2. Der König Watzmann.

[92] Vor langen Zeiten lebte ein König Watzmann; der hatte ein Weib und sieben Kinder. Er selbst aber war ein gewaltiger Jäger, dabei stolz und grausam; und seine größte Lust war es, begleitet von Weib und Kindern, und im Gefolge von Hunden und Knechten, auf den Gebirgen umher zu schweifen, die Gemsen und Hirsche zu hetzen, und an ihrem Blut sich zu weiden und an dem Aechzen und Stöhnen der Creatur. Eines Tages geschah es, daß König Watzmann, der wilde Jäger, vor die Hütte einer armen Hirtin kam; diese saß vor der Thür, ihr kleines Kindlein wiegend in ihrem Armen, und neben ihr lag ihr getreuer Hund, der ihre Heerde und Hütte beschützte. Flugs stürzen die wilden Rüden des Königs auf den Schäferhund los, einer von ihnen zerfleischt das Kind, der andere streckt die erschrockene Mutter nieder. Der König aber steht dabei, und sieht mit Lust das furchtbare Schauspiel an. Auf der Mutter Geschrei kommt der Vater aus der Hütte, mit dem Bogen in der Hand; und wie er das Entsetzliche gewahrt, da streckt er eine der wüthenden Rüden mit dem Pfeile nieder. Nun aber ergrimmt in Zorn der grausame König ob dem Fall seiner Rüde, und er hetzt Knechte und Hunde[92] auf den Hirten und die Hirtin, die nun, von den Wüthenden zerfleischt, auf den Leichnam ihres Kindes niedersinken. König Watzmann aber, und sein Weib und seine Kinder schauen mit Hohnlachen und Frohlocken auf die unschuldigen Opfer der Wuth. Da erhebt sich aus der Erde Schooß ein Brausen, der Sturmwind bricht los; eine Feuersäule steigt empor, sie umwirbelt den Wütherich und seine Brut und verwandelt ihre Riesenleiber in Stein. – Und noch stehen sie da, der Watzmann und sein Weib nebst ihren sieben Kindern, als ungeheure Felsenberge, zum Andenken und warnenden Beispiel, daß Gottes Rache alle diejenigen ereilet, welche den Schwachen zertreten und den Unschuldigen morden.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 92-93.
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