im Mittelpunkte des geistigen Verkehrs der Monarchie wünschen – das Leben auf einem Dorfe würde mir jede geistige Anregung fern halten; meinem Kinde die Gelegenheit einer sorgfältigeren Ausbildung benehmen.

Auf mein deßhalb bei einem hochlöblichen Polizei-Präsidium den 5ten Februar d. J., eingereichtes Niederlassungsgesuch hieselbst, ward mir nicht allein eine abschlägige Antwort, sondern auch die Weisung den Berliner Polizei-Distrikt binnen 8 Tagen zu verlassen und fernerhin zu meiden.

Als Gründe dieser Maßregel wurden mir Bestrebungen[28] zur Last gelegt, welche die bürgerliche Ruhe gefährden sollten.

Als Beweise dieser Bestrebungen »Ansichten über Religion und Ehe,« welche ich gesprächsweise, ohne Ahnung eines polizeilichen Examens geäußert.

Ferner eine Anzahl anonymer Briefe an ein hochlöbliches Polizei-Präsidii, ja, an Ew. Majestät, meinen allergnädigsten König, selbst.

Wahrscheinlich auch hat man die Widmung des Gottschall'schen Gedichtes »Madonna und Magdalena« und einen verläumderischen Correspondenzartikel der Deutschen Allgemeinen Zeitung, herrührend von einem persönlichen Feinde, zu einer Anklage gegen mich benutzt; denn beides war meinen Polizeiacten beigeheftet.

Ebenfalls kann meine Verwechselung mit einer hier in männlicher Kleidung in Restaurationen umherziehenden Engländerin mir bei einer hochlöblichen Polizei-Behörde geschadet haben.

In einer an Sr. Excellenz den Herrn Minister von Bodelschwingh gerichteten Eingabe vom 23sten März dieses Jahres, bat ich, eine Aufhebung des gegen mich erlassenen Dekretes gnädigst veranlassen[29] zu wollen, indem ich als Vertheidigung gegen die nur muthmaßlichen und die mir angegebenen Klagepunkte vorstellte:

Daß ich keinesweges die Tendenz mir gewidmeter Werke zu vertreten habe;

Daß die anonymen Briefe, welche schon als solche kein Grund einer Anklage sein könnten, wahrscheinlich mit dem Correspondenzartikel aus ein und derselben Quelle persönlicher Anfeindung geflossen seien;

Daß ich endlich den von mir ausgefragten Ansichten bisher in keinerlei Weise Gestalt und Verbreitung zu schaffen gesucht; es sei denn durch eine Gedichtsammlung, welche mit Genehmigung einer hochlöblichen Censur binnen Kurzem von mir publicirt werden würde: daß aber diese Ansichten der Ausdruck einer Gedankenrichtung seien, wie sie durch unglückliche Schicksale, durch ein halbes verfehltes Leben, wohl erzeugt werden könne, ohne darum vielleicht mehr zu sein, als eine Uebergangsperiode zu einer andern, vielleicht glücklichern Überzeugung.

Als Antwort auf diese Eingabe, erhielt ich am 24sten April einen Bescheid des hochlöblichen Ministeriums[30] des Innern, daß die polizeiliche Verfügung in Kraft bleibe, und ich binnen 8 Tagen Berlin zu räumen habe.

Ein Gesetz vom Jahre 1843, giebt jedem preußischen Unterthanen das Recht, sich da nieder zu lassen und zu wohnen, wo er die Mittel seines Unterhaltes nachzuweisen im Stande ist. Nur Vergehen, welche Zuchthausstrafe nach sich ziehen, sollen dieses Recht aufheben.

Ich habe einem hochlöblichen Polizei-Präsidii die hinreichende Existenzmittel nachgewiesen; von einem wirklichen Vergehen kann nicht einmal der Verdacht gegen mich vorhanden sein!

Durch die gegen mich gerichtete Maßregel der Ausweisung jedoch, wird mir, da Niemand an die, mir nicht einmal schriftlich mitgegebenen Motive der Behörde glauben kann, ein Makel angeheftet, der nicht allein eine Schmach für meine überall geachtete, von der Gnade Ihrer Majestäten mehrfach geehrte Familie sein würde, sondern auch mir, einer hülflosen, vom Schicksale oft und tiefgebeugten Frau, die unverdiente Verachtung meiner einzigen Angehörigen,[31] und welchen Wohnort ich auch wählen mag – meiner nächsten Umgebung zuziehen würde.

Zu der hülflosen Lage, in welche mich die Kosten des Umzugs und der neuen Einrichtung versetzen, müssen, kommt noch die Aussicht, in keinem größern Orte, und zwar aus denselben Gründen, welche mich hier verstoßen, von der Polizei gelitten zu werden.

Ein Mann findet sich schnell in eine neue, von seiner frühern ganz verschiedene Lage, oder hat die Kraft seine neuen Verhältnisse selbst seinen Bedürfnissen gemäß zu gestalten; einem Weibe wird das unendlich schwer. –

Verwaist, ausgeschlossen von Allem, was mich interessirt und geistig belebt hat; keines Vergehens bewust, und doch der Verachtung preisgegeben; nach der trübsten Vergangenheit ohne Hoffnung auf meine, ja, nicht einmal auf meines Kindes Zukunft: wage ich es die Gnade Ew. Majestät für mich anzuflehen, unterfange mich meinen allergnädigsten König und Herrn mit der Bitte zu behelligen, Seiner Weisheit und Gerechtheit die Gerechtigkeit meiner Sache prüfend unterwerfen zu wollen.[32]

Könnte mein ernster Wille, weder durch That noch Wort den Verordnungen eines hohen Magistrats und einer hochlöblichen Polizei zuwider handelnd zu scheinen, bei Ew. Majestät für mich sprechen: ich lege ihn zu Ew. Majestät Füßen.

In der höchsten Bedrängniß, als Weib, ohne Schutz und Zuflucht wende ich mich vertrauensvoll an Ew. Majestät, und unterwerfe in Demuth die Gestaltung meiner ganzen Zukunft der hohen Weisheit und allgenannten Milde meines königlichen Herrn.

Ich ersterbe Ew. königlichen Majestät

allerunterthänigste Dienerin,

Louise Aston.

Berlin, den 28sten April 1846.


Ich habe diesen Brief, der eigentlich nur eine Wiederholung der vorhergehenden Eingaben ist, nur der Vollständigkeit wegen mitgetheilt. Der Leser sieht daraus wenigstens, daß ich keineswegs, wie der scharfsinnige Correspondent der Deutschen Allgemeinen Zeitung bemerkt, ein so großes Verlangen darnach trug,[33] als Märtyrerin der Emancipation aus Berlin gewiesen zu werden.

Ob die Antworten auf Immediatgesuche an Sr. Majestät den König, immer durch den Mund eines Polizeibeamten kund gethan werden, weiß ich nicht; ich erhielt nach einiger Zeit von Seiten der Polizei den mündlichen Bescheid, »daß mein Gesuch nicht berücksichtigt werden könne«, und ich Berlin binnen acht Tagen zu verlassen habe.

Nachdem ich so alle preußische Instanzen durchgemacht, wende ich mich an eine höhere: ich wende mich in allerletzter Instanz an das deutsche Volk![34]

Quelle:
Louise Aston: Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung, Brüssel 1846, S. 11-35.
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