II. Die Erzählung des Vaters: Placidus und seine Familie.

[9] Als die Kinder vernommen, welche Unterhaltungen ihnen zugedacht worden, so jubelten sie laut auf. Sie sahen der Abendstunde mit Sehnsucht entgegen, die ihnen diese Gabe bringen würde. Fritz, der lebhafte, wollte zum voraus den Inhalt erfahren, oder mindestens, ob es ein Mährchen, oder sonst etwas Liebliches der Art sey. Der Vater erwiederte: »was er zu erzählen gedenke, sey eine schöne Geschichte, eine Sage aus dem christlichen Alterthum, und für Groß und Klein gleich lehrreich und unterhaltend. Das Weitere werde er zur Stunde erfahren, bis wohin er sich gedulden solle.«

Abends, als nach genossenem Mahle die Familie noch in trautem Kreise beisammen sitzen geblieben, begann der Vater also:[9]

Im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte zu Rom am Hofe des Kaisers Trajanus ein Mann, der hieß Placidus. Er war der Feldhauptmann des Kaisers, und stand in großen Ehren bei ihm. Denn er war mannhaft im Felde, anschlägig im Rathe, dabei eines gar gütigen und leutseligen Gemüthes. Wiewohl ein Götzendiener, befliß er sich dennoch der Werke der Barmherzigkeit, und gab den Armen reichlich. Auch ließ er zwei Söhne, die ihm seine gar wackere und fromme Hausfrau geboren hatte, mit großer Sorgfalt erziehen, wie es seinem Rang und Reichthum nicht anders gebührte. – Placidus Wandel gefiel Gott wohl. Darum beschloß er, vom eiteln Götzendienst ihn zu erlösen, und sich ihm zu offenbaren in seiner Herrlichkeit, auf daß er möchte selig werden, sammt seinem Weibe und seinen Söhnen. – Eines Tages, als der Feldhauptmann Placidus der Jagd oblag, geschah es, daß ein Rudel Hirsche vor ihm aufsprang, unter welchen einer sich vor allen andern unterschied durch seine Größe und Schönheit. Dieser eine sonderte sich ab von dem Haufen, und entsprang in das Dickicht. Während nun die übrigen den andern Hirschen nachsetzten, verfolgte Placidus jenen einen Sprosser durch Strauch und Busch, und spürte eine absonderliche Begierde, ihn zu fahen. Der Hirsch, nachdem[10] er den Placidus lange durch die wildesten Gegenden des Waldes geführt, sprang endlich auf eines steilen Felsen gähe Zinne, und stand daselbst. Placidus ritt an den Fels hinan, um zu sehen, wie dem Thier am besten beizukommen wäre. Indem er aber das schöne große Thier mit großem Verlangen betrachtete, ward er zwischen den Geweihen des Hirschen das Bildniß des gekreuzigten Heilands gewahr, welches ihn ansah mit vielem Ernst und mit Wehmuth. »Placidus, sprach der Heiland, was verfolgst du mich? Ich bin Christus, welchem du dienest, ohne ihn zu kennen. Deine Almosen sind vor mich gekommen, und haben Gnade vor mir gefunden. Darum bin ich vom Himmel herabgestiegen, um mittelst dieses Hirschen, den du jagtest, dich selbst zu erjagen und zu fahen.« Als Placidus dieses hörte, fiel er vor großer Furcht vom Pferd auf die Erde, und lag daselbst fast sinnlos bei einer halben Stunde lang. Als er hierauf wieder zu sich selbst gekommen, sprach er: »Herr, wer bist du, der du mit mir redest? offenbare dich mir, auf daß ich an dich glaube.« Da sprach der Herr zu ihm: »Ich bin Christus, des lebendigen Gottes Sohn. Ich bin auf die Welt gekommen, um das sündige Menschengeschlecht zu erlösen durch meinen Tod. Nun aber lebe ich, und es werden durch mich Alle leben,[11] die an mich glauben.« Als Placidus diese Worte hörte, fiel er abermal auf sein Angesicht, und sprach: »Ich glaube, Herr, daß du es bist, der die Irrenden bekehret und die Sünder erlöset.« »Wohlan, sprach der Herr, wenn du glaubest, so gehe eilends zu dem Bischofe der Stadt und lasse dich taufen.« Placidus sprach: »Gefällt es dir, o Herr, so will ich diese Dinge auch meinem Weibe und meinen Söhnen verkündigen, auf daß sie zugleich mit mir der Taufe theilhaftig werden.« Der Herr antwortete: »Verkündige ihnen nur, auf daß sie gereiniget werden, gleich dir. Morgen aber um diese nämliche Stunde komm wieder her zu mir an diesen Ort, so will ich dir offenbaren, was zukünftig ist.«

Als Placidus wieder nach Hause gekommen, so entdeckte er seiner Frau Alles, was ihm begegnet wäre. Sie erwiederte: »Mein Herr und Gemahl, ein Aehnliches ist auch mir geoffenbaret worden. Ich habe einen Unbekannten neben mir stehen sehen in der vergangenen Nacht, welcher zu mir sprach: Morgen sollst du und dein Gemahl und deine Kinder zu mir kommen. Jetzt sehe ich, daß solches kein Anderer gewesen, als der Herr Christus.« Als Placidus dieses hörte, stand er auf in derselbigen Nacht, nahm Frau und Kinder zu sich, und begab sich, sammt ihnen, zum Bischof, welchen er bat, daß er sie[12] taufen möchte. Der Bischof that solches mit Freuden, und nannte den Placidus Eustachius; seine Hausfrau nannte er Theospita; die beiden Söhne aber Agapitus und Theospitus. Am folgenden Morgen befahl Eustachius seinen Dienern sich wieder zur Jagd anzuschicken, und ritt mit ihnen in denselbigen Wald, wo sie gestern gejagt. Als sie daselbst angelangt waren, vertheilte er die Diener hiehin und dorthin, vorwendend, daß sie auf diese Weise das Wild am besten würden aufspüren können. Er selbst aber folgte der Fährte des vorigen Tages, und gelangte glücklich wieder an die wohlbekannte Klippe. Daselbst sah er den gekreuzigten Heiland wieder stehen zwischen den Hörnern des Hirschen. Eustachius fiel nieder auf sein Angesicht, und sprach: »Gefällt es dir, Herr, so offenbare mir, was du mir versprochen hast.« Der Herr antwortete: »Selig bist du, Eustachius, der du abgewaschen wurdest durch das Bad der heiligen Taufe. Hinfort hat der Feind kein Recht mehr über dich. Du hast der Schlange den Kopf zertreten; doch wird sie dich in die Fersen stechen. Du wirst noch viel erleiden müssen, Eustachius, bevor du die Krone erlangest. Gleich Hiob wirst du gedemüthiget werden; wenn du aber gleich ihm bewährt erfunden bist, wirst du gleich ihm wieder erhoben werden. So sage nur, ob[13] du gleich jetzt die Anfechtung zu erproben wünschest, oder dereinst am Ende deines Lebens.« »Herr, erwiederte Eustachius, kann es nicht anders seyn, so laß die Anfechtung gleich jetzt hereinbrechen. Nur gib mir Kraft, sie zu ertragen, auf daß ich nicht zu Schanden werde.« Der Herr sprach: »Sey getreu! Meine Gnade wird dir nicht fehlen.« Also fuhr der Herr wieder gen Himmel. Eustachius aber kehrte nach Hause zurück, und hinterbrachte seiner Frau alle diese Dinge.

Die Prophezeyung des Herrn ging bald in Erfüllung. Einige Tage darauf kam die Pestilenz unter das Gesinde des Eustachius, und tödtete alle seine Knechte und Mägde. Nicht lange darnach starben ihm seine Rosse und sein sämmtliches Vieh. In kurzer Zeit darauf benutzten böse Menschen die Verödung und Bestürzung des Hauses, brachen bei nächtlicher Weile ein, und raubten die Wohnung rein aus; alles Gold und Silber, alle kostbaren Geräthe, sammt Kleidern und Lebensmitteln, wurden fortgeführt, also daß nichts übrig blieb. Eustachius lobte Gott für Alles, nahm Weib und Kinder, und floh arm und bloß von dannen. – Verlassen von allen seinen Freunden, und sich schämend seiner jetzigen Armuth in einem Lande, wo er früherhin in Pracht und Herrlichkeit zu leben gewohnt war, beschloß er mit den[14] Seinigen in Aegypten-Land zu ziehen. Er begab sich an das Gestade des Meeres, und da gerade ein Schiff nach Aegypten abgehen wollte, bestieg er solches sammt seiner Frau und beiden Söhnen. Als sie über das Meer gekommen waren und jetzt ans Land steigen wollten, verlangte der Schiffsherr die Bezahlung. Da sie aber nichts hatten zu geben, begehrte der Schiffsherr, daß des Eustachius Frau bei ihm zurückverbleibe zur Bürgschaft, so lange bis, er Bezahlung erhalten. Eustachius weigerte sich dessen. Als aber der Schiffsherr drohte, ihn ins Meer zu werfen, wenn er nicht nachgebe, mußte er es leider geschehen lassen, nahm seine Kinder auf den Arm, und schlich traurig davon. Nachdem er eine Strecke gewandert war, gelangte er an einen Fluß. Das Wasser war breit, der Strom reißend. Eustachius getraute sich nicht, beide Kinder zugleich durch den Strom zu tragen, legte daher das eine diesseits ins Gras, und trug zuvor das andere über. Sobald er dieses jenseits ins Gras gelegt, eilte er zurück in den Strom, um das andre nachzuholen. Mittlerweile kam aus dem nahen Walde ein Wolf, faßte das Kind, das er eben hingelegt hatte und lief damit auf den Wald zu. Eustachius sah es, vermochte gleichwohl nicht zu helfen, verzieh sich dieses einen Kindes, und eilte nun, das andere[15] zu holen. Ehe er aber noch das Ufer erreichen konnte, kam ein Löwe gelaufen aus dem diesseitigen Wald, faßte das Kind zwischen den Zähnen, und rannte damit waldein. Eustachius weinte bitterlich, raufte sein Haar, und würde sich in den Fluß gestürzt haben, wenn Gottes Gnade ihm nicht beigestanden wäre. »Wehe mir! rief er, der ich grünte wie ein grüner Baum, und jetzt gleiche einem geschälten Stamm; der ich von Schaaren dienender Krieger umgeben war, und jetzt bin ich allein auf der weiten Welt. Heiliger Gott! fuhr er fort, du hast mir geweissagt, daß ich versucht werden solle, gleichwie Hiob versucht ward. Meine Trübsal aber ist herber, denn die seinige. Ihm blieb, nachdem er seine Güter verlassen, wenigstens ein Aschenhaufen übrig, auf dem er ruhen konnte, mir aber gebricht auch dieser. Ihm blieben Freunde übrig, welche mit ihm klagten; mir aber sind die Kinder von den wilden Thieren geraubt worden. Ihm blieb sein Weib übrig; das meinige aber besitzt ein Fremder. Hilf, heiliger Vater, oder ich muß verzagen.« Als er dieses mit vielen Thränen gesprochen, wanderte er traurigen Sinnes weiter, und um das tägliche Brod zu haben, verdingte er sich als Gärtner in einem Landhause, das einem vornehmen Aegyptier gehörte.

Der allbarmherzige Gott hat es aber geschehen[16] lassen, daß die beiden Knaben gerettet wurden, ohne Wissen des Vaters. Der Löwe, der den einen Knaben davon getragen, wurde von den Hirten wahrgenommen, die in derselben Gegend die Schafe hüteten. Eilends setzten sie dem Löwen nach mit den Hunden. Der Löwe, der sich jetzt seiner Haut wehren mußte, ließ das Kind durch Gottes Schickung fallen, ohne daß es einigen Schaden genommen hatte. Die Hirten nahmen das Kind, sahen, daß es schön und stark sey, und brachten es in ihr Dorf, um es groß zu ziehen. Mittlerweile waren auch einige Ackerleute, die im Walde ein Stück Acker pflügten, des Wolfes ansichtig geworden, der ein lebendiges Kind im Rachen trug. Augenblicklich verfolgten sie ihn, warfen ihn mit Prügeln und Steinen, und zwangen ihn, den Raub fahren zu lassen. Die Ackerleute waren aus demselben Dorfe mit jenen Hirten. Also brachten sie das Kind, über dessen Schönheit sie sich sehr verwunderten, in dasselbe Dorf, und wollten es auferziehen. – Inzwischen geschah es durch die Fürsehung Gottes, daß auch Theospita, die Mutter der beiden Knaben, aus der Gefangenschaft erlöset wurde, worin sie von dem Schiffsherrn gehalten ward. Dieser fiel nämlich in eine gefährliche Krankheit; und Theospita versprach ihm, im Vertrauen auf die Gnade Gottes,[17] daß sie ihn heilen wolle, wenn er verspräche, sie nach erlangter Gesundheit frei zu geben. Der Schiffsherr wurde auch wirklich gesund durch ihr Gebet, und aus Dankbarkeit entließ er sie, wie er versprochen. Nun war ihr angelegentlichstes Geschäft, ihren Gemahl aufzusuchen und ihre Kinder; und sie durchzog das Land nach allen Seiten. Nach einigen Monaten kam sie auch in das Dorf, wo die beiden Knaben wohnten; und es wurde erzählt, wie sie wunderbarlich aus den Rachen der Raubthiere gerettet worden. Alsobald, wie Theospita die Knaben zum ersten Mal sah, erkannte sie solche als ihre Söhne, und, da sie dieselben nicht unter den Händen der Heiden lassen wollte, so entfloh sie mit ihnen heimlich in der Nacht, und begab sich in die Wüste, um vor den Nachstellungen der Heiden sicher zu seyn, verhoffend, daß ihr Gott endlich auch ihren verlornen Mann wieder zuführen werde. Nach vielem Suchen entdeckte sie endlich eine Höhle, die sie ganz geeignet fand zu einem verborgenen Aufenthalt. Der Eingang war sehr eng; je tiefer man aber hinein kam, desto breiter und höher wurde sie; und da, wo sie am geräumigsten war, hatte das Felsengewölbe eine Oeffnung, durch welche das Tagslicht herein fiel, so daß man drinnen alles wohl sehen mochte. Auch sprang nicht fern von der Höhle ein frischer,[18] klarer Quell aus einem Felsen hervor, und in der Gegend gab's Beeren und andere Früchte genug, um tägliche Nahrung zu finden ohne Mühe und Sorge. Also konnte Theospita Gott nicht genug danken für ihre und ihrer Kinder Rettung, und sie beschloß, da zu verweilen, so lange, bis Gottes Willen sie von dannen rufen würde.

Eines Tags, als sie mit den Kindern aus der Höhle gegangen war, um Früchte und Beeren zu sammeln zu ihrer Nahrung, da sah sie von fern einen alten, ehrwürdigen Mann herkommen, begleitet von einem Diener. Jener trug ein hölzernes Kreuz an der Brust, und alsobald erkannte sie an diesem Zeichen, daß es ein Christ sey, und ein Bischof. Theospita näherte sich ihm mit Ehrfurcht, und sagte: »Herr, sehet an eure demüthige Magd, und gebt mir euren heiligen Segen. Ich bin Theospita, die Gemahlin des Placidus, des Feldhauptmanns, und dieses sind meine Kinder. Durch Gottes Gnade sind wir getauft, und in die christliche Gemeinde aufgenommen worden. Aber der Herr hat uns schwere Leiden und Versuchungen auferlegt; mein Gemahl hat alles verloren, Ehren, Güter, Vaterland. Er selbst ist mir und meinen Kindern entrissen worden, und ich weiß nicht, ob er noch lebe, und wo. Ich habe mich mit diesen[19] in diese Wüste geflüchtet, und wir leben hier allein, verlassen, ohne Tröstungen der Religion. Herr, habt Erbarmen mit mir und mit meinen Kindern, und erquicket uns mit den Worten und den Segnungen des Heils.« Nachdem der Bischof ihre Rede vernommen, gab er ihr und den Kindern den Segen. Dann sprach er: »Gelobt sey der Herr, der mich in diese Wüste geführt! Als mich die Heiden verstießen aus der Gemeinde, da jammerte ich, wie ein Hirte, dem seine Heerde geraubt wird. Nun aber finde ich, zu meiner Freude, hier in der Wüstenei zerstreute Schäflein, die ich auf der Weide des Lebens ernähren, und von dem Quell des Heiles tränken kann. Sey mir gesegnet, Tochter, und ihr, meine Kinder! Ihr sollt an mir den Vater haben, den ihr verloren, und den Freund, der euch ins Vaterland geleitet des ewigen Lebens.« Hierauf ging er mit ihnen in die Höhle, um ihren Aufenthalt kennen zu lernen; und nachdem er dort ein Gebet gesprochen, und die Wohnung gesegnet hatte, verließ er sie mit dem Versprechen, daß er sie von Zeit zu Zeit heimsuchen werde, um sie in der Lehre des Heils zu unterrichten, und der Gnaden Gottes theilhaftig zu machen.

Es war eine Woche vor Weihnachten, als der fromme Bischof mit dem Bruder, der ihn immer[20] begleitete, wieder zur Höhle kam. Nachdem er, wie er immer zu thun pflegte, ein Gebet verrichtet, setzte er sich auf einen Stein, nahm den kleinern Knaben auf seinen Schoß, den größern stellte er zur andern Seite, ihn bei der Hand fassend; und die Mutter saß gegenüber, um auf sein Wort zu horchen, während der Bruder seitwärts in der Ferne stand. Und er that seinen Mund auf, und lehrte: »Daß es nur Einen Gott gebe, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde; daß er den Menschen geschaffen habe nach seinem Ebenbilde; daß er ihn in einen überaus schönen Garten gesetzt voll der herrlichsten Früchte, und mit ihm Umgang gehabt habe, wie ein liebevoller Vater mit seinem Kinde; daß aber der Mensch undankbar und ungehorsam geworden sey gegen den himmlischen Vater, und durch seine schwere Sünde sich den Zorn Gottes und Elend und Tod zugezogen habe. Aber, fuhr er fort, der gnädigste Gott hat sich des gefallenen Menschen, und derer, die von ihm abstammten, erbarmet, und er hat seinen eingebornen Sohn gesandt, Jesum Christum, daß er die Verirrten aufsuche, die Fluchbeladenen versöhne, die Elenden in ihre Heimath zurück führe, die Todten wieder auferwecke zum ewigen Leben. Dieses große, heilige Geheimniß der Geburt und Ankunft Christi auf Erden, sagte er,[21] werde nun nach wenigen Tagen gefeiert von allen, die sich Christen nennen, und der Verdienste Christi theilhaftig werden wollen. Zu diesem Feste nun sollen sie sich vorbereiten durch Heiligung ihres Sinnes und Wandels, daß sie ihre Gedanken und Begierden zu Gott richten, unter sich Friede und Eintracht bewahren, und ihr Herz von allen bösen Gelüsten rein erhalten.« – Hierauf nahm er von ihnen Abschied. Der alte, ehrwürdige Bruder aber, der den Bischof begleitete, besuchte sie alle Tage in ihrer Höhle. Er war ein gar kunstreicher Mann, und wußte aus Holz und Gebein gar schöne Bildlein zu schnitzen, daß sie einen ansahen, als wären sie lebendig. Auch aus Moos und Gestein und Pflanzen und Muscheln, und aus allem, was er fand, konnte er Häuser und Wälder und Berge und allerlei andere wundersame Gestalten hervorbringen, daß es schier aussah, wie eine Welt im Kleinen. Ein solches künstliches Werk wollte er nun in der Höhle aufrichten zur Freude der Kinder und zu ihrer Erbauung. Da, wo das Licht am hellsten herab leuchtete durch die gebrochene Felsendecke, in einer Vertiefung der Felsenwand, fing er zu bauen an. Im Hintergrunde erhob sich ein hoher Berg, aus Felsstücken zusammengefügt, mit Moosen und Bäumen theilweise bekleidet, und mit glitzerndem Sande beworfen,[22] daß alles gar lieblich schimmerte. Einzelne Rehe, Gemsen und Hirsche standen auf den Absätzen der Felsen, und der Jäger fehlte auch nicht, der sich sein Wild schoß. Auf dem Berge ward die Stadt Jerusalem erbaut, mit ihren Mauern und Palästen und mit dem Tempel Salomonis. Den Berg auf und ab wanderten Juden jedes Geschlechtes und Alters. Auf der Ebene aber, die ganze Bühne entlang, da weideten Schafe und Ziegen und Kühe; und die Hirten hüteten sie. Und in der Mitte, wo der künstlich erbaute Berg eine Höhlung hatte, ward ein Stall erbauet, von eitelm Holz, mit einem Strohdach; darinnen standen an der Krippe ein Ochs und ein Esel. – Alles dieses ward von dem fleißigen und geschickten Bruder in den ersten Tagen errichtet und vollendet; und die Knaben hatten ihre große Freude an allem, was sie da werden sahen, und brannten vor Begierde, was noch endlich werden soll. – Am Vorabende der heiligen Weihnachten endlich kam der Bischof selbst, und mit ihm wieder der Bruder, der in seinem Korbe das Schönste mitbrachte, um sein Werk zu vollenden. Indem der Bischof die schöne Geschichte von der Geburt Christi erzählte, und wie sich alles begeben mit Joseph und Maria; und wie die Engel den Hirten zuerst die frohe Botschaft gebracht, daß der Heiland der Welt[23] geboren sey; und wie diese aber schaarenweise gekommen, um ihn anzubeten: da vollführte der Bruder alles, wie es die Geschichte anzeigte; und das Jesuskindlein wurde im Stalle auf Stroh gelegt, und Maria und Joseph standen dabei, und Hirten brachten Milch und Eier und Früchte; und oben an der Wölbung erschien ein Engel, mit den Worten: Ehre sey Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen! – Es herrschte eine feierliche Stille in der weiten Höhle, und die Kinder waren ganz Andacht und Liebe und Freude. Nachdem der Bischof das Gebet und den Segen gesprochen, beschenkte er noch die Knaben mit Früchten und Broden, und verließ sie, mit dem Versprechen, daß er zu seiner Zeit wieder kommen werde.

In den darauf folgenden Wochen erschien der gottselige Bruder von Zeit zu Zeit öfter in der Höhle, wo die Mutter mit ihren Kindern beisammen wohnte in stiller, frommer Einsamkeit. Und immer brachte er wieder andere Bilder mit, womit er die Krippe verzierte, und erklärte ihnen allzeit, wie sich's weiter begeben hat mit dem Jesus-Kindlein; wie es in acht Tagen nach seiner Geburt Gott geweiht wurde durch die Beschneidung; wie die heiligen drei Könige aus Morgenland gekommen, um dem König der Könige zu huldigen, mit vielen Dienern und[24] Kriegern und Kamelen, in aller Pracht; sodann wie der böse Herodes dem Christkindlein nachstellen, und viele, viele Kinder in und um Bethlehem auf grausame Weise ermorden ließ; wie Maria und Joseph mit dem göttlichen Kinde nach Aegypten geflohen, und erst nach langer Zeit wieder nach Judäa zurückgekehrt ist. Alles dieß und noch vieles Andere stellte der Bruder in der Krippe bildlich dar, und erklärte es ihnen ausführlich nach der Geschichte und dem heiligen Evangelium. – Vieles erzählte er ihnen auch, was er aus frommer Leute Mund und durch einfältige Ueberlieferung von dem Kinde Jesu erfahren, wie folgt: Als das neugeborne Kind in der Krippe lag, und bei offenem Stalle, in der grimmigsten Kälte und in schlechten Windeln, auf Stroh und Heu, gar sehr von Frost litt: da sollen, wie man sagt, das Oechslein und das Eselein, die bei der Krippe gestanden, sich gebeugt und das Kind mit ihrem Athem erwärmet haben, zum Zeichen, daß sich die unvernünftige Creatur den Herrn des Himmels und der Erde erkannt und verehrt habe. – Ein andersmal erzählte er: Ein Lämmlein, das ein Hirt dem Kindlein geschenkt, sey nicht mehr von seiner Seite gewichen; es habe sich zu des Schlafenden Füßen gelegt, sey des Gehenden Schritten gefolgt; und das Kindlein selbst habe es gar lieb gehabt,[25] und oft umhalset und geküßt; zum Zeichen, daß er selbst wie ein unschuldiges Lamm geschlachtet werden solle zur Erlösung des sündigen Menschengeschlechtes. – Weiter erzählte er: Eines Tages, als Maria vor der Hütte saß, und der Jesusknabe vor ihr auf dem Rasen, machte er aus den Reisigzweiglein, die um ihn lagen, lauter Kreuzlein, so daß die Mutter, die das endlich sah, gar sehr erschrak, aus Furcht, es möchte dieß eine Vorbedeutung seyn, daß ihrem Sohne die Schmach des Kreuzes werde; was freilich damals Maria noch nicht begriff, daß aus dieser Schmach die Ehre und das Heil der Welt erwachsen werde. – Es war auch alles, setzte der Bruder hinzu, ganz wunderbar an dem Kinde, der Blick, die Gebärde, der Gang, die Sprache; sogar das Kleidchen, das ihm die Mutter verfertigt, zerriß nie, und wuchs gleichsam mit ihm auf; und es war dasselbe, um das die gottlosen Soldaten die Loose geworfen unter dem Kreuze des Sterbenden.

Ein anderes Mal erzählte der gottselige Bruder ausführlich, was sich Wunderbares auf der Flucht nach Aegyptenland begeben; und wie da, in der gänzlichen Verlassenheit, und bei menschlicher Verfolgung, die Natur auf Gottes Geheiß sich besonders[26] dienstbar erwiesen habe dem Jesuskindlein und seinen Eltern. Die beiden unvernünftigen Thiere, Ochs und Esel, welche bei seiner Krippe gestanden, folgten williglich auf der Flucht; und sie fanden, ohne Wegweiser, den Weg, den Gott bezeichnet, um das Kind in Sicherheit zu bringen. – Eines Tages sah Joseph von ferne einen großen Baum, und er sprach: Wir wollen dahin gehen, und allda über Nacht bleiben. Als sie aber zum Baume kamen, und sich lagern wollten, da konnte Joseph, so weit er umherforschte, kein Wasser finden. Aber bei dem Baum war viel Gras, daß Esel und Ochs genug zu fressen hatten. Wie nun die Jungfrau Maria sah, daß sich Joseph, ihr Mann, sehr kümmerte wegen eines Wassers, da setzte sie sich nieder, und nahm das Kind in den Schoß, und stach mit ihrem Finger in die Erde. Da sprang eine Quelle hervor; und sie lobten Gott und waren froh, daß sie Wasser für sich und ihr Vieh bekommen hatten. Des andern Tages füllten sie ihre Flaschen und Krüge mit Wasser, daß sie auf dem Wege zu trinken hatten. – Als sie nun weiter reiseten, so wurde Maria eines hohen Baumes gewahr, der viele Früchte hatte, und die Früchte waren alle reif. Und sie verlangte nach den Früchten, um Nahrung zu haben für sich und ihr liebes Kind. Aber der Baum war sehr hoch,[27] und Joseph konnte Alters halber nicht auf den Baum steigen; und die Mutter mit dem Kinde stand unter dem Baum, und sie sah sehnsüchtiglich hinauf. Weil das Kind Gott und Mensch war, so verstand es, was sie begehre. Hierauf ließ sich der Baum gegen Maria nieder, daß sie von der Frucht nehmen konnte, so viel sie wollte. Da sie nun nach Belieben gegessen, und ihre Säcke gefüllt hatten, so richtete sich der Baum wieder auf, und breitete seine Zweige wieder aus, und Joseph und Maria lobten Gott für Alles, was sie bekommen hatten, wohl wissend, daß ihnen all das Gute um des Kindes willen wiederfahren. – Und es schien auch, als wenn alle Creaturen in der Wüste die Nähe ihres Herrn geahndet hätten. Wo die Pilger des Weges gingen, da sproßten Blumen unter ihnen auf; die wilden, reißenden Thiere hielten sich ferne und thaten ihnen kein Leid; die Vögel flogen in Schaaren jubilirend über ihnen her, oder musicirten gar schön von den Bäumen herab, wo jene vorbeiwanderten; und die Bäume selbst neigten sich in Ehrfurcht, und rauschten mit ihren Wipfeln freundliche Begrüßung zu, die hohe Ceder, die starke Eiche, der schattige Buchenbaum. Nur die Espe, sagt man, soll den vorüberziehenden Herrn der Welt nicht begrüßt und sich gebeugt haben, aus Unverstand und Eigensinn; dafür[28] aber ward ihr der Fluch, daß sie immer an allen Blättern zittern muß, bis auf den heutigen Tag.

Wieder ein anderes Mal erzählte der Bruder: Sobald Herodes, der Mörder der unschuldigen Kindlein, gestorben war, da kehrten Joseph und Maria mit dem Christkindlein aus Aegypten wieder zurück nach Judäa, und wohnten zu Nazareth in ihrer Vaterstadt. Und Joseph, welcher von Gott als Nährvater Jesu ausersehen war, trieb hier das Handwerk eines Zimmermanns, und hielt sich fleißig zur Arbeit, während Maria das Kind pflegte. Es kam aber oft die Base Mariä, die heilige Elisabeth, über das Gebirg herüber, mit ihrem Söhnlein Sanct Johannes, welcher der Vorläufer Christi geworden, und seine Ankunft verkündigt hat. Und die beiden Knaben hielten sich gern und treulich zusammen, und redeten zu einander in einer Sprache, welche selbst Maria nicht verstand; und jedermann verwunderte sich über den Ernst und die Anmuth und den Frieden und die Eintracht, wie sie beide zusammen wohnten in Liebe. – Aber auch mit andern Kindern war Jesus oft und gern beisammen, und es war nie Streit oder Neid, oder Gehässigkeit unter ihnen, wenn Jesus dabei war. Als eines Tages die Kinder mit Jesus zum Thore hinaus aufs Feld gehen wollten, so kamen sie auf einen Platz, da man Leimen gegraben hatte;[29] und Jesus setzte sich auf denselben Platz nieder, und nahm mit seinen Händen von dem Leimen, und machte kleine Vögel daraus, so wie sie auf dem Felde fliegen. Da die andern Kinder sahen, daß Jesus solche schöne, kleine Vögel gemacht hat, so freuten sie sich darüber, und wollten auch solche Vögel nachmachen. Während der Zeit kam ein alter Jude, der sah, daß sie mit einander scherzten und spielten, und er strafte sie und sprach: Ihr haltet den Sabbath nicht heilig, ihr seyd Teufelskinder, ihr erzürnet Gott. Er sagte auch zu dem Kinde Jesus: Du bist Schuld daran, die andern Kinder machen es dir nach, ihr gehet alle verloren. Jesus antwortete: Gott weiß es am besten, ob du oder wir den Sabbath am besten heiligen, du darfst nicht Urtheil sprechen über mich. Der alte Jude ward böse, und wollte sich auf der Stelle an dem Kind Jesus rächen; er ging hinzu, und wollte auf die Vögel treten, die das Kind gemacht hatte. Alsbald klopfte Jesus in die Hände, als wenn er die Vögel erschrecken wollte; da wurden sie lebendig, und flogen auf gen Himmel, wie andere Vögel; der alte Jude mußte sie auch lassen fliegen. – Es geht noch manche andere fromme Sage, bemerkte der Bruder, wie sich der Knabe Jesus gehalten im Hause seiner Eltern zu Nazareth in Judäa. Als er aber zwölf Jahre alt war, erzählt die[30] heilige Geschichte, da ging er mit Joseph und Maria hinauf nach Jerusalem zum Tempel, um den Festen beizuwohnen. Nach vollendeten Festtagen kehrten die Eltern wieder zurück; Jesus blieb aber zu Jerusalem, und hielt sich im Tempel auf unter den Lehrern. Erst unterwegs bemerkten die Eltern, daß ihr Sohn nicht mehr bei ihnen sey. Sie glaubten jedoch, er werde unter den Gefährten seyn, und kamen so eine Tagreise weit. Als sie ihn aber Abends in der Herberge nicht gefunden, gingen sie wieder nach Jerusalem zurück, und suchten ihn. Zuletzt kamen sie auch in den Tempel, und fanden ihn dort mitten unter den Lehrern, wo er sie anhörte und fragte über Gottes Wort. Und alle, die ihm zuhörten, erstaunten über seinen Verstand und seine Antworten. Alls nun die Eltern ihn sahen, verwunderten sie sich; seine Mutter aber, aus Bekümmerniß sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns dieses gethan? Sieh, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Er aber, der Sohn Gottes, sprach zu ihnen: »Warum habt ihr mich gesucht? Wisset ihr nicht, daß ich in dem Hause meines Vaters seyn muß? Drauf ging er mit ihnen hinab, und kam nach Nazareth, und war ihnen gehorsam. Und er nahm zu an Weisheit und Alter, und an Gnade vor Gott und den Menschen.«[31]

Einige Wochen vor den heiligen Ostern kam der fromme Bischof öfter zu der einsamen Familie, um ihnen von Gottes Wort und von dem Leben des Heilandes zu erzählen; und die Kinder sahen jederzeit seiner Ankunft mit Freuden entgegen, und empfanden Wehmuth, wenn er von ihnen schied. Es war aber auch der Mann so freundlich und mild, mit so ehrwürdigem Antlitz und einnehmender Gebärde, wie uns fromme Maler Christum vorstellen, als er die Kinder segnete, und sagte: Lasset die Kleinen zu mir kommen; denn ihrer ist das Himmelreich. Und seine Rede floß gar sanft und erquicklich aus seinem Munde, besonders wenn er die schönen Gleichnisse und Parabeln vorbrachte von dem verlornen Sohne und von dem guten Hirten, oder wenn er erzählte, wie Jesus das Töchterlein Jairi und den Jüngling zu Naim von den Todten erwecket, und wie er unter den Menschenkindern gewandelt und überall Gutes gethan, die Kranken heilend, die Sünder bekehrend; und wie Judäa voll ward von seinen weisen Lehren, großen Wundern und göttlichen Wohlthaten. Also setzte der fromme Bischof seinen Unterricht fort von Zeit zu Zeit, viele Stunden lang, bis die letzte Woche erschien vor Ostern. Da sagte er den Kindern, daß er sie nun genug vorbereitet halte in Worten und im Wandel, um Theil zu nehmen an dem öffentlichen[32] Gottesdienste der Christen. – Es hatten sich nämlich noch viele andere Christenleute in die Wüste begeben, um der Verfolgung der Heiden zu entgehen, oder um sonst Gott zu dienen in Abgeschiedenheit des Lebens; und es hatte der Bruder ein Kirchlein erbaut, worin sie sich zu gewissen Zeiten versammeln, das Wort Gottes vernehmen, und die Geheimnisse des Glaubens in Gemeinschaft feiern konnten. – Dahin kam denn nun auch Theospita mit ihren Kindern, und die versammelte Christengemeinde feierte nun die letzten Tage vor Ostern, in Fasten und in Gebet, in Anhörung des Wortes von dem Leiden und Sterben Christi und in Theilnahme an den Sacramenten, durch den Mund und die Hand des Bischofs. O mit welcher Andacht und Stille und Ehrfurcht wohnten die Knaben dieser Feier bei, und wie dankten sie Gott, daß er sie gewürdigt habe, Theil zu nehmen an den Geheimnissen und Gnaden des Christenthums! Als nun aber nach Verlauf des letzten Tages der Bischof die erfreuliche Botschaft anstimmte: »Christus ist erstanden!« und als das Kirchlein, welches bisher ohne Zierde, in schwarzem Flor, gleichsam getrauert, nun in heitere Farben sich kleidete, und mit Bildern sich schmückte, und von Weihrauch duftete, und von Lichtern erglänzte; als der Gesang der Gemeinde in vollern Tönen und in[33] schönern Weisen erklang, und der Bischof die freudenreiche Geschichte der Auferstehung erzählte, und daß nun die Erlösung des armen Menschengeschlechtes vollendet sey durch die Barmherzigkeit Gottes und seines Sohnes: da war kein Auge ohne Thränen, kein Herz ohne Trost, ohne Freude; und die Kinder, obwohl sie die überschwängliche Gnade noch nicht so klar begreifen konnten, waren doch ganz selig in dem, was sie hörten und sahen, und was ihnen zur Kunde geworden von Gott und seinen Erbarmungen. – Von dieser Zeit an besuchten sie, in Begleitung ihrer Mutter, an allen Sonn- und Festtagen die Kirche, und beteten mit der versammelten Gemeinde, und hörten Gottes Wort; und, das Beispiel Jesu im Auge, verweilten sie gern und lange im Hause Gottes, und waren gehorsam, und nahmen zu, wie an Jahren, also auch an Weisheit und in der Furcht Gottes.

Es vergingen viele Jahre. Die Knaben wuchsen auf unter der Zucht der Mutter und in der Lehre des alten Bruders, der ihnen verschiedene nützliche Dinge beibrachte. Als sie Jünglinge geworden und zu Jahren und Kräften gekommen, da beschäftigten sie sich am liebsten mit der Jagd, und schweiften wohl auch manchmal in die Länder der Menschen hinaus, hauptsächlich, um da und dort zu[34] erforschen, ob sie keine Spur und Kunde von ihrem verlornen Vater erhalten könnten. – Mittlerweile wurde das römische Reich von seinen Feinden hart bedrängt. Kaiser Trajanus gedachte an seinen Fedhauptmann Placi dus, wie er so siegreich gestritten und die Gränzen des Reichs mannlich beschirmt habe. Er hatte zwar schon früher hie und da nach ihm fragen lassen, jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Als aber jetzt die Noth des Reiches groß wurde, schickte der Kaiser Kriegsleute aus durch alle Provinzen seines Reiches, um den verlornen Feldherrn wieder zu suchen. Nun begab sich's durch die Schickung Gottes, daß zwei von diesen ausgesandten Kriegsleuten, die vornehmsten, während ihrer Wanderung auch auf das Landhaus trafen, wo sich Eustachius als Gärtner verdingt hatte. Er sah die Soldaten, und erkannte sie sogleich. Seine alte Herrlichkeit fiel ihm ein. Er schaute gen Himmel, seufzte und sprach: »Hilf, Herr, daß, so wie ich diese meine alten Kriegsgefährten wider Vermuthen wiedersehe, ich also auch einstens mein frommes Weib wiedersehen möchte.« In demselben Augenblicke sprach eine Stimme zu ihm: »Sey getrost, Eustachius; nicht nur dein Weib sollst du wiedersehen, sondern auch deine Kinder und deine ganze Herrlichkeit.« Indem grüßten ihn die Soldaten,[35] ohne ihn zu kennen; sie fragten auch, ob er nichts von ihrem verlornen Hauptmann Placidus gehört habe. Er aber führte seine alten Kriegsgefährten schweigend in die Wohnung, setzte sie zu Tische, und während sie speiseten, diente er ihnen. Die Gestalt des Mannes fiel den Soldaten immer mehr auf, je mehr sie ihn betrachteten. Einer sprach zum andern: »Wie ähnlich sieht dieser Mann unserm Hauptmann Placidus!« Der andere sprach: »Er ist ihm allerdings ähnlich. Laß uns Acht geben, ob er auch die Narbe am Kopfe hat, die der Hauptmann davon trug in der Schlacht mit den Parthern. Hat er sie, so ist er es gewiß.« Hierauf betrachteten sie ihn genauer, und erkannten die Narbe. Augenblicklich sprangen sie auf, und begrüßten ihn als ihren Feldhauptmann mit geziemender Ehrerbietigkeit. Zugleich entboten sie ihm des Kaisers Willen, und zogen ihm ritterliche Kleidung an. – Inzwischen waren auch andere Kriegsleute ausgesandt ins Land, um alle wehrhaften Jünglinge aufzuheben für den Dienst des Kaisers. Einige derselben durchstreiften auch die Wüste, wo Theospita mit ihren Söhnen wohnte. Die Jünglinge waren, wie fast täglich geschah, auf der Jagd; und als die Kriegsleute sie erblickten, wiesen sie ihnen den Befehl des Kaisers vor, und hießen sie folgen. Die Jünglinge,[36] welche vom Kaiser oft gehört, und gelernt hatten, daß man ihm Gehorsam und Ehrfurcht schuldig sey, gehorchten ohne Widerstand; nur baten sie das Eine als Gnade aus, ihre arme, verlassene Mutter mit sich nehmen zu dürfen, um sie fortan zu ernähren. Das wurde ihnen denn auch bewilligt; und Theospita folgte ihnen um so lieber, da die Hoffnung in ihrem Herzen aufging, daß sie bei dem Heere auch ihren Gemahl wie der finden werde. – Die beiden Jünglinge befanden sich unter denen, welche vor das Landhaus gebracht wurden, in demselben Augenblicke, als Placidus seinen Ehrenschmuck angezogen hatte, um den Dienst eines Feldhauptmanns wieder zu übernehmen. Er musterte die Jünglinge, und befragte jeden nach seinem Herkommen, Alter und Gewerbe. Da trat plötzlich aus der Reihe ein Weib hervor, und warf sich dem Feldhauptmann zu Füßen, und rief: »Placidus, mein Gemahl! sieh' diese zwei Jünglinge, sie sind deine Kinder! Gelobt sey Gott, der uns dich hat wieder finden lassen!« Placidus hob sie auf; und nun erzählte sie, wie alles geschehen, von dem Tage an, wo sie ihn verloren; und wie sie die Kinder wieder gefunden, und was sich weiter zugetragen. Placidus hatte drob große Freude, und er begab sich mit Weib und Kindern alsogleich in ein stilles, abgelegenes Gemach,[37] wo er mit den Seinigen, auf den Knien, mit gefalteten Händen und unter vielen Thränen Gott Lob und Dank sagte für die Gnade, daß sie sich wieder gefunden, und für die noch größere Gnade, daß der Herr sie alle im Glauben an Jesum Christum erhalten und gestärkt hatte.

Placidus zog nun mit den Seinigen nach Hof, und langte innerhalb fünfzehn Tagen dort an. Als der Kaiser vernommen hatte, daß sein Feldhauptmann gefunden sey, war er sehr froh, zog ihm entgegen, fiel ihm um den Hals, als er ihn gewahr worden, und küßte ihn aufs zärtlichste. Placidus aber erzählte, wie es ihm bis daher ergangen. Der Kaiser setzte ihn alsbald in die verlornen Würden ein, und gab das ganze Kriegsheer unter seine Hand. Darüber entstand große Freude im Heere. Denn der Feldhauptmann war allgemein beliebt, wegen seiner Tapferkeit sowohl, als auch seines Kriegsglücks, und wegen seiner Leutseligkeit und der väterlichen Art, womit er auch den gemeinsten Soldaten behandelte. – Placidus zog alsobald gegen den Feind, und besiegte ihn in mehrern Schlachten, so daß der Krieg in kurzer Zeit beendigt ward. – Während dieß in den Provinzen vorging, war in der Hauptstadt der Kaiser Trajanus gestorben, und hatte dem Hadrianus das Reich[38] hinterlassen, welcher die Christen noch mehr verfolgte, als jener. Als Hadrianus die Zeitung erhielt, daß der Feldhauptmann Placidus die Feinde vertilgt, gefiel es ihm wohl; zog auch dem heimkehrenden Feldherrn entgegen, und erzeigte ihm große Ehre. Placidus mußte im Triumph in die Stadt einziehen, und ward in des Kaisers Palast aufs herrlichste bewirthet. Hierauf sprach Hadrianus: »Laßt uns in den Tempel gehen, und für des Reiches Wohlfahrt und des Feldherrn siegreiche Heimkehr den Göttern unsern Dank darbringen.« Placidus sah sich genöthigt, den Kaiser zu begleiten. Als er aber weder des Kaisers Göttern die geringste Ehre erzeigte, noch an den Opfern einigen Antheil nahm, verwies ihm solches der Kaiser, und sprach: »Solltest du den Göttern nicht danken, die dir und deinem Hause und dem ganzen Reich so großes Heil haben widerfahren lassen?« Placidus antwortete: »Dieß Heil verdanke ich Gott dem Allmächtigen und seinem Sohne Jesu Christo. Darum kann ich nichtigen Götzen nicht danken.« Als der Kaiser hörte, daß er ein Christ sey, ergrimmte er, befahl auch alsofort, den Placidus sammt seinem Weibe und seinen beiden Söhnen in der Gluth eines ehernen Ochsen zu Asche zu verbrennen. Dieß grausame Urtheil vernahmen die Heiligen mit unerschrockenem[39] Muthe, befahlen ihre Seele Gott, gingen betend in die Gluth des Erzes, und gaben darin ihren Geist auf. Als aber auf Befehl des Kaisers der Ochse am dritten Tage geöffnet wurde, fand man die Leiber der Märtyrer gänzlich unversehrt, auch kein Haar ihres Hauptes war versengt, noch spürete man einigen Brandgeruch in ihren Kleidern. Durch dieses große Wunder wurden die Gläubigen nicht wenig getröstet, nahmen die Leichname der Bekenner, und bestatteten sie mit großer Inbrunst.


* * *


Die Kinder hatten der Erzählung des Vaters mit unverwandter Aufmerksamkeit und sichtbarer Rührung zugehört. Die Zeit war indessen weit vorgerückt, so daß die Mutter ihnen bedeutete, sie sollten sich zur Ruhe begeben. Man sprach sofort das Abendgebet; und die Kinder, nachdem sie ihre Grüße und Küsse dargebracht, verließen das Zimmer.

Die Andern blieben noch einige Zeit beisammen, um sich in Gesprächen zu unterhalten. Der Großvater lenkte das Wort auf die Legende, welche so eben angehört worden war. Er lobte sie als eine der schönsten Geschichten aus dem christlichen Sagenkreise, zumal da sie auch, als eine Familien-Geschichte, zugleich eine der volksgemäßesten sey,[40] und den Armen wie den Reichen am Geiste in gleichem Grade gefallen müsse. Auch die Großmutter war mit der Erzählung, ihrer Wahl und Darstellung zufrieden; zumal rühmte sie die letztere, und erklärte sie, wenigstens nach ihrer Hauptpartie als Muster, wie dergleichen Geschichten nach ihrem Bedünken vorgetragen werden sollen. Sie könne sich übrigens (setzte sie hinzu) nicht genug verwundern, wie ihr hochstudirter und tiefgelehrter Herr Sohn sich zu einer so einfachen, schmucklosen, natur- und volksgemäßen Erzählungsweise habe bequemen und herablassen können.

Der Vater versetzte: »Will ich ehrlich und aufrichtig seyn, so muß ich gestehen, daß, wie die Legende, so auch ihre Darstellung größtentheils nicht mir gehöre, sondern eben einem andern, der es besser verstanden hat, als ich und wir Uebrigen, im Geiste und Worte der evangelischen Einfalt zu sprechen. Als ich nämlich – sagte er – gestern in den Winkeln dieses Hauses umhergestöbert, fand ich auf dem Gesimse der hintern, finstern Kammer, wo nur der Plunder liegt, ein Fragment von einem Foliobande, und, wie ich ihn durchblätterte, bemerkte ich, daß es eine jener sogenannten Legenden sey, die ehedem, nebst der Bibel und einigen Gebetbüchern in keinem christlichen Hause fehlte, und die,[41] zusammen mit einer und der andern Chronik oder auch sonst ein Paar nützlichen Hausbüchern, die Bibliothek eines ordentlichen Bürger- und Bauernhauses ausmachten. Das Buch zog mich an, und ich las fort, und verdarb meine Augen sehr in dem dunkeln Loche; denn hervor wollte ich mich doch nicht wagen in die Gesellschaft der Damen mit dem bestaubten, wurmstichigen, nach Moder riechenden Folianten –

Da haben wir's! – rief die Tante – er hatte Furcht, Vorwürfe von uns zu erhalten über den Bruch des Versprechens; ich meine nämlich das Capitel von Schachteln und Büchern.«

»Und so – fuhr der Vater fort – kam ich denn auch auf die schöne Legende von Placidus, oder, wie er im Martyrologium der Kirche genannt wird, Eustachius; und es war mir leicht, nach Inhalt und Form sie aufzufassen, daß ich sie treu wieder geben konnte; wie denn geschah.«

»Da er einmal eingestanden, daß er ein Plagiat begangen – sagte der Onkel – so möchte ich fast vermuthen, er habe auch ein Falsum gemacht. Die Episode von der Kindheit Christi, und was damit in der Geschichte, wie sie von ihm vorgetragen worden, zusammenhängt, scheint mir nicht zu der Legende selbst zu gehören, sondern – er soll es nur gleich gestehen – sie ist von ihm selbst eingeschaltet worden.«[42]

»Das möchte ich nimmermehr eingestehen – sagte der Vater lächelnd – außer man überwiese mich denn förmlich und nach Rechten.«

»Er gesteht's ein! – sagte lebhaft die Tante. – Aber fühlst du auch – fuhr sie fort – daß so etwas nicht bloß unrecht, sondern wahrhaft gottlos sey? Oder ist es erlaubt, eine kirchliche Ueberlieferung dieser Art willkürlich zu ändern, zu mißstalten? Wohin muß es kommen, wenn man auch das Heilige, das Religiöse antastet, und nach seiner Weise auslegt und entstellt?«

»Nicht so streng geurtheilt, mein gnädiges Fräulein! – versetzte der Vater. – Ich mag vielleicht eine ästhetische Sünde begangen haben, durch willkürliche Einschaltung jener andern Legende in die, allerdings in sich schon beschlossene, vollendete; aber eine sittliche Sünde, eine Verletzung des Heiligen, kann wohl hier nicht gefunden werden. Es gibt eine Art Legenden – wohin auch die unserige gehört – die von vorn herein schon eine poetische Gestaltung, zum Zwecke religiöser Auferbauung, erhalten haben, und die, obgleich sie der Wirklichkeit ermangeln mögen, dennoch die entschiedenste und wirksamste Wahrheit besitzen. Aus dem erstorbenen historischen Keime entsproßt eine lebendige, blühende Dichtung. Wenn nun aber einmal die Poesie an der ursprünglichen[43] Entstehung einer solchen Legende Theil genommen, so sehe ich nicht ein, wie es ihr verwehrt seyn soll, an der weitern Ausbildung derselben zu arbeiten, zumal zu einem besondern Zwecke, z.B. den ich vor Augen gehabt habe. Das religiöse Gedicht würde nur dann zu einer gewöhnlichen Erdichtung herab schwinden, wenn jene höhere Wahrheit, die tiefe, religiöse Bedeutsamkeit, Schaden litte; was aber von der Legende, wie sie von mir ausgestattet worden, wohl nicht behauptet werden kann.«

»Ich bitt' euch – sagte die Mutter – laßt dieses euer Kritisiren! Ihr verderbt uns damit allen reinen Genuß, und benehmt uns übrigen wohl auch die Freude und den Muth zu Mittheilungen ähnlicher Art. Was wollen wir denn mehr mit unsern Erzählungen, als die Kinder unterhalten, erbauen, erfreuen und erheben? Und haben sie heute nicht mit Andacht zugehört? und sind sie nicht mit jener innigen Rührung erfüllt wor den, die jede wahrhaft schöne, fromme Erzählung, sey sie nun Gedicht oder Geschichte, in uns erwecken soll? Was mich erbaut, das lieb ich, ohne weiter zu forschen, ob (wie man zu sagen pflegt) und was dran wahr seyn mag, oder nicht. Als Kind hielt ich so manche evangelische Parabel, z.B. die vom verlornen Sohne, für eine wirkliche Geschichte. Nun weiß ich, daß dem wohl[44] nicht so sey. Bin ich drum jetzt gescheidter? bin ich besser geworden? Durch die Aufklärung über die Form des Buchstabs nicht, sondern wohl nur durch tieferes Eindringen in den Geist der Wahrheit, der allein lebendig macht.«

»Man sprach noch vieles für und wider die Zweckmäßigkeit solcher religiöser Poesien; man vereinigte sich aber zuletzt doch darin: sie seyen schöne und liebliche Blüthen des Christentums, und gleichsam die Bilder und die Zierrathen an dem erhabenen Dome, den die Andacht der Gläubigen aller Jahrhunderte auszubauen unternommen hat, und der noch seiner Vollendung entgegen harret.«[45]

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Büchlein für die Jugend. Stuttgart/Tübingen/München 1834, S. 9-46.
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