405. Die Wettenburg.

[358] Eine halbe Stunde oberhalb Wertheims, auf einem Berge, den der Main auf drei Seiten umfließt, lag vor Zeiten ein stattliches Schloß, die Wettenburg genannt. Seine letzte Besitzerin, eine geizige Gräfin Namens Walpurg, wollte einen Theil des Flusses auch um die vierte Seite des Bergs leiten und diesen dadurch zu einer Insel machen, welche den Bettlern unzugänglich[358] wäre. Sie beschwerte hierdurch ihre Unterthanen mit drückenden Frohnarbeiten, und als jene sie um Schonung baten, und der Schloßvogt ihr vorstellte, daß es Gott mißfalle, wenn der Lauf, den derselbe dem Main gegeben, geändert werde, erwiederte sie: »Es mag Gott lieb oder leid sein, so wird mein Vorhaben ausgeführt, und so wenig ich diesen Ring wiedersehe, so wenig unterbleibt es!« Bei diesen Worten zog sie einen Ring vom Finger und warf ihn in den Fluß. Noch am Abend desselben Tages, wo auf der Burg ein Gelag sein sollte, fand der Koch den Ring in einem frischgefangenen Karpfen und brachte ihn der Gräfin, die sorglos bei ihren Gästen saß. Bei Erblickung des Rings erschrack sie heftig; es erfolgte ein fürchterlicher Blitz und Donnerschlag, und das Schloß mit der Gräfin und allen andern Leuten darin versank in die Tiefe des Berges.

Alle sieben Jahre, am Untergangstag der Burg, zeigt sich dieselbe auf dem Grund des Mains, und Kinder goldener Sonntage sehen auf dem Berg, da, wo das Schloß gestanden, eine Höhle und daneben einen Felsen, worin ein großer Ring abgedruckt ist. Auf diesen Ring legte einst ein Küfer sein Bandmesser und schlief nachher ganz in der Nähe ein. Beim Erwachen sah er weder Felsen noch Messer mehr; aber nach sieben Jahren fand er beide wieder, als er an dem gleichen Tage dahinkam.

Ein Schäfer, welcher sich vor dem Regen in die Höhle geflüchtet hatte, verfiel darin in Schlaf; als er erwachte, waren unterdessen siebenmal sieben Jahre verflossen, und er traf zu Hause alles ganz verändert.

Zu dem tiefen Schachte, der, nach Versinkung der Burg, auf deren Platz geblieben, kam einst der Schäfer[359] von Kreuzwertheim und sah darin, gleich oben, eine eiserne Handhabe befestigt, von welcher eine Eisenstange abwärts ging. An dieser ließ er sich, so weit sie reichte, hinab und stieg dann an der Wand, worein bis ganz hinunter Tritte gehauen waren, auf den Grund des Schachtes. Er befand sich in einer hellen, leeren Stube, und als er weiter ging, kam er noch in einige solche Zimmer. Endlich begegnete ihm eine kleine alte Frau und führte ihn, durch viele prächtige Gemächer mit kostbarer Einrichtung, in eines, das voll Todtenköpfe und Todtengerippe war, und von da in einen schönen Garten, worin sie ihn allein ließ. Hier mußte er, da er keinen Ausgang mehr fand, längere Zeit bleiben, während welcher die Frau öfters zu ihm kam und ihn mit köstlichen Speisen und Getränken bewirthete. Endlich entdeckte er einen unterirdischen Gang und gelangte durch ihn, am Fuße des Bergs, ins Freie. Als er nach Hause kam, wollte seine Frau gerade Hochzeit machen. Sie hatte ihn längst für todt gehalten; denn nicht sieben Tage, wie er geglaubt, sondern sieben ganze Jahre war er im Berge gewesen. Während dieser Zeit war ihm der Bart bis zum Gürtel gewachsen.

Einigen Buben aus Kreuzwertheim, die in der Nähe des Schachts Rindvieh hüteten, kam die Lust an, zu wissen, wie es im Berge aussehe. Zu dem Ende drehten sie ein Seil aus Lindenbast und ließen daran einen von ihnen in den Schacht hinab. Wenn er an dem Seil zöge, sollten sie ihn wieder hinaufziehen. Er kam in eine Stube, worin um einen Tisch mehrere Männer und Frauen in alter Tracht regungslos saßen und mit den Gesichtern auf dem Tische lagen; ebenso starr waren zwei schwarze Hunde auf Truhen hingestreckt, in[360] deren Schlössern die Schlüssel staken. Von Grausen erfaßt, ließ er sich schnell hinaufziehen, erkrankte, und starb nach wenigen Tagen.

Als der Schacht schon ganz verschüttet war, sah der Kreuzwertheimer Hirt daselbst eine Menge der schönsten Erdbeeren stehen. Er pflückte alle ab, und fand sie später in viel Geld verwandelt.

Zu dem Bauer im letzten Haus des Dorfes Eichel kam einst in der Nacht ein unbekannter Mann und versprach ihm einige hundert Gulden, wenn er ihn jetzt auf den Berg führe und ihm zeige, wo das Schloß gestanden. Der Bauer ließ sich nicht darauf ein, brachte aber, als es Tag geworden, den Fremden, gegen ein gewöhnliches Trinkgeld, dahin. Um den ganzen Platz der ehemaligen Burg zog derselbe einen Kreis; ob er später noch etwas gethan, ist unbekannt.

Auf dem Platz des Schlosses kommt weder Holz noch Gras fort. Man sieht dabei noch den Burggraben und, unten im Thal, die Spuren der angefangenen Mainleitung. Im Innern des Berges ertönt zuweilen Glockengeläute.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 358-361.
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