2.

[117] Reichthum gebiert Uebermuth, Uebermuth gebiert Armuth. Das erfuhr eine Weitmoserin, von welcher die Sage Meldung thut. Diese, prangend in kostbarem Kleide und mit Kleinodien geziert, ging eines Tages durch die Klamm, eine Bergschlucht, welche in die Gastein führt. Da begegnete ihr ein armes Weib, welches sie um ein Almosen ansprach. Die reiche, stolze Frau verweigerte ihr die Gabe und schalt sie eine unverschämte Bettlerin. »Ach,« sagte die Arme, »es weiß kein Mensch von heute auf morgen, ob er nicht betteln muß von anderer Menschen Wohlthätigkeit.« Da zog die Weitmoserin eine kostbaren Ring vom Finger und warf ihn in die Ache, welche durch die Klamm hinabstürzt, und sagte: »Eher findet sich dieser Ring wieder, als eine Weitmoserin betteln muß.« – Aber, siehe da! des andern Tags brachte ein Fischer einen Fisch, in dessen Bauch sich der Ring befand. – So erzählt die Sage. In der That kam der Weitmoser Geschlecht bald in Verfall, und heutiges Tags zeigt man nur noch das Haus, in dem sie gewohnt, und erzählt von dem Reichthum, denn sie gehabt. Das Geschlecht aber ist ausgestorben.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 117.
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