Zweiter Aufzug

[64] Predigt in der Hochschulkirche. Auf der Kanzel der Domherr aus dem zweiten Akt. Unten alles mit Studenten, Professoren und sonst Leuten der Hochschule gefüllt, vor allem mit »Domschülern«.


DOMHERR.

Wär' das nicht unsrer lieben Hochschul Kirche,

Nicht dürft' ich sprechen, wie der Vater darf

Inter familiam: ja, gesündigt ward,

Geirrt ward und gesündigt auch von uns.

Wir bergen's zwar mit Schämen vor der Welt,

Dem Vogel gleich, der nicht sein Nest beschmutzt.

Indes, so ist's, Geliebte: manches Recht

Auf Zehnt und Gülden unsrer heilgen Kirche

Steht nit ganz fest auf altgewachsnem Stein,

Und mag schon sein, daß im rein Geistlichen,

Ich mein, in Glaubenssachen, das und dies

Sich anders angesehn auch anders zeigt.

Doch sei der Mensch den Obern untertan!

Das sagt die Bibel. Wohl denn: Unsre Obern,

Die mögen sehn, daß einst sie beim Gericht

Gerecht befunden – Dank dir, gütger Gott,

Daß solcher schweren Sorg du uns enthobst:

Wir Untertanen folgen. Aber wie,

Folgen wir wirklich? Aufruhr zischelt rings,

Der Bundschuh spukt aufs neu, die Büberei,

Verruchte Bauern heben gar die Hand,

Und nach der Hand, nach eben dieser Hand,

Was tastet nach ihr? Glaubensaufruhrgeist!

Wie sie nach ihm: gib du mir nur die Waffen

Vom Bibelarsenal für meine Faust,

Lehr mich zu lügen, daß der Papst, der Bischof,

Der Kaiser und der Fürst von dieser Welt,

Dann sind wir gleich und gleich, und sie sind wenige

Und wir sind viel! Hei, Herrlichkeit der Welt,

Dann mästet sich mit Klostergut der Bauer

Am gleichen Tische mit dem Ketzer. Was?

Das Jenseit? Pah: das Diesseit hoch! Ach, Freunde,[65]

Der Satanas war mitten auch bei uns!

Ihr blickt so traurig, Freunde, ich versteh's:

Ihr denkt an den vom Bischof eingezognen

Professor, an den einst verehrten Mann,

Geliebten Mann, und fragt: wie sollt' auch er?

O Gott, es ist so – man verhaftet' ihn,

Mußt ihn verhaften, ach, ich weiß Bescheid:

Dem Teufel selber stand der Mann im Bund!


Unruhe. Aus dem Hintergrunde die Stimme Fausts.


Das stand er nicht.


Wachsen der Bewegung.


DOMHERR.

Durch kecken Zuruf wird

Die Predigt, wird der Gottesdienst gestört?

FAUST.

Gott ist die Wahrheit, und du logest, Pfaff:

Der Wahrheit dient, den ihr in Ketten schlugt.

DOMHERR.

Wähnst du, von der geweihten Kanzel hier

Im heilgen Kirchenraume disputiert' ich?

Ergreift den Frevler!

FAUST.

Ja, so wart ihr stets!

Die Kirchen hat der Geist sich aufgebaut,

Nun steckt ihr drin wie der Schmarotzerkrebs

Im Schneckenhaus und schreit: mich schützt der Geist.

DOMHERR noch lauter.

Ergreift den Frevler!


Diener wollen an ihn.


EIN STUDENT.

Ihr berührt ihn nicht!

FAUST.

Nicht durch mein Stören frevl ich, doch ich bin,

Ich bin ein Frevler – und ihr traut mir doch?[66]

EIN STUDENT.

Wir kennen den Professor, und du bist

Sein Freund!

FAUST.

Weg, ich will frei sein.


Einige Studenten stellen sich um ihn, Faust drängt mit ihnen in den Vordergrund.


Einstens wart

Ihr's nicht, da lebtet ihr in Engen,

Beäugtet euch, beäugtet scheu die Welt,

Und wie der Schulbub mit den Federn sticht,

Ob er was trifft, so stacht ihr in den Büchern

Neugierig mit dem Tasteblick herum,

Ob er was aufstäch, das euch nützen könnte:

Ein Kenntnischen, wohl ein Gedankchen gar,

Das um drei Batzen sich verwerten ließ.

Gelt, war's nicht so?

STUDENT.

Einst, Faust, doch jetzt nicht mehr ...

FAUST.

Nein, nicht mehr, seit ihr zum Professor kamt.

STUDENT.

Der gab den Drang uns zum Zusammenfinden,

Zum Eins in Alles Weben, Faust, der gab

Uns Leben.

FAUST.

Ja, den Samen warf er hin

Als nächsten euch – und schläft der Same noch?

Spürt ihr es nicht: der Frühlingsboden rings,

Im Quellgerinnsel flüstert er und wirbt:

Ihr tragt die Keime, und er weckt sie auf.

STUDENT.

Faust, wir verstehn Euch!

FAUST.

Jünglinge, es ruft

Die Zeit zum Wachen, und das heißt zur Tat.


[67] Der Domherr hat mit einer Gebärde der empörten Verwahrung die Kanzel verlassen, Faust hat sie erstiegen, die Domschüler umdrängen ihn.


Ihr schlanken, strebenden, ihr hebenden Pfeiler,

Ein halb Jahrtausend lang steigt aus den Grüften

Der Ahnen Sehnen schon durch euch empor,

Doch eure goldnen Adern biegen sich

Erlahmend um im blauenden Gewölb.

Noch ist nicht Himmel droben, Farbe ist's,

Auf Stein getüncht – du Kirche auch, du teure,

Bist Leben nur, das noch im Keime schläft.

Ruf' ihrer Kraft, du freies Himmelslicht!

Und nähr' sie hoch, du quellenreiche Zeit!

Daß über den zehntausend Kirchen auf

Die eine wächst, die alle Lande schützt

Mit dem Gewölb, an dem die Sonne geht!


Studenten öffnen das Portal. Lichtstrahl auf die Knieenden. Rufe.


Wir schwören, Faust, wir schwören bis zum Tod.

FAUST.

Ein jeder Schwur geht bis zum Tod. Wir schwören.

Eng und verängstet haben vor den Büchern

Wir all gehockt, ein jeder einzeln, jetzt

Hat die Gefährdung unsres Besten, hat

Die Liebe uns den Weg zur Tat gezeigt.

Und brächen wir des Bischofs Trutzburg nicht,

Wir wenigen, die vielen brechen sie.

So zieht hinaus, eh euch die Schergen fangen,

Ein jeder Sucher, jeder Werber, jeder

Ein Funke Feuer, streut euch übers Land!

Der Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 64-68.
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