139. Fahrsamenbesitzer und Banner.

[105] Beiläufig vor vierzig Jahren diente ein Eschelbacher Bursch als Bauernknecht in Waldangelloch, welcher vom Teufel sich Fahrsamen verschafft hatte und daher fahren konnte, wie und wohin er wollte. Oft jagte er mit schwer beladenem Wagen und vier Pferden steile Bergabhänge hinab, und wenn dabei das Gefährt auch ganz auf die Seite hing, so stürzte es doch niemals um. Einst kam er mit einem Wagen Frucht in die Scheuer, und da er Niemand fand, ihm zum Abladen zu helfen, fuhr er die senkrechte Leiter hinauf auf die Obertenne und warf dort die Frucht ab. Während dessen kam der Bauer in die Scheuer, aber als er das Fuhrwerk oben sah, eilte er schweigend hinaus. Nach beendigtem Geschäft fuhr der Knecht wieder die Leiter hinunter, ging zu seinem Herrn und sagte ihm: »Das war ein Glück, daß ihr in der Scheuer kein Wort gesprochen habt, sonst wäre ich mit Wagen und Pferden hinabgefallen.«

Auf die Bitte eines Freundes, ihm auch Fahrsamen zu verschaffen, begab sich der Bursch, um 11 Uhr in der Christnacht, mit ihm auf einen Kreuzweg. Dort machte er auf dem Boden einen Kreis, stellte sich mit dem Andern hinein und ermahnte ihn, ja keinen Laut von sich zu geben, es möge kommen, was da wolle. Hierauf zog er ein Büchlein hervor und fing an, stille darin zu lesen. Gegen halb 12 Uhr hörten sie ein Getöse wie vom wilden Heer durch die Lüfte ziehen, jedoch ohne etwas zu sehen, oder sich dadurch irren zu lassen. Nach diesem[105] drohte ein Mühlstein, an einem dünnen Faden hängend, auf sie herabzustürzen; aber er störte sie ebenso wenig, als eine heran rasselnde vierspännige Kutsche, deren Führer sie vergebens um die Entfernung nach dem nächsten Orte fragte. Als dieselbe schon eine Weile davon gejagt war, kam einer in einer großen Holzschüssel mühsam herbeigerutscht und sprach zu ihnen: »Kann ich die Kutsche noch einholen?« Da mußte der Freund des Burschen laut lachen, und sogleich erhielt er von letzterem eine derbe Ohrfeige, mit den Worten: »Dummkopf! jetzt hast Du Dich durch dein Gelächter um den Fahrsamen gebracht.«

Eben dieser Knecht verstand sich auch meisterlich auf das Bannen. Eines Sonnabends besuchte er mit einem Waldangellocher ein Mädchen im Engelwirthshaus zu Menzingen, wo er zwölf Bursche aus dem Ort antraf. Dieselben schlichen nach und nach davon, woraus der Waldangellocher merkte, daß sie ihm und seinem Gefährten draußen auflauern wollten. Als er es diesem entdeckte, beruhigte ihn derselbe, und ging erst um 11 Uhr mit ihm hinweg. Eine Viertelstunde von Menzingen fanden sie alle die Bursche, mit Aexten, Mistgabeln, Prügeln bewaffnet, regungslos, in verschiedenen Stellungen, am Wege stehen. Auf Zureden des Eschelbachers betrachtete dessen Begleiter die Gebannten ganz in der Nähe, wobei er vergebens versuchte, einem derselben die Tabakspfeife aus dem Munde zu ziehen. Nach Verfluß einer halben Stunde setzten sie ihren Weg fort, und als sie nicht mehr weit von Waldangelloch waren, sagte der Knecht zu dem Andern, eben habe er die Bursche von dem Banne befreit. Bei seinen nachherigen Besuchen in Menzingen blieb er von Jung und Alt unangefochten.[106]

Zufällig hatte er einst sein Zauberbüchlein bei einem Bekannten liegen lassen, der es in die Hände bekam und durchblätterte. Das Meiste konnte er nicht verstehen; ein Bannspruch aber war ihm deutlich, und er las ihn ab, um ihn an einem Mann zu versuchen, welchen er an einen Zwetschgenbaum sich lehnen sah. Alsbald erstarrte der Mann und mußte so neun volle Stunden bleiben, da der andere den Bann nicht wieder zu lösen vermochte. Zum Glücke kam der Knecht, um sein Büchlein zu suchen, und als er den Vorgang erfahren, las er den Spruch von hinten nach vorn her und befreite dadurch den Mann, der, wenn dies nicht noch vor Sonnenuntergang geschehen wäre, in Asche würde zerfallen seyn.

Als der Eschelbacher sich schon lange in seinem Geburtsort niedergelassen hatte, mahlte er einmal Nachts mit einem Mann aus Waldangelloch in der Michelfelder Mühle. Da kamen einige Ratten herbei, blieben aber, zur großen Verwunderung des Mannes, gleich regungslos sitzen und ließen sich von ihm anrühren. Auf die Bitte des herzugekommenen Müllers bannte der Eschelbacher noch mehrere Ratten, und nachdem er sie in das Wasser geworfen hatte, sagte jener zu ihm, er wolle ihm jedes Vierteljahr einen Zentner Mehl geben, wenn er dafür die Mühle von den Ratten jeweils säubere. »Nein, das thue ich nicht«, erwiderte der Eschelbacher, »denn ich habe einst ein Reh gestellt, und dasselbe hat darauf so heftig geweint und mich so kläglich angeschaut, daß ich es gleich wieder frei ließ und mir vornahm, kein Thier mehr zu bannen. Heute habe ich zwar dem Mann da einen Spaß machen wollen, aber sonst gebe ich mich nicht mehr mit solchen unrechten Dingen ab.«

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 105-107.
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