X.

[190] Sie hatte es sich verbessern wollen.

Darum war sie weg von der Cousine, weil es nicht genug Vergnügen gab. Um es vor sich zu rechtfertigen, liebte sie ihn. Und anfangs war es auch so schön gewesen.

Bis sie es merkte, daß es wieder nichts hieß.

Das kam so langsam über sie. Sie wehrte sich und wollte es nicht glauben.

Es war doch merkwürdig.

Erst hatte ihr zum Glück nichts als ein klein wenig Vergnügen gefehlt; und jetzt, in dem vielen Vergnügen, fehlte ihr wieder das Glück. Es ging ihr niemals recht zusammen.

Zeit hatte sie genug, darüber nachzudenken.

Ja, sie liebte ihn. Daran hätte sie niemals gezweifelt. Und niemals würde sie einen anderen lieben. Sie hatte alles zur Zufriedenheit, was man sich nur wünschen kann. Bloß die Zufriedenheit selber hatte sie nicht, das Gefühl, für welches man wünscht.

Ihre Träume bewährten sich; aber sie verlor die Empfindung, mit welcher sie geträumt waren. Sie[191] hatte von der Erfüllung ihrer Hoffnungen nichts, als daß sie keine Hoffnungen mehr hatte.

Weil sie vom Leben nichts verstand – damals.

Mit der Liebe allein ist's eben nicht gethan, sondern man muß auch Geld haben.

Geld – jetzt merkte sie es erst.

Wenn sie ihn weniger geliebt und er mehr Geld gehabt hätte –

Aber dann schämte sie sich wieder und ward ärgerlich über sich selbst, daß sie so Abscheuliches denken konnte, immer wieder, wie sie sich auch sträuben mochte.

Weil er stundenlang nichts redete manchmal. Da kroch einem dann alles im Gehirne durcheinander. Was soll man denn auch thun?

Und wahr ist's. Da kann man dann ausreiten, lustig ins Bois, alle schauen neidisch, und der Schleier fliegt im Winde, unter Offizieren; und alle Tage ins Theater, Loge, um auf dem roten Sammet der Brüstung Ring und Armband auszulegen; oder man überlegt ein neues Kleid, weil keine Schneiderin Geschmack hat: es vergeht die Zeit. Man mopst sich nicht in einem fort.

Wenn man Geld hat.

Natürlich wird man deshalb keinen lieben, bloß weil er Geld hat; das ist schlecht und geht auch gar nicht. Aber warum mußte denn gerade der kein Geld haben, den sie liebte?

Sie hätte ihn ja nicht ums Geld geliebt, aber es gehört doch dazu.

Nicht viel, aber wenigstens mehr.

Es war alles immer schlecht eingerichtet im Leben. Immer haperte es irgendwo.[192]

Andere gab es, die erwischten es viel besser. Und verdienten es gar nicht. Warum?

Warum? Das hätte sie gern gewußt. Warum glückte es bloß ihr gerade nie?

Es ist keine gerechte Vertretung.

Ihm machte sie ja keinen Vorwurf. Er konnte nichts dafür. Aber schöner wäre es gewesen.

Später, ja, wenn er einmal berühmt geworden – aber dann wären sie längst alte Leute, alle beide, und hätten nichts mehr davon.

So kam niemals etwas zur rechten Zeit.

Es tröstete sie nur, daß es für ihn war. Für ihn wollte sie gern leiden. Wenigstens dürfte er dann nichts mehr über die Weiber sagen, sondern mußte es abbitten; darauf freute sie sich, welches verzwickte Gesicht er dazu machen würde.

Andere Male dachte sie wieder: wenn man sich schon einmal aushalten läßt, soll man auch etwas davon haben. Es ist dumm, wenn man sich nicht den Reichsten aussucht. Nachgesagt wird's einem ja so wie so.

Er redete es ihr ja selber alle Tage vor, als das Naturgesetz der Frauen, welchem keine widersteht.

Und auch noch schlecht behandelt werden, oben drein, mit Launen und Grimassen, jeden Tag was anderes; man kriegt es endlich satt. Manchmal war er ganz verrückt. Das kommt vom Malen.

Und die schönste Zeit vertrödeln, sagte die Hausmeisterin; der war es auch so gegangen, da konnte sie reden. Wenn man die Jugend nicht benützt – nachher ist es aus, unwiederbringlich. Sie mußte sich[193] tummeln, sonst war es versäumt. Nur freilich, wer weiß, mit einem anderen –?

Vorstellen konnte sie sich schon welche, daß es ein Vergnügen sein müßte. Aber sie traute ihren Wünschen nicht mehr: das Wirkliche machte dann auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Sie hatte es ja an ihm erfahren.

Wer weiß, was es da wieder gäbe, mit einem anderen!

Man durfte nie was wünschen, weil jedes wieder einen Haken hatte. Man sollte sich nie auf etwas freuen, weil alles immer wieder nur enttäuschte. Sie glaubte schon an gar nichts mehr, an gar keine Hoffnung; sie hatte einmal – nichts halfen alle Räte – sie hatte einmal, wie immer sie sich auch anstellen mochte, sie hatte keine glückliche Hand.

Und dann liebte sie ihn ja. Es ließ sich nichts dagegen machen. Sie mußte schon bei ihm bleiben.

Sonst hätte die Cousine recht gehabt, wie sie es überall herum tratschte, daß sie ein gemeines Mädchen sei, schlecht und verächtlich, wenn sie einem ums Geld nachgelaufen wäre, von der Liebe weg, diesem schmierigen Mohren noch dazu mit den fetten Thränensäcken. Nein, diesen Triumph wollte sie ihr nicht bereiten, nimmermehr.

Zwar, wenn man es überlegte: wer war denn schuld, was immer etwa noch geschah, wer anders als die Cousine war denn daran schuld, weil die Cousine sie hinein gehetzt hatte in diese sämtlichen Geschichten, die Cousine ganz allein? Man sollte nur die Folgen[194] einmal sehen, die Folgen einer boshaften Cousine. Als abschreckendes Beispiel für die anderen.

Nur um ihn that es ihr wieder leid. Er konnte ja nichts für die Cousine. Er liebte sie.

Obwohl – eigentlich –

Nein, Dank schuldete sie ihm keinen. Das war übertrieben. Wofür denn?

Wenn sie das neue Leben maß, welches sie sich eingewechselt hatte, Vorteil und Verlust –

Gar nichts gewann sie, aber gar nichts; langweilig war es und die trägen Stunden krochen gar nicht fort. Er hatte ihr nicht gehalten, was sie sich von ihm versprochen hatte. Es stand gar nicht dafür, daß sie davon gelaufen war.

Und die Jungfernschaft war auch futsch, die immer als eine schöne Mitgift angerechnet wird, selbst wenn eine sonst gar nichts hat.

Sie hatte sich soviel erwartet, so unendlich, unaussprechlich viel, mit geschwollenen Gefühlen, als sie damals das scheue Zaudern endlich überwand, an seine Thüre zu pochen, in die Seligkeit hinein, in die ewige Seligkeit. Wie es eigentlich hätte sein sollen, genau konnte sie ja das nicht sagen, aber halt was ganz besonderes, neues und recht angenehmes. Und alles böse auf einmal wäre weg, auf Nimmerwiedersehen vertrieben.

Wie es die Romane beschreiben. Und man spürt es, wann man das erste Mal von Liebe hört, aber nur ganz von fern, weit weg, aus schwanken Ahnungen, wie in tiefem Thale eine leise Glocke, abends, die der[195] Wind herüberträgt, und man lauscht, hinaus gebeugt, und schlürft das Flatternde und möchte mehr. Das hätte sie gern einmal aus der Nähe empfunden, den vollen Klang, recht deutlich.

Oder, mein Gott, bescheidener konnte man schon nicht mehr sein, aber dieses Gefühl doch wenigstens, diese schaurige und herbe Wollust, die beklemmte Brust herauf, in Stößen, daß oben alles Denken taumelte, während die Wangen brannten, und über dem Rücken zerrinnt Eis, rastlos auf und ab, und sie mußte schreien, in zerhackten Rufen schrill und grell hinaus, nach Hilfe, und springen, in verzückten Tänzen, wie von einer Feder drin geschnellt, und mit den Fingern, welche bebten, von sich weg fächeln, zur Wehre, um Luft, sonst in Brausen und Zischen, wie bedrängter Dampf, hätte es sie zerrissen, und es empfand sich dennoch köstlich, als wenn das Herz gekitzelt würde – dieses Gefühl von früher, wenigstens, so oft sie auch nur an ihn dachte, noch so eilig, das war wahrhaftig doch das Wenigste, was sie verlangen konnte, daß es sich bei ihm bewähre, wenn er ihr schon das andere versagte, jenes eigentliche, von welchem dieses bloß erst die Verheißung und, zur Bekräftigung, eine verbindliche Angabe war.

Aber gar nichts, gar nichts, sie empfand jetzt gar nichts, kein Gutes und kein Schlimmes. Es wollte sich in ihrer Seele nichts mehr ereignen. Sie blieb stumm und leer.

Langeweile hatte sie, fürchterlich. Sonst gewahrte sie in sich keinen Besitz.[196]

Wohin nur war es mit einem denn verrauscht, das große Singen der Gefühle?

Sie konnte es sich nicht erklären.

Stundenlang dachte sie darüber und verglich und gab nicht nach. Was anders sollte sie auch thun? Es vertrieb die Zeit.

Es half aber gar nichts.

Sie brachte es nicht weiter. Sie fand sich nimmermehr zurecht. Sie wußte sich keinen Rat, weil sie sich keinen Wunsch mehr wußte.

Und immer wieder raffte sich ihre Hoffnung noch einmal auf, und noch einmal, und von einem Tag auf den anderen erwartete sie es, in Krämpfen und in Fiebern, daß es endlich käme: denn dieses war ja doch kein Leben, weil es nicht die Mühe lohnte, es mußte noch was anderes geben, sonst hätte man es nicht gefühlt.

Manchmal fand sie keine Ruhe, sondern es trieb sie herum. Sie mußte, was er auch begann, alles wieder lassen und lauschte bloß und bereitete sich vor. Sie erwartete, und wenn es klopfte, dann erschrak sie, weil es jetzt ganz gewiß angekommen war, draußen vor der Thüre.

So äffte sie sich durch die faulen Wochen.

Er wurde ihr zuwider. Was ließ er sie auch zu solchen Gedanken? Er hätte es verhindern müssen.

Das Malen, das hatte sie sich auch ganz anders vorgestellt. Lustiger, weil es gar so fidel klingt, ins Herz hinein: ein Maler; und man kriegt gleich fröhliche Gedanken von Sammet und langen Haaren und[197] tollen und verwegenen Streichen, allerhand zum Lachen immerfort. In der Wirklichkeit: alle Röcke waren fleckig, rettungslos, und er putzte sich die Fingernägel niemals, weil er genial war, freilich; aber was hatte man davon?

Und dazu das ewige Pinselwaschen auch noch, obendrein, abends, wenn man schon endlich Ruhe haben möchte und ins Bett, eine ganze Stunde, schauderhaft, es verdirbt die beste Stimmung.

Da waren doch ins Magazin schon ganz andere gekommen, Adelige, welchen man es ansah, an der seinen blauen Haut, die schimmerte wie ein frisch gestärktes Hemd, und drei schwarze Streifen auf die weißen Handschuhe gesteppt, riesig Chic, und waren ganz verliebt gewesen mit besseren Versprechungen, einer wie der andere – wenn sie nur gewollt hätte. Nicht einmal reiten konnte er.

Es war ein Elend.

Mit der Hausmeisterin, tagelang. Mein Gott, sie war ja wirklich recht gescheit; viel hatte sie erfahren und konnte raten. Aber –

Und dann wieder allein, allein.

Oder mit seinen Schrullen.

Oder er prügelte sie. Das hatte sie noch am liebsten. Es geschah wenigstens etwas auf den Sinnen und sie merkte, daß sie ihn noch immer liebte; das war doch komisch.

Dulden und verzichten. Es war ihr einmal so bestimmt. Da konnte man nichts machen.

Und wenn sie es mit den anderen verglich, wie[198] die es hatten! Es stand ja täglich im Gil Blas, ganz genau. Sie lernte es auswendig und wußte alle Namen und wer sie aushielt.

Villen, Pferde, jeden Schmuck, täglich Feste, eine badete in Manzanilla, und noch obendrein berühmt, Dichter widmen ihnen. Und was da für häßliche Krampen darunter sind, verdunsen und verklappert, wenn man sich sie zeigen läßt.

Dieses verdroß sie am meisten, das sollte doch nicht so eingerichtet sein, daß es keine Gerechtigkeit giebt, gar keine sondern bloß der Zufall thut, der dumme Zufall, was er will, rein nur, was er gerade will – man kann dagegen gar nichts machen. Häßlichen und ganz Gemeinen, manchmal, daß es ein wahrer Graus ist, glückte alles, wie blind sie es begannen, und sie brauchten sich gar nicht erst darum zu kümmern, und zuletzt heiratete sie noch ein Graf. Wie aber eine brav und schön war, da wurde sicher nichts aus ihr, man konnte darauf schwören, wieviel gescheite und wohl beratene Mühe sie auch verwenden mochte.

Und sie konnte sich ja doch nicht austrommeln lassen! Das gehört sich doch nicht für ein Mädchen, aufs Suchen auszugehen. Man muß warten, daß einer kommt, von selber; anders ist's einmal nicht möglich.

Ja, wenn einer gekommen wäre!

Ein Reicher, und dabei doch so, daß man ihn auch lieben könnte: denn bloß ums Geld – nein, das wollte sie nimmermehr.[199]

Aber nichts als dieser blöde Mohr! Das konnte man doch nicht von ihr verlangen.

Das fehlte ihr gerade noch.

Ausgelacht werden auch noch.

Obwohl es keinen Sinn hat, gar keinen. Schließlich kann einer am Ende nichts dafür, wenn er schwarz ist. Aber jeder glaubt: da darf er sich lustig machen.

Sie hätte sich damit nur noch verschlechtert für die Zukunft.

Denn sie färben ab, sagte Marius. Das bringt ein Mädel nicht leicht wieder weg.

Freilich war es allerliebst, das konnte man nicht leugnen, das kleine japanesische Hotel, protzig zwischen Tulpen, welches er ihr antrug, mit eitel angeschwollenen, lüstern ausgebogenen, frech gespitzten Türmchen ringsumher, welche bunt hinter zugestutzten Hecken kicherten – Quartier Monbeau, in der allerchicsten Gegend; günstiger konnte man nicht beginnen. Anschauen mochte sie's ja immerhin, bloß um es doch einmal zu sehen, wie denn eigentlich das ist, damit man wenigstens einen Begriff davon hat. Und er war auch, daß es sie schüttelte vor Lachen, ungeheuer komisch, wenn er von seiner Liebe vorzufletschen anfing, mit wilden, lärmigen Gebärden, welche jäh in steifen Ecken abbrachen, wie sich Caran d'Ache gern belustigt; und es schäumten ihm die Lippen und die Augen.

Sie brachte es nimmermehr weg, das rote japanesische Hotel, mit den buhlerisch gleißenden Schirmen; zwei Schimmel stampften im Stalle. Es wich ihr[200] nicht aus dem Sinn, wie sie sich auch flüchten wollte. Sie blieb von ihm besessen.

Es ging ihr garstig im Kopfe herum. Sie ängstigte sich. Wenn er es ihr doch ausgetrieben hätte!

Ja, seine Schuld. Er durfte sie den Anfechtungen nicht überlassen. Er hätte sie beschäftigen müssen, daß sie auf so etwas gar nicht kommen konnte.

Und am meisten verdroß es sie, daß sie halt doch noch immer zu anständig war. Das verpatzte ihr das Glück, weil sie sich auf ganz unnötige Skrupel einließ. Ungeniert drauf los, wie die anderen; anders geht es heute einmal nicht.

Aber sie konnte sich nicht entschließen. Sie wollte wohl, aber dann fehlten ihr doch wieder Kraft und Mut.

Wenn sie einer genommen hätte! Sie war bereit, alles mit sich machen zu lassen.

Aber selber!

Selber anfangen, selber fortlaufen, selber entscheiden –

Immer selber, alles selber, ganz allein.

Da hatte man dann die ganze Verantwortung und konnte sich auf gar niemanden ausreden.

Und überhaupt das Denken, das ewige Denken immerfort, dieses beladene und verhetzte Denken, in blinden Zweifeln, rastlos hin und her, zwischen tausend Plänen – es wurde ihr ordentlich seekrank, wie es den Willen schwankte, auf und ab, in brausenden Wirbeln, so oder so; und nachher merkt man dann[201] jedesmal, daß man's schon wieder verfehlt hat, und das andere, immer das andere, wär' es gewesen.

Das Leben ist so mühsam.

Es hätte sie einer vergewaltigen müssen. Das brauchte sie.

Einfach, wie über ein störrisches Vieh, mit Zwang, mit Marter, mit Geißel über sie her, nach seiner Willkür, nach seiner Laune, unter seinem Befehle, ohne Bitte, ohne Frage, in Züchtigungen, roh und grausam, herrisch, unerbittlich, daß sie sich fürchtete, daß es sie unterjochte, daß ihr der Widerspruch vergangen wäre, unter Hieben, ein für allemal. Ah, das stellte sie sich schön vor – Wollust und Qual zugleich! Ja, das fehlte.

Selber konnte sie es nicht richten, allein nicht.

Das ist das Allerschlimmste, wenn man thun darf, was man will; denn erst, wenn man es nicht darf, daran bloß läßt es sich erst merken. Nur das nicht, daß es einem überlassen wird, die Freiheit – da kennt man sich denn gar nicht mehr aus, am Ende möchte alles zusammen und kann keines, und es stottert das verworrene Gehirn. Ah, und das ewige Hin und Her, immer in den nämlichen Spiralen, kein Rat, kein Entschluß – alles wankt, taumelt, morscht!

Und immer wieder zuletzt, in den vielen Wirbeln, die ihre Wünsche verbogen, zerrütteten, entstümmelten – an diesen einzigen Halt, der sicher war, klammerte sie sich, in Krämpfen:[202]

Nein, den Neger nicht, nein, nein, den Neger nicht, weil es zu abscheulich ist, man würde lachen –

Aber irgend einen, so konnte es nicht bleiben, irgend einen anderen, es gab doch wahrhaftig genug, warum, warum denn sollte es bloß gerade für sie keinen geben?

Mit Geld.

Sie mußte nur – ja darauf kam es an – sie mußte eben mehr für sich thun, damit man sie bemerken könnte.

Freilich – gleichgültig, ohne Sorge, immer lustig in den Tag hinein und drauf los, Hände im Sack, den gebratenen Tauben entgegen – da konnte es natürlich nicht gehen.

Sie mußte mehr Mühe verwenden, sich zu verschönern.

Auffallen – dann ist alles gewonnen.

Und stundenlang, seitdem, alle Tage, in fieberischen Hitzen, unnachgiebig, daß von der rauhen Gier die Nägel schwollen, mit zernagten Lippen und verkrampften Fingern, wie vor der letzten Karte des Glückes ein falscher Spieler kauerte sie, ängstlich um Rat, vor dem Glase, vor dem kalten, starren Glase, brütend über ihren Reizen und nach Behelfen spähend, unter Wallungen und Taumeln und Schauern, welche rieselten, dampften, brausten, und prüfte, zwischen Jubel und Verzweiflung, wie der bange Bauer den stummen Acker, der ihn nähren soll, ihr Fleisch und düngte sich die Haut mit üppigen Parfümen und wusch, sie zu runden und zu härten, die Brüste mit[203] circassischen Wassern und übte Blicke, Mienen, Gebärden und zermarterte sich um buhlerische Künste.

Es mußte ja doch einer bemerken. Zu den Malern kamen viele Besuche.

Wenn sie nur ausharrte und sich nicht abschrecken ließ.

Man darf nur nicht gleich verzagen. Es ist niemals zu spät. Man hat Beispiele.

Vielleicht sogar heiraten, wenn ihr das Glück half. Alles kommt vor.

Dann konnte noch alles gut werden. Sie wollte ja anständig sein, es war ihr lieber. Davon hatte sie sich jetzt schon überzeugt, daß mit dem anderen nichts herausschaut. Nur mußte man einem dazu behilflich sein. Sonst ist es nicht möglich.

Sie träumte gern Ehe, wenn ihre Wünsche rollten: eine muntere und helle Wirtschaft, still vergnügt und überaus honett, niemals Ärger und Verdruß, weil der sehr verliebte Mann gehorchte; Dienerschaft, und mit köstlichem Tafelgeschirr Hausball jeden Winter, Sommers am Meere, und alle, weil sie recht ehrbar sein wollte, alle Freunde, schnell verdrehten Kopfes, machten ihr immerfort respektvollst den Hof, Jahr aus, Jahr ein, aber es traute sich keiner. Das war ein lieblich blühendes Gesicht. Und hinten im Gehirne, jenseits des Grames und des Ekels, dämmerte es ihr licht.

Und dabei könnte sie immer noch, einmal, zweimal die Woche auf den Arago hinaus, ganz heimlich, zum Küssen und Kosen mit ihrem lieben, närrischen Maler,[204] da sie nun doch einmal von ihm nimmermehr lassen konnte. Das weiß man sich schon einzurichten in der großen Stadt. Und dann hatte sie Geld und wollte ihm alle Bilder abkaufen, die verrückten großen, fleckigen, schrecklich rot und grün, wo sich kein Mensch auskennt, auf die er so stolz war.

Aber dann wieder, wenn die hohen Dämmerungen zerrissen, entwichen, versanken, welches Erwachen aus lauen, rosigen Schimmern, die linde winkten, ins Graue, ins Starre, ins Kalte – welches tödliche Erwachen!

Das schmierige und verschlissene Kleid, von dem die Fetzen schleiften, gemeine Musseline; und die dicken bunten Ringe brachte sie nimmermehr von den Waden, lächerliche Tätowage, weil diese billigen Strümpfe abfärben. Nämlich, er war eben faul, im Grunde. Nie wurde was fertig; ja, versprechen – alles!

Da natürlich war es umsonst. So konnte sie keinen einfangen, zerzaust und schluderig. Ohnedies, wie die Männer schon Schafsköpfe sind, daß sie sich immer nur in die Schneiderinnen verlieben, wenn eine nur recht exotisch hergerichtet ist.

Geld, Geld – alles dreht sich immerfort in dem nämlichen Kreise: man konnte schon einen finden mit Geld, aber dazu, vor allem, brauchte man wiederum Geld, Geld, Geld.

Das verfluchte Geld.

Ah, wenn sie eine Roulette gewußt hätte, irgendwo! Aber, natürlich, das machen sie geheim, in verschwiegenen Zirkeln, bloß für die reichen Leute, die es gar nicht[205] nötig haben, und lassen niemanden hinzu. Alles ist verdreht aus dieser Welt, aber schon komplett.

Sie wettete bei den Rennen; Leute giebt's, die davon leben. Aber die Zeitungen heißen auch nichts und sagen falsch voraus, selbst der Figaro. Es ist kein Verlaß.

Sparen – das bleibt am Ende noch das gescheiteste, und man riskiert wenigstens nichts. Paroxysmen des Geizes. Bis vier, fünf Uhr blieb sie manchmal im Bette, um sich über das Dejeuner hinwegzuschlafen. Ohne Zucker fand sie den Thee plötzlich viel besser. Auf die Blumen, freilich, kaum daß sie sich ein lumpiges Dutzend magerer Franken mühselig zusammengeschleppert, besonders auf die Tubereusen, weil sie am besten riechen, ging es immer gleich wieder hilflos hinaus – aber irgend ein Vergnügen muß man schließlich doch haben, mein Gott!

Da ward ihr manchmal so müde von dem irren Tappen und Hasten in den steilen Hoffnungen, immer, immer vergeblich! Sie wagte es nicht mehr, in die Zukunft zu schauen, weil sie es verlernt hatte, sich zu betrügen. Sie fühlte sich zum Sterben, so öde und so schlaff, verwüsteten Vertrauens, und alles, aus moderigen, leichigen Gestänken, ekelte sie an.

Nur betäuben. Das Denken ersticken. Nichts mehr von sich wissen. Blind und taub dahintaumeln, in Schwindeln, Wirbeln, Dünsten. Sie wusch sich gar nicht mehr ordentlich, damit sie nicht durch den Alarm der jähen Güsse das Brütende des Schlafes von den klebrigen Lidern scheuche.[206]

Und dann, von Angst gespornt, rannte sie oft, rannte, ungekämmt, Schlafrock, ein Tuch über dem wirren Kopf, nur hinaus, atemlos, mit schrillen, schnaubenden Gebärden, mistralisch, rannte mitten ins Getümmel, wo die große Stadt heult, rast, schäumt, damit es ihr das Nachdenken zerquetsche und das Bewußtsein ersäufe und die Erinnerung wegfege.

Zu Freundinnen, nach Abenteuern, in Lärm und Tollheit – nur aus sich heraus, von sich selber weg.

Da mußte dieses Mal gerade auf dem nämlichen Schiffe die Cousine sein, welche nach der Ausstellung wollte. Das hatte ihr eben noch gefehlt. Natürlich aufgedonnert und herausstaffiert wie ein prämiiertes Mastschwein.

Aber sie sollte es nur probieren, ein einziges Wort – nur mit den Wimpern sollte sie mucksen! Da wollte sie die Rechnung aber einmal gründlich abthun. Sie war gerade in der rechten Stimmung, ihr den Chignon gehörig herzurichten, klik-klak.

Jedoch, die Cousine sagte nichts, kein einziges Wort.

Sondern, unbeweglich in der Sonne, welche über ihren glitzernden Plüsch raschelte, schaute sie nur starr auf ihre Mousseline, auf die bleiche und verfärbte Mousseline. Dieser Blick verglich Tugend und Laster. Die Tugend triumphierte.

Da stieg sie, Place de la Concorde, vom Schiffe, nahm eine Droschke und fuhr zu dem Mohren.

Sie wollte es ihr schon austreiben, die Schadenfreude.

Und sie hatte ein angenehmes Gefühl, daß es jetzt wenigstens entschieden war.

Quelle:
Hermann Bahr: Die gute Schule. Berlin 21898., S. 190-207.
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