XV

[135] Vergleicht man die Psychoanalyse mit der Dämonologie der Kirche, so ist die Libido vom Teufel und die Neurose von der Besessenheit nicht sehr verschieden, nur daß die Kirche ganz anders an der Persönlichkeit festhält. Die Existenz einer dämonischen Welt ist ausdrückliche Glaubenslehre (Trid. sess. V can. I und sess. VI ep. I). In Sünden geboren werden und unter der Botmäßigkeit Satans stehen, ist den Vätern und Lehrern gleichviel. Wenn der Mensch Gott abtrünnig geworden sei, so übe mit vollem Recht der Teufel seine Herrschaft über ihn aus. Infolge der Erbsünde, des Abfalls vom Gottesgebot, ist Satan der Fürst dieser Welt, ist die Welt sein Reich. Ebenso aber wie der Mensch durch den Sündenfall dem dämonischen Einfluß ausgeliefert ist, so ist er durch die historische Erscheinung Christi, seinen Opfertod und seine Auferstehung, der allgemeinen Herrschaft des Satans entzogen worden. Mit eigentlicher Besessenheit (Neurose) hat der Zustand der Erbsünde und außerkirchlichen Existenz nach der Meinung der Theologen nichts zu tun. Die Besessenheit droht dem Abtrünnigen nur; er ist in Gefahr, ihr zu verfallen. Typisch ist für diese Fragen die Auffassung des Exorzismus bei der Kindertaufe. Gelten die Kinder vor der Taufe für Besessene? Die Formel spricht dafür, aber man hat es bestritten. In den meisten Fällen entzieht sich ihr innerer Zustand ja der Beurteilung; die Kirche aber scheint für die Möglichkeit Vorsorge getroffen zu haben.[135]

Hören wir nun die eigentlich exorzistische Theorie. Zum Thema äußert sich als erster ausführlich Tatian. Er sieht die Ursachen der Krankheiten zunächst in einer Unordnung der körperlichen Zustände. In diese natürlichen Verhältnisse mischen sich, so meint er, die Dämonen ein; durch den Logos werden sie vertrieben. Lactantius weiß, daß die Dämonen »mit Träumen die Seelen schrecken, mit Wut die Geister erschüttern«. Augustinus sagt, daß sie denjenigen, die sich »verkehrterweise in irdische Güter vernarren und deren moralischer Zustimmung sie sicher seien«, gefährlich würden. Man wußte, daß die Symptome schwänden, sobald die Dämonen ihre Wirksamkeit eingestellt hätten. Man wußte ebenfalls sehr wohl, daß es sich zum Teil um individuelle, zum Teil um kollektive Charaktere handelte. Hermas, Tertullian, Gregor von Nazianz, Petrus Lombardus u.a. nehmen für jeden einzelnen Menschen einen besonderen Dämon als Versucher an. Ähnlich ist die Meinung des Origenes, wenn es nach ihm Hauptdämonen ebenso viele als Hauptkeime zum Bösen (libidinöse Neigungen) im Menschen gibt, die unter Mitwirkung des Bewußtseins zu Todsünden werden. Der Übergang zu den Kollektivanschauungen zeigt sich, wenn man Origenes weiter folgt. Derjenige, der eine Todsünde begeht, wird dem dahinterstehenden Dämon besonders zu eigen (consecratus). So kann es geschehen, daß man so vielen Dämonen hörig werde, als man verschiedene Sünden begehe und in den einzelnen Vergehen sich zu den Mysterien dieses oder jenes Idols bekenne (in Num. hom. 20 n. 3). Die Dämonologie bezieht sich hier ausgesprochenermaßen auf Mysterienkulte, Ideologien und die pneumatische Sphäre. Aus Göttern der umgebenden Kulte, die meist Fruchtbarkeitskulte, mancherorts hermaphroditische, sogar Inzestkulte waren, sind Teufel geworden.

Theodor Reik hat in einem interessanten Werke (›Der eigene und der fremde Gott‹, Intern. Psychoanalyt. Verlag, Wien 1923) das hier zugrunde liegende Phänomen als eine Ichspaltung und Verdrängung völkerpsychologisch zu entwickeln versucht. Es liegt kein Grund vor, Tatsachen zu bestreiten. Die Ichspaltung ist der jeglichem Urteil zugrunde liegende Akt, die Verdrängung aber ist eine solche dann nicht mehr, wenn der vernünftige Teil des verurteilten Erlebens ins Bewußtsein aufgenommen ist.[136]

In diesem letzteren Sinne sagt Dionysius Areopagita von den Dämonen: »Was sie wesentlich sind, das sind sie aus dem Guten, und das sind sie in Gott. Das Böse in ihnen stammt aus dem Abfall von dem ihnen eigenen Guten.« Die Dämonen sind Persönlichkeiten der gestürzten Kulte, oder sie hängen mit Symbolen, Bildern und Gebrauchsgegenständen dieser Kulte zusammen. Wer Götzenopferfleisch aß, nahm damit in urchristlicher Zeit auch den dämonischen Geist in sich auf. Ebenso galten die Ketzer als Diener und Eigentum des Teufels. Die dämonischen Phantasmata, von denen der hl. Ambrosius spricht, kommen aus dem individuellen und phylogenetischen Bilderschatze der Phantasie. Wenn wir annehmen, daß die Primitiven überhaupt nur Kultbilder kennen, daß die ›participation mystique‹ (die Magie) auf der Kultweihe beruht, so ist dies zugleich die Erklärung dafür, weshalb diese Bilder sich dem Gedächtnis der Menschheit überhaupt so tief eingeprägt haben.

»Die Entwertung«, sagt Jung, »und die Verdrängung einer so starken Funktion wie es die religiöse ist, hat natürlich beträchtliche Folgen für die Psychose des einzelnen. Das Unbewußte wird nämlich durch den Rückfluß dieser Libido (Seelenkräfte) außerordentlich verstärkt, so daß es anfängt, mit seinen archaischen Kollektivinhalten einen gewaltigen, zwangsmäßigen Einfluß auf das Bewußtsein auszuüben.« Mit anderen Worten: die Entwertung des religiösen Aktualbildes verstärkt die Bedingungen der Besessenheit. Zwischen beiden Bildreihen besteht nun eine Spannung der libidinösen Energie, die mit der für das Leben und die Norm notwendigen Präsenz und Einheit unverträglich ist. Petrus Chrysologus faßt dieses Spannungsverhältnis in das Wort: »Diabolus mali auctor... rerum hostis, secundi hominis semper inimicus... stimulat corpora, pungit animas, cogitationes serit, inmittit iras, dat virtutes odio, vitia dat amori, errores serit, discordias nutrit... affectus dissipat, conscindit unitatem...« (Sermo 11, Migne LII 219). Nach Abbas Serenus erfolgt die Besessenheit erst, nachdem die Dämonen vorher das Denken und Sinnen des Menschen vergiftet haben. Die Vertreter der Scholastik, Thomas, Bonaventura, negieren dabei die Möglichkeit des Eindringens der Dämonen in die Seele und sehen in der Besessenheit lediglich eine Besitzergreifung des menschlichen Körpers durch die Eindringlinge. Die anima[137] hierarchizata kann nicht selber zum Dämon werden, sie wird nur umsessen und verdrängt von ihrer normalen Funktion. Daß es aber dieselben Einbrüche einer subliminalen, libidinösen und atavistischen Welt sind, die hier wie dort vorliegen, geht zur Evidenz aus den Exorzismusformularen der verschiedensten kirchlichen Zeiten hervor. Der Dämon heißt hier: immundissime spiritus, inveterator malitiae... qui fraudibus, sacrilegiis, stupris, caedibus gaudes. Oder er heißt: insatiabilis homicida, draco inveterate, proditor gentium, homicidii princeps, auctor incesti, haereticorum doctor, totius obscenitatis inventor. Aus der Mitte des 11. Jahrhunderts ist ein Formular erhalten, in welchem mit direkten Worten steht: »Tu mentes... dissolvis libidine« (Franz, ›Die kirchl. Benediktionen des Mittelalters‹, Herder, Freiburg 1909, II 612).

Von den Unterschieden der hauptsächlichste ist die Einstellung zur Persönlichkeit. Nach Tatian werden die Dämonen durch den Logos vertrieben. Der Logos aber wird der Seele durch das Sakrament der Taufe eingeprägt. Ein aus der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert stammendes Gebet (bei Jacoby, ›Ein neues Evangelienfragment‹, Straßburg 1902, S. 32) lautet: »Die Herrschaften und Mächte und Herren der Finsternis... nicht mögen sie Macht haben gegen das Bild, weil es aus der Hand deiner Gottheit gebildet wurde« (das Bild, aus der Hand der Gottheit gebildet, das setzt das Gestaltungsprinzip, die Persönlichkeit, und zwar des Formenden sowohl wie des Geformten, voraus). In etwa derselben Zeit ist das ›Leben des Antonius‹ entstanden, das Leben desselben Antonius, der die vielen dämonischen Versuchungen hatte und sie siegreich überstand. Nach dem Autor dieses Buches, dem hl. Athanasius, ist der Getaufte die christliche Person; mit der Aufprägung des Pneuma in der Taufe ist den dämonischen Gewalten der Zugang zur Seele verwehrt; durch die Taufe ist aus dem Liebhaber Christi sein Streiter geworden. Bischofsberger (›Die Verwaltung des Exorzistats‹, Leutkirch 1884) erwähnt Fälle, in denen der Dämonismus nur durch die Taufe überwunden werden kann. Und Ubald Stoiber in seinen ›Armamentarium ecclesiasticum‹ erzählt von einer Besessenheit, wobei der Exorzist, da keinerlei kirchliches Mittel verfangen wollte, in einer plötzlichen Eingebung ausrief: »Ich glaube, der Mann ist nicht[138] getauft« (kein Einheits-, kein Persönlichkeitskern war vorhanden, an den die kirchlichen Mittel hätten anknüpfen können). Die Befreiung aus der Herrschaft Satans ist allgemein durch den Tod Christi errungen und durch seine Auferstehung vollzogen worden; die Taufe aber ist das Sakrament der Wiedergeburt in Christi Namen.

Quelle:
Hugo Ball: Der Künstler und die Zeitkrankheit. Frankfurt a.M. 1984, S. 135-139.
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