Die Schatzgräber

[239] Ein Winzer, der am Tode lag,

Rief seine Kinder an und sprach:

»In unserm Weinberg liegt ein Schatz,

Grabt nur darnach!« – »An welchem Platz?« –

Schrie alles laut den Vater an.

»Grabt nur!« – O weh! da starb der Mann.


Kaum war der Alte beigeschafft,

So grub man nach aus Leibeskraft.

Mit Hacke, Karst und Spaden ward

Der Weinberg um und um gescharrt.

Da war kein Kloß, der ruhig blieb;

Man warf die Erde gar durchs Sieb,[239]

Und zog die Harken kreuz und quer

Nach jedem Steinchen hin und her.

Allein da ward kein Schatz verspürt

Und jeder hielt sich angeführt.


Doch kaum erschien das nächste Jahr,

So nahm man mit Erstaunen wahr,

Daß jede Rebe dreifach trug.

Da wurden erst die Söhne klug,

Und gruben nun Jahr ein Jahr aus

Des Schatzes immer mehr heraus.

Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 239-240.
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