Das gesellige Leben

[65] O, wie finden sich die Menschen darein, ihr Leben täglich und freiwillig an Armseligkeiten zu verschwenden, wenn oft ein halbes Jahrhundert dazu gehört, sie mit Geschmack genießen zu lernen, wenn so unendlich viel belehrende und unschuldige Genüsse vor ihnen liegen, nach denen der Geist schmachtet.

Elisabeth von Stägemann.


Viele werden einwenden, wo soll die Zeit dazu herkommen, das Mädchen in der vorgedachten Weise zugleich häuslich und geistig auszubilden? Die Antwort ist sehr einfach. Diese zwei Dinge lassen sich nicht allein in der Erziehung sehr wohl vereinen, sondern auch durch's ganze Leben hindurchführen, aber ein Drittes darf nicht mehr hinzukommen, denn dieses Dritte verschlingt jedes andere Interesse; wer sich ihm ergeben, kann nur noch in der Oberflächlichkeit wurzeln, muß sein Herz schwach und seinen Geist aller Vorurtheile voll werden lassen. Wir meinen das Uebermaß des geselligen Verkehrs.

Von den Zirkeln der vornehmen Welt reden wir hier nicht. Alles zu Sagende bezieht sich immer wieder auf[65] jene Stände, wo Arbeit und geistiges Leben sich die Hand reichen; denn auf deren inniger Vereinigung beruht die ganze Wohlfahrt der Mittelklassen. Für unsern Mittelstand gibt es aber nach Außen und Innen nur noch eine Rettung, diese heißt Rückkehr zur Einfachheit, Rückkehr zu geistigen Genüssen, Wegwerfung der widerlichen Nachahmungssucht der vornehmen Sitten und Gebräuche, die alle unsere Verhältnisse auf den Kopf stellen. Aber an der Spitze der Schaar, die immer weiter vorwärts drängt, immer vergnügungs-, immer genußsüchtiger sich zeigt, je weniger die Verhältnisse diese Begierden rechtfertigen, steht die Frau, dieses eitle, flatterhafte, leichtsinnige Wesen, überall dann, wo ihre edlere Natur nicht geweckt, ihr Drängen nach einem ihr zusagenden Standpunkt nicht richtig geleitet ist.

Wir denken nicht daran, gegen die Geselligkeit überhaupt zu Felde zu ziehen, wohl aber gegen jene Bälle und Soiréen, gegen jene bunt zusammengewürfelten Gesellschaften, welche die wenigsten ihrer Gäste befriedigen, aber Diejenigen immer wieder auf's Neue anlocken, die in ihrer Geistesarmuth sich entsetzen vor jedem Abend, den sie in ihrer eigenen Gesellschaft zubringen sollen.

Das junge Mädchen, das noch halb als Kind in die Gesellschaftssäle eintritt, das von nichts träumt als Tanzen und schönen Kleidern, Anbetern und Huldigungen, für dieses gibt es natürlich kein Lernen, kein Streben nach höherer Ausbildung mehr; es will nur genießen, sucht nur nach lauten Zerstreuungen, und wenige Jahre reichen hin, die besten Anlagen, die schönsten Blüthenkeime auf immer zu zerstören. Man denkt vielleicht, es sei einerlei, ob ein Mädchen mit fünfzehn oder achtzehn Jahren zum erstenmal einen Ballsaal betritt. Gewiß ist dieses nicht einerlei. Der weibliche Charakter entwickelt[66] sich grade in dieser Lebensperiode mit reißender Schnelligkeit, und Nichts ist mehr dazu geeignet, ihm seine natürliche Flatterhaftigkeit, seinen Hang zur Schwärmerei und daraus entspringend zur Lüge zu benehmen, als in diesem Alter eine fortgesetzte, ernste Beschäftigung.

Man kann dem jungen Mädchen auch während dieser Zeit Zerstreuungen und Vergnügungen bieten, die seinem Alter und seinem noch kindlichen Sinn entsprechen und zugleich die Freude an den stilleren Genüssen des Lebens erwecken, statt es für die spätere Einführung in die Welt mit Kinderbällen, Kindermaskeraden und der ganzen Miniaturausgabe des großen, gesellschaftlichen Treibens einstweilen zu entschädigen.

Ein wahrer Mißstand ja noch mehr ein Grundübel des deutschen Mädchenlebens, ist der Gebrauch sie im 15ten oder 16ten Jahr einen Winter lang eine gemischte Tanzstunde besuchen zu lassen. Was würden wir dazu sagen, wenn Dergleichen nicht bei uns, wohl aber in Frankreich geschähe? Wir können nicht mit Bestimmtheit behaupten, daß dieser Gebrauch sich überall findet, namentlich ist uns dieses nicht bezüglich Norddeutschlands, wo man die Mädchen überhaupt später in die Gesellschaft einführt, bekannt. In Süddeutschland jedoch herrscht an vielen Orten die Sitte, namentlich in den Familien des Mittel- und besseren Bürgerstandes, ihre Töchter nach der Konfirmation, und diese erfolgt bei uns in der Regel nach dem 14ten Jahre, einen winterlichen Tanzcursus durchmachen zu lassen, in welchem sie anfänglich allein, dann wenn die Anfangsgründe überwunden sind, mit jungen Herrchen, sagen wir besser Knaben von 16–17 Jahren zusammen tanzen. Diese Tanzübungen finden natürlich des Abends statt, es muß besondre Toilette dafür gemacht sein; kostspielige Bouquets werden den[67] Dämchen durch die Herrchen geschickt, die dann Tags über fleißig vor den auserwählten Schönheiten Fensterparade machen, und ihnen begegnen, wenn sie in die Nähstunde gehen, welche die gewöhnliche und für die nothwendige Konversation und die Herzensergießungen, beste Ergänzung der Tanzstunde bilden. Daß die »schöne, erste Zeit der jungen Liebe« sich unter solchen Auspicien sehr frühe meldet und schon im März oder April erblüht anstatt im Mai, entspricht der Natur der Sache. Leider aber folgt nur zu oft dem frühen Lenze, nach Heine's unvergleichlichem Wort »ein grünangestrichner Winter. Dem Knaben schadet es vielleicht weniger; er mag, wenn er sonst fleißig ist, die gute, verlorne Zeit, wieder einholen, denn daß in dieser Tanzstundezeit wenig oder nichts gelernt wird, wird jeder Lehrer zugeben, das Mädchen indessen holt sie selten mehr ein, kommt selten wieder gründlich über den Bruch hinaus, der durch diese zu frühe Einführung in die Welt des Gefallens und der Eitelkeit, des erregten Gefühls in ihrer ganzen inneren Entwicklung erzeugt wird.

Bei beiden Geschlechtern jedoch, bleibt selbst im besten Falle, eine gewisse Blasirtheit zurück, in der Zeit der eigentlichen Jugendfülle und Jugendkraft, wo der Verkehr der beiden Geschlechter, wo Tanz, Sang und Spiel, durch physischen und geistigen Schwung gleichmäßig belebt werden, da ist man ihrer bereits überdrüssig.

Junge Männer über zwanzig Jahre tanzen kaum mehr, und wenn man ein ebenso altes Mädchen fragt, ob sie einen Ball besuchen wird, so antwortet sie achselzuckend; sie tanze nicht gerne mit Knaben! –

Nun gibt es allerdings viele Eltern, die über diesen Mißbrauch vernünftigere Ansichten gewonnen haben, namentlich hinsichtlich ihrer Töchter, warum sie mit den[68] Söhnen anders verfahren, wird dahin motivirt, daß die jungen Leute einige Tournure im Umgang mit jungen Mädchen erlernen müßten. Dies würden sie aber ganz ebenso und noch besser lernen, wenn die Eltern in befreundetem Kreise öfter mit ihren jungen Leuten zusammenkämen, und sie in harmlos einfacher Weise unter ihren Augen verkehren ließen; es würde kaum mehr kosten, als die Tanzstunde, die Bouquets und was noch Alles daran hängt.

Leider sehen wir die Vorsicht vernünftiger Eltern oft beeinträchtigt durch das Beispiel der Anderen; ein einziges Tanzstundmädchen bringt den ganzen Kreis ihrer Freundinnen in Aufregung, wenn dieselben die Tanzstunden auch nicht besuchen. Hoffen wir recht sehr, daß eine durchgehends ernstere Mädchenerziehung, eine Erziehung, die nicht einzig und allein die Ehe zum Zielpunkt hat, denn damit hängen doch alle diese Mißbräuche zusammen, auch darin auf bessere Wege leitet. – Doch sind wir weit davon entfernt, damit auch zugleich den Unterricht im Tanzen verwerfen zu wollen, man soll ihm nur die richtige Zeit anweisen. Alle physischen Kräfte müssen möglichst frühe entwickelt werden, damit dadurch später die geistige Entwickelung nicht gehemmt wird. Wie die weiche Hand des Kindes die technischen Schwierigkeiten in der Musik schnell überwindet, so schmiegt sich die Elasticität des kindlichen Körpers am leichtesten in die rythmischen Bewegungen des Tanzes, und wird ihm die Anmuth, welche dadurch erzeugt werden soll, natürlich. Außerdem wird mit 10 – 11 Jahren das Vergnügen mit der ganzen Harmlosigkeit betrieben, die es verdient und kann man ohne Gefahr auch einmal hie und da Mädchen und Knaben sich zusammen herumschwenken lassen, vorausgesetzt, daß man[69] beide Theile nicht wie zwergartige Ballpuppen herausstaffirt. In zwei Wintern, zu welcher Jahreszeit ohnehin weniger geturnt wird, können sie in solcher Weise genug tanzen lernen, um für ihr ganzes Leben damit auszureichen. – So viel bleibt gewiß, ein durchgebildetes, achtzehnjähriges Mädchen tritt ganz anders in die Welt, als jene hinaufgeschraubten jungen Damen, die eigentlich noch in die Kinderstube gehören. In diesem Alter ist der ganze Stolz der Frau in ihm erwacht, der bei dem halben Kinde noch fast im Schlummer liegt, und dieser Stolz muß in der weiblichen Natur mit allen Mitteln gehegt und gepflegt werden, denn er ist ihr bestes Erbtheil, und er allein verleiht das Bewußtsein weiblicher Würde und Kraft. Dieser Stolz ist der Frau das Bollwerk ihrer Schwäche und oft zu weichen Hinneigung, und jede Schmeichelei, jede Lockung der Eitelkeit prallt von der Seele ab, die ihn ganz besitzt. Mais c'est la flatterie qui courbe si bas ces têtes ardentes et légères, sagt G. Sand mit nur zu großer Berechtigung. Darum sollen wir diese Schmeichelei von den Ohren unserer Mädchen fern halten, bis sie stark genug sind, sie zu verstehen.

Mit bescheidener, aber würdiger Anmuth tritt das verständige, durchgebildete Mädchen in die weiteren Gesellschaftskreise. Es hat nicht nöthig, erst Alles von der Gesellschaft zu empfangen, durch diese etwas zu werden, denn es fühlt sich bereits als wirkenden Theil der Gesammtheit, kennt höhere Freuden, bessere Genüsse und wird immer wieder von den rauschendsten Vergnügungen in die wohlgeordnete Häuslichkeit, in der es erzogen, mit innerer Freude und Zufriedenheit zurückkehren. Es spricht von selbst und ist unvermeidlich, daß für jedes Mädchen, sobald es in das gesellige Leben eintritt, ein paar Jahre[70] größerer Unruhe kommen, in denen es weniger als vorher und nachher sich selbst leben kann! Grade darum ist es aber so wichtig, es erst dann hinaus gehen zu lassen, wenn es bereits eine gewisse geistige Reife erlangt hat.

Es würde eben so verkehrt sein, ein Mädchen ganz von den gewöhnlichen, geselligen Vergnügungen zurückzuhalten, als wir es verkehrt finden, es zu früh und zu viel darin einzuführen. Gott behüte uns vor jenen altklugen Dämchen, die den Tanz und ein muntres Spiel verachten und die Nase bei einem heiteren Scherz rümpfen. Natürliche und einfache Wesen erfreuen sich mit Recht an den Freuden der Geselligkeit, wir eifern nur dagegen, daß man sie zur Hauptsache mache.

Aber außerdem muß die Frau auch Erfahrung und Beobachtungsgabe gewinnen, so gut wie der Mann, und dieses kann sie nur draußen, im Verkehr mit der Welt. Diese Eigenschaften werden ohne allen Nachtheil erreicht für jedes Mädchen, das seinen festen Anker und Haltpunkt in seinem Hause und seiner geistigen Bildung hat. Die Welt bildet es dann, aber verdirbt es nicht.

Doch wie muß es gehen mit Jenen, die nur glänzen und gar Nichts leisten können? Vom Gesellschaftswirbel fortgerissen, finden sie sich nach kurzer Zeit steuer- und rathlos auf offener See. Mit jedem Winde treibt dort die große Masse von Frauen und Mädchen dahin, die Krämpfe und Migräne bekommen, wenn sie für den Abend keine Einladung haben, dagegen die wunderbarste Gesundheit besitzen, sobald es sich um einen Ball oder eine Gesellschaft handelt und Dinge mitmachen, welche selbst die stärksten Nerven einer an Thätigkeit gewöhnten Frau erschüttern würden. Es ist überhaupt merkwürdig, wie Mädchen, die bei keiner Lustbarkeit ermüdeten,[71] plötzlich in der Ehe an Nervenschwäche und allen möglichen Uebeln zu leiden anfangen und kaum die leichteste, häusliche Arbeit vertragen. Die Hitze in der Küche und im Bügelzimmer sind unerträglich, während die Hitze eines Ballsaals gar nichts bedeutet, und Unlust an der Arbeit, Unmuth darüber lassen kaum mehr die lieblichen Gesichter erkennen, welche so freundlich unter dem Blumenkranz in den Locken hervorlächelten. Wie viel Unzufriedenheit, wie viel Unbehagen wohnt oft in der prächtig ausgestatteten Wohnung junger Eheleute, und aus keinem andern Grunde, als weil die Frau Nichts sein und Nichts vorstellen kann, als die vergnügungssüchtige Salondame.

Dem Frieden, welchen eine geregelte, zwischen geistigen Freuden und materiellen Sorgen getheilte Thätigkeit verleiht, kommt kein andrer gleich. Der angeborene Drang nach Beschäftigung kann auf eine Zeitlang von dem gesellschaftlichen Müßiggang überwuchert werden, aber er stirbt nicht. Wie ein mahnendes Gespenst steht er oft plötzlich vor den Blicken der in eitlen Vergnügungen erschlafften und blasirten Frau. Inmitten der rauschenden Freuden regt es sich oft wie Ekel in ihrem Innern, es ist ihre Strafe, daß sie zuweilen es fühlen muß, sie sei Nichts, als die bunte Seifenblase, die im nächsten Moment vergeht, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und dies glauben wir fest, zum Besten unseres Geschlechtes; im Moment, wo wir dies niederschreiben, würden wohl Tausende gern die Kränze der Eitelkeit aus den Locken ziehen, und würden gerne zur Einfachheit und Thätigkeit zurückkehren, wenn sie es nur anzufangen wüßten. Aber unwissend und unerfahren müssen sie weiter treiben auf dem geselligen Strome, und alle Laster, alle Gebrechen, welche diese blasirte, hinaufgeschraubte[72] Geselligkeit mit sich bringt, prägen sich leicht jenen von Natur weichen Herzen und Charakteren ein, welchen die Erziehung versäumte, den inneren Halt zu verleihen.

Man sagt mit Recht, wenn eine Frau fehlerhaft und lasterhaft, sei sie es immer in höherem Grade, als der Mann. Natürlich! Grade jene Eigenschaften des Gemüthes, welche bei der Frau vorherrschen und sie befähigen, im Höhepunkt ihrer Entwickelung das menschlich Schönste zu erreichen, grade jene Eigenschaften rufen in ihrer anderweiten Entfaltung den traurigsten Contrast hervor gegen das, was sie werden könnte.

Ein Mann, sei er auch noch so oberflächlich, hat doch gewöhnlich noch eine ernstere Beschäftigung, die ihn in Anspruch nimmt. Bei der nur in der Gesellschaft lebenden Frau finden wir dies niemals.

Stets den kleinlichsten Interessen der Eitelkeit und des Egoismus hingegeben, versinkt ein derartiger weiblicher Charakter zuletzt in eine solche Erbärmlichkeit des Strebens, daß man sich nur mit dem tiefsten Mitleid davon abwenden kann.

Der weibliche Geist, weniger scharf und durchdringend, als mehr mit den feinsten Fühlfäden der Empfindung begabt, wird um so gefährlicher, als ihm, eben in seiner unvollendeten Ausbildung, halbe Thatsachen, halbe Erfahrungen genügen, um eine Geschichte, etwas Fertiges daraus zu machen. So entstehen nun jene lügenhaften, leichtfertigen Wesen, die unbekümmert darum, ob und wie viel sie schaden, das Höchste wie das Gemeinste in den Bereich ihrer Zunge ziehen. Keines höheren Aufschwungs, keines tieferen Verständnisses fähig, geht zum großen Theil aus ihrer Mitte jene erbärmliche, niedrige Gesinnung hervor, welche die moderne Gesellschaft so[73] vielfach durchdringt und charakterisirt, und deren fauler Hauch auf Jahre hinaus die edelsten Bestrebungen vernichten kann. Es ist uns leid um die Frau, welche nur für die häuslichen Verrichtungen erzogen wird, aber dreifaches Mitleid haben wir mit derjenigen, die nur in der Gesellschaft eine Stelle einzunehmen weiß. In der Kleinlichkeit der Lebensanschauung begegnen sich freilich Beide; der Mangel an ernster, geistiger Beschäftigung, oder mindestens an Respekt vor ihr, rufen die nämlichen Mängel des Herzens und Gemüthes hervor. Ob in einer gewöhnlichen Kaffeevisite oder im glänzend erleuchteten Salon geklatscht wird, bleibt sich in seinen Folgen ganz gleich. Der moralische Werth solcher Frauen ist der nämliche.

Aber Nichts verödet mehr den Geist und vertrocknet mehr das Herz, als dieses fortwährende Haschen nach äußeren Vergnügungen. Die beste Seele muß dabei oberflächlich und gesinnungslos werden. Die schöne Umgangsform, für jeden gebildeten Menschen unerläßlich, ist dann nicht mehr Mittel, sondern nur noch Zweck; unter dieser Maske birgt sich die Mittelmäßigkeit, die Unwissenheit, die Niedrigkeit der Gesinnung und geht triumphirend voran, während das wirklich Gute vergessen am Wege steht. Es ist eine der ersten Erziehungspflichten, dem Mädchen jenes glänzende Phantasiebild »Gesellschaft«, das die jungen Herzen so magisch anlacht, in seiner wahren Gestalt zu zeigen.

Conservez, si vous pouvez, les interêts qui vous attachent à la société, mais cultivez les sentiments qui vous en séparent! Die Gesellschaft nivellirt Alles, sie kann in ihrem Kreise nur das dulden, was ihr nie widerspricht, sich ewig fügt, ewig schmiegt, jeder Narrheit oder Mode des Tages huldigt, nur glänzen und[74] genießen will. Jede ernstere Prüfung ihrer Elemente muß sie auf's Entschiedenste zurückweisen, weil dies ihr Tod sein würde, und wer diesem Moloch ganz dienen will, muß ihm unbedingt seine besten Gefühle und Ueberzeugungen opfern.

Aber die Geselligkeit und die Gesellschaft sind schwer von einander zu trennen, und es würde schwierig sein, eine bestimmte Gränzlinie zwischen beiden zu ziehen. Auch hierin ist, wie in allen Dingen, der wahrhaft gebildete Mensch sich selbst Gesetz. Diejenige Frau, welche Besseres in sich trägt, wird die Gesellschaft nicht fliehen, aber dennoch nie deren Sclavin sein. Sie wird jene Geselligkeit pflegen, welche, entfernt von der täglichen Vergnügungssucht, uns nicht zwingt, mit Jedem zu verkehren, wer er auch sei, weil wir um jeden Preis Genossen der Lust brauchen; sie wird ihre Freunde verständig wählen, durch ihren eignen höheren Zauber dem Kreise, in dem sie lebt, auch ein höheres geistiges Gepräge aufdrücken und zu ihrer Zufriedenheit nicht des Schwarmes der Außenwelt bedürfen.

Was das Gesellschaftsleben bisher an dem Familienleben verbrochen, das muß durch edle, verständige Frauen wieder gut gemacht werden.

Es wird wahrlich für unsern Mittelstand, und besonders den höheren, Zeit, jener kindischen Nachahmung der großen Welt zu entsagen, welche ihrerseits wenigstens mit ihrem geselligen Treiben häufig die nöthige geistige Bildung zu verbinden im Stande ist, weil ihr Zeit und Mittel dazu nicht fehlen. Aber nun sehe man unsere Mädchen an, deren Eltern nicht zu den Reichen und Vornehmen gehören, wie sie sich oft wochenlang abmühen, um sich eine Toilette zu verschaffen, welche sich der einer vornehmen, eleganten Dame annähert. Es[75] muß wirklich schlecht bestellt sein um den geistigen Drang eines Mädchens, das seine Mußestunden nur zur Befriedigung einer, seinen Verhältnissen nicht entsprechenden, äußeren Eitelkeit verwendet, welche es vorzieht, eine gestickte Kante aus dem Kleide hervorsehen zu lassen, statt den Geist weiter zu bilden und mit unvergänglichen Gaben zu schmücken. Die äußeren Bedürfnisse der Frauen sind auf eine unleidliche Höhe gestiegen. Um ihnen zu genügen, wird Studium, Lectüre, werden die häuslichen Pflichten vernachlässigt, und zwar bloß deshalb, keineswegs aber weil es an der nöthigen Zeit dazu fehlt. Es ist gewiß ebenso lächerlich, als verderblich, in der Toilette über seine Verhältnisse hinauszugehen und sich selbst abzuquälen für einen äußeren Flitter, welcher der reichen Dame durch dienende Hände hergerichtet wird und mithin keine Zeit für ernstere Dinge raubt. Wenn man in unsren Kreisen heute so häufig eine ganz ungerechtfertigte Eleganz und Ostentation in der Kleidung erblickt, dann hört man gar oft entschuldigend sagen: Ach, sie macht sich Alles selbst! Aber darin liegt ja eben die Verkehrtheit, daß man dem wirklich Schönen und Guten die Zeit raubt, um sie für äußeren Tand zu vergeuden. Denkt doch an Göthe's schönes Wort: Eines schickt sich nicht für Alle! Aber heute soll sich im täglichen Leben Alles für Alle schicken, und das ist ein schlimmes Ding. In dieser Beziehung haben die Muster und Modezeitungen viel auf dem Gewissen und zu verantworten. Man wird freilich entgegnen, daß Niemand gezwungen ist, sie zu halten, und sich nach ihnen zu richten, aber es liegt eine gewaltige Verführung für Frauen und Mädchen darin, mit Hülfe, der ihnen gebotenen Muster und Anleitungen, ihre Garderobe ohne Ende umzuarbeiten und umzustürzen, als ob es nichts[76] Wichtigeres auf der Welt gäbe, wie dieses beständige Schneidern und Herumdüfteln. – Weil nun aber diese Blätter ohne Zweifel auch ihre große geschäftliche und industrielle Bedeutung haben, ist es nur der gesteigerte Ernst bei der Frau, welcher auch hier die schädlichen Einflüsse neutralisiren, sie von Putzsucht und Modethorheit zurückhalten muß. –

Moden, für den Salon und die Equipagen erfunden, zieht die Geschmacklosigkeit ja, wir sagen es unverholen, der Drang, für mehr zu gelten als man ist, auf die Straße und in's Haus. So schwindet die Uebereinstimmung zwischen den äußeren und häuslichen Verhältnissen immer mehr. Die Frau des Mittelstandes, welche in ihrem Hause ohne wichtige Abhaltung immer so gekleidet sein sollte, daß die Einfachheit ihres Anzugs sie in ihrer Pflichterfüllung unterstützt, aber dabei doch so nett und anständig erscheinen läßt, daß sie Jedermann empfangen und ohne besonders Toilette zu machen, auf die Straße gehen kann – diese Frau wird immer seltner. Zu Hause häufig unordentlich und nachlässig, verwendet man nicht eher Sorgfalt auf die Toilette, als bis man sich vor den Augen der Welt zeigt; dann rauschen kostbare Stoffe, fliegen die Spitzen, und wer der stattlichen Dame begegnet, weiß wahrlich nicht, ob er eine hochgeborne Gräfin oder eine Frau oder Tochter aus den soliden Mittelklassen vor sich hat. Wir können es uns nicht versagen an dieser Stelle den alten griechischen Dichter Simonides, der vor länger als zweitausend Jahren die Frauen, zu unserm großen Leidwesen, in nicht gerade sehr schmeichelhafter Weise besungen hat, zu citiren. Er sagt von der Putzsüchtigen:


»Doch Manche stammt vom blanken, mähnumwallten Roß,

Die hält sich Magdarbeiten fern und harte Müh'n!«[77]

Zweimal, ja dreimal öfters wäscht sie jeden Tag

Sich blank und überthauet sich mit Salbenduft.

Des Haares reiche Fülle trägt sie ewig glatt,

Und Blumen gießen ihren Schatten dr'über hin.

Ein schöner Anblick also ist ein solches Weib

Für And're, doch ein Uebel ihrem eignen Mann,

Wenn er kein Herrscher, oder Scepterträger ist,

Der sein Gemüth an Solcherlei erfreuen mag!«


Mit der übertriebenen Kostbarkeit des Anzugs scheidet sich die Frau zunächst von ihren praktischen Pflichten ab. Entweder muß sie im Hause unschön erscheinen, oder sie kann nicht ungehindert das Räderwerk des Haushalts überwachen, kann nicht, wo es nöthig wird, selbst Hand anlegen. Aber dies ist noch lange nicht Alles; der Glanz, welchen man nach Außen zur Schau trägt, soll auch im Hause, mindestens äußerlich, aufrecht erhalten werden. Es ist wahrhaft komisch, oft in bürgerlichen Haushaltungen jene Vornehmthuerei zu erblicken, die auch nicht entfernt in die Verhältnisse paßt. Kostbare Möbel und zierliche Nippesgegenstände sind sehr schön, sehr an ihrem Platz in Salons und Gesellschaftszimmern, welche nur zu diesem Zwecke geöffnet werden. Die Zimmer jedoch, welche nicht zum Besuch, sondern zum täglichen Gebrauch bestimmt sind, sollten auch demgemäß eingerichtet sein. Wie manches Wohnzimmer trifft man heut zu Tage so überfüllt mit Albums und kostbarem Unsinn, daß man nicht weiß, wo die Leute eine Tasse, oder ein Glas hinstellen, wo ihre Arbeit Platz findet, ja, wie sie es wagen können, dort ihre Kinder um sich zu haben. Aber man drückt sich lieber, so lange kein Besuch da ist, in einem kleinen Eckchen zusammen, man legt sich die lächerlichsten Entbehrungen und Unbequemlichkeiten auf, um ja nicht bei einem ehrlichen Nähzeug oder einer Mahlzeit überrascht zu werden. Es gibt eine Sorte von[78] Hausfrauen, die mit Angst und Sorge diesen äußeren Schein aufrecht erhaltend, wenigstens dahinter noch einigermaßen ihre Pflicht erfüllen. Diese müssen wir ihres verkehrten Strebens wegen belächeln, da sie sich natürlich nicht mit Freiheit und Behaglichkeit in einem Kreise bewegen, dem das Gleichgewicht fehlt. Man mißverstehe uns hier nicht! Die Hausgeschäfte sollen sich keineswegs zu breit machen, aber man soll sie in einfachen bürgerlichen Kreisen eben so wenig mit Aengstlichkeit verstecken, ja sich ihrer gewissermaßen schämen, weil es nicht vornehm ist. Man kann selbst das Gewöhnlichste mit Anstand und Geschmack ausführen und braucht somit das Auge keines zufällig Erscheinenden zu scheuen.

Aber jene Hausfrauen, bei denen der äußere Glanz nur ein jämmerliches Innere verbirgt, verdienen soviel Mitleid, als Tadel. Um der äußeren Repräsentation zu genügen, um in einer Soirée die feinsten Speisen, die besten Weine auftischen zu können, oder auch um fast täglich Gäste bei sich zu haben, endlich um in glänzender Toilette zu erscheinen, dafür gibt man sich oft Monate lang beinahe einem halben Hunger Preis. Man blicke hinter die Coulissen dieser glänzenden Außenwelt – welche Dürftigkeit, welcher Geiz beherrschen dort das Feld und rufen ein Unbehagen hervor, durch das es vollkommen erklärlich wird, wie man immer wieder nach Außen strebt, um das innere Elend zu vergessen. Schlechtes Weißzeug, schlechte Küche, Knickerei an den Dienstboten und den nöthigsten Lebensbedürfnissen, dies ist die Kehrseite der schimmernden Medaille. Dann fühlt sich der Mann an jedem anderen Orte wohler, als am eignen Herde, und wir begreifen es vollkommen, wie die Kinder, bei aller äußeren Politur, nur roh und gemein denken und empfinden können, und ebenso flatterhaft, ebenso vergnügungssüchtig[79] werden, wie die Mütter, die so schlecht ihre Pflicht an ihnen erfüllen.

Aber nicht genug, daß diese Richtung die Familie untergräbt, sie untergräbt auch die bürgerliche Gesellschaft. Wäre es eine einzelne Klasse, die derselben huldigte, sie würde bald genug dem Richterstuhle der Lächerlichkeit verfallen sein, aber polypenähnlich streckt jener Schwindel seine Arme durch alle Schichten der Gesellschaft. Die Wenigen unter allen Ständen sind fast zu zählen, welche den Muth und die Rechtlichkeit besitzen, ganz ihren Verhältnissen gemäß zu leben. Nun ist aber gewiß die Wirthschaft verächtlich, wo die Ausgaben sich nicht nach den Einnahmen richten. Wenn es bloß lächerlich ist, nach Innen zu darben, um nach Außen zu glänzen, so ist es ein Diebstahl an der arbeitenden Klasse, einen Luxus zu treiben, den man ehrlicherweise nicht bestreiten kann.

Hier also, ihr verheiratheten Frauen, ist einer der Puncte, wo ihr wahrhaft nutzbringend für die menschliche Gesellschaft wirken könnt. Wenn euch die häusliche Beschränkung zu enge erscheint, wenn ihr gerne für's Ganze thätig sein möchtet, hier beginnt euere wirkliche Pflicht nach Außen, hier seid ihr Dienerinnen der Gesammtheit, wenn eure Redlichkeit sich davor entsetzt, auf Kosten Derer zu glänzen, die für euch arbeiten und deren Kinder den Ertrag dieser Arbeit bedürfen. Was kann uns die geistreichste, die schönste und liebenswürdigste Frau sein, wenn wir wissen, daß der arme Handwerker, der Kaufmann, vergebens an ihre Thüre pochen, um den wohlverdienten Lohn zu empfangen. Wie sehr zieht sich unser Herz zusammen beim Anblick dieses geborgten Luxus, dieser Außenseite, welche kaum das ärmlichste Innere verbirgt. Und wozu dient diese Hohlheit[80] und Erbärmlichkeit, die eine Generation nach der andern zusammen mit dem Wohlstand der producirenden Klassen ruinirt, wozu, als um der jämmerlichsten Eitelkeit Genüge zu leisten?

Das Herz, welches es über sich bringt, auf Kosten seiner fleißigen Nebenmenschen zu schwelgen, der Charakter, dessen Rechtlichkeitssinn nicht lieber jeden äußeren Tand von sich wirft, als daß er den Verdienst Dessen schmälert, der sich für ihn abmüht, sie können beide nicht mehr gut und schätzenswerth sein, auch wenn der Geist seinen größten Zauber darüber auszubreiten wußte. Weg mit dieser banalen Liebenswürdigkeit, die nur lächeln kann und immer lächeln und nichts ist, als eine leere Phrase ohne Gemüth und Gehalt.

Ihr Frauen, werdet harmonisch in Allem, so auch in eueren Einnahmen und Ausgaben! Bringt Uebereinstimmung in euer häusliches und äußeres Leben, und die gute Hausfrau, die gute Mutter, das tüchtige Mädchen werden auch zugleich die besten Bürgerinnen sein, indem sie die Rechte ihrer Mitmenschen achten und über die sogenannte »gute Gesellschaft« nicht die bürgerliche ruiniren![81]

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. LXV65-LXXXII82.
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