2.
Dreiviertel auf Mordjo.

[10] Es war Nacht geworden, Creszenz stand in der Küche am Feuer, da kam der Studentle laut daher geschritten und sagte:[10]

»Guten Abend Creszenz. Ich will mir ein Päckle Sternentubak holen; habt ihr noch davon?«

»Ja, geh' 'nein, mein' Mutter wird dir geben.«

»Ich verhex' dir dein' Supp' nicht, wenn ich ein bisle bei dir bleib',« sagte er laut, ganz leise aber fetzte er hinzu: »der Florian ist da, komm' nachher ein bisle 'naus, du wirst uns schon hören.«

Ohne die Antwort abzuwarten ging er hinein in die Stube; als er wieder herauskam, war Creszenz nicht mehr in der Küche.

Später hörte man vor dem Hause des rothen Schneiderle singen und pfeifen und lachen; es waren die Kameraden, deren seit drei Jahren fehlende Hauptstimme, nämlich die des Florian, jetzt um so eindringlicher erscholl; sie blieben lange, es wollte aber nichts fruchten, da schrie der Peter zum Fenster hinauf:

»Creszenz, da lauft ein' Gans 'rum, ist die nicht dein?«

Der Studentle stand hinter der Reisbeige und quackte wie eine Gans.

Das Fenster öffnete sich, aber nicht Creszenz, sondern die Schneiderin sah heraus und sagte:

»Treibet eure Späß' vor einem andern Haus.«

Mit schallendem Gelächter ging der Studentle wieder auf die Straße.

Drinnen in dem Hause aber saß die Creszenz bei[11] dem Geometer und gab auf alle seine freundlichen Reden nur halbe Antworten; endlich sagte sie, sie sei unwohl und ging zu Bett.

Als die Burschen auf der Straße lange vergebens geharrt hatten, gingen sie nach dem Wirthshause. Auf dem Wege begegnete ihnen Sepple der Franzosensimpel. Der Studentle faßte ihn an der Brust und rief:

»Qui vive? la bourse ou la vie!«

Der Angegriffene antwortete unerschrocken:

»Paridadoin mullien,« was in der Sprache des Sepple so viel hieß als: »was willst du?«

»Das gibt einen Hauptspaß,« jubelte der Studentle, »wir nehmen den Sepple mit, der muß den Geometer spielen. Komm, wir zahlen dir eine Halbe (Maas) Bier.«

»Moin paroula goin,« antwortete der Sepple, was so viel hieß als: ich will's thun; was für Laute er zusammenfügte, war überhaupt nur das Zufällige, er antwortete dabei auf Alles mit Winken oder auch mit grinsendem Lachen.

Der Sepple war eigentlich kein ganzer Simpel, sondern nur ein halber, aber dieses Halbe wurde von allen lustigen Leuten im Dorfe zum Ganzen ausgebildet.

Wenn Einer auf dem Dorfe ein Häkchen hat, so kann man sicher sein, daß es zum Sparren ausgeschmiedet wird; so ging's auch beim Sepple. Er[12] ließ sich das gern gefallen, denn es warf immer einen guten Trunk ab.

Man wußte nicht recht, woher beim Sepple der Gedanke gekommen war, daß er alle lebenden Sprachen verstünde. Einige behaupteten: weil er so lange Kindsmagd gewesen und mit den kleinen Kindern in der Allerweltsprache geplaudert habe, habe er etwas davon übrig behalten; die Wahrheit zu gestehen, kümmerte sich Niemand um den Grund dieser Sonderbarkeit, genug, man mochte den Sepple anreden wie man wollte, in einer wirklichen oder gemachten Sprache, er gab immer frischweg Antwort. Dabei verrichtete er aber das Feldgeschäft so gut wie ein Anderer; verstand er auch nicht die Sprache der Thiere, so verstanden die Thiere seine Sprache und folgten ihm willig. In der Kirche war Sepple der Einzige, der zu den lateinischen Worten der Messe nickte, als ob ihm das Alles ganz sonnenklar wäre.

Dieses vierte Mitglied hatte unsere sonst so streng geschlossene Dreibubengesellschaft für heute Abend aufgenommen.

»Bon soir,« sagte Florian, als er mit den Anderen in die Wirthsstube trat, Alles grüßte ihn freundlich, beschaute ihn um und um und Einer nickte dem Andern zu mit einem Blicke, der vollauf sagte: »es ist doch ein Staatsmensch, der Florian; ja, wer nicht 'naus kommt, kommt nicht heim.«[13]

Einer, der auf der Ofenbank faß, sagte zu seinem Nachbar: »ja das ist ein ander Heimkommen, als wie der Schlunkel, der ist jetzt schon zweimal eingestanden – im Zuchthaus und heut' Abend ist er heimkommen; wenn wir ihn nur schon wieder los wären.«

Florian ließ nun eine gute Flasche Wein für sich und seine Kameraden bringen; dem Sepple, der sich an einen andern Tisch gesetzt hatte, ließ er eine Halbe Bier geben.

Als Bärbele das Getränk brachte, sagte er etwas leise, aber doch so, daß es Alle hören konnten: »comme elle est jolie, bien jolie.«

»Oui,« erwiderte der Studentle. Alle Leute in der Stube stießen einander an und pisperten, wie die Zwei so gut französisch parliren konnten.

Florian brachte es nun allen Leuten zu, denn diese saßen meist trocken im Wirthshause; der gute Trunk that ihnen wohl, und diese freundliche Empfindung ging auch auf den Florian über. Er schien sein Französisch ziemlich ausgespielt zu haben, denn: »putz das chandelle« ist doch nur halb.

Der Spaß war den lustigen Kameraden verdorben, der Geometer, der im Adler wohnte, war nicht zu Hause.

»Bleibst du wieder bei uns, Florian?« fragte Bärbel.[14]

»Nous verrons, wir wollen sehen.«

»Verzähl' uns auch 'was,« sagte Kaspar, der als Wirth auch seine Gäste zu unterhalten suchte. »Bist du denn auch z'Paris g'wesen?«

»Freilich,« erwiederte Florian in einem Tone, aus dem ein scharfer Aufmerker wohl die Unwahrheit heraushören konnte, »aber es hat mir nicht gefallen. Am schönsten ist's in Nanzig, da sind Wirthshäuser, die sind ringsum mit Spiegeln ausgetäfelt, die Tisch' sind alle von Marmelstein und man ißt und trinkt aus lauter Silber; da solltest du einmal sein, du thätest Maul und Augen aufreißen.«

Diese Zeichen der höchsten Aufmerksamkeit waren jetzt an Florian, denn der Geometer trat mit seinen beiden Kollegen in die Stube. Sie gingen nach dem Verschlägle, wo der Tisch für sie gedeckt war.

Florian ergriff sein Glas, stieß mit seinen beiden Freunden an und sagte: »à votre santé!«

Der Kaspar, der so aufmerksam zugehört hatte, war schnell den Eintretenden entgegen gegangen und trug ihnen nun ein Licht voraus. Florian zwirbelte seinen Schnurbart und fragte dabei den Constantin leise:

»Welcher ist's?«

»Der schäg, mit denen langen Haar', wo zuerst 'reinkommen ist.«

Eine Weile herrschte Stille in der ganzen Stube,[15] man hörte nichts als das Klappern der Messer und Gabeln hinter dem Verschlägle.

Constantin begann aber alsbald zu singen:


Der Herr Geometer

Der hat krumme Bein!

Sie sind halt net gräder,

Gezirkelt muß sein.


Ein schallendes Gelächter erfüllte plötzlich die Stube, dann aber trat wieder eine Stille ein, auch drinnen im Verschlägle hörte man keinen Laut.

Florian stand auf und sagte zum Sepple: »comment vous portez vous, monsieur le géomètre?«

»Quadutta loing,« erwiderte der Sepple, der unter erneuertem Gelächter in Einem fort kauderwelschte.

»Ich gratulir' zu deinem neuen Amt,« sagte Constantin, indem er den Pinsel vom Schwenkkübel herbeibrachte, »da vermiß mir einmal den Tisch; man braucht keinen Verstand dazu, sonst könnten's gewisse Leute nicht.«

Unter immer erneutem Gelächter vollzog der Sepple die Tischvermessung, das Bärbele aber kam her bei und sagte:

»Lasset die Possen, machet eure Späss' an einem andern Ort; sei ruhig Sepple oder marschir' dich.«[16]

Der Sepple schlug auf den Tisch und welschte ganz grimmig. Unter der Thüre des Verschlages erschien der Steinhäuser, der zu der Creszenz ging, seine zwei Kameraden hielten ihn, denn er wollte gerade auf den Burschen los; auch Kaspar suchte ihn zu beruhigen, und als es ihm einigermaßen gelungen war, trat er auf die Drei zu und sagte mit größerer Entschlossenheit, als man vermuthen mochte:

»Ich will euch 'was sagen: in meinem Haus dürfen so Sachen nicht ausgeführt werden, trinket ruhig, was ihr habt, oder ich weis' euch, daß vor der Thür' Draußen ist. Ich lass' keine Gäst' beleidigen, jetzt habt ihr's gehört, in meinen vier Wänden bin Ich Meister. Es ist mir Jeder lieb und werth, aber Ordnung muß sein.«

»Juste, schon recht,« sagte Florian, »ich werd' die Leut' schon an einem andern Ort treffen. Hörst du's da drüben, du krummer Bub, wenn du noch einen Tritt zur Creszenz thust, schlag ich dir deine krummen Spazirhölzer lahm, nachher kannst dein' Meßstang' als Krück' nehmen.«

»Er elender Gesell!« schimpfte Steinhäuser, vor den sich Kaspar als Schild gestellt hatte; Florian wollte auf ihn los und fluchte: »Kotzbluestkreuzmalefiz foudre de Dieu!« Der Kaspar schleuderte ihn zu rück; Constantin war klug genug und wehrte ab.[17]

So verließen nun die Drei das Haus, der Sepple folgte ihnen bald nach.

Auf der Straße schwuren die drei Kameraden, nie mehr in den Adler zu gehen. Der Florian wollte alsbald noch einmal hinein, er sei dem Adlerwirth noch 'was schuldig geblieben, er müsse ihm 'raus bezahlen.

»Kreuz Sack am Bändel,1 da bleibst,« sagte Constantin, »bei dir ist noch allfort gleich Dreiviertel auf Mordjo. Gib jetzt Frieden, wir wollen den Geometer schon hinlegen, daß er nimmer an die Auferstehung der Beine glauben soll.«

Man beruhigte sich, und zum Spaße, da heute nichts mehr anzufangen war, bellte der Studentle noch wie ein geschlagener Hund durch das ganze Dorf und machte dadurch, wie er es nannte, alle Hunde in den Häusern rebellisch.

1

Beschönigender Ausruf für Sakrament.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 2, Stuttgart 1863, S. 10-18.
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