Erster Aufzug

[12] Rom. Reiche Halle mit Statuen. Der Palazzo ist an der Stelle des Zuschauerraums gedacht, so daß man über die Halle hin zur Balustrade und über sie und die Freitreppe auf das Karnevaltreiben in der Straße hinaussieht. Ein kleiner Schwarm lustiger Leute beiderlei Geschlechts in Masken, mit Mandolinen und Tamburinen, werden mit Wein und Früchten bewirtet. Der vornehme Hausherr bei ihnen. Nun erheben sie sich. Der Bajazzo tritt mit einem Kelche zierlich grüßend zur Verabschiedung vor den Prinzipe und spricht mit geheimen Beziehungen.


Mein Prinz, die ersten bunten Sterne,

Schon streute sie Frau Flora aus,

Das Nymphlein äugelt in die Ferne,

Der alte Pan selbst pflückt den Strauß.

Im Hain begann das erste Singen,

Und Amor spann die neuen Schlingen, –

Da lockt' es her vom Petersdom

Den Lenz zum Karneval nach Rom.


Dir, Prinz, hinfloß er am Palazzo,

Und lächelnd winktest du: herein!

Kennst du uns Masken auch? Bajazzo

So schein ich dir, und mag's nicht sein.

Wie unter Floras Blumenkronen

Die Würzen und die Gifte wohnen ...

Die Masken, Prinz, begrüßen dich.

Die Masken, Prinz, bedanken sich.

PRINZ.

Zwar mag das Gift auch selber Würze sein –

Ihr mischt den Becher fast vermessen fein,

Doch zeigt der Schurke nicht im Scherz sein Ziel,

Ihr spielt mit Drohn, drum droht Ihr nur im Spiel.[12]

Die Welt ist heut ein wunderliches Reich –

Im Lächeln mahnt Ihr, und so dank ich Euch.


Die Masken lachen, verbeugen und entfernen sich rasch. Da lenkt ein Lärmen auf der Straße ab. Unten im Volk böse Rufe.


PRINZ.

He dort, was ist's für Lärm?

RÖMER.

Der Maledetto,

Die Freiheit bricht er: Herr, zwölf Vögelchen,

An jedes Beinlein hatt' ein Schnürchen ich

Mit bunten Schleifchen angebunden, alle

Dann unten hübsch geknüpft, eh, großer Herr:

Warf ich das ganze in die Luft, so flog's

Auf wie ein bunter Strauß, wer's sah, der lachte

Und freute sich. Da kam der Deutsche dort,

Nahm mir mein Spielzeug, schnitt die Fäden weg

Und ließ die Vögel fliegen. Spielverderber,

Verdammter, der er ist! ...


Eifriges Bestätigen der Begleiter.


FAUST.

Das tat ich, ja!

Könnt ihr denn froh sein, wenn ihr quält?

RÖMER.

Was sagt er?

Glaubt er, die Vögel haben Christenseelen?


Sie lachen.


PRINZ.

Sei's nun, wie's mag. Mitbürger seht: er hat

Die Treppe meines Hauses schon betreten.

Er ist mein Gast. Ihr seht es ein: ich müßt'

Ihn schützen. Doch das braucht's ja nicht, ihr wißt:

Heut treibt das Ich in tausend droll'gen Blüten,

Wie tausend Masken treibt der Karneval.

Nehmt das für eine: Laßt sie mir und lacht.

Es ging ja nicht um Donnen, Bürger Roms,

Es ging ja nur um Vögel.[13]

FAUST auf die einladende Bewegung des Prinzen.

Macht Ihr mich für den Pöbel zum Bajazz,

Und wollt mich nun als Hausnarrn, großer Herr?

Ich dank Euch, laßt mich gehn.

PRINZ.

Ich kenn Euch schon.

FAUST.

Nein, keiner kennt mich hier.

PRINZ.

Hört mich. Ihr wißt:

Wie sonstwo nach dem Topf mit Silbermünzen,

So gräbt man hierzuland nach altem Stein.

Auch ich bin Freund von altem Meißelwerk,

Doch bin ich's nicht allein: wer Gutes will,

Muß rasch im Griff sein, eh's der andre sieht.

Nun hatte mir ein Gauner ausgespäht:

Dort hinter Ponte Molle, wo zuerst

Der Wandrer nordher Romas Peter sieht,

Dort in der Näh sei Köstliches gefunden.

Und diesmal war es so, ich sah es bald,

Als ich nach Abendrot noch draußen war.


Auf die verhüllte Statue weisend.


Dort steht's! Doch wie ich wartete, vernahm

Ich nah zwei Stimmen. Eine sprach ein Mönch,

Der warf sich angesichts des Peter nieder

Und dankt' und pries und weint' und betete:

»O heil'ger Boden! Dreifach heil'ges Rom,

An dem Sankt Petrus sein Martyrium litt.«

Die andre Stimm war kühler – die spracht Ihr!

FAUST.

Ja, Herr, so war's.

PRINZ.

Was führte Euch nach Rom?

FAUST.

Ein Wahn.[14]

PRINZ.

Vergebung suchtet Ihr? –

FAUST.

Als könnte

Ein andrer lösen, was ich in mich band!

PRINZ.

Es kann's der Papst.

FAUST.

Als meine Schuld mir Herz

Und Hirn noch quetschte, wähnt ich's auch. Jetzt sah ich

Den heiligen Vater selbst. Der griffe in mich

Mit seiner Liebe Inbrunst heilend ein?

Ich fand ihn Vater, aber heilig nicht.

PRINZ.

Des Heilers Kraft

Gibt nicht sein Ich ihm, nein, die gibt sein Amt.

Sie ist für sich. Er hat sie, wie der Arzt

Den wundersamen Trank aus Morgenland,

Den dort, wovon und wie ist unbekannt,

Ein Magier schuf – genug uns, daß er heilt.

Er hat sie, und sie würde heilen selbst,

Wenn ihres Gebers Hand verworfen wäre.

FAUST.

So hätt' das Irdische ein Eigentum

Im Überirdischen, und das Zeitliche

Könnt' Handel treiben mit der Ewigkeit:

Ich geb, ich nehm, die Börse setzt den Preis?

PRINZ.

Ihr ketzert. Wagt es nur. Hier leben Ketzer

In jedem Hause mehr als Christen.

FAUST.

Christ

Und Ketzer – ist's ein Gegensatz für Euch?

PRINZ.

Ich bitt Euch, Fremder, laßt den Spötterton:

Ihr sprecht mit einem andern, als Ihr meint.[15]

Ich bin nichts Bessres, doch auch Schlechtres nicht,

Weil reich mein Kleid und Eures ärmlich ist.

Die Zeit geht neue Wege; ich bin Kind

Der Zeit. Nicht Denker- und nicht Künstlermensch,

Nur Freund der Denker und der Bildner, der

Ererbtes Gut verwenden möchte, daß

Es freut und nützt. Was aus den Hirnen wächst,

Drängt zu den Hirnen, und sie lechzen drum,

Befruchten will's, befruchtet will es sein –

Was kümmert sich's, wo gleiches Wesen lebt,

Um Gut und Rang und Sprach' und Vaterland?

Als ich in der Campagna Euch gehört,

Spürt ich im herben Klang den gleichen Hall,

Der jetzt erweckend durch die Geister ruft.

Drum freut's mich, daß ich heut Euch wiederfand,

Nehmt mich als einen Sucher wie Ihr selbst,

Der den Gesandten andrer Sucher grüßt ...

Was kann ich tun, damit Ihr mir vertraut?

FAUST.

Vertraun und Mißtraun, das sind Worte, denen

Von Schwergewicht, die um ihr armes Glück

Noch mit dem Leben spielen.

PRINZ.

So zwang es Euch schon ein Verzweifeln auf?

FAUST.

Verzweifeln? Nein. Es wies, wie nebenbei

Am Weg zu Großem eigne Wohlfahrt liegt.

Ihr sprecht mir, Herr, wie noch in diesem Land

Kein andrer zu mir sprach, ich dankt' Euch gern

Und sagt' Euch: seht, das hab' ich, nehmt Euch draus

Was Ihr für Eure – Sammlung brauchen könnt.

Doch nichts ist in mir als ein Nichts, nur daß

Dies Nichts nach Fülle schreit, ja schreit, und daß

Die Inbrunst dieses Schreis mir Leben ist.

PRINZ nach kurzer Pause.

Ich bitt Euch, sagt mir, wie nach Rom Ihr kamt.[16]

FAUST.

Als Sünder ich, mit einem Auftrag er,

Der Bruder, den Ihr bei mir saht, und der

Am Geiste schlicht, im Herzen warm, mir half.

Vor jedem Kreuz am Wege sanken wir,

Sank ich auch in die Knie, denn wie den Leib,

So geißelt' ich den Hochmut meiner Seele.

Nur sah ich andres, als die Kreuze noch,

Die er allein sah. Sah, wie langsam auf

Im Süden aus dem Horizont die Berge

Als feine Wellchen stiegen, langsam wuchsen,

Und endlich hoch, daß Berg und Wolke wurden

Ein Eins aus Grau und Licht. Wir schritten drein

Und sahn sie nicht. Ein Wogen nur umwallt' uns,

Durch das der Strom, wir sahn ihn nicht, mit Donnern

Gleich Gottes Stimme aus den Tiefen sang.

Doch eines Tags ward ob uns Sonne, Herr,

Da stiegen wir aus unserm Meer empor

Und in ein Reich von selgen Silberinseln,

Von feierlichen, rings im stillen Blau.

PRINZ.

So sagt auch Ihr, die Alpen wären schön?

FAUST.

Das Meer sank um uns in die Tiefen hin,

In Täler trank sich's ein, verkräuselte,

Lautlos, verrauchte – und da lag

Lichtgrünes Wogen reiner Wiesen da.

In allen lebt es: Vogelsang im Laub,

Von Hütten läuteten die Herden her,

Bei harter Arbeit sah ich schlicht ein Volk ...

PRINZ.

Ich hörte selten, daß die Alpen schön,

Ich hörte meistens, daß sie schrecklich sei'n,

Und daß ihr Volk halb Mensch und halb noch Tier ...

FAUST.

Herr, davon sprach ich nicht, ich sprach von mir![17]

Dem aus den Dingen ein Umglänzen kam,

Ein wärmendes: um Herz und Hirn die Fesseln,

Die es zerpreßten und zerschnitten, sie,

Die Eisen meiner Schuld ... sie fielen nicht,

Ich fühl sie noch, und bis mein Atem lischt,

Werd ich sie fühlen – doch ich trage sie

Als Last nicht mehr, als Stützen trag ich sie.

Stark bin ich worden, und so fühl ich, daß

Der Schwächling nur in Reue sich zermürbt:

Wer einmal niederriß, soll dreifach baun.

PRINZ.

Ihr wart wohl krank vorher?

FAUST.

Ja, ich war krank.

PRINZ.

Und Ihr genast?

FAUST.

Nein – denn ich bin in Schuld.

Und aber nein, denn so bin ich geboren:

Was ich auch trinken mag, mir wird es Durst.

PRINZ steht auf.

Ihr sprecht wie einer, der nicht reden kann

Von irgendwas, als dem, was ihn bewegt.

Wir sind hier anders, Nordischer, wir sprechen

Auch um der Schönheit willen, auch im Spiel.

FAUST.

Ist Schönheit Spiel? Ach Herr, so frag' ich nicht

Als Redner nur, im Dünkel. Nein, ich weiß

Es nicht. Der deutsche Blick, im Süden sieht er

So viel an Schönheit, daß ein Rausch ihn faßt,

Der selbst den Schutz ihm nur als Schönheit zeigt.

Herr, welches Land hier, wo der Berg zum Berg

Hintönt als Melodie, wo blauer Himmel

Ein Lächeln nur und nie ein Zürnen kennt!

Herr, Palmen sah ich schon, und welche Menschen,[18]

Und welche Kunst – ich bin in Trunkenheit

Getaumelt, Herr, durch Monde heißen Traums.

Und aus den Pergamenten weiß ich's, Herr,

Und an den Steinen seh ich's: in der Erde

Liegt noch ein totes einstiges Geschlecht

Von Großen. Und man sagt: das steht jetzt auf –

Wird's von Gespenstern, wird's von Menschen sein?

PRINZ.

Ihr Grübelgeist, nun gebt dem Tag sein Recht!

Bleibt als mein Gast, ich bitte Euch, und gebt

Zu unserm Leichtgewicht von Eurem Blei.

Doch wähnt auch nicht, Ihr kämt zu Flattervolk!

Es geht ein Dursten durch Italien,

Ein Dursten nach ... bei Gott, nicht nur nach Wein.

Jetzt kommen Freunde – Fremder, haltet mit:

So lang erträgt ja jeder gern den Durst

Zum mindesten, wie er beim Trinken ist!


Die Gäste, paarweis und zu dritt, in heitern Gesprächen. Begrüßung, dann sitzende Gruppen, von schön und geschmackvoll Gekleideten bedient.


PRINZ.

Heut, Liebe, ehren unsern kleinen Kreis

Zwei neue Gäste. Einer zeigt sich euch

Erst später, einer grüßt euch schon


Vorstellend.


– mein Freund!

Ein Humanist von Norden, fragt nicht mehr:

Der Geist weht über jeden Grenzverschlag

Und frostet oder wärmt nur aus sich selbst,

Ob sein Gewand italisch sei, ob fremd.

Jetzt ist der Geist ein holdes Wehn, er rührt

Den Boden kosend, und er flüstert uns:

Ein neuer Frühling keimt darin für euch,

Wie keine Zeit ihn sah, ein Weltenmai,

Der in die Kränze unsrer Gegenwart

Einflicht vom neuerblühten Einst. Und dies

Ist unser Einst, denn unsre Ahnen sind's,

Die mit ihm auferstehn nun in uns selbst!

Doch wie der Freund am Freunde sich erzieht,

Indem er lehrt und lernt, so danken wir[19]

Den Andern allen, deren Liebe sich

Mit uns bemüht – wie Eure, werter Gast!

Im Norden stoßen sie die Becher an,

Nach eurer Landessitte unsern Gruß!


Anstoßen mit gestimmten Gläsern.


ERSTER GAST Baumeister.

Ihr kamt von Norden, von Pavia ich,

Saht Ihr in meiner Heimat die Certosa?

Was sagt Ihr? Hei, da lenzt das ew'ge Rom!

Da ist des Alten jugendfrischer Sohn,

Von ihm das Antlitz, doch die Liebe jung:

Du holde Welt, her, ich umarm dich neu

Und zeug mit dir noch edler eine Welt!

ZWEITER Humanist.

Durch Mantua kamt Ihr – saht Ihr Vittorin?

Er war mein Lehrer – leb ich hundert Jahr,

An keinem Tage schweigt mein Dank für den!

»Du«, fragt Ihr, »warst beim Fürstenlehrer?« Herr,

Was fragt ein Vittorino je nach Geld!

»Hast du Talent, dann her mit dir!« Mich nahm er,

Als er mich Verse kritzeln sah. »Von dir?«

»Signore, si!« Oho, ich mußt's beweisen,

Und lernen mußt' ich. Ecco, er war streng,

Mit einem Blick schon nagelt' er uns wohl,

Wie wir die andern Schmetterlinge, fest.

Doch wie der Jäger auf den Lockruf horcht,

So lauscht er jedem nach dem eignen Ton,

Und Fink wie Drossel kam zu eignem Recht.

Wer nichts als Bücherwurm, den haßt' er: Mensch

Heißt Ganzes sein. Den Kopf nicht tummeln bloß,

Auch Arm und Bein ...

DRITTER Maler.

Du, laß auch mich zum Wort:

Fremdling, saht Ihr auch Mailands Abendmahl?

Und spürtet Ihr die Welle, die vom Wort

Des Meisters durch die Jüngerköpfe wogt

Hinaus und heimwärts, wie sie alles hebt,[20]

Erschüttert und in Graun versenkt? Sagt, wo,

Sagt, wann in aller Zeit, in allem Land

Ward ähnliches geschaffen? ...

VIERTER Forscher.

In Athen,

Törichter Frager, wo die Vögel pickten

Nach des Appelles Trauben.

DRITTER.

Der war Grieche.

VIERTER.

Griech' oder Römer, Brüder waren das,

Und wir sind ihre Enkel: Leonard

Beweist es, daß wir würdge Enkel sind.

Nicht er nur, manche schon – ach lehrtet ihr,

Gewesene, es wüchse ein Geschlecht

Auf von Genies!

FÜNFTER Lehrer.

Sie lehren zwar mit Wörtern,

Aus tausend Pergamenten, doch sind Wörter,

Geschriebene, doch immer Zeichen nur,

Ob auch die Weisheit, wunderbar genug,

In alter Zeit sich gleichsam selbst diktierte.

Wenn ich so in den Klöstern saß und klaubte

An einem Satz, bis ich begriff und schrieb,

Oft war mir fast, als stünd' Minerva selber

Mit aufgehobnem Finger da: du, deutle

Nicht superklug, so wie's da steht, so ist's.

Zwar Rätsel bleiben doch. Mehrdeutig dies,

Und eine Lücke dort. Ach, hülfen, Freund,

Die großen Ahnen unsrer Wirrnis selbst

Und zupften uns, wenn wir uns irrn, am Ohr

Und sagten: so begreif du's.

SECHSTER Poet.

Das Begreifen!

Ach, das Begreifen! Trudle deine Nuß

In den zehn Fingern, knack mit deines Kopfes[21]

Gesamten Zähnen dran – was bringt's? Du sagst:

»Den Kern«, doch dir im Schnabel hört er auf,

Samen zu sein, der treibt.


Sie geraten freundschaftlich aneinander.


PRINZ.

Verstummter Gast von Norden, glaube nicht,

Wir stritten hier. Wir suchen, Freund, und jeder

Auf anderm Wege nach dem einen Ziel.


Auch Faust lächelt. Der Prinz tritt zu der verhüllten Statue.


Steh du uns Rede, ob du bessres weißt,

Du unsres heutigen Abends zweiter Gast.

In der Campagna fand ich ihn, nun fragt!


Er löst einen Vorhang, nimmt eine Fackel und zeigt damit eine neugefundene Statue des Eros. Alle drängen sich darum, entzückte Ausrufe und Gebärden, aber langes Schweigen.


DER MALER.

Er wechselt, wie die Fackel steht: So klagt er

Zum leeren Lager. Bietet so den Gruß,

Den süßen Gruß. So fragt er. Sieh, und so,

So droht er fast. Rot wird er und jetzt bleich.

Jetzt ist's der Psyche Lippe, die der Gleich-

Göttliche sucht. Jetzt denkt er an den Pfeil,

Den giftigen, den ihm die Mutter gab

Aus Lust am Weh der Sterblichen. Und jetzt –

O halt die Fackel so: jetzt ist er Liebe

Zum Unbekannten, das ein jedes Ich

Im Traum nur ahnt.

FAUST.

Wir Menschen nennen ihn

Das große Sehnen.

PRINZ.

Und gemeinsam, Freunde,

Ist jeder unsrer Seelen Eines doch,

Ein Sehnen doch, das Sehnen nach der Welt,

Die war.[22]

DER BAUMEISTER.

Wie durch die Nacht das feine Wasser singt,

In all den Brunnen rings, das hergeleitet

Einst unsre Ahnen von den Bergen weit,

So sang durch Roms jahrtausendlange Nacht

Das stolze Einst aus unsrer großen Zeit

In ihrer Nachgebornen dunkeln Traum.

DER HUMANIST.

Jetzt dichtet sich's in Stimmen für den Tag.

DER POET.

Jetzt reicht es Blumen aus der Erd herauf.

DER MALER.

Die Statuen, ihr seht, erwärmen sich.

DER FORSCHER.

Die Sarkophage sind nur Schlummerstätten.

FAUST.

Strebst du zu Psyche oder Venus, Gott?


Hereinstürzend ein neuer Gast.


Was träumt ihr hier vor Steinen, wißt ihr nicht

Das Ungeheure? Auf dem Kapitol

Erbrach man einen Sarkophag, und denkt:

Es liegt ein Weib darin, ein römisch Weib ...

RUF.

Wie, ein Geripp?

ER.

Nein!

RUF.

Eine Mumie?

ER.

Nein!

Nein. Menschen faßt's. ... Ach, denkt das Schönste euch,

Was je von Weib ihr saht – und denkt es euch

Noch dreifach schöner – ach, und werft es dann[23]

Beiseit – es ist ja nichts vor diesem da.

Erfaßt's: ein jugendliches Römerweib ...

Im Tod ... Doch wie im leisen Morgenschlaf!

Goldigumlockt der Wange sanftes Rot.

Die Lippen lächelnd, daß ein Zahngeperl

Durchschimmert, und der Augen Lider so,

Daß auch der Blick schon durchzuschimmern scheint –

So schlummert sie all die Jahrhunderte

Vom Rom zum Rom! Das harrt auf euren Blick!


Aufbruch aller.


Vorhang.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 12-24.
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