Fünfter Auftritt.

[334] Appius vor dem Wachen und Lictoren gehn; nach ihm. Lucius mit Marcus Zeugen und ein paar andern Bürgern.


APPIUS nachdem er sich gesetzet.

Nie, Römer, hielt ich es für nöthiger,

vor Unglück euch zu warnen als anitzt.

Empörung, gestern nur in Worten kühn,

tritt heute schon mit blut'gen Thaten auf.

Der abscheuvolle Mord, den jetzt Icil

an einem der erlauchtsten Bürger Roms

verübt, ist ohne Zweifel euch bekannt.

Noch mehr bekannt muß euch die Strafe seyn,

die Bürgermördern das Gesetz bestimmt.

Ich wünschte, heute noch des Mörders Blut

euch weih'n zu können: doch, genöthiget,

genaue Kenntniß der gräulvollen That

und der Mitschuldigen, erst einzuziehn,

verschieb' ich des Verbrechers Urtheil noch.

Es liegt zu viel daran, daß endlich Rom

ganz von der Frevlerbrut befreyet werde.

die todt nur aufhört seiner Ruh zu drohn.

Ein Trost kann euch indeß die Rache seyn,

die jetzo schon – ein Gott! am Mörder übt.

Sein Zweck bey diesem abscheuvollen Morde

war offenbar, Virginiens Besitz.

Die Schickung will, daß der gehoffte Preis

noch heut ihm wunderbar entrissen werde.

Mit Staunen werdet ihr des Himmels Werk

in Dem, erkennen, was ihr jetzt vernehmt;[334]

erkennen, daß er den Gerechten noch

nach seinem Tod in seinen Rechten schützt.

Du, Lucius, hast nun gerichtlich hier,

was sich mit dir ereignet, vorzutragen!

LUCIUS.

Herr! unterrichtet von des Meuterers

Icil Versuchen der vergangnen Nacht,

bestellt' ich Augen heut, ihn zu bemerken.

Man hinterbrachte mir, er lauschte dort

am Weg', auf dem du stets zum Forum gehst,

bewaffnet, in verdächtiger Gesellschaft.

Sogleich eilt' ich mit ein'gen Wachen hin,

aus seinem Hinterhalt ihn zu vertreiben.

Noch fern von ihm seh' ich schon Schwerter blitzen,

und Marcus Knechte sich in schneller Flucht

mir nähren. Sie berichten mir: ihr Herr,

gewaltsam von Icilen angefallen,

sey, mit ihm kämpfend, in der größten Noth.

Ihm beyzustehn, verdoppl' ich meine Schritte.

Doch eh den Kampfplatz ich erreichen kann,

stürzt Marcus schon zu Boden, und Icil

ergreifst die Flucht. – Umströmt von seinem Blute,

winkt Marcus mich zu sich. »Freund (sagt er mir)

ich sterbe – glücklich noch im Tode Dich

zu sehn. Empfiehl die Rache meines Bluts,

und meine Gattinn, dem Decemvir! – Dir

o theuerster Gefährte meines Lebens!

Dir lass' ich als der Freundschaft letztes Pfand,

Virginien, und all mein Recht auf sie.

Euch Alle, die ihr hier mich sterben seh't,

ruf' ich zu Zeugen dieser Schenkung auf:

macht, daß mein Mörder nicht mein Erbe wird!«

Mit diesem letzten Wort starb er mein Freund,

der Menschheit Freund – und Opfer ihrer Tücke.[335]

Hier mächtiger und durch Gerechtigkeit

berühmter Appius, sind meine Zeugen!

APPIUS.

Ihr Alle saht es, hörtet es?

DIE ZEUGEN.

Ja Herr!

LUCIUS.

Gleich ihnen kann ich dir die Wache selbst

als Zeuginn der ...

APPIUS.

Genug! dein Recht ist klar,

Virginia – war der Entseelte ja

ihr Herr – durch Erbrecht itzt dein Eigenthum

Doch Lucius! – sieh hier den wackern Mann!

Er hat Virginien erzogen, stets

aufs zärtlichste geliebt: du bautest dir

ein Ehrenmaal der Großmuth, ständest du

von deinem Anspruch ab.

LUCIUS.

Verzeih! Die Pflicht

wird nie bey mir der Großmuth Opfer werden.

Des todten Freunds Geschenk verschmähn, wär'

Undankbarkeit, und müßt im Orkus noch

den Zorn des mir so theuern Schattens ...

APPIUS.

Den

versühnt das Blut Icils.

LUCIUS.

Das Blut Icils

lös't nicht die heil'ge Pflicht des Lucius.

Das letzte Wort des ...

APPIUS.

– Wohl! Mein Vorschlag war

nur Wunsch, nicht Fodrung, auch nicht Rath. Doch wirst[336]

du nicht der Sklavinn Herr, so lang Virgin

sich ihren Vater nennt.

LUCIUS.

Sich nennen darf!

APPIUS.

Centurio Virgin, beweise nun,

daß die Gefoderte dein echtes Kind,

und Alles unwahr sey, was vom Betruge

der Numitoria man hier behauptet!

VIRGINIUS.

Hätt' ich mein edles Weib vor dem Gerichte

der Götter, deren Blick durch Herzen schaut

und in den Seelen lieset, zu vertreten;

bald würd' ich die Verleumder ihres Ruhms

mit der, Ihr zugedachten, Schmach bedecken:

doch hier ...

APPIUS.

Hier, wo mit schwachem Menschenauge

der Richter sieht, muß das Gesetz allein,

gleich einem Pharus, ihm die Bahn beleuchten.

Nach Gründen, guter Mann, nach Zeugnissen,

gebeuth mir Roms Gesetz das Recht zu sprechen.

VIRGINIUS.

O hätt' Ein Meineid hier nicht mehr Gewicht

als hundert Gründe, dann siegt' ich gewiß.

Es ist bekannt, daß Numitoria

zwey Kinder eh als dieß geboren hat;

und Marcus dichtet' ihr Unfruchtbarkeit

als den Beweggrund ihres Kaufes an! –

Gesetzt, es wäre der Betrug, deß man

sie zeihet, möglich, da sie doch zur Zeit

der Schwangerschaft mir stets vor Augen war,

warum hätt' einer Sklavinn Kind, und nicht

ein freygebornes sie gekauft – warum[337]

An eines Mädchens statt, nicht einen Knaben?

warum endeckt erst itzt nach sechzehn Jahren

die Sklavinn den Betrug? Und endlich! Wie

kannst du Decemvir selbst, nachdem ihr Stand

gekannt geworden, sie noch würdigen ...

APPIUS.

Genug der Fragen! Wer wird Zweifel Dir

erläutern, da Gewißheit man von Dir

vernehmen will? Wer hier auf Träumereyen

dir Antwort träumen; da dein Gegentheil

Vollziehung der Gesetze heischt? Willst du

beschworne Wahrheit bloß durch Schein entkräften,

so weilen wir zu lang bey diesem Streite

der – Dir nur wichtig – doch um Bürgerblut

schon Rom in Trauer setzt. Ihr Zeugen! schwöret! –

Eid ist den Göttern selbst der Wahrheit Siegel,

Uns heiliger Beweis der Rechte.

VIRGINIUS da die Zeugen vortreten.

– Bleibt! –

Kein Meineid zieh' um Mich der Götter Zorn

auf Rom! Der Eid ist euch von mir erlassen!

APPIUS.

Lictoren! übergebt des Marcus Sklavinn,

nach dessen letztem Wunsch, dem Lucius!


Die Lictoren befolgen den Befehl.


VIRGINIA.

Weh mir! O Vater! rette, rette mich!

VIRGINIUS.

Herr! eh das Schicksal Sie – seit der Geburt

durch ein so festes Band mit mir vereint –

auf ewig von mir reißt, erlaube mir,

daß ich noch Einmal an mein Herz sie drücke,

und in das ihrige – so wund von Schmerz! –

des Trostes und der Hoffnung Balsam gieße![338]

Mit minder Gram kehr' auch ich selbst sodann

um Heere wieder!

APPIUS.

Nie wehrt Appius,

was Trost Unglücklichen zu schaffen dient.

Die Unterredung ist – doch unterm Auge

des Lucius – bewilligt.

VIRGINIUS.

Komm, mein Kind –

zum letztenmal an meine Brust!

VIRGINIA.

O Vater!


Umarmung und Pause.


VIRGINIUS.

Virginia! – hast du noch jetzt den Muth,

wodurch du diesen Morgen mich entzücktest?

VIRGINIA.

Ja Vater! – rette mich!

VIRGINIUS.

Küß meine Wange!


Sie küßt ihn. Er sie.


Stirb unentehrt!


Er stoßt ihr einen Dolch in die Brust.


VIRGINIA niedersinkend.

Dank dir mein Vater! Dank!


Sie stirbt.


APPIUS.

Ha Frevler! welche Wuth!

VIRGINIUS indem er den Dolch zu des Appius Füßen wirft.

Hier Appius!

dieß Blut bring über dich des Himmel Fluch,

der Hölle Grimm!

APPIUS.

– Was, Unmensch, thatest du!

VIRGINIUS.

Ich gab die Freyheit einer armen Sklavinn,

und riß die Tugend aus des Lasters Rachen.[339]

Es donnre nun dein ganzer Zorn auf mich!

ich bin zum Tod bereit.

APPIUS.

Er soll dir werden!

Bald, wüthend Ungeheur! so schreckenvoll

wie deine That! beym Gott des Höllenreichs!

Lictoren, greiffet ihn!


Er geht den Lictoren gelassen entgegen: zu gleicher Zeit entsteht Geräusch unter dem Volk.


Quelle:
Cornelius von Ayrenhoff: Sämmtliche Werke. Band 2, Wien 1802, S. 334-340.
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