VI.

[78] Er erzählt gern, unter den Freunden, wenn vom Weibe verhandelt wird, mit Schmähung meist und sehr verächtlich – dann erzählte er seitdem immer wieder den »Fall Fifi« als einen beweiskräftigen für die Gewalt der Liebe: wie sie sich ihm, nur einmal deutlich ihres Dranges, schlicht und einfältig hingegeben, ohne erkünstelte Scham, ohne falsche Zier, ohne marktschreierisch erst ihren Wert anzukündigen, in einem ganzen, vollen und echten Gefühl; so, bei aller natürlichen Verworfenheit, vermag die Frau reines und selbstloses Opfer, wenn sie nur liebt; aber dieses freilich ist wenigen Männern gegeben, Leidenschaft zu wecken, weil dazu eine besondere, große und kühne Natur gehört, und dann statt ihre eigene Ohnmacht und Erbärmlichkeit klagen sie die armen Dinger an, die doch ganz unschuldig sind, im Grunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Den hätte sie gut zugerichtet, vor vier Wochen, damals, als sie ihn kennen lernte, – aber schon gehörig mit Hohn und Entrüstung, wenn es ihr einer voraussagte. Eine von diesen werden, verloren und[79] verächtlich – nicht für ein Schloß! Nein, darin verstand sie keinen Spaß. Heiraten – anders gab's mit ihr kein Geschäft. Da mochte sich einer auf den Kopf stellen, noch so schön.

Durchaus nicht. Liebe? Ja, und dann sitzt eine da mit der Schande auf dem Buckel und vielleicht gar einem Bankert noch obendrein, womöglich.

Nein, nein – verlorene Mühe. Durchaus nicht.

Und schon gar nicht – wie einer nur so dumm sein konnte, sich das einzubilden! – So einen Maler ... auf welche gar kein Verlaß ist, bekanntlich ... und dermaßen verdreht ... und ein Ausländer auch noch. Das hätte schon ein ganz anderer Prinz sein müssen, der sie versuchen konnte – wie man's in den Märchen liest, was Feines. Aber dieses schlottrige Gestell – und wie er erst angezogen war, schauderhaft, aus aller Mode, Faschingsdienstag.

Und auch dieses, man sah es gleich: überhaupt kein ernsthafter Mensch. Er war so furchtbar komisch – was er oft für Meinungen hatte, und auch sein Accent und halt überhaupt das Ganze und wenn er gar erst mit dem Zärtlichen anfing – na, wenn sie da unten alle so waren, da unten an der Donau, bei Rußland –. Aber es mochte wohl noch ein sehr wildes Land sein.

Nein, mit ihm hatte es keine Gefahr. Das wenigstens war sicher.

Und gerade deshalb.

Gerade deshalb gab sie ihm Antwort, gab ihm Wiedersehen, Woche um Woche, Tag für Tag. Gar[80] keine Gefahr und so viel Vergnügen. Denn wenn er keiner zum Heiraten war, zur Unterhaltung, dafür, ja, war er ganz vorzüglich.

Und sauer genug, wahrhaftig, durch vierzehn Stunden alle Tage, atemlos in den Nebel hinaus, kaum noch die Röcke eilig gebunden, daß es nur gerade über die Straße hielt, und die Schuhe richtig zu knöpfen war schon gar nicht zu denken, sondern nur den ersten und den letzten und einen in der Mitte, und das Frühstück noch kaum hinunter geschlungen und nur gelaufen, mit dieser diebischen Angst, denn vom Lohne fraß jede Verspätung, und dann ohne Rast die Leitern hinauf und hinab, tausendmal, zwischen den Kisten und Kasten, im Staube, und immer gehorsam und demütig und dankbar immer, als wär's noch weiß Gott welche Gnade, sich so schinden zu dürfen für diese dreißig Hungerfranken, und kein Mensch fragte, ob man auch heute g'rad' aufgelegt war, und jetzt einem Handschuhe anpassen, der die Finger nicht spreizen will, und der andere suchte zwei Stunden die schönste Krawatte und am Ende war sie zu teuer, und alle machten das dümmste Gesicht und keinem sollte man's sagen – ah, redlich genug, wahrhaftig, und manchmal wollte es schon gar nicht mehr Abend werden und gar nimmer neune schlagen, redlich und sauer genug, mein lieber Gott, verdiente sich das bißchen Vergnügen, das Plaudern und das Lachen die Viertelstunde am Abend.

Lachen, ja. Wenn sie nicht lachte, lebte sie nicht. Sonst hatte man ja nichts. Darin badete sie Verdruß[81] und Kummer weg. Es kam ihr gleich das Weinen an, wenn sie nicht lachen durfte.

Lachen, lachen – und das war mit ihm in tausend immer neuen Neckereien ein Lachen ohne Ende, unermüdlich, unerschöpflich, aus dem Zwerchfell und bis zu Thränen. Komischeren Menschen konnte man sich nicht denken, so pudelnärrisch und verwurstelt, mit seinen Einfällen und Geschichten. Und wenn er gar erst die ernste Note schlug, dann wollte sie platzen, wenn er den Feierlichen und Großartigen machte.

Und das war es, was sie brauchte, so etwas.

Sonst lieber gleich in die Seine.

Wirklich, manchmal dachte sie es ernstlich. Die Cousine trieb's zu arg, das Scheusal.

Nämlich gerade solche boshafte Sachen. Ohne Sinn, nur einen zu quälen und mutwillig jede Laune zu verderben, ganz überflüssig, als ob es nicht ohnedies schon notwendigen Verdruß genug gäbe, unvermeidlichen. Und nur immer an einem herumgepenzt, mit Lehre und Vorschrift, bis man ganz dumm wurde davon, und nichts war recht und das Keifen rastete niemals. Und »ein wohlerzogenes Mädchen läßt den Kamm nicht auf dem Kamin, alle Haare daran« – als ob das jemandem was geschadet hätte, die paar Goldfäden! – und »ein wohlerzogenes Mädchen wirft nicht Mantel und Hut aufs Bett und den nassen Schirm über den Tisch, daß ein ganzer See davon wird« – wär' sie nur einmal drin ersoffen! – und sicher, wie einen was vergnügte, was es nur sein mochte, gleich, ganz gewiß, »schickte sich das nicht«[82] und lauter solche Dummheiten, die keinen was angingen, da man doch in der Republik war, wo jeder thut, was ihn freut; und »wohlerzogen«, das ist recht schön, wenn man Geld genug und sonst nichts zu thun hat, da kann man sich die Zeit damit vertreiben.

Und nur ja keine Freude jemals, als wäre das gleich das schlimmste Verbrechen, einmal heiter und froh zu sein, mit Springen und mit Tanzen. Das reine Kloster – aber da faulenzen sie sich wenigstens gehörig aus. Und nur arbeiten, arbeiten immerfort wie ein Karrenhund und nichts als arbeiten ohne Hoffnung, als ob man dazu allein nur auf der Welt wäre.

Und da weinte sie manchmal aus Mitleid mit sich selber, in der Nacht, wenn sie jäh erwachte, weil es ihr einfiel, daß sie doch eigentlich gar nichts hatte vom Leben und recht zu bedauern war. Und immer gleich sollte das so fort gehen, Tag für Tag, ein Jahr wie das andere, bis ihre ganze Jugend verpaßt wäre, und sie wußte sich gar keine Hilfe – denn wo heiratet denn heute einer noch ein armes Mädchen!

Oh, ihr Gewissen war in schönster Ordnung. Besseres fand man nicht leicht. Sie wußte ganz genau die Grenze, die das gute Recht von unerlaubten Launen scheidet. Da brauchte man keine Angst zu haben. Wenn ihr nicht gerade die Cousine die Ohren anbimmelte wie eine Roßfliege, daß ihr der Verstand scheu ausriß vor lauter Verdruß und sie am liebsten nur gleich dreinhauen wollte. Dann freilich stand sie für nichts – da war alles möglich.[83]

Sie wollte sicher nichts Schlechtes. Ah, wenn sie Schlechtes gewollt hätte, daran fehlt's einem wahrhaftig nicht in der großen Stadt, wenn man jung und hübsch, und dann ist auf einmal gleich alles da, Geld und Glück und was man sich nur wünscht, man braucht sich's nur zu wählen – wenn man schlecht sein wollte. Da hat man's wahrhaftig nicht nötig, sich vierzehn Stunden Arbeit lang zu rackern, sondern ein kleines Hotel und vierspännig mit einem Mohren und Spargel das ganze Jahr, sogar im Winter.

Aber nein! Lieber gestorben. Keinem mehr ehrlich ins Auge schauen können, denn das merkt sich ja doch gleich; und freilich, das ist schon wahr, freilich stehen sie im Gil Blas, hochberühmt und wunderschön beschrieben, unter lauter Gräfinnen, aber die Polizei geniert das gar nicht; und zuletzt – man war doch nicht von heute, sondern vieles lernte sich im Magazin – das schmutzige Krankenhaus, zerfressene Nase und den Gaumen ganz verfault.

Niemals, niemals!

Nein, sie hörte nicht auf die Versuchung. Sie blieb brav. Sie hielt was auf sich.

Sie fuhr fort zu arbeiten, bescheiden und geduldig, immer ergeben, ohne Murren, bis in die Nacht, im schwülen Gase, das Schwindel gab, bis ihr die Kniee brachen, bis ihr die Kehle erstickte, bis sie das Fieber warf.

Brav bleiben – ja, das wollte sie. Wenn es auch manchmal hart ankommt, es ist doch das gescheiteste zuletzt. Brav bleiben, mutig und zähe. Nicht[84] nachgeben, wenn man manchmal auch alles hinwerfen möchte. Es geht schon wieder vorüber. Und sie sind auch gar zu schauderhaft häßlich, glatzköpfig und alt meistens, die einem das Aushalten antragen – nein, brav bleiben, arbeiten, hoffen.

Aber wenn sie ihre Pflicht that, dann, dafür, verlangte sie auch ihr Recht und das ließ sie sich nimmermehr einreden, daß die einen nur immer sich rackern sollten und die anderen nur immer sich vergnügen. Schöne Gerechtigkeit! Man war doch endlich sozusagen auch ein Mensch, und rechtschaffenes Fest nach rechtschaffener Arbeit, das war nur billig.

Soll sie brummen, die Cousine.

Aufs Jahr war sie ohnedies einundzwanzig. Dann – empfehle ich mich ergebenst!

Aufs Jahr, aufs Jahr!

Durchbrennen – manchmal dachte sie daran – hätte sie freilich auch schon können. Wer findet einen denn in der großen Stadt und überanstrengt hätte sie sich mit dem Suchen ohnedies nicht. Aber nur, das war es, dann mußte sie aus ihrem Platz weg und wie, bis sie einen neuen fände, ja wovon einstweilen sollte sie leben?

Ja, das war es. Das überfiel sie, auf diesen hastigen Wanderungen, wenn der Zorn sie hinaus jagte, nachts, mit Verwünschungen, ohne Ziel, wie die Zigeunerinnen laufen, wenn das Blut in ihnen ruft, nur vorwärts, blind vorwärts, nimmermehr zurück, durch das enge und schwarze Gegasse der alten Stadt, zwischen gierigen Blicken und schmutzigen Anträgen[85] und lüsternen Griffen, von den Händlerinnen verfolgt und von den Zuhältern bedroht – diese entsetzliche Angst des Hungers und der Schande fiel über sie, drosselte ihr die Kehle und schleifte sie wieder zurück, immer wieder, trotz allen Schwüren, immer wieder zurück in den nadeligen Hohn der Cousine. Ah, das verfluchte Geld, das verfluchte Geld!

Bleiben, ausharren. Mit verbissenen Zähnen. Aufs Jahr, aufs Jahr!

Aber gefallen ließ sie sich nichts mehr, nichts mehr dreinreden. Mochte sie belfern! Zum einen Ohr hinein und zum andern wieder hinaus – und sie that, was ihr gefiel, und wenn sich vor Kummer und Schmerz alle Cousinen der Welt erhängten. Punktum!

Ihr Recht ließ sie sich einmal nicht verkümmern, das giebt's nicht – man wäre schön dumm. Und es war ihr Recht und nichts als ihr Recht, was sie begehrte: das bißchen, das lächerlich bißchen Vergnügen. Und sie würde es schon durchsetzen, das wollte sie doch sehen, wenn sie nur zähe und unnachgiebig und unerbittlich blieb. Sie würde sich die Cousine schon erziehen, warte nur, mit der Zeit – sind ganz andere schon mürbe geworden. Durch Zank und Fehde, wenn's nicht anders ging – man mußte ihr nur die Haare auf den Zähnen zeigen. Mit dem Gutmütigen kommt man nicht durch heutzutage.

Kampf, hartnäckig und unverdrossen, heimlichen, meuchlerischen, listig schleichenden Kampf, alle Tage, vom Morgen zum Abend, Kampf um die Freude![86]

Aber es dauerte nicht lange, da ward ihr der Kampf selbst eine Freude, unverhofft und von seltsamem Reize aller Sinne, aller Nerven, und gierig, wie einen herben tropischen Geruch, schmeckte sie die Wollust, wehe zu thun und Wunden zu stechen, mit tückischen, verstohlenen Griffen, hinterrücks, während die Lippen Freundschaft grinsten.

Und sie fing an – ah, sie kannte ja die Cousine, »als ob sie sie gemacht hätte« – mit dickem Blaustift große, breite Ringe in die Augenlieder zu kreisen, weil die Cousine das »schauderhaft Cocotte« fand.

Und sie fing an, jedem Zudringlichen Neigung zu heucheln und einen Liebesbrief abzubetteln, weil vor diesen gewaltsamen und ungestümen Männerschriften, welche die Begierde aufblies, die Cousine bei jeder neuen Post vor Klage und Verdruß ganz aus dem Häuschen kam.

Und sie fing an, unschuldig von Miene wie ein herziges Lämmchen, indem sie die Äuglein ganz winzig kniff, in den abscheulichsten Worten, wie sie sie unter den Packträgern des Magazins zusammenkehrte, von den abscheulichsten Dingen zu schwatzen, vor denen sie selber lieber gleich davongelaufen wäre, als von etwas Natürlichem und Selbstverständlichem, wie schon das Leben einmal ist, und ganz verwundert, daß eines so altmodisch sein könnte, sich daran zu stoßen – nur die Cousine zu erbosen, zu verbittern, zu empören.

Sie sollte es nur auch einmal sehen, wie das ist.

Und wie sie das prickelte, kalt und warm zugleich, vom Nacken hinunter über den ganzen Leib, wenn sie[87] dann endlich aufklappte wie ein Federmesser, vor Wut, die dürre Cousine, als wollte sie ihr ins Gesicht springen und gleich die Nase wegbeißen! Sie sollte es nur probieren! Dann konnte sie sich aber ihre Perrücke suchen, drei Wochen lang, und in allen Winkeln die Fetzen zusammenklauben!

Zwicken, stechen, kratzen – warte nur, Du sollst es schon spüren.

Bis sie ihr auf einmal wieder, in einem plötzlichen Anfall von Schreck und Mitleid, um Verzeihung an den Hals flog, mit zerknirschter Reue und in heißen Thränen, heiligen Eiden, daß sie es gewiß nimmer thun werde; besonders wenn draußen schönes Wetter war: denn sie konnte niemandem böse sein, wenn die Sonne schien.

Ah, wenn sie ihr da ein gutes Wort gegeben hätte, ein einziges gutes Wort einmal, Liebe und Trost! Man hätte so schön und angenehm zusammen leben können, wenn man sich vertrug und eines dem anderen half, das Böse zu vergessen und hie und da ein bißchen Freude zu genießen! Und da hätte man sich abends am Kamine zusammengesetzt, ganz dicht, und freundliche Geschichten erzählt, während die Lampe schnurrte, und sich an den Maßliebchen die Zukunft ausgezupft, ob sie einen nicht doch vielleicht ein ganz klein wenig gern haben würde, später einmal.

Ein einziges versöhnliches Wort einmal – sie lechzte mit fieberischem Durste. Ein einziges versöhnliches Wort – und alles war vergessen und vergeben und alles wurde noch gut. Sie wollte ja gewiß brav[88] und folgsam sein und nimmermehr aufmucken, wenn gleich Verdrießliches geschah, weil man's halt einmal tragen muß.

Sie war doch nur deswegen so boshaft, manchmal ruppig und zänkisch, weil sie lieber lustig gewesen wäre.

Aber nein, wie sie auch flehte und rang, kein Wort jemals, keine leise Silbe der Liebe!

Freilich, zuletzt, aus manchen Zeichen konnte sie es spüren: im Grunde liebte die Cousine sie trotz alledem. Aber davon hat man nichts, wenn's einem nicht gesagt wird. Das braucht man, daß es einem fleißig wiederholt wird, in kräftigen Versicherungen. Ohne das kann man nicht leben. So eine geheime Liebe, die sich versteckt, die heißt gar nichts.

Und wenn man Liebe und Freude daheim nicht fand, dann natürlich, suchte man sie eben draußen, ganz einfach. Die Schande war doch auch zu groß, daß sie noch niemals auf der Seine gefahren und auf die Julisäule gestiegen war; man durfte es ja gar niemandem sagen. Sondern immer nur in diesen dummen Jardin d'Acclimatation, an ihrem Geburtstage, alle Jahr; aber von dem bißchen Kameel wird man auch nicht fett.

Und damit hatte es angefangen, mit dem Trotz gegen die Cousine und mit der Begierde nach der Freude, daß sie ihm Ja sagte und zum Wiedersehen kam. Sie hatte einen sehr schlauen Plan: sie wollte es ihm von einem Mal auf das andere versprechen, und so, ohne sich herzugeben, konnte sie viel Vergnügen[89] von ihm gewinnen. Bis er es endlich überdrüssig, na, dann mußte sie sich halt um einen anderen umsehen.

Damit hatte es angefangen, und sie wiederholte es sich alle Tage, daß solche ehrbare Freude gewiß nichts Schlechtes, sondern erlaubt war, nützlich sogar für die Arbeit, welche ihr ganz anders von der Hand lief, wenn liebliche Hoffnungen sie begleiteten. Das war man sich schuldig, sich nicht ganz zu versauern, sondern etwas zu thun für seine Jugend. Und das ging keinen Menschen was an, keinen auf der ganzen Welt, am wenigsten eine Cousine, was ohnedies nur so eine Verwandtschaft zum Du-Sagen ist und zu nichts weiter.

Damit hatte es angefangen, und sie war ganz sicher, daß es bei diesem Anfang bliebe, erstens weil sie Grundsätze hatte und zweitens weil sie heiraten wollte, um selber ein kleines Geschäft aufzuthun, und drittens weil sie ihn ja gar nicht liebte.

Zuerst, da lachte sie ja überhaupt bloß, wie er nur so närrisch sein konnte, ihr das zuzumuten; später, manchmal, in einsamer Kammer, wenn das Licht gelöscht und sie unter die kalte Decke geschlüpft war, in holder Erinnerung, wie schmeichlerisch und buhlerisch er ihr zugeredet hatte, da prüfte sie sich ernsthaft, ob es sich nicht vielleicht doch machen ließe, ihn zu lieben, weil er ihr leid that und sie sich schämte, sein Vertrauen zu betrügen. Wenn er auch freilich nicht schön war – aber was kauft man sich denn eigentlich für die Schönheit? – war er doch sicher herzensgut und[90] mußte sie wohl recht gern haben: denn jedesmal brachte er Rosen, die wunderschönsten Rosen, große gelbe zumal, die gar nimmer verwelkten – und der Cousine stiegen sie in die Nase, daß sie bersten wollte vor Argwohn – und einmal, als sie sich versteckte unter den Hallen, neugierig, was er begänne, da hatte er zwei Stunden gewartet, geduldig, an der Laterne, der Wind blies, zwei volle Stunden, und war nur ganz selig und dankbar, ohne Vorwurf, daß sie am Ende überhaupt kam. Ja, gut war er schon – wenn er nur nicht so komisch gewesen wäre, gar so drollig verwutzelt! Man konnte doch gar keinen Respekt vor ihm haben. Und das gehört dazu.

Nein, sagte sie sich dann immer wieder, es ging mit dem besten Willen nicht. Und was sollte dabei auch herauskommen?

Schön mußte es freilich sein, sehr schön, jemanden zu haben, der einen liebte und dem man's erwiderte. Es war vielleicht zuletzt ganz gleich, mit wem, wenn man überhaupt liebte. Sie hatte eine große Sehnsucht, gegen irgendwen recht gut zu sein – und mit den anderen konnte man es ja nicht, weil sie es nicht verdienten.

Verdient hätte er es, ganz gewiß, das sah man schon ... aber wenn er nur wenigstens kein Ausländer wäre! Das in den Zeitungen, das war ja übertrieben ... sie waren auch Menschen, und Österreich, hatte er ihr gesagt, ist weit von den Deutschen. Aber Liebe, Liebe mit einem Fremden – nein, das konnte sie sich nimmermehr vorstellen, sie wußte selbst[91] nicht, warum, und es däuchte ihr Verrat, sie wußte selbst nicht, woran.

Sie war wirklich ein armes Hascherl. Gerade der eine, nachdem sie ihn endlich gefunden, mit dem war's auch wieder nichts.

Und da zog sie endlich das Linnen über die Nase und kroch tief in die Kissen und schloß die Augen recht fest zu, nur zu vergessen, nimmermehr daran zu denken, einzuschlafen. Was brauchte sie ihn denn auch gleich zu lieben? Ein bißchen gern konnte sie ihn ja haben – und das vergnügte sie und das ärgerte die Cousine.

Aber da that die Cousine den Staatsstreich.

Es war ja wahrhaftig mit dem Mädel nicht mehr auszuhalten; so boshaft hatte sie's doch noch niemals zuvor getrieben. Offenbar hetzte sie wer auf; eine Liebschaft sicherlich steckte dahinter, die ihr den Verstand ausdrehte. Und die Ängstliche, welche nur um jeden Preis den Wildfang in eine sichere Ehe steuern wollte, bevor's zu spät und ein Unglück geschehen war, sann und sann, wie sie wohl wieder in Ordnung zu bringen wäre; aber natürlich, solange sie nicht wüßte, was eigentlich –

Also den Koffer auf, den sie neuestens gar mit verdächtigem Fleiße versperrte – das Einfachste. Zunächst seine Briefe, eine ganze Sammlung von allen Formen und Größen, auf Waschzetteln, alten Rechnungen, Visitkarten, eigenen und fremden, oder auch im Cafe hingeschmiert, wie der Stempel im Papier bewies, mit Absinthflecken oder Brandlöchern der[92] Cigarette, in einem wilden, fieberischen, tropischen Stil, der nichts mit dem gebräuchlichen Namen in der üblichen Wendung hieß, sondern sich um unerhörte, dunkle, seltsame Wortneuerungen in sonderbarer und gewaltsamer Fügung peinigte, von ungestümer, zügelloser, trotziger Begehrlichkeit, die sich nicht genug thun konnte, die alles heraussagte und noch etwas mehr, die schnaubte und raste, mit einer lechzenden und schwindsüchtigen Empfindsamkeit vermischt, die Hälfte Baudelaire und die andere Künstlerwälsch, richtige »Decadence«, Preisschriften der Akademie Goncourt, aber welche die arme Cousine ganz zigeunerhaft und banditenmäßig erschreckten – so schlimm hatte es wahrhaftig ihr schwärzester Argwohn nicht gewähnt. Und nun noch überdies – ganz unten, Kabinettformat – sein Bild als österreichischer Reservefeldwebel, weil er sich in der Uniform wirksamer glaubte: der Feind, der geschworene Erbfeind!

Rasch handeln und gründlich. Einen einzigen Rat und eine einzige Hilfe: sie mußte in ein Geschäft, wo sie nicht bloß verköstigt, sondern auch genächtigt war, daß man sie einfach nicht aus dem Hause ließe. Den nämlichen Abend noch wurde es ihr verkündigt.

»Gut,« sagte Fifi, sonst nichts. Sie lärmte nicht, klagte nicht, widersetzte sich nicht. Sie war ganz ruhig; denn jetzt war es entschieden.

Jetzt war es entschieden. Jetzt brauchte sie nicht länger zu planen und zu sinnen, hin und her zu denken, Entschlüsse zu formen und zu verwerfen. Jetzt war es entschieden. Die Cousine wollte es nicht anders. Die Cousine allein traf die Schuld.[93]

Es war immerhin angenehm. Wenigstens gab's keine Zweifel mehr, kein Zaudern und kein Schwanken. Und die Verantwortung wenigstens war von ihr genommen. Wenn ein Unglück geschah, hatte die Cousine es nur sich selber zuzuschreiben. Fast wünschte sie, daß ein Unglück geschähe.

Ohne ihn leben? Ohne selbst diese eilige Stunde am Abend – sondern höchstens die Sonntage bloß? Die ganze Woche, ohne seine guten Worte zu hören und in sein liebes Gesicht zu schauen? Das ertrüge sie nimmermehr. Jetzt fühlte sie es. Jetzt das erste Mal fühlte sie es, daß sie ihn liebte.

Also sagte sie der Cousine kein Wort, sondern dachte nur: »Du wirst es schon sehen.« Und den ganzen Abend stellte sie sich das vor, was sie für Augen machen würde, morgen, vor Schreck, Kummer und Reue. Und die Cousine, die ungebärdigen Trotzerwartet hatte, wunderte sich, wie gelassen, leicht gefaßt, fast heiter sie es ertrug – weil sie eben im Grunde doch ein sehr gutes Kind sei.

Den anderen Morgen erwartete sie einen günstigen Augenblick, bis es unbemerkt geschehen konnte, schnürte ihr Bündel und rückte aus dem Hause, in welchem sie nichts verließ als Neid, Tücke und Bosheit. Es war wahrhaftig kein schwerer Abschied, und nur das eine that ihr leid, daß sie nicht heimlich die Scene belauschen konnte, wenn die Cousine vom Markte zurückkehrte und das Nest leer fände.

So einfach zu ihm laufen nach seiner Wohnung, nein, das konnte sie doch nicht. Es hätte ihn freilich[94] sehr gefreut, aber nein, nein, ehrbar wollte sie bleiben. Sie nahm sich ein Zimmer, einstweilen würde er ihr schon das Geld leihen, und dann suchte sie sich einen neuen Platz; mit ihren Zeugnissen war das nicht schwer – und alles blieb beim Alten, nur daß sie Freiheit und Freude dazu gewonnen hatte.

Drüben auf dem anderen Ufer, weil es da billiger – und zufällig war's auch näher bei ihm. In der Rue de la Harpe, ganz am Anfange des Michel, gleich links, einigte sie sich mit einer vertraulichen Wirtin, die in ähnlichen Beispielen erfahren schien, und man sah, daß sie sich ihrer Leute annahm. Fünf Franken gab sie einstweilen als Angabe; die letzten, die sie besaß. Und gleich kletterte sie in das schmale Dachkämmerchen empor, auszupacken, sich einzurichten in ihrem neuen Heim, das ihr ganz allein gehörte, und in dem sie nach ihrem Willen und nach ihrer Wohlmeinung alles ordnen konnte, ganz, wie es ihr behagte, und jeden Tag anders, wenn es ihr Spaß machte, ohne irgendwen zu befragen, ohne von irgendwem beraten oder befohlen zu werden, endlich Herrin über sich selbst, ganz allein. Freilich war es wohl ein bißchen knapp mit dem Raum und gefährlich, wenn man sich umdrehen wollte, aber dafür konnte man dem Himmel in die Töpfe gucken, wie er die Wolken braut, und über den braunen Dächern tanzte die schlanke Silbernadel der heiligen Kapelle.

Nachdem sie ihre Visitkarte an die Thüre genagelt, damit die Leute wüßten, wer hier eingezogen war, und ihre Kleider säuberlich teils in dem Mauerschrank,[95] teils an dem großen Nagel untergebracht hatte, setzte sie sich zur Rast auf den Bettrand, ganz vorn, daß sie gerade noch mit den Zehen den Boden berührte, und dachte nach.

Sie dachte an das Gesicht, das die Cousine jetzt machen würde. Und dann dachte sie, daß sie jetzt alles thun könne, was sie nur wolle. Und dann dachte sie, daß sie seit dem Morgen nichts gegessen hatte.

Weil sie aber kein Geld besaß, hielt sie es für das Vernünftigste, sich schlafen zu legen, wenn es gleich erst drei Uhr am Tage war. Sie entkleidete sich rasch und warf das Mieder mitten ins Zimmer, was sie jetzt jeden Abend thun könnte, ohne von irgendwem einen Vorwurf zu hören. Und sie konnte ein paar Stunden schlafen oder, wenn sie wollte, auch zwei Tage, und den nächsten Morgen konnte sie sich den Kaffee ins Bett bringen lassen, alles, wie sie es wollte.

Das Leben war wirklich sehr schön, wenn man nur den Mut besaß, sich von den falschen Cousinen zu befreien, die es vergiften. Und damit schlief sie ein. Und sie schlief sehr lange.

Sie schlief tief, friedlich, kein Traum wagte sich heran. Aber wie sie um Mitternacht plötzlich erwachte, erschrak sie, weil sie es vergessen hatte, und war verwundert und mußte sich erst eine Weile besinnen. Vom Michel herüber gellten Studentengesänge, ein schrilles Jauchzen ohne Unterlaß, und dann hörte sie nebenan durch die dünne Wand ein[96] Schnauben und Röcheln und Knirschen, schaurig, wie von hungrigen Schakalen, und manchmal von einem heiseren, in die Fistel verschlagenen Hilferuf wie aus tödlicher Mordesangst zerschnitten oder von klatschenden Küssen, welche wie Peitschen schallten, erstickt, bis der stöhnende Krampf aus gedrosseltem Schlund herauf, als ob Stimmbänder zersägt würden, am Ende alles wieder verschlang. Sie fürchtete sich.

Sie sprang eilig heraus und schob den Riegel zu, als stünde vor der Thüre eine große Gefahr. Und weil es sehr schwül und dumpf war, öffnete sie das Fenster ein wenig und wollte in die flimmernden Sterne schauen. Aber es spritzte zu ihr von den Dirnen, welche an der Ecke den Schwärmern auflauerten, der Kot schmutziger Späße, und ein trunkener Sergeant mit unzüchtigen Gebärden lallte herauf, sie sollte ihm nur den Schlüssel hinunter werfen, sie würde es nicht bereuen.

Da schüttelte sie ein Schauer von Ekel und Grauen vor dieser Welt, in welcher ringsum nur Laster und nur Feindschaft und nur Hohn waren, und zitternd kroch sie unter die Kissen, nichts mehr zu sehen von ihr, und verstopfte sich die Ohren, nichts mehr von ihr zu hören, und wagte kaum zu atmen und betete inbrünstig, es möchte nur Morgen werden. Und es kam in Fieber und in Thränen, während der Schlaf sich verweigerte, eine namenlose Sehnsucht über sie nach dem einzigen, den sie liebte und der ihr gut war und dem sie sich vertrauen konnte, daß sie am liebsten gleich hinausgelaufen wäre an seine Brust,[97] mitten in der Nacht. Sie hatte es ja früher nimmermehr gewußt, wie mächtig und gebieterisch diese Liebe war, unwiderstehlich in Befehlen.

Wie es nur graute, kleidete sie sich an, ging hin. Aber sie vermochte es nicht, anzuklopfen, einzutreten, fand nicht die Kraft, so oft sie sich auch ihren Vorsatz wiederholte und daß es ja doch einmal entschieden war. Sondern sie strich vier Stunden auf dem Boulevard herum in großen Schmerzen, immer um seine Thüre, ob sie ihm nicht zufällig begegne; denn den Mut, ihn aufzusuchen, würde sie ja niemals, niemals gewinnen.

Endlich, als sie sich kaum mehr aufrecht hielt vor Müde und vor Hunger, versetzte sie bei einem Vermittler ihr Ohrgehänge und den Ring, um frühstücken zu können. Es ward ihr darauf etwas leichter, und wie sie dann im Luxemburger Garten die Musik anhörte, faßte sie wieder frischen Mut, während sie neugierig die steinernen Königinnen betrachtete und sich wunderte, daß sie so häßlich gekleidet waren, ganz ohne Chic, besonders die Luise von Savoyen. Und nachdem sie das dritte Mal um den medicäischen Brunnen herumgekommen, war es beschlossene Sache, erst wenn sie einen neuen Platz gefunden hätte, zu ihm zu gehen; sie konnte dann ganz anders vor ihn treten.

Aber nach der dritten Nacht ertrug sie es nicht länger. Lieber wollte sie sterben. Was er auch denken mochte – aber liebte er sie denn nicht? und[98] liebte sie ihn denn nicht? Also nahm sie die Kraft zusammen und überwand das Zaudern. Und sie sagte es ihm, wie sie die Cousine verlassen hatte, um ihm zu folgen, weil sie ja nicht leben konnte ohne ihn, und gab sich ihm hin.

Quelle:
Hermann Bahr: Die gute Schule. Berlin 21898., S. 78-99.
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