387. Heunen am Main.

[341] Auf das Geschlecht der Riesen folgte jenes der Heunen, deren viele vor Alters in der Maingegend von[341] Freudenberg bis Heubach wohnten. Sie aßen aus der riesenhaften Steinschüssel, die auf dem Berge gegenüber von Bürgstadt, auf der rechten Mainseite, liegt, und an welcher die Heunenlöffel sich befinden. In einiger Entfernung davon sind die Felsenstühle der Heunen, und auf dem Scheitel des Berges steht der ungeheure Steinaltar, worauf dieselben ihren Götzen opferten. Gegenüber, auf der linken Mainseite, liegen im wilden Bergwald die beiden steinernen Heunenfässer, und unterhalb Miltenbergs, auf dem Heunenberge, die Heunensäulen, deren es in allem vierzehn sind. Sie haben Griffe zum Umwenden und sollten die Steinpfeiler einer Brücke werden, die die Heunen dort über den Main1 oder, wie manche sagen, über das ganze Thal, von der Höhe des Heunenbergs bis auf den Gipfel des Engelsbergs, bauen wollten. Andere dagegen behaupten, die Säulen seien für den Götzentempel bestimmt gewesen, welcher unten am Heunenberg gestanden hat. Der Weg, worauf die Heunen zu dem Tempel wallten, wird noch heute der Wallweg genannt. An den Säulen, den Fässern und der Schüssel arbeiteten die Heunen zu gleicher Zeit und warfen sich dabei die Hämmer, Schlägel, Meißel, je nachdem sie sie bedurften, über das Thal zu. Wenn die bei den Säulen Durst hatten, tranken sie aus dem Heunenbrunnen, welcher oberhalb der Heunenwiese hervorquillt. Die Stärke der Heunen war so groß, daß einer allein eine solche Säule forttragen konnte.

Einst hob einer von ihnen einen mächtigen Felsen[342] mit der einen Hand in die Höhe, trug ihn darin auf dem Heunenpfad fort und setzte ihn, als er müde war, ab und sich darauf. Der Felsen, Heunenstein genannt, liegt noch jetzt auf dem Platze, zwischen Ebenheid und Freudenberg, und die Eindrücke der Hand und des Hintern des Heunen sind deutlich daran zu sehen.

Ein ander Mal nahm eine Heunenfrau, welche noch keine Menschen gesehen hatte, vom Rüdenauer Feld einen Bauer nebst dessen Pflug und zwei Ochsen in ihre Schürze und brachte ihn ihren Kindern mit den Worten: »Da habt ihr einen Vogel zum Spielen!« Von ihrem Mann wurde sie jedoch belehrt, daß es kein Vogel, sondern ein Mensch sei, worauf sie ihm wieder die Freiheit gab.

Als in der Folge die Menschen sich stark vermehrt hatten, vertrieben sie, in einer Nacht, die Heunen aus der ganzen Gegend, in der jetzt, außer den erwähnten Denkmälern, nur noch Knochen dieses gewaltigen Geschlechts gefunden werden.

Fußnoten

1 Dies findet sich auch in Grimm's deutschen Sagen, 1. Thl., Nr. 19.


Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 341-343.
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