»Warum o armes Herz«

[64] Warum, o armes Herz,

Willst du so tief versenken

Dich in Erinnerungsschmerz,

Und weinend nur gedenken

An Alles, was du je

Geliebet und besessen,

Kannst der Enttäuschung Weh

Denn niemals du vergessen?


O, sieh auf's Leben frei,

Als wär' es eine Bühne:

Am bunten Mancherlei

Zu freuen dich erkühne;

Warum willst du allein

Die Treue stets bewahren?

Mach' es wie Andre fein,

Lass' hin, lass' hin sie fahren!


Pflück' heute dieses Blatt,

Und jene Blume morgen,

Und bist du ihrer satt,

Dann wirf' sie ohne Sorgen[65]

Hinweg, so hat man dich

Ja weise auch belehret –

Ein Thor nur fraget sich,

Ob er ein Herz verheeret!


Genieße, spricht die Welt,

Genieße rasch das Neue,

Wenn's nicht mehr dir gefällt,

Geh' von ihm ohne Reue!

Und wahrlich, sie hat Recht,

Drum werde klug mein Herze –

Sei wen'ger warm und ächt,

Verlache und verschmerze!

Quelle:
Luise Büchner: Frauenherz. Berlin 1862, S. 64-66.
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