IX.

[163] Von diesem Tage an wandelte sich ihr Bund im Zeichen der Peitsche. Ihre Liebkosungen wurden Mißhandlungen, und jeder Kuß, wie Hieb von Dornen, grub heiße Wunden, von welchen sich ihr Leib vereiterte, wie durch einen Aussatz ihrer Schande. Es war eine grausame und ruchlose Folter von unersättlicher Gier, die wachsend wütiger brandete jedes neue Mal, erfinderisch in Gräueln, eine verirrte Wollust in den Wahnsinn hinein.

Er machte sich wieder eine Theorie darüber, daß dieses die Fährte nach der neuen Liebe sei: durch die Marter.

Und das würde dann auch die neue Kunst aus dem Schlupfe scheuchen.

Als ob sie erst ihre Leiber zertrümmern müßten, bis dann die Seelen zusammen könnten, befreit vom gemeinen Fleische und glücklich.

Ja, sich erwürgen zur Auferstehung der Seele.

So ungefähr – deutlich hatte er es noch nicht, in gewisser Formel, sondern nur daß sie sich erst das Fleisch töten mußten, welches sie eingekerkert hielt.[164]

Dann könnten die Seelen fliegen. Sie näherten sich schon. Er fühlte es schon manchmal, in den schwülen Ermattungen, wann dem Leibe alle Regsamkeit er stickte, als ob ihm ans Hirn, das aufwärts trieb, hebende Schwingen wüchsen.

Es wurde ihm dann weihnachtlich, gleich mußte die Thüre aufgehen in die große, selige Bescherung hinein, mit den vielen riechenden Lichtern, und es sängen ewige Geigen, welche wie saftiger Flaum von Pfirsichen die Haut der Wünsche kitzelten; und dann würde es in ihm aus geweihten Trieben flattern, aufwärts, immer aufwärts, mit klingenden Hebungen, und ihn tragen, weit fort, durch sehr grüne und von Malven gefleckte Wolken empor, die sich teilten, immer sanft auf Liedern empor, während unten die stummen und schattigen Menschen entschwänden, immer empor in das wunderbare Land des starken Lichtes, in welches niemals ein Leib, sondern nur die entfleischte Sehnsucht darf, ganz kremserweiß und keusch.

Ja, das war die Fährte: durch die Marter.

Er mußte erst das alte Bewußtsein zerstören, daß die neue Liebe erwachen konnte.

Versinken, es mußte erst alles versinken, ausflackern, verlöschen.

Sie mußten sich erst erwürgen, damit sie auferstünden.

Er hatte eine mystische und religiöse Brunst dabei – sagen konnte er es nicht, weil es verworren und sprachlos war.

Nur ausharren, da sie schon so nahe waren.[165]

Sie mußten sich zersprengen. Dann würden sie es greifen können, greifen und halten.

Und stündlich so aufs neue überfiel er sie aus metzgerischer Wut mit neuem Schimpf und verheerte sie durch neue Frevel und kreuzigte sie auf einer neuen Unzucht.

Und wenn er sie wieder zerknirscht und sich wieder ausgerüttet hatte, daß ihre fahlen Leichen nur noch in dumpfen Krämpfen zuckten, dann plötzlich, hinter dem Gehirne, ward es ihm helle, ganz helle, so märcheninnig helle.

Dann brüteten sie wieder stumme und hinkende Stunden und keines wagte dem anderen ins Auge zu schauen, weil sie so besudelt waren.

Einmal sagte sie mit Grauen: »Du wirst mich noch ganz verderben,« und war von Ekel und Scham gefröstelt.

Aber er konnte nicht nachgeben, weil es die letzte Hoffnung war. Es schauderte ihn kein Laster und kein Mord, weil es für die Kunst geschah, zur Erweckung.

Bis sich sein Leib empörte.

Sein Leib jagte ihn von ihr mit Ekel und Grauen. Sein Leib warf die Liebe wie eine giftige Seuche aus, welche die gefunden Säfte nicht vertrugen.

Es war ein Fieber um das Leben.

Krank, wochenlang, mit jähen, störrischen Gesichten. Es war ihm, daß er zerfließen und auseinander rinnen möchte; er könnte sich nicht mehr zusammenhalten. Er ängstigte sich sehr, daß sich ihm der Kopf teilte, mitten auseinander; und dann würde[166] er zwei und gar keiner mehr sein. Es trieb ihn ein schrilles Brausen, das wuchs, unstet umher. Alles Gedachte strauchelte, taumelte, verkollerte sich wirr; und es wurde ein schiefes Tappen, wie in einer zähen Trunkenheit. Er stützte sich die Schläfe, welche wie in Blei verwandelt waren. Trübe, wolkige Träume hingen sich den Lidern an, zogen sie nieder; aber es fernte, wenn er sich legte, der Schlaf, sondern wurde nur, in Stößen und in Frösten, markzerfresserisch, ein gräßliches Walzen unter grausamen Scheinen, als ob, durch unaufhaltsamen Stift, sich ihm die Wände des Gehirns zusammenschöben, immer enger, immer näher, immer steiler, und jetzt gleich, sich vereinigend, würden sie ihm den ganzen Verstand zermalmen.

Manchmal, in den rauhen Wirbeln, klammerte er sich an ein Wort, und indem er die Augen verschloß, prüfte er sich mit vieler Angst, welche die Kehle klemmte, ob er denn noch denken könnte, überhaupt noch denken; und es versank ihm aller Trost, weil alles vor ihm grau lag, weithinaus, in ungestaltem Grau, und wie er sich auch aufspreizte, er konnte nichts mehr, nichts Deutliches gewahren.

Über seine Haut lief Eis und Glut und er fror in Schweißen. Es trieb ihn immer und er konnte sich nicht bewegen. Er war müde und niemals ließ es ihm Ruhe. Es prickelte ihn wie ein Panzer von Fichtennadeln. Er schabte sich und fühlte, als ob er sich häuten würde.

Und er badete sich den kranken Kopf in Absynth und betäubte sich in schwülen, lähmenden Gerüchen,[167] daß er nur nichts mehr von sich wüßte. Er vernachlässigte sich wie eine verhaßte und unnütze Bürde und wurde sich ganz fremd und kümmerte sich nimmermehr um sich, weil er sich doch nicht mehr begriff und über sich nichts mehr vermochte. Und immer wieder fiel es ihm ein, daß er sich teilen würde. Sicher würde es geschehen, ganz sicher, und eines Tages würde er gespaltet erwachen. Und dann wollte er nur mehr der andere bleiben, der neue, der aus der linken Hälfte des Gehirns käme, und den alten wollte er gleich hinauswerfen, mit ihr zusammen.

Mit ihr zusammen. Sie war nur ein Wahn des beschädigten Verstandes.

Da wurde ihm sehr gut, wenn er sich dieses vorstellte, daß er dann neu und frei wäre. Von keinem Vergangenen könnte der Künftige wissen, nichts von ihr. Er würde sich befreien von ihr.

Sich befreien von ihr. Darum kroch seine hungrige Sehnsucht.

Hoffen, harren, bis sich das Wunder erfülle. Aus eigenem konnte er es nicht vollbringen, weil die Kraft erschöpft war. Er mußte damit begnadet werden.

Sich befreien von ihr und von allen Weibern überhaupt, und mit der Liebe wollte er sich dann nimmermehr einlassen, nimmermehr, weil nichts dabei herauskommt.

Sie zur Reinigung gebrauchen, aber nur wie ein bitteres und lästiges Medikament, und nachher gleich wieder hinaus. Nur nicht Liebe. Von diesem Aberglauben, daß Liebe sein könnte, hatte er genug, gründlich.[168]

Nein, für dieses Geschlecht war keine Liebe. Die alte wußten sie nur aus den Büchern und konnten mit allen Bemühungen des Verstandes sie nimmermehr fühlen. Und die neue – ja vielleicht später einmal, aber sie war noch nicht erschienen; man foppte sich nur.

Er wurde sehr ärgerlich auf die Bücher, welche abgestorbene Gelüste in die arglosen Menschen tragen. An ihnen lag die ganze Schuld. Sonst hätte man vortrefflich gelebt, ohne die Gedichte, welche von Liebe erzählten. Aber da wurde man neugierig, natürlich, und weil es sich gut vorstellte, wollte man es im wirklichen versuchen. Und so äffte man die Gebärden aus den Büchern und meinte, es müßte etwas daran sein, und konnte doch zu keiner Empfindung gelangen, keinen Augenblick. Es war eine Verfälschung der Gemüter und ein liederlicher Betrug, welchen die Polizei verbieten sollte.

Aber wenn er die Pest nur einmal ausgestoßen haben würde. Dann war er für immer geheilt. Nur erst sich befreien von ihr.

Und dann würde er arbeiten können; er fühlte die frohen Thaten schon rieseln, in heiteren Strahlen, wie er nur erst von ihr befreit sein würde; dann kam auf den Reif der starren Seele das große Tauen. Er trug schon alles üppig ausgereift in sich und war mit geneigten Früchten schwer behangen, welche ihn bogen. Aber nur Friede und Einsamkeit brauchte er noch, welche sie verhinderte, und sie erstickte ihm den großen Atem.

Er sah endlich das Glück, ja, dieses wirklich mußte[169] das echte Glück sein, nach so viel Wahn und schmerzlichem Betrug, das tausendfach verheißene Glück, wie er sich nur von ihr befreite. Es gingen mit erhabenen Gebärden mächtige Bilder um ihn herum, in feierlichen Reihen, wie an einer Gebetschnur, so oft er vor ihr in den Absynth floh, bis er nichts mehr sah, sie nicht und gar nichts mehr, als holde, grüne Dämpfe, welche leise an den Wimpern zupften, in sanften, köstlichen Verkündigungen; dann in der blinden Finsternis wurde ihm hellseherisch. Dann öffneten sich, wenn sie seinem Blicke entsank, reiche Himmel mit purpurnen und symphonischen Parfümen.

Da lagerten feuerrote Wiesen, in lieblichen Hängen verbreitet, wälzten sich mit herben, trunkenen Bächen und blaue Vampyre erschlafften, die Hoffnungen. Aber es wandelte in aufrechtem Stolze und mit kaiserlicher Trauer eine gewaltige graue Sonnenblume, stumm und fahl, am Arme einer plumpen, dick stinkenden Distel, welche mit breitem, rohem Golde schlepperte, weithin. Da tanzten, in begehrlichen Windungen unzüchtig vermischt, helle, rosenbehangene Frauen, mit langen weißen Falten, welche kirchlich flatterten; im Halse ragte ihnen, wie in einen Sumpf gekeilt, ein jähes Beil und gelbes Blut träufelte nieder. Jede trug einen winzigen runden Mond, die warfen und haschten sich in lachenden Spielen; aber wenn eine den Ball verfehlte, da fiel sie tot auf die Matte hin und regte sich nicht mehr. Gleich entdeckte ihr die andere sehr fröhlich den Busen und biß ihr die goldene Warze heraus und steckte sich's ins Haar als ein[170] funkelndes Geschmeide. Welche aber die meisten hatte, ward Königin und alle dienten. Es war ein violetter Sumpf herum.

Dieses mußte er malen, weil es die ewige Wahrheit war und das Unaussprechliche, welches alle fühlten. Dann war das Leben da, nach welchem die langen Seufzer bangten, unter den Gekrönten und in den Hütten – das ganze Leben.

Es war nur schwer, alles zusammenzubringen auf ein einziges Bild. Und es durfte doch nichts fehlen von den heilandischen Symbolen, weil es sonst wieder umsonst gewesen wäre.

Er hatte es ganz deutlich, schon ganz vorn in den Fingerspitzen, und es brauchte nur noch hinüber zu gleiten, in die farbige Bürste, wie er bloß Friede und Einsamkeit wieder fand, welche sie verhinderte.

Dann geriet das kleine Bild der großen Welt. Ja, die ganze unendliche Welt sollte es enthalten, in der schlichten Parabel eines zufälligen Ereignisses; in flüchtigem Launenschaum alle eherne Notwendigkeit. Den Japanesen gelang es bisweilen.

Wie er sich nur von ihr befreite.

Darauf, woher er auch anfing, wohin er auch seine Erwägungen richtete, immer nur darauf kam er stets zurück, daß er sich von ihr befreien müßte.

Und das verdroß ihn besonders, daß es Marius merkte; das wußte er von dem verzogenen Winkelwerk am Munde, so oft er ihn mit seinem richterlichen Blicke prüfte. Aber um nichts in der Welt hätte er es ihm zugestanden, um keinen Preis. Eher biß er sich die Zunge ab.[171]

Es ging niemanden was an. Das Dreinreden nützt doch nichts. Und er wollte überhaupt mit keinem mehr zu schaffen haben, mit keinem dieser fremden und darum feindseligen Welt. Allein wollte er sein, ganz einsam mit sich selber, in welchem einzigen Güte und Wahrheit war. Das andere hätte er am liebsten vertrümmert und zerschlagen, alles, in welchem sich nur Hohn und Trug fand. Man hat gar nichts davon; es verwirrt bloß und lähmt, und niemand weiß, wozu es da ist.

Er wollte sich ganz auf sich selber zurückziehen, vor dem Fremden versperren, in das Eigene verschließen.

Er empfand Furcht vor den Menschen, Ekel vor den Frauen.

Die Frauen beschmutzten. Von ihrem Umgang wurde die Seele kotig. Schleim stieg ihm in die Kehle auf, wenn er nur daran dachte.

Oft hatte er eine quälerische, entsetzliche Phantasie. Da vereinigten sich in einer weiten Halle, welche mit Galle und Geifer geschmückt war, alle Frauen, mit denen er geschlafen hatte. Er konnte sie nicht zählen: schöne mit Eglantinen und perlenem Lächeln, schmeichlerisch wie Sternennächte andalusischen Sommers und spröde, welche oben keusch thaten, mit versteckten Reizungen und bucklig verwachsene, aus welchen seltene und giftige Laster grinsten; neugierige Kinder und mannstolle Greisinnen, aus Geilheit und aus Hunger. Und alle, nackt, von wollüstigen Übungen zerknittert, mit vielen Malen der Unzucht, umdrängten ihn mit kundigen Gesten und erbieterischen Rufen,[172] wetteiferisch, zum Aufruhr der Brunst, bis ihm in großer Furcht die Sinne schwanden. Dann erwachte er durch jähen Sturz und zitterte wie unter einem brausenden Föhn und war ganz naß von so viel Taumel und Schauer.

Nur sich von ihr befreien!

Aber freilich: erzwingen ließ es sich nicht. Man mußte der Hoffnung vertrauen. Aber helfen konnte er der Gunst des Schicksals.

Nachhelfen. Wachsam, die Gelegenheit nicht zu versäumen. Sie würde schon kommen.

Und so brüteten sie nebeneinander, in sich hinein, dem Gram der Seele zugewendet, bleierne, verankerte Tage, und wagten starr nicht Blick noch Wort und kauten an ihrem Haß. Und sie lauerten, daß das andere begänne und fürchteten und begehrten es. Und dann wieder, weil es unerträglich wurde, plötzlich, damit nur etwas geschähe, in der schauerlichen Wüste der Gefühle überfielen sie sich wieder mit Liebe unter schrillen Schimpfen mit einer hastigen, wilden, zähnefletschenden Liebe, die sich wider sich empörte aus Scham und Ekel und vergruben sich ineinander, bis sie nichts mehr wußten, nichts.

Einmal dachte er daran, es ihr einfach zu sagen und sie fortzuschicken. Eine freundschaftliche Verständigung.

Das macht ja gerade den Vorzug solcher Verhältnisse, daß man nicht gebunden ist, sondern seiner Willkür folgt. Geht's – gut; hat man's satt, scheidet man in Frieden. Ohne Zwang, es sind Ehen, welche die Freiheit lenkt.[173]

Es war aber doch nicht so einfach. Die anderen, ja, die hatten es leicht. Mit ihm war es besonders, wie er schon immer Pech haben mußte.

Es war doch zu grausam. Sie würde es ja niemals verwinden, das ganze Leben nicht, und nimmermehr gefunden. Er verstieß sie in ewige Hölle. Ja, für die anderen – da konnte sich eine den nächsten Tag einen gleichwertigen eintauschen, in jeder Straße, mit dem sie es vergaß. Die anderen hatten das Glück, keine Leidenschaft einzuflößen, sondern bloß Vergnügen, weil sie gewöhnlich waren. Aber an ihr bedeutete es ja Mord.

Nein, welche einmal seine Küsse genossen hatte, die tröstete sich mit keinem anderen; aus diesem Adel konnte sie sich nicht wieder erniedrigen. Es gab keinen Ersatz, sie blieb erbarmungslos zur Einsamkeit verdammt. Er entzog ihr, was ihr kein anderer geben konnte.

Und da hatte er doch wieder Mitleid mit dem armen Kinde.

Das nämlich auch noch – so verschwor sich alles – daß er sehr großherzig und edelmütig war.

Immer ein Opfer seiner Tugenden. Wäre er gewöhnlich gewesen, einer aus dem Dutzend, ja, dann hätte sie es verschmerzen können. Und wenn er gewöhnlich gewesen wäre, vom gemeinen Schlage, ja, dann hätte er überhaupt nicht gefragt nach ihrem Schmerz. Aber weil er von besonderer Bildung war, anders als die anderen, groß und gut, darum gerade mußte es ihr so unerträglich wehe thun, und darum[174] gerade konnte er den Gedanken nicht ertragen, ihr wehe zu thun.

Er beneidete die Gewöhnlichen, welche es viel besser haben. Freilich gelang ihnen keine Kunst. Aber ihm gelang ja auch nichts, außer im Wunsche.

Wenn er es sich vorstellte, wie sie davon leiden müßte, dann wurde er von Kummer und Wehmut so gerührt, daß aus Erbarmen seine Liebe sich erneute. Eigentlich war dieses Gefühl sehr unangenehm für seinen Entschluß, weil es ihn nur belästigte und hemmte, daß er nicht vorwärts konnte. Und er wunderte sich darum, daß es sich dennoch angenehm empfand, weil es ein Zeichen seiner Güte war.

Er hatte es schon oft gedacht nach manchen Erfahrungen, daß er überhaupt für diese rauhe und gemeine Welt zu gut, zu weich war. Darum verstand er sie nicht und ward von niemandem verstanden. Daher der irre Kummer ewig.

Aber natürlich – alles hat seine Grenzen. Das schuldete er seiner Kunst, daß er auch sich selber nicht vergaß. Er durfte nicht mit sich verschwenderisch sein auf Kosten der ganzen Menschheit.

Die Operation war unvermeidlich.

Es handelte sich nur darum, ein schmerzloses Verfahren zu entdecken.

Nämlich, vor allem schmerzlos für ihn selbst, daß er selber heil davon kam. Sonst hatte er wieder nichts davon.

Ein Verfahren, sie ins Leid zu verstoßen, ohne selbst davon zu leiden. An ihr, wenn es auch freilich[175] schade war, lag am Ende nicht so viel, weil die Kunst nichts verlor.

Z.B., wenn er sich in eine andere verliebte, aber gründlich, so daß es jedes andere Gefühl verdrängte, alle Erinnerung ausfegte und die Rücksicht wegtrieb.

Es schmerzte ihn, Leid zu sehen, welches er zufügte. Aber es würde ihm gut thun, auf die Freude zu sehen, welche es der anderen gewähren mußte, wenn er der alten Leid zufügte. Aus seiner Weichheit heraus gerade hätte er sich dann verhärten können.

Das war eine ausgezeichnete Idee.

Ja, so konnte er die Unentschlossenheit ausmerzen. Er mußte eine bewegende Kraft suchen.

Er lief nach vielen Dirnen. Abends log er sich vom Hause und spürte durch alle Schlüpfe der Lüsternheit, nach Schöneren oder welche neues, besonderes versprächen, Reiz der Nerven, welche nicht mehr konnten. Aber wenn er sich nach Zaudern endlich überwand, mit einer zu schlafen, konnte er keine Wirkung auf die Sinne gewinnen, sondern bloß aus Angst und Scham um die erschöpfte Kraft lächerlichen Ärger und ein großes Heimweh, das ihn fort trieb. Er empfand es, daß sie für ihn die einzige war, und den anderen Tag aus Reue unter ernstlichen Vorsätzen zur Beruhigung seines Gewissens, wie um Gestohlenes wiederzuersetzen, häufte er um sie Geschenke mit wiedergeborener Zärtlichkeit bis zum nämlichen Preise, welchen er an die andere vergeudet, damit es nicht zu ihrem Schaden war. So kostete es bloß viel Geld und nützte gar nichts.[176]

Nein, sie mußte ihn verlassen, so mußte er es einfädeln. Anders kam er nimmer von ihr los, weil er edel war. Das mußte veranstaltet werden, daß sie ihn verließ.

Dann war es gut, vortrefflich. Das ersparte ihm die Reue, die sonst wieder den ganzen Gewinn an Freude verdarb. Wenn sie dann unglücklich wurde, geschah es ohne seine Schuld, und er brauchte niemals daran zu denken.

Er durfte sie nicht fortschicken, sondern sie mußte ihm davonlaufen. So mußte es veranstaltet werden.

Dann erwarb er Freiheit und Ruhe auf einen Schlag.

Und nicht er war es, der sie bereitete, was ihm nachher vielleicht wieder einmal leid thäte, sondern sie drängten sich ihm auf; er konnte nichts dafür. Das verhinderte jeden Vorwurf.

Es galt nur noch einen geschickten Plan.

Das war nicht so schwer, wenn man den Verstand zusammennahm und Versuche nicht scheute.

Allerhand bot sich an.

Man durfte es nur nicht überstürzen. Langsam vorbereiten, unmerklich einleiten.

Zunächst behandelte er sie so schlecht als möglich. Er wurde mürrisch, zänkisch, roh, zeigte ihr seinen Ekel und berührte sie nicht mehr. Er that alles, daß er ihr widerwärtig werden mußte. Er begriff die unverhoffte Geduld nicht, welche sie antwortete, ganz gegen ihre Weise: sonst war sie streitbar und launensam gewesen und bei jeder Dummheit gleich jäh empor,[177] außer Rand und Band; jetzt, da es ihm gepaßt und seinen Zweck gefördert hätte, wurde sie auf einmal demütig und zärtlich ohne Maß und war, wie er sich plagen mochte, durch keinen spitzen Sporn aus ihrem sanften Mut zu reizen, ganz Griseldis. Es verdroß ihn arg, daß sie keinen weiblichen Stolz besaß, und jetzt peinigte er sie erst recht, schon zur Probe, wie viel sie sich denn überhaupt wohl eigentlich gefallen lassen würde.

Also damit kam er nicht vorwärts. Das bewies sich bald. Statt zu entfremden, näherte er sie sich nur.

Da dachte er an Brömel. Der Brömel war ein deutscher Maler, der nicht malte, sondern durchging. Alle drei Monate mit einer andern Frau; er war dafür berühmt. Nicht als ob er leidenschaftlich und leicht verliebt gewesen wäre, sondern aus Gefallen am Geschäft, an der Technik der Entführung. Wenn er er es durchgesetzt hatte, dann ließ er das Weibchen wieder laufen.

Das Mittel wäre unfehlbar gewesen, man konnte sich verlassen. Und war leicht arrangiert. Eine Begegnung geschah unauffällig. Dann brauchte er bloß von seinem Glücke zu erzählen und allenfalls noch ein bißchen mit ihrer Treue prahlen. Und es war so gut als wie gemacht.

Nur, er mochte den Menschen nicht: mit dem glatten Scheitel und rückwärts durchgezogen, mit Pomade niedergepappt, und seine Rede war ebenso, überhaupt seine ganze Weise. Die Vorstellung, daß er sein Nachfolger werden sollte, erregte Unbehagen.[178]

Enttäuschen würde sie freilich jeder nach ihm, weil es nicht anders möglich sein konnte, so daß es am Ende schon gleich blieb; aber – er wußte es nicht deutlich, warum – er wünschte einen anderen, der ihm besser zu Gesicht stünde; er hatte so was Spöttisches, Hochmütiges, Herzloses.

Endlich erwischte er einen vortrefflichen Plan. Zufällig schlug's ihm in den Sinn. Aber nimmermehr wollte er ihn loslassen.

Durch Suggestion. Nämlich er leitete ihr Gehirn ohne Beschwerde, weil die Frau schwach, nachgiebig im Denken und unselbständig ist. Da brauchte er ihr bloß leise, vorsichtig und behutsam, aber nachdrücklich und beharrlich den Entschluß zu suggerieren, daß sie, seiner überdrüssig, ihn verlassen wolle.

Daran arbeitete er mit Fleiß. Las die Bücher nach.

Oh, er war schlau. Die Suggestion, daß sie sich wirksam und unwiderstehlich über sie verbreite, mußte an die Wehrlose und Unachtsame schleichen, ohne Rüstung mit Argwohn und Verdacht. Wenn sie es am wenigsten vermutete, tückisch eingeträufelt. Er hielt ihr allgemeine Vorträge mit vielen Beispielen, die nicht spröde sind, über die Natur des Weibes, wie sie unveränderlich in allem Wechsel der Menschengeschichte verharrt. Wie die Weiber einmal sind, nicht die schlechten, was ein besinnungsloser Ausdruck ist, der wackelt, sondern alle, eine wie die andere, zwischen welchen kein Unterschied gedacht werden kann; nicht regelmäßig, sondern ohne Ausnahme; nicht aus zufälliger Verderbtheit, sondern durch ihre natürlichen,[179] unwiderstehlichen Triebe, gegen welche sie nichts vermögen. Geilheit und Habsucht sind ihre Elemente, Unzucht und Betrug ihre Gesetze. Anderes ward noch an keiner Frau gefunden, weil es keine Frau mehr wäre, sondern, wenn sich irgend eine Redlichkeit dazu gesellte, ein weiblich gebauter Mann. Man darf sie darum nicht schelten und schimpfen; es kann bei ihnen keine Wahrheit und Güte sein, wie bei den Fischen kein Gesang und bei den Tulpen kein Geruch, weil es einmal, unbeugsam in der Laune, die Natur nicht will. Man kann dagegen, wenn es auch freilich schade ist und manchen armen Mann vergiftet, mit allen Wünschen und Gebeten nichts, nicht das geringste, sondern muß sich mit Verzichten still ins Unabänderliche fügen, wie in Schnee und Regen. Nur heucheln – sonst verlangt man ja schon nichts mehr, aber heucheln wenigstens sollten sie nicht immer, diese dumme, betrügerische Fabel, als ob am Ende vielleicht dennoch einmal eine vorgestellt werden konnte irgendwo, durch Wunder, wenn Einbildung hilft, welche keine Dirne wäre. Sondern lieber mutig ihrem unvermeidlichen Zug ins Laster, der das Blut zwingt, folgen, flott auf den Kitzel und Gewinn los – verantwort' es der liebe Gott, daß er's nicht besser einzurichten wußte!

Stundenlang konnte er davon predigen, in hallenden Beteuerungen, welche ihm die Brust weiteten, mit großen Schritten, welche es bekräftigten und die Gedanken schwangen, professorlich durch das Atelier, während sie im Schaukelstuhle, mit verhängten Augensternen, starr und stumm in bangen Träumen kaum[180] einmal leise seufzte. Er selber war der erste, den seine Theorie hypnotisierte, weil sie so voll und mächtig in die Ohren schwoll. Anfangs hatte er es nur vorgebracht, ohne Glauben, damit sie ihn ohne Scheu verlassen möchte wie die anderen; aber bald wiederholte er es für sich selbst, zur eigenen Versicherung, um gleich Trost zu haben, wenn sie ihn wirklich ohne Scham verlassen sollte, wie die anderen.

Sie wehrte sich und wurde bös, weil es ungerecht war. Manchmal weinte sie, daß man so was glauben konnte, häßliche Verleumdung; und sie ereiferte sich, weil sie es nimmermehr zu fassen vermochte, wie es nur einem jemals hatte einfallen können, so was aufzubringen. Und natürlich müßten sie dann schlecht werden, wenn es ihnen immer vorgeredet wurde. Denn wozu auch noch brav sein, wenn es doch nur für Heuchelei gehalten wurde? Da wäre man ja dumm, aber lieber ginge sie schon gleich in die Seine, sie!

Aber er gab nicht nach, wie sie sich auch mit Entrüstungen verteidigte, sondern rechnete es ihr vor an verläßlichen Belägen, die ihr die Antwort verschlugen, daß sie sich gar nicht mehr zu helfen wußte, ganz verwirrt und fassungslos. Es wurde ihm ein neues Vergnügen, mit herbem Reiz, dessen er nicht genug kriegen wollte, weil es grausam und seinem Dünkel dienstbar war, sie mit wilden Sophismen in die Enge zu peitschen, über tückische Fallen und Fangeisen, bis ihr atemloser, wunder Widerspruch zuletzt kaum mehr ängstlich zu flattern wagte, wie ein bedrängtes, flügelmattes Küchlein. Und er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er sie zwänge, ihm recht zu geben.[181]

Er wußte viele Geschichten von gemeinen, nichtsnutzigen Dirnen, welche sich Freunden zum Leid ereignet hatten. Er erzählte sie als den natürlichen Verlauf, der nicht anders zu erwarten war. Und jedesmal sagte er dann am Ende ganz stolz, wie von persönlichem Verdienste: dieses sind die Weiber!

Er leitete sie in die Gärten und Bälle der Prostitution zu großen Festen schöner Mädchen, wenn alles mit Anmut und Glanz recht feierlich getüncht war. Da zeigte er ihr mit Schadenfreude, wie jede einzelne Liebkosung, besonders ausgemacht, in mißtrauischen Bedingungen, unter ängstlichen Bürgschaften, nach langem Feilschen erst verhandelt wird. Und er that ganz verwundert, wenn sie erschrak, als ob es was Ungewöhnliches und Seltsames wäre, während er es völlig in der Ordnung fand: denn dieses sind die Weiber!

Er schleppte Romane herbei, haufenweise, durcheinander, ohne Wahl, was der Zufall vorwarf. Wenn darin ein Weib einmal bei gelinder Anwandlung eines lobsamen Gefühls betroffen wird, das waren dann, unter schlimmen Schimpfen, die schändlichen und gemeinen Überreste der verlogenen und verseuchten alten Schule, welche von der Polizei für die millionären Backfische erfunden worden, zur Verbreitung der Hysterie. Aber jede Ausschweifung ins Sadische, nymphomanische Verzückung, alle wüstlingische Karrikatur deklamierte er mit jauchzender Begeisterung, daß die Wahrheit endlich sieghaft überwände: denn dieses sind die Weiber![182]

Er verliebte sich in diesen Sport, daß er alles andere darum vergaß. Er vergaß, warum es begonnen war. Er vergaß, daß er sich ihrer entledigen wollte. Nur die Weiber mit Eifer und Verstand recht schlecht zu machen, daß es ihnen einmal ordentlich herausgesagt würde, aus gesammelten Belegen und wirksamen Erfahrungen, zur Rache der vielen Opfer, zur Warnung, zur Züchtigung, dieses wurde sein einziger Sinn; sonst achtete er nichts mehr. Er schwelgte in grimmigen Verlästerungen, als ob er desto glorreicher erhöht werden sollte, je schändlicher er sie zuvor erniedrigt haben würde.

Durch sein eigenes Beispiel wollte er es einmal gründlich beweisen, über alle Einwürfe hinweg, daß sie, niedergetreten und zermalmt, verstummten. Er zweifelte nicht mehr, keinen Augenblick, daß sie ihn verraten und verlassen würde, weil er es klar bewiesen hatte, oft; in seiner Vorstellung war es schon vollzogen, unabänderlich. Da konnte er einmal – günstigere Gelegenheit bot sich nicht leicht – an seinem Falle, wie an einem Übungsmuster für den Schulgebrauch, den ganzen, ewigen Unterschied zwischen der Männlichkeit und der Weiblichkeit greifbar herausarbeiten, zwischen der Güte und der Tücke, wenn er sich nur recht adelherzig, ritterlich und treu betrug.

Ja, das gehörte dazu. Das war dafür notwendig, daß er an sich alle männliche Tugend entwickelte, in leuchtenden Panieren, so selig helle, um desto wirksamer daneben, zu Furcht und Ekel, das düstere Laster des Weibes herauszuheben. Darum schlug er plötzlich[183] wieder – sie konnte sich's gar nicht erklären, was ihn mit einem so verwandelte – ins Zärtliche und Flitterliche um und ward mit kosigen Schnäbelungen und schmeichelnden Güten der minnigste Romanzen-Freier, bloß seiner Theorie zu Liebe.

Das machte ihm sehr viel Spaß, weil er, bereits der Gegenwart entrückt, nur noch im Künftigen lebte, als ob es schon vergangen wäre. Er freute sich riesig, wenn er es dann erzählen könnte, später einmal, als kräftiges Zeugnis, das jeden Einwand schlüge. Alles Gebahren richtete er auf diese Vorstellung ein, daß er nur gewiß den Charakter seiner Rolle nicht verfehle, wie sie vom Bedürfnis seines Beweises vorgezeichnet war.

Auch sollte das an ihr seine Rache werden, seine einzige Rache, aber im Namen des ganzen Geschlechtes, eine feierliche und ausgiebige Vergeltung, daß sie ihn nimmermehr, wie vieles zwischen sie auch, fremd und neu, das Schicksal dränge, ihn nimmermehr vergessen könnte, sondern ewig, zu welchem Troste sie auch flüchte, ewig ihn mit wachsenden Begierden hoffnungslos vermisse.

Durch unstete Sehnsucht sollte sie es büßen, friedlos das ganze Leben, immer nur, immer nur nach ihm zurück. Das that ihm sehr wohl.

Manchmal dachte er: vielleicht könnte er ihr auch zur moralischen Befestigung werden, vor dem Versinken ins Gemeine, ein Talisman gegen Anfechtung, wenn ihre Erinnerung nur stets in ungestilltem Schmachten nach seinem schimmernden Bilde sah. Da schaute er[184] sie dann, rührig unter Kindern, als brave, kleine Hausfrau irgend eines dummen, dicken Krämers, immer mit der ganzen Seele nur bei ihm, bei dem holden Jugendtraum von schöner Sünde, in welchem sie das einzige Mal das warme Glück gestreift, das einzige Mal. So konnte sich wohl das Paradoxe ereignen, daß diese unsittliche Episode mit ihm gerade ihr zum Segen ihrer Sitte würde.

In diesen Vorstellungen verankerte er sich gern. Sie enthielten viel Behagen: erstens, daß sie nur ihm zu Liebe einmal von der Tugend abgewichen; zweitens, daß sie durch ihn geläutert und veredelt worden; drittens, daß sie außer ihm niemals ein Glück fand; viertens, daß ihr Geist sein Knecht blieb, wenn auch der Leib entfloh; und fünftens, daß er sie los sein würde, aber kein anderer hätte was davon, und sie auch nicht. Das alles war sehr angenehm.

So milderte sich sein Betragen alle Tage, immer gütiger und sanfter. Freilich dachte er daran, daß es seinem ersten Plan entgegen war. Aber er verwarf den entbehrlichen, seit er sich von der Natur des Weibes überzeugt und auf das Unvermeidliche besonnen hatte; auch fühlte er, daß es einem gut thut, gut zu sein.

Da, einmal kam sie nicht zum Essen, Ende August. Sie war aufs Land zu Freundinnen. Das erste Mal, daß sie sich verspätete.

Sie wird den letzten Zug versäumt haben, und da bleibt sie draußen, dachte er, als er sich schlafen legte mitternachts.[185]

Er war gar nicht böse. Er streckte sich behaglich lang aus, und dann drehte er sich dreimal ganz langsam bis an die Wand und wieder zurück, über die ganze Breite, in den weichen, geschmeidigen Tüchern, die kühlten, und freute sich, den ganzen Platz für sich allein zu haben, ganz allein, endlich wieder einmal, während er gemächlich, unter Thränen aus den grünen Ringeln, die röchelnde Pfeife verglimmen ließ, in träge zögernden Zügen. Sonst, wenn er an die Schläfrige stieß, da konnte sie gleich sehr ungemütlich werden und es gab Zank, daß er noch einmal das Haus anzünden würde mit dem dummen Rauchen.

Man ist halt niemals frei mit den Weibern. Darum kann keine Kunst gedeihen. Und er erneute seine Entschlüsse.

Es war doch wirklich viel schöner, sie bloß vorzustellen, jetzt ihre Lippen, jetzt ihre Brust, was gerade die Begierde brauchte, und dann wischte er nur darüber, mit zwinkerndem Blick, und sie war weg, mit einer anderen vertauscht, zur Abwechslung. Das ist die wahre Form der Liebe, welche befriedigt. Und keine Mahnung, daß außer ihm noch etwas anderes sei, eine fremde Welt.

Morgens weckte ihn der Bote mit einem Brief.

Er war von ihr.

»Warte nicht. Ich bin mit dem Mohren. In Eile. Fifi.«

Er verstand es nicht.

Es kam aber gleich die Hausmeisterin, mitleidig, und wußte es mit vielen Worten zu erzählen, haarklein, weil es ihr ein paar Tage schon – er sollte[186] nur ihren Mann fragen – von Anfang an nicht recht in Ordnung schien, warum der immerfort herumschnüffelte, alle Augenblicke, und nachher wieder der verschmitzte Galgenstrick von Diener, mit unnützen Fragen und Erkundigungen, hin und her, auf und ab, um nichts herum und auf irgend etwas anderes los, fein sachte und behutsam, als ob man den Leim nicht selber kännte, und immer auf die Seite geschielt, mit verdächtigen Trinkgeldern, seit jenem Besuche drüben, vorige Woche, bei dem verrückten Schweden, als er ihm den großen weißen See abkaufte, wo vorn die nassen, runden Kiesel so schön glänzen und es scheint der Mond; aber man kann ja den Herren nichts sagen, weil sie es nicht hören wollen, wie die Mädchen heute sind. Und einen häßlicheren Neger, man kann einen Preis ausschreiben, hat niemand gesehen: wie man die Kinder schreckt, in Bilderbüchern, und an den wulstigen Lippen, vorn, grauslich, als ob ihm die Haut zu kurz geworden wäre; und dann muß man nur noch wissen, wie sie stinken, alle Schwarzen, da hilft nichts. Aber natürlich – das stehlen sie sich so zusammen, wo es keine Polizei giebt, überm Meer – natürlich Geld in Haufen und nur auf die Weiber damit, weil er ja sonst nichts thut den ganzen Tag. Aber es sind zum Glück nicht alle gleich, weil es an der Erziehung hängt; es giebt noch andere, Gott sei Dank, wenn sie auch freilich immer seltener werden. Z.B., wenn er ihre Nichte kennen lernte, die kleine Felicie, die zu ihr nähen kam, ein herzensgutes Ding, spricht sogar ein bißchen Englisch, auch zum Malen,[187] wenn er wollte, weil sie sehr fürs Künstlerische ist – keinem anderen würde sie's erlauben, mit ihm jedoch –

Aber er schob sie mit einem Thaler hinaus.

Dann stand er auf, ärgerlich, weil der andere Pantoffel nicht zu finden war, als ob er taste, horchte er. Er wollte sein Gefühl erforschen, was er eigentlich empfände. Das reizte seine Neugierde, weil es besonders sein mußte, sicherlich.

Aber er konnte, so redlich er sich auch durch alle Falten und Schlüpfe der Seele untersuchte, mit aller gierigen Sorge nichts gewahren, als einen großen Abscheu vor der Alten, weil sie schnupfte. Sonst verkündete sich keine deutliche Empfindung; der Rest schlich in stummen Nebeln. Bloß, daß sie dazu schnupfte, nach jedem Satz, mit lüsternem Rülpsen, beleidigte ihn an ihrer Botschaft, weil es schmutzig und gemein war; die Botschaft selbst, wie er sich auch verwundert immer wieder erkundigen mochte, ließ keine Wirkung, gar nichts. Das kam ihm seltsam vor, als er es überlegte. Aber keine Prüfung half, er fand nichts anderes.

Und dann – ja, das auch noch – daß er gleich zu Marius hinüber mußte, auf der Stelle, unbedingt, sofort. Freilich war er gerade wieder einmal mit ihm böse, weil er sich nicht immer dreinreden ließ, und wußte nicht, was er bei ihm zu schaffen hätte. Aber diese heftige Sehnsucht wurde er nicht los, daß er nicht widerstehen konnte.

Und noch dazu, auch eine mürrische Furcht fand er in sich vor, daß man ihm sicher den Kummer anmerken müßte, den er gar nicht hatte. Nein, ganz[188] gewiß, er hatte keinen Kummer, als nur diesen, daß einer das glauben könnte, der aus falschem Scheine schloß. Und er fühlte es mit Verdruß, daß seine Miene solche Vermutung noch bekräftigen mußte, dieses klägliche Gesicht, welches sich nicht gerade richten ließ.

Darum sagte er auch lieber gar nichts zu Marius, weil er seiner Stimme nicht sicher war, ob sie nicht auch verdächtig klänge; er hatte es so trocken in der Kehle. Sondern einen munteren Gassenhauer in bequemen Pfiffen zwischen den Zähnen, daß es lustig zischelte, schlenderte er durch die Werkstatt hin und betrachtete sehr eifrig, hier und dort, was es Neues gab, und spielte sich, ein persisch Tuch in stolzen Faltenwurf zu ordnen, makartisch.

Marius huschte kaum einmal mit Schielen und mit Blinzeln scheu hinüber; dann hieb er wieder in die Büste ein mit grimmen Streichen, in Wut, wie zur Züchtigung. Und er ward ganz puterrot und schnaubte und fluchte unwirsch vor sich hin auf seine Arbeit los, indem er sich in den Knieen schaukelte und wiegte, auf und ab, hin und her, vorwärts und zurück, mit watenden Gebärden, wie ein alter Kapitän. Aber plötzlich, weil er immer nur sich selber sah, ausgeklungenes Leid der eigenen Seele, hielt er es nicht länger aus, sondern schrill und jäh, vor Zorn, daß er nicht helfen konnte, weil man da nichts helfen kann, niemals, gellte er heraus, mit steilem Schwung des Meißels, weit weg, wie eines Dolches, indem er sich die Hose hinauf schupfte: »Mußt den Schlampen halt vergessen, Himmelsakrament!«[189]

Aber der lächelte bloß wehmütig, wie leicht die anderen sich das vorstellen, und wollte ihn abfertigen, daß er sich nicht weiter mit unnützen Räten vergeude: »Ich kann sie doch nicht vergessen, ich habe zu viel für sie gethan.«

Und dann konnte er nicht mehr und gab es auf und weinte.

Da nahm ihn Marius in den Arm wie ein kleines Kind und streichelte ihn mit Liebkosungen und schüttelte ihn unter Späßen und sprang in Lärm mit ihm herum, damit er sich nicht länger anhören könne, und sprudelte manchen Übermut aus der Erinnerung, über den sie sonst zusammen oft gelacht.

Aber er konnte seinen Kummer nicht verlassen und schluchzte bloß immer in die vorgehaltenen Hände: »Die Weiber ... oh, die Weiber!«

Und Marius, weil er gar keinen anderen Trost mehr wußte: »Mein Gott, es giebt ja auch schlechte Männer. Es kommt auch unter Männern genug Gemeinheit vor. Es sind alle gleich.«

»Aber warum sind sie denn dann so schön, so schön? Die Männer sind doch wenigstens nicht schön! Da macht es einem nicht so viel!«

Er mußte es sich erst weg weinen.

Quelle:
Hermann Bahr: Die gute Schule. Berlin 21898., S. 163-190.
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