Des Schäfers Liebeswerbung

[70] Für Herrn Voß vor seiner Hochzeit gesungen


Komm, biß mein Liebchen, biß mein Weib!

Und fodre Lust und Zeitvertreib,

So oft und viel dein Herz begehrt,

Und Garten, Flur, und Hain gewährt.
[70]

Bald wollen wir von freien Höhn

Rund um die Herden weiden sehn,

Und sehn der Lämmer Fröhlichkeit,

Und junger Stiere Hörnerstreit;


Bald hören, durch den Birkenhain,

Das Tutti froher Vögelein,

Und, an des Bächleins Murmelfall,

Das Solo einer Nachtigall.


Bald rudern auf bekränztem Kahn,

Den See hinab, den See hinan;

Bald Fischchen angeln aus der Flut,

Bald locken junge Vögelbrut;


Bald atmen auf der Maienflur

Den Balsam blühender Natur;

Bald, um die dünnbebuschten Höhn,

Nach Erd- und Heidelbeeren gehn.


Ein Blumengurt, ein Myrtenhut

Kühlt Liebchen vor des Sommers Glut.

Ist Liebchen müde, bett' ich's gleich

Auf Moos und Thymiänchen weich.


Ein Wams, verbrämt mit Schwanenfell,

Mit Knöpfen von Krystallen hell,

Ein Röckchen weiß, aus zarter Woll',

Aus Lämmchenwoll' es tragen soll.


Und hüpfen soll's in Saffian,

Mit goldnen Spänglein auf dem Spann,

Und weißen Strümpfchen, fein gestrickt,

Mit Blumenzwickeln ausgeschmückt.


Im Maimond tanzt ein Schäferchor

Dir hundert frohe Reigen vor.

Behagt dir dieser Zeitvertreib,

So biß mein Liebchen, biß mein Weib!


Ich sing' und blas' auf meinem Rohr

Dir täglich Lust und Liebe vor.

Ist das für Liebchen Zeitvertreib,

So biß mein Liebchen, biß mein Weib![71]

Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 70-72.
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