10. Schokolade und Zuckerbäckerwaren

[185] Wer in Paris ein Buch schriebe: »Über den Einfluß der Religion auf die Schokolade«, der hätte keine Satire geschrieben, sondern nur abgeschrieben. Seit der Restauration der Heuchelei werden aus Schokolade Kreuze, Rosenkränze, Kruzifixe und andere geheiligte Symbole des Gottesdienstes verfertigt und verkauft, und man hört keine Missionäre gegen solche Entweihungen eifern! ... Doch lassen wir den Pfaffen ihren einträglichen Galanteriehandel und betrachten wir, was aus Kakaobohnen Profanes bereitet wird. Man denke sich einen Papierbogen von der Größe des Moniteurs, aber viel enger gedruckt; aber ganz angefüllt mit Wahrheiten; aber am Ende mit unwandelbaren Kursen, und am Anfange nach dem Titel mit einem Kupferstiche versehen, welcher ein großes Fabrikgebäude darstellt – und man hat eine typographische Vorstellung von dem Prospektus, welchen der Schokoladenfabrikant Debauve im Louvre verteilte. Herr Debauve ist kein gewöhnlicher Schokoladenmacher; er bringt alles in Schokolade und Schokolade in alles; er schokoladisiert das ganze Pflanzenreich. Aus vielen medizinischen Büchern und Journalen zieht er Stellen an, worin seine Fabrikate angepriesen worden. Dabei zeigt er sich so dankbar, daß er alle Pariser Ärzte, die seine Schokolade gelobt, gleichfalls rühmt und sie den Kranken als gute Praktiker empfiehlt. Er holt sogar eine Beweisstelle aus Kotzebues »Erinnerungen aus Paris«, der seiner Schokolade mit großem Lobe gedacht. Der Chocolat analeptique, préparé au salep de Perse, hat dem Fabrikanten selbst vor siebzehn Jahren in einer gefährlichen Krankheit das Leben gerettet. Er ist nicht bloß analeptique, sondern auch béchique und confortatif. »Il[185] a rendu en peu de temps la fraîcheur, les forces et l'embonpoint à des personnes qui ne croyoient jamais les recouvrer; il est en quelque sorte devenu pour elles une véritable fontaine de Jouvence.« Er wird von einem berühmten Pariser Arzte den Gelehrten empfohlen, »qui veulent acquérir à peu de frais de l'embonpoint« (die ehrlichen deutschen Schriftsteller mögen sich das merken). Endlich wird zum Ruhme der Salepschokolade das Beispiel des Herrn Dr. Butini in Genf angeführt, der sein hohes Alter von 87 Jahren nur dadurch erreicht, daß er seit einer Krankheit, die ihn vor drei Jahren befallen, täglich zwei Tassen dieser Schokolade getrunken. Ferner fabriziert Herr Debauve: Chocolat gommeux, béchique et pectoral, préparé au tapioka des Indes; Chocolat stomachique; Chocolat carminatif à l'angélique; Chocolat avec arôme de café, qui est très gracieux; Chocolat antispasmodique à la fleur d'Orange; Chocolat adoucissant au lait d'amandes; Chocolat au soconusco; Chocolat à l'arrow-root; Chocolat au lichen d'Islande; Chocolat vermifuge, préparé au semen contra; Chocolat tonique et emmenagogues à limaille de fer et à la canelle. Auch verfertigt er: Coquilles, cœurs, castagnettes, marrons, pastilles, cylindres, vases et plusieurs autres objets de formes agréables – alles aus Schokolade. Endlich: »les portraits chéris du roi et de la famille Royale«, mit und ohne Vanille das Pfund 10 Fr. 25 Cent. Herr Debauve handelt auch von den verschiedenen Arten, die Schokolade zu kochen, und bringt in Erinnerung, wie ehemals in Frankreich die Nonnen damit verfahren. Da diese nämlich des Morgens lange mit Beten zu tun hatten, kochten sie sich vorsorglich schon den Abend zuvor ihre Schokolade und wärmten sie des andern Morgens wieder auf. Diese klösterliche Schokolade nannte man Chocolat à la Religieuse.

Auch mehrere Zuckerbäcker hatten ihre süßen Kunstwerke zur Ausstellung gebracht, und Kunstwerke sind[186] sie allerdings zu nennen, da sie mehr für das Auge als für den Gaumen bestimmt sind. Die Franzosen sind zu loben, daß ihnen die Optik die erste aller Wissenschaften ist und Akustik die zweite. Der Adel eines Menschen zeigt sich darin, daß er im Hause der Sinne die obern Stockwerke bewohne, daß er alles in Farben und Töne auflöse, feste Nahrungen in flüssige, flüssige in ätherische, ätherische in geistige verwandele. Herr Vernaut, Hoherpriester »au Temple de Pomone« ... »qui après vingt ans d'utiles travaux est parvenu à perfectioner les procédés de l'art du confiseur«, hatte sein Museum mit den herrlichsten Bonbons geziert. Kunstfreunde bewunderten besonders die pastilles d'Ambroisie, »qu'on a bien cherché à contrefaire, mais qu'on n'est point parvenu à imiter.«

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 185-187.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schilderungen aus Paris
Gesammelte Schriften: Band 3. Schilderungen aus Paris (1822 und 1823)