[H4, Szene 11]

[177] Wirthshaus.

Die Fenster offen, Tanz.

Bänke vor dem Haus. Bursche.


1. HANDWERKSBURSCH.

Ich hab ein Hemdlein an das ist nicht mein,

Meine Seele stinkt nach Branndewein ...

2. HANDWERKSBURSCH. Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in die Natur machen? Vorwärts! Ich will ein Loch in die Natur machen. Ich bin auch ein Kerl, du weißt, ich will ihm alle Flöh am Leib todt schlagen.

1. HANDWERKSBURSCH. Meine Seele, mei Seele stinkt nach Brandewein. Selbst das Geld geht in Verwesung über. Vergißmeinich! Wie ist dieße Welt so schön. Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen. Ich wollt unse Nase wärn zwei Bouteille und wir könnte sie uns einander in de Hals gießen.

ANDRE im Chor.

Ein Jäger aus der Pfalz,

Ritt einst durch ein grünen Wald.

Halli, halloh, gar lustig ist die Jägerei[177]

Allhier auf grüner Heid.

Das Jagen ist mei Freud.


Woyzeck stellt sich an's Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen vorbey, ohne ihn zu bemerken.


MARIE im Vorbeytanzen. Immer, zu, immer zu.

WOYZECK erstickt. Immer zu! – immer zu! Fährt heftig auf und sinkt zurück auf die Bank. immer zu immer zu, Schlägt die Hände in einander. dreht euch, wälzt euch. Warum bläßt Gott nicht die Sonn aus, daß Alles in Unzucht sich übernanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh. Thut's am hellen Tag, thut's einem auf den Händen, wie die Mücken. – Weib. – Das Weib ist heiß, heiß! – Immer zu, immer zu. Fährt auf. Der Kerl! Wie er an ihr herumtappt, an ihrem Leib, er, er hat sie wie ich zu Anfang!

1. HANDWERKSBURSCH predigt auf dem Tisch. Jedoch wenn ein Wandrer, der gelehnt steht an dem Strom der Zeit oder aber sich die göttliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der Mensch? Warum ist der Mensch? – Aber wahrlich ich sage euch, von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der Schaam eingepflanzt, von was der Soldat, wenn Er ihn nicht mit dem Bedürfniß sich todtzuschlagen ausgerüstet hätte? Darum zweifelt nicht, ja ja, es ist lieblich und fein, aber Alles Irdische ist eitel, selbst das Geld geht in Verwesung über. – Zum Beschluß meine geliebten Zuhörer laßt uns noch über's Kreuz pissen, damit ein Jud stirbt.

Quelle:
Georg Büchner: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1–2, Band 1, Reinbek 1967–1971, bzw. München 21974, S. 177-178.
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