III. Geldschwindsucht

[16] Paris ist ein teures Pflaster, und was dieses Übel noch größer macht, alle Landstraßen, die zur Hauptstadt führen, sind vier Stunden im Umkreise auch gepflastert. Die liebe Natur, mit ihren Wiesen und Feldern, ihren säuselnden Bäumen, ihrer erquickenden Luft, ihrer Milch, ihren Eiern, ihren Kirchweihfesten, Weinlesen und ländlichen Tänzen, ist eine so feine Spitzbübin als ihre städtische Schwester, die Kunst. Es ist leicht in Paris, nicht bloß sein Brot, sondern auch seinen Kuchen, seinen Wein, seine Austern zu verdienen, und was sonst noch der arme geplagte Mensch an Zubereitungen gebraucht, um einst von den Würmern schmackhaft gefunden zu werden. Aber sein Geld in der Tasche zu behalten, das ist schwer – unmöglich, würde ich sagen, wenn das nicht[16] ein Wort wäre, das dreißigjährige Sprachreinigung in dem Wörterbuche der Franzosen ausgestrichen hat. Sich gegen der Verbrauch von Hunderttausenden zu schützen, dafür gibt es ein sicheres Mittel – man braucht sie nur nicht zu haben; wie hält man aber wenige Tausende zusammen? Vergebens schnürt ihr den Beutel mit hundert gordischen Knoten zu, durch zahllose Poren dünstet er unmerklich aus; sein hohes, blühendes Gold verwandelt sich in bleiches Silber; das arme Geschöpf schwindet dahin, es stirbt, wir trauren.

Haben wir in unserer kleinen Heimat die fünf Pforten der Sinnlichkeit verschlossen, dann können wir uns unbesorgt auf die Polster der Tugend niederstrecken; in Paris aber erstürmen die Lüste unser Herz, oder sie schleichen sich verkleidet ein, oder sie suchen sich neue Wege. Man lernt dort wenigstens etwas Psychologie für sein Geld, denn viele Zweige der Begehrlichkeit lernen wir erst kennen, wenn sich Vögel darauf setzen und sie schütteln. In den Mauern kleiner Städte bewahren uns oft Trägheit und Ungeduld vor großen Ausgaben. Möchtet ihr ein neues Kleid haben, müßt ihr dort erst zum Kaufmann gehen und um den Preis des Tuches streiten, dann zum Schneider, der, nachdem er eine Viertelstunde um euch herumgezappelt, um das Maß zu nehmen, euch vierzehn Tage auf den Rock warten läßt, und geht es auf Pfingsten, vier Wochen. Ihr bedenkt diese Weitläufigkeit und unterlaßt den Kauf. Ein teures Buch zieht euch an, glücklicherweise ist es nicht gebunden, und der Buchbinder sagt, wenn es planiert werden solle, müßte er trockenes Wetter abwarten, und er könne nicht bestimmen, bis wann er mit der Arbeit fertig würde. Ihr kauft das Buch lieber nicht. In Paris aber sind Kleider und Stiefel fertig und zu bestimmten Preisen und die Bücher in allen Straßen gebunden zu haben. Alles ist gekocht, gebraten, vorgeschnitten, sogar die Nüsse werden[17] geschält verkauft. Es hilft euch nichts, daß ihr die größere Hälfte des Tages im Zimmer bleibt, es wird euch alles ins Haus gebracht, bis auf das warme Bad und die Wanne dazu. Jetzt geht ihr aus, einen weit abwohnenden Bekannten zu besuchen. Den ersten Platz, wo Mietwagen stehen, seid ihr glücklich vorbeigekommen, auch den zweiten, aber die dritte Gelegenheit findet euch müde zu gehen und zu entsagen, ihr setzt euch ein und bedauert nur, es nicht früher getan zu haben, denn der Preis für eine lange und kurze Fahrt ist der nämliche. Beim Einsteigen ist euch unaufgefordert ein dienstwilliger Mensch behilflich; ihr müßt ihn bezahlen. Beim Aussteigen öffnet euch ein anderer höflicher Mensch den Kutschenschlag, und den müßt ihr wieder bezahlen. Ihr seid in die Nähe der großen Oper gekommen: die Plätze sind teuer, ihr versagt euch dieses Vergnügen, spaziert die Boulevards auf und ab und stellt philosophische Betrachtungen an, die nichts kosten. Jetzt hält euch einer jener tausend Betriebsamen ein Theaterbillet für die Hälfte des Preises unter die Augen. Den letzten Akt der Oper und das Ballet könnt ihr sehen; ihr kauft es. Ihr kommt etwas weit hinten zu sitzen und bedauert, eine neue schöne Tänzerin nicht näher betrachten zu können. In dem Zwischenakte werden Ferngläser zum Verkaufe angeboten; gut, daß man fünfzehn Franken fordert, für weniger hättet ihr vielleicht eins gekauft. Aber da kommt ein anderer, der Gläser auf den Abend vermietet; dieser Ausgabe entgeht ihr nicht. Jetzt ist das Schauspiel geendigt, ihr geht nach Hause, euer Weg führt am Café de Paris vorüber. Die Erfrischungen sind teuer, aber ihr wollt die Abendzeitung lesen. Ihr seid begierig zu wissen, wie Bertons Urteil ausgefallen; ihr tretet hinein, Mitternacht ist da, und ihr seid glücklich, wenn das eure letzte Ausgabe war und ihr an diesem Tage nichts als Geld verschwendet.[18]

Sparsam zu leben fällt hier Menschen von jeder Gemütsart darum so schwer, weil Seele und Leib zu gleicher Zeit verführt werden. Keine sinnliche Lust findet sich so roh und niedrig, daß nicht ein Anhauch geistigen Lebens sie veredelte, und kein geistiger Genuß ist so rein abgezogen, daß nicht eine Beimischung körperlicher Reize seine Lockungen verstärkte. Der ärgste Lüstling, der sonst nie daran gedacht, seinem Geiste Nahrung anzubieten, wird hier ein Freund des Lesens, weil es Blumenwege sind, die ihn zum Ernste führen. Da ist ein Werk tiefsinniger Untersuchungen von Benjamin Constant mit Bitterkeiten gegen die Machthaber überzuckert, wie sie eines jeden Gaumen schmeicheln! Da ist ein neues Trauerspiel, worin erst gestern Talma gespielt! Da erscheint ein Gedicht eines sechzehnjährigen Mädchens, welches die Hingebung der barmherzigen Schwestern während der Pest von Barcelona besingt! Da ein anderes Buch, worin man euch die Geheimnisse der Carbonari verrät, deren es, wie die französische Regierung neulich erklärte, sechzigtausend in Frankreich gibt, alle mit Dolchen bewaffnet, die in Deutschland verfertigt werden! Und dann die zwanzig Blätter, die täglich erscheinen und die nicht gelesen zu haben lächerlich ist! ... Auf der andern Seite werden Menschen besserer Art mit geistiger Lockspeise in den Schlingen der Sinne gefangen. So könntet ihr für weniges Geld euch recht gut satt essen, auch seid ihr genügsam; aber ihr kehrt dennoch bei den teuersten Speisewirten ein, nicht um feinere Leckereien, aber um feine Gesellschaft zu finden. Man ergötzt sich an dem Gemische aller europäischen Völker, Sitten und Sprachen. Dort die grämlichen Engländer, die so verdrossen-emsig die Kinnbacken bewegen, als würden sie mit der Peitsche dazu genötigt; hier die verlegenen Deutschen, die das Herz nicht haben, ein lautes Wort zu sprechen; hier die neuangekommenen Frauenzimmer, die mit Erstaunen die[19] Spiegel und das Silbergeschirr betrachten; hier das drollige Lächeln der Kleinstädter, die zum ersten Male Austern essen! – –

Es ist angenehm, sich in Paris Menschenkenntnis einzusammeln, aber es ist kostspielig. Doch lasse sich darum keiner von dieser Reise abhalten. Wir Männer sind ja darin so gut bedacht! Wo unser Geld aufhört, beginnt unsere Philosophie, und können wir in keinem Tilbury über die Straßen fliegen, gehen wir zu Fuße und sind humoristisch. Aber die Frauen – wer zum Herrschen geboren, entbehrt ungeduldig! Wenn ihnen das Glück nicht aufs freundlichste lächelt, sollen sie die vaterländischen Freuden von Schwalbach und Kannstadt genießen und ja nicht nach Paris kommen.

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 16-20.
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Gesammelte Schriften: Band 3. Schilderungen aus Paris (1822 und 1823)