Die Türkin

[23] Leise Abendwinde necken

Buhlerisch den Myrthenhain,

Bergen sich in Lorbeerhecken,

Wiegen dort die Blüthen ein;

Flattern weiter dann zum Meere,

Das in einer wilden Nacht

Gott als eine Liebeszähre

Einst der Erde gleichgemacht.


Mild umgaukeln bunte Lichter

Schon des Abends goldnes Thor;

Schweigend aus dem Dorf der Richter

Tritt ein stolzes Weib hervor;[23]

Und auf öder Felsenklippe,

Welche nach den Wogen faßt,

Hält sie – Seufzer auf der Lippe –

Eine kurze Sclavenrast.


»Lass' die Liebe schnell erblassen,

Die Du, Frankensohn genährt!

Morgen muß ich Dich verlassen,

Weil der Sultan mein begehrt.«

Also tönen ihre Worte

Wund hervor aus wunder Brust;


Denn der Herr der hohen Pforte

Kennt nur schnöde Sinnenlust. –


Sieh! da bricht durch Wolkenschleier

Hell des Mondes Silberlicht,

Und Stambul in stummer Feier

Zeigt sich ihrem Angesicht.

Weh! im Vordergrunde schimmert

Das Serail, von Park umringt –

Hörst Du, wie das Meer jetzt wimmert,

Das ein edles Weib verschlingt? –
[24]

Willst Du ihren Tod beklagen,

Mußt Du trauern allerwärts;

Denn wo immer Herzen schlagen,

Foltert sie derselbe Schmerz,

Ist das Heiligste geächtet,

Wird der Satzung nur gefröhnt;

Jeder Pulsschlag ist geknechtet,

Jedes freie Weib gehöhnt! –
[25]

Quelle:
Louise Aston: Freischärler-Reminiscenzen. Leipzig 1850, S. 23-26.
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