XVIII

[147] Und so mag die Logoslehre der Kirche den Abschluß bilden. Entsprechend dem ästhetizistischen Ansturm, der die ausgedehntesten Zeiträume und die verschollensten Systeme umfaßt, nehme ich die Beispiele aus der Frühzeit und aus dem weniger bekannten Ideenschatze der Kirche. ›Im Anfang war das Bild‹, sagt Bernoulli in Bachofens Sinn. Im Anfange aber war das Wort, weil es der höchste, einfachste und konzentrierteste Ausdruck des Menschen ist. Im Anfang sprach Gott: ›es werde Licht!‹; im Anfange schuf er die Seele, das Bild seines Wortes. Nicht die »primäre Wirklichkeit der Symbole brachte Religion hervor« (Bernoulli, S. 514), sondern die göttliche Person schuf die Symbole und gab ihnen Realität durch Identifizierung mit ihrem Inhalt. Der Totemismus (Pneumatismus), so will Bachofen, sei die »zweckmäßige Verwendung des Natursymbols Hand in Hand mit den ersten Versuchen einer Gesellschaftsbildung«. Es gibt aber gar keine Natursymbole außer in Gestalt einer zweckmäßigen Verwendung von hieratischen Symbolen bei den ersten Versuchen einer Gesellschaftsbildung. Die Forschung lehrt und die Erfahrung bestätigt es noch täglich, daß aus der pneumatischen (der Totemsphäre) die Symbole entstanden, und daß im Symbol die Norm sowohl der Künste wie der Gesellschaft enthalten war. Osiris-Dionysos lehrt den Ägyptern die Maße, die Zahlen, die Musik und den Ackerbau. Die christliche Kunst und die christliche Gesellschaft sind aus der pneumatischen Sphäre der Evangelien entstanden; doch wohl nicht umgekehrt.

Wer ist er nun, der Logos? Wie interpretieren ihn die Väter? Bei Justin dem Märtyrer ist er das Schöpferwort und der Offenbarer Gottes an den menschlichen Geist. Bei Origenes ist er der Schöpfer der Welt, dessen Geheimnisse die heilige Kultsage und zugleich auch das Wort im Sinne der hellenischen Logiker und Grammatiker umfaßt. Bei Klemens Alexandrinus ist er der Erlöser, und als solcher die Erkenntnis, das Leben, die Liebe in nicht zu überbietendem Grade. Als Pädagoge erschließt er seinem Schüler nacheinander die Psychologie, die Moral, die Ideen, und weit darüber hinaus das Heilige und Überheilige. Daß diese Ideen aber nicht Abstrakta sind, ergibt ein interessanter[147] Beweis aus der kirchlichen Dämonologie. »In meinem (des Logos) Namen«, sagte der Gottessohn, »werdet ihr Dämonen vertreiben«. Nun werden aber schon zur Zeit des hl. Justin und noch heute bei den Exorzismen Teile des Symbolons, des Kredo mit seinem Zuge von Urbildern verwandt. Etwa so: »Im Namen dessen, der aus Maria der Jungfrau geboren, der gekreuzigt, gestorben und auferstanden ist; der kommen wird zu richten ... gebiete ich dir.« Das Symbolon, das Kredo, und seine Auslegung im Dogma machen also den Inhalt des Namens Christi, des Logos, des Wortes aus.

Damit aber sind nicht alle Beziehungen des Logos erschöpft. Gelegentlich der ›Mystischen Theologie‹ des Dionysius Areopagita wies ich an anderer Stelle darauf hin, wie dieser Heilige das Wort ϑεολογια verwendet. Er gebraucht nämlich statt ϑεολογια auch λογια bzw. λογιον sowie ίερος λογος. Die Quelle dieser ίεροι λογοι liegt, so behauptet man, in den Mysterienfeiern. Dort bezeichnete der Terminus den jeweiligen Mythus, der den Kult veranlaßte und bei der Feier selbst in allegorischer Handlung dargestellt wurde. Der Terminus ϑεολογια bezieht sich also auf die gottesdienstliche Handlung und auf deren Vorbild, die Offenbarung: der Inbegriff des Wortes ist auch die Liturgie. Der ίερος λογος umfaßt die ›Gottestaten‹, wie Dionysius sagt, den ›Roman des lieben Gottes‹ nach dem Worte einer Dichterin. In diesem Sinne weiß Gregor von Nazianz um eine ϑεολογια εκ των Σεραφιμ, und es wird klar, weshalb die Neuplatoniker, die unseren Neusymbolikern in vielem ähnlich sind, ihre christlichen Gegner gerade um die Offenbarungsliteratur beneideten.

Dieser Logos in seiner ganzen Fülle wird nach Athanasius dem Menschen in der Taufe aufgeprägt. Die kreatürliche Seele des Menschen wird zur christlichen Person. Sie erhält die Rechte und Pflichten eines Christen; sie erhält die magische Gnade der Anteilnahme am Kult und seinen Geheimnissen. Ich gebrauche das Wort ›magisch‹ dabei im Sinne der ›participation mystique‹, keineswegs im andern Sinne, der eine dem Taufakte vorhergehende Läuterung entbehrlich erscheinen ließe. Dem Bade der Wiedergeburt geht der Exorzismus voraus. Die Taufe selbst ist bei Paulus ein Eintauchen in Christi Tod; die Gewalt der Materie und des Schicksals wird ›mit Christus in den Tod[148] begraben‹. In den Voraussetzungen der Taufe, und in der zweiten Taufe, im Sakramente der Buße ist die aszetische Doktrin der Kirche begründet. Sie ist nichts anderes als eine Methodik der strengen Vereinfachung; eine Vorbereitung für die immer innigere Vereinigung mit dem Logos im heiligsten Sakramente der Eucharistie.[149]

Quelle:
Hugo Ball: Der Künstler und die Zeitkrankheit. Frankfurt a.M. 1984, S. 147-150.
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