1.
Mädchen am Brunnen.

[3] Am Samstag Abend hörte man im Hause des rothen Schneiderle von Stube zu Stube singen und trällern, Thüren wurden auf- und zugeschlagen, Fenster aufgesperrt, Stühle und Bänke gerückt, man hörte den Kehrbesen walten; aber aus Allem hervor tönte der Gesang einer klangvollen Mädchenstimme, Trepp auf und Trepp ab. Kaum war ein Lied geendigt, begann ein anderes, lustig und traurig, Alles durch einander. Endlich kam die Sängerin zum Vorschein: es war ein stämmiges, aber im schönsten Ebenmaß gebautes Mädchen. Das grauwollene gestrickte Wämschen ließ enganliegend die runden, vollen Formen, die sanften Wölbungen des Busens bestimmt und zart hervortreten, die Schürze war halb zurückgesteckt und bildete einen spitzen Winkel. Mit dem Melkkübel in der Hand ging es in den Stall. Jetzt konnte man eines der Lieder genau vernehmen, es lautete:
[3]

Steig i auf de Kirschebaum,

De Kirsche z'wege net,

Haun g'moant i wott mein Schätzle seh'n,

I gsieh 'nes aber et.


's isch no nit lang daß's geregnet hat,

Die Bäume tröpflet no,

I haun emol e Schätzle g'hätt,

I wott i hätt es no.


Jetzt ist es aber g'wandret,

Dem Unterländle zua,

Jetzt haun i wieder en andre –

's ist au e braver Bua.


Den Wasserkübel unter dem Arme kam das Mädchen wieder zum Vorschein, es verschloß das Haus und legte den Schlüssel unter die daneben stehende Reisbeige. Der Rathhausbrunnen war ausgeschöpft und verschlossen, auch der obere Brunnen war verschlossen und wurde nur vom Soges Morgens und Abends geöffnet, um daraus je nach der Kopfzahl der Familien das Wasser zu vertheilen. Dieser Wassermangel ist ein großer Nebelstand, besonders im hohen Sommer.

Unterwegs rief des Anschels Beßle:

»Creszenz, wart', ich geh mit.«

»Komm, mach tapfer. Bis wann kommt denn dein Chusen1 wieder? entgegnete Creszenz.«[4]

»Bis auf unsere Pfingsten, heut über vierzehn Tag'.«

»Bis wann machet ihr denn Chasne?«2

»Bis nach Sückes;3 du mußt bei meinem Leben auch den ganzen Tag beim Tanz sein, da wollen wir uns auch noch einmal recht lustig machen, wir sind doch immer gut Freund gewesen.«

»Beßle, du hättest sollen hier bleiben, du hättest sollen den Seligmann heirathen, was man daheim hat, weiß man; so weit in's Elsaß hinein – wie weiter wie g'heiter, sagt man als, wer weiß wie es dort ist.«

»Wie kannst du nur so reden?« erwiderte Beßle, »hab' ich denn mit meinen 400 Gulden das Auslesen? und drüben sind das fast 1000 Frank, das ist schon eher ein Wort. Und du? bleibst denn du im Dorf? Wenn dein Geometer einmal eine Anstellung kriegt, mußt du nicht auch fort? Ei hab' ich dir denn auch schon gesagt, mein Chusen ist vorlängst von Straßburg aus mit dem Florian auf den Schramberger Markt gegangen. Der Florian hat, was weiß ich wie viel? gewiß dreihundert Karlin in seinem Beigürtel gehabt, um Ochsen einzukaufen. Er führt sich wie ein Prinz, und sein Herr vertraut ihm sein ganz Vermögen an; man sagt, er gibt ihm seine Tochter.«[5]

»Ich wünsch' ihm Glück und Segen dazu.«

»Nu, nu, stell' dich nur nicht so, du hast doch den kleinen Finger vom Florian lieber gehabt, als den ganzen Geometer.«

»Und wenn auch, er hat nichts und ich hab' nichts, und zweimal nichts gibt gar nichts, sagt der alt' Schmiedjörgli.«

Die beiden Mädchen waren zum Brunnen gelangt, viele standen schon hier und harrten der hohen Obrigkeit.

»Weißt auch schon, Creszenz?« rief des Christians Dorle, »vor einer Stund' ist der Florian wieder kommen; jetzt hast's gut, jetzt kannst zweispännig fahren.«

»Du hast's nöthig aufzubegehren,« erwiderte Creszenz, »du brenndürrer Bohnenstecken du; du darfst dein Kammerlädle noch so weit aufsperren, es kommt doch Keiner.«

»So ist's recht,« sagte eine keck aussehende Person, die Leichkäther genannt, weil sie alle Todten in: Dorfe einkleidet; sie fuhr sich vergnügt mit der Hand über den Mund und sagte dann weiter: »wechselt's ihr nur, Creszenz, man weiß wohl, in eurem Haus wird alles gleich baar ausbezahlt.« Sie machte eine leicht verständliche Handbewegung.

»Gelt, dir pfupfert's, weil man dir nichts borgt?« erwiderte die Bedrängte; »du hast's gut angefangen, Dorle, der da die Zung' zu heben.«[6]

»Was brauchst denn aber auch gleich mit dem Dorle so zu balgen?« sagte des Melchiors Lenorle, »es hat's ja nicht so bös gemeint, man darf ja auch einen Spaß machen.«

»Ist denn der Florian im Ernst kommen?« fragte Creszenz leise.

»G'wiß!« rief die Leichkäther laut; »gib nur Acht, du Hanfkrott, du wirst deinen Kopf nimmer so hoch tragen wie ein Schlittengaul; der Florian wird deinem Geometer schon das Land vermessen.«

Der Soges erschien, ein zweiter Moses, der den Töchtern Jethro's den Brunnen öffnete; er schien aber um keine zu freien, denn er war nicht besonders freundlich.

»Gib der Creszenz den Rahm vom Wasser, die muß heut' noch ihrem Geometer seinen steifen Kragen waschen,« schrie die Käther.

»Laß sie schwätzen,« sagte das Lenorle, »man kann ihr nicht weher thun als wenn man sie allein belfern läßt; sie macht's grad wie die Hund', die bellen Einen an, und wenn man seines Weges fortgeht und nichts mit ihnen macht, kehren sie wieder heim und bellen einen Andern an, der vorbei geht. Narr, die möcht' gern ein jedes so schlecht machen, wie sie ist; aber vor dem Florian mußt dich jetzt in Acht nehmen, sonst gibt's böse Sachen.«

»Ja,« sagte ein anderes Mädchen, »er hat viel[7] Geld heimbracht und hat seinem Vater gleich eine goldene Karlin geben. Das Geld wird sich umguckt haben, wie es da in der Stube gewesen ist. Der Alt' ist ja so arm, daß die Mäus' von ihm verlaufen sind.«

»Der Florian kann sich fünfmal aus- und ankleiden, so viel schöne Kleider hat er bei sich,« sagte ein drittes Mädchen.

»Und er spricht fast lauter französisch.«

»Und er hat eine Uhr mit einem Behäng, wo sein ganz Handwerkzeug von Silber dran ist.«

»Und ein schwarz Schnauzbärtle hat er zum Küssen.«

Ein Lärm unterbrach die schnellen Berichte.

»Was stoßst mich so?« sagte Käther zu des Kilians Annele, »Narr, ich bin kein reicher Bursch.«

»Sei still du, du bist ja schon zweimal im Spinnhaus gewesen und das drittemal steht dir schon auf der Stirn.«

»Wart, ich will dir's auf die Stirn schreiben,« schrie die Käther, und stieß mit ihrem Kübel nach dem Annele; dieses aber hatte den Schlag abgewehrt und gab dafür einen andern zurück. Nun ging's an ein gewaltiges Ringen, die Kübel wurden auf die Erde geworfen, die beiden Kämpfenden faßten sich mit den Händen. Eine Weile sahen die Anderen müßig zu, dann aber wehrte Alles ab, und besonders[8] der Soges schlug hüben und drüben drein. Wie zwei Streithähne, die von einander gejagt wurden, blickten sich die Feinde noch grimmig an, indem sie ihre Kübel zur Hand nahmen. Das Annele strich sich weinend die Haare aus dem Gesicht, es klagte, daß niemand vor der Käther Ruhe habe und daß die ganze Bürgerschaft dafür sorgen sollte, daß sie auf ewig in's Spinnhaus käme.

Die Reihe war endlich an Creszenz gekommen. Sie trug nun den schweren Kübel auf dem Kopfe, aber noch schwerer war's ihr im Herzen. Große Thränen kugelten über ihre Wangen, aber sie that als ob der Kübel tropfe, und fuhr immer mit der rechten Hand und mit der Schürze über dessen untern Rand; sie ahnte wohl, welche Verwirrung die nächsten Tage bringen konnten: hatte ja diese schon in ihrem Herzen begonnen.

Zu Hause vollzog sie die Arbeit, ohne mehr einen Ton zu singen.

Man wird sich vielleicht wundern, daß auf einmal ein so vornehmer Mann und eine so betitelte Person, wie ein Geometer ist, im Dorfe eine so entschiedene Rolle spielt; man erinnere sich aber, daß diese Geschichte zur Zeit der Landesvermessung vor sich geht: wie dadurch das ganze Land endlich genau abgezirkelt zu Papier gebracht und auch nicht das verborgenste Winkelchen in Wald und Feld vergessen[9] wurde, so ward auch aller Orten in das Leben des Volks ein neues Element geworfen.

Da kamen auf eine Zeit lang Städter in das Dorf; sie waren nicht Schullehrer und nicht Pfarrer, es waren meist lebenslustige junge Leute, und welche Bedeutung sie in der Mädchenwelt gewonnen, haben wir bereits ersehen.

Die Vollzieher des in staatswirthschaftlicher Hinsicht gewiß sehr zweckmäßigen Unternehmens hießen Geometer. Auf dem Dorfe hießen die Feldmesser eben Feldmesser, zur Erhöhung der Amtswürde sowohl als auch zur Verbreitung griechischer Bildung unter den Bauern hießen die neuen Herren: Geometer. Die Gespielin der Creszenz hatte einen Obergeometer (oder wie er eigentlich folgerecht heißen sollte, Hypergeometer) geheirathet und wohnte in Biberach. Dadurch hatte Creszenz Bekanntschaft mit dem Collegen bekommen und die Eltern förderten sie auf alle Weise, denn das war eine herrliche Versorgung. Der rothe Schneiderle sah schon im Geiste seine Tochter als Frau Obergeometerin.

1

Ebräisch – Bräutigam.

2

Hochzeit.

3

Laubhüttenfest.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 2, Stuttgart 1863, S. 3-10.
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