An den Traumgott

[34] Zu Schwärmer um die Ruhebetten

Von Moos und Flaum,

O Brüderchen der Amoretten,

Geliebter Traum!

Wo fandest du, sie nachzubilden,

Den Stoff so fein? –

In überirdischen Gefilden

Gewiß allein!


Zu freundlich nur für Adelinen

War dies ihr Bild.

Wann wäre sie mir selbst erschienen

So sanft, so mild? –

Verkündigst du wohl noch mir Armen

Barmherzigkeit? –

Nein! nein! sie fühlet kein Erbarmen

In Ewigkeit!


O Traumgott, ist es ja dein Wille,

Mir wohlzuthun,

So wandle deine schöne Hülle,

Und kleide nun

Dich in ein Wesen, wie das Meine.

Von Gram verzehrt,

Und wie ein Leidender erscheine,

Der Trost begehrt.


Den Schatten laß mein Bildnis gleichen,

Die still bei Nacht

Durch Hallen und um Gräber schleichen.

In Trauertracht,[34]

Mit hagrer Wang' und einer Miene,

Die Gnade fleht,

Tritt hin zu dieser Adeline,

Die mich verschmäht;


Und neige dich mit leisen Tönen

Bis an ihr Ohr;

Zähl' ihr die Seufzer und die Thränen

Der Liebe vor;

Und bring' in Aufruhr ihr Gewissen!

Ihr Schlaf entflieh'!

Und schluchzend unter Zährengüssen

Erwache sie!


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 34-35.
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