III

[168] Als die »Gesellschaft« so plötzlich durch die Anmeldung so ungebetener Gäste gestört worden war, wurde, ehe sie sich ganz trennte, noch Zeit und Ort der nächsten Zusammenkunft berathen, worauf die einzelnen Mitglieder durch verschiedene Ausgänge das alte Gebäude verließen. An der Ecke der nächsten Straße trafen Ralph, Hartwig und der alte Steiger wieder zusammen. Sie schritten eine Zeit lang neben einander hin, ohne zu sprechen. Ralph war, wie sein zu Boden gesenkter Kopf und sein bald langsamer bald hastiger Schritt es bekundete, in Gedanken versunken, die sein ganzes Interesse so in Anspruch nahmen, daß[168] er seine Begleiter gänzlich zu vergessen schien. Diese aber warfen abwechselnd einen Blick auf Ralph, als erwarteten sie, daß er zuerst reden solle. Endlich brach Steiger das Schweigen.

– Hör' mal Ralph – fing er an – Du bist ein Kopfhänger geworden seit einiger Zeit und das will mir nicht gefallen. Was hast Du? sag' an. Ich hoffe nicht, daß Du schwankend geworden bist.

– Schwankend? Wie man's nehmen will.

Die beiden Andern sahen sich mit bedeutungsvollen Blicken an. Ralph aber fuhr, ohne es zu bemerken, fort:

– Ja, könnten wir uns Alle auf einander verlassen, dann wäre das Ding anders. So aber weiß man nicht, ob man mit Freund oder Feind zu thun hat.

– Was soll das heißen? – fragte der alte Steiger stirnrunzelnd.

– Das soll heißen – erwiederte Jener düster – daß ein Verräther unter uns ist.[169]

– Ein Verräther? – fragte Hartwig und Steiger erbleichend.

– Ja, ein Verräther! Ich wiederhole es. Aber ich werde Mittel finden, ihn zu entlarven.

Es folgte eine Pause. Daß Gilbert gemeint sei, konnte nach der zwischen diesem und Ralph heute vorgefallenen Scene nicht zweifelhaft sein. Aber weder Steiger noch Hartwig glaubten an Gilbert's Verrätherei, sondern suchten den Grund von Ralphs Mißstimmung in der Eifersucht zwischen ihm und dem von ihnen Allen sehr geachteten und selbst gefürchteten Gilbert.

Mochten nun dieser Eifersucht noch andere Motive zu Grunde liegen, so war die Vermuthung der beiden Freunde Ralphs wenigstens nicht ganz unwahrscheinlich. Ehe Gilbert nach Berlin und durch einen Zufall, den wir in einem der folgenden Capitel erwähnen werden, in die Gesellschaft der »Achtzehner« – ein Name, der von der Anzahl der Mitglieder gebildet war – gekommen, hatte Ralph durch seine Energie und Gewandheit[170] die Gesellschaft, deren Stifter er war, wenn nicht zu beherrschen, so doch in ihr sich ein bedeutendes Ansehen zu erwerben gewußt. Als die Kunde von der Februarrevolution das erstaunte Europa durchflog, war es sein erster Gedanke gewesen, die Gesellschaft, welche bis dahin mehr einen gesellschaftlichen Charakter getragen, politisch zu organisiren und durch die vielfach verzweigten Verbindungen, welche jedes einzelne Mitglied in der Stadt und selbst der nächsten Umgebung besaß, zum Centrum einer revolutionären Propaganda zu machen. Grade als diese Organisation durch den rührigen und verschwiegenen Ralph ihrer Vollendung nahe war und die revolutionäre Propaganda bereits erfreuliche Fortschritte gemacht hatte, erschien plötzlich Gilbert, welcher durch seinen Enthusiasmus für die französische Revolution, welche er selbst mitgemacht hatte, und besonders durch die lebendigen Schilderungen, welche er davon den hörbegierigen »Achtzehnern« entwarf, in wenig Tagen sich das Vertrauen der ganzen Gesellschaft – mit Ausnahme eines Einzigen – erwarb. Dieser[171] Einzige war Ralph. Mit mißtrauischem, vielleicht durch Eifersucht geschärftem Auge beobachtete er den gewandten Franzosen. Dieser, schnell den Grund der Kälte Ralphs ahnend, schloß sich ihm um so fester an und vermied Alles, wodurch seine Eitelkeit – denn dafür hielt er es – verletzt werden konnte. Aber je mehr Jener sich ihm näherte, desto weiter entfernte sich Ralph von ihm, bis Gilbert das Vergebliche seiner Bemühungen einsehend und ohnehin in dem Vertrauen der Gesellschaft hinlänglich befestigt, ihm Gleiches mit Gleichem erwiederte. Scenen, wie die früher beschriebenen, gehörten daher keineswegs zu den Seltenheiten, und hatten dem alten Steiger schon oft Gelegenheit zu Vorwürfen gegen seinen jungen Freund gegeben. Auch diesmal hatte er, unmittelbar nach jenem Vorfall sich vorgenommen, ihm »tüchtig den Kopf zu waschen«. Die Hindeutung auf Gilberts Verrätherei hatte den Alten vollends in Harnisch gebracht, so daß er jetzt, einen kräftigen Fluch voranschickend, in ganz unverholener Weise und harten Ausdrücken Ralph einer jämmerlichen[172] »Eitelkeit« und »kindischen Eifersucht« beschuldigte.

– Du – schloß er seine Apostrophe – der Du grade uns immer davor warntest, nur nicht über persönliche Vortheile und die kleinlichen Interessen des Standes das große allgemeine Ziel aus den Augen zu verlieren, Du, der Du als erste Bedingung zur Aufnahme in unsern Bund die Fähigkeit stelltest, sich und seine Kräfte zu opfern – für die Befreiung des ganzen Arbeiterstandes von der Knechtschaft des Geldes und des Ansehens – Du grade fällst in diesen Fehler! – Pfui, schäme Dich, ein solches Beispiel zu geben. Ich hatte Dich für größer und uneigenütziger gehalten.

Von jedem Andern, selbst von Hartwig, würde Ralph diese Vorwürfe nicht geduldet haben, den alten Steiger aber ließ er ruhig zu Ende reden. Nur zuweilen, wenn es nicht zu dunkel gewesen, würden seine Begleiter ein schmerzliches Lächeln über seine bleichen Züge zucken, oder ihn den Kopf leise schütteln gesehen haben.[173]

– Du thust mir großes Unrecht – sagte er endlich mit leidenschaftslosem Tone – ja wahrlich, großes Unrecht. Mein Herz weiß von dem Allen nichts, was Du sagst. Und fühlte ich Eifersucht, wie Du meinst, so könnte es nur darum sein, weil ich sehe, wie Ihr Euch Alle von diesem glattzüngigen Franzosen bethören lasset, statt meinem Rathe zu folgen, der besser gemeint ist. Ihr werdet das früh genug einmal einsehen. Doch gleichviel. Ich kann noch nichts beweisen und darum will ich schweigen, darum will ich die Stimme in meiner Brust unterdrücken, welche mir laut und unablässig zuruft: Traue ihm nicht, er meint es nicht ehrlich mit Euch, er ist ein Verräther. Und nun lebt wohl. Vergeßt nicht, morgen heraus nach den Zelten zu kommen. Auf Wiedersehn.

Hiermit trennten sie sich. Als Ralph seinen Begleitern die Hand reichte, lag ein wohlthuendes Gefühl in der Bemerkung, daß Hartwig, welcher während des ganzen Gesprächs kein Wort geredet, seine Hand fester als gewöhnlich drückte, gleichsam[174] als theile er Ralphs Befürchtungen, wage jedoch nicht, sie laut werden zu lassen.

Ralph ging darauf graden Weges nach Hause. Das Gespräch mit seiner Schwester bestärkte ihn nur noch mehr in seinem Verdachte gegen Gilbert, flößte ihm jedoch die Hoffnung ein, den Verräther zu entlarven.[175]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 1, Mannheim 1849, S. 168-176.
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