Wie die Liebessünde gar traurige Buße fand.

[54] »Weiß Gott!« schrie der Abt, als er des Pagen Sündenregister vernommen hatte. »Schändlichen Treubruchs wardst du schuldig und schmählichen Verrates! Weißt du, kecker Bursch, daß du in Ewigkeit Höllenqualen leiden,[54] nimmermehr ins Himmelreich eingehen wirst für diese gestohlenen Seligkeiten? O wehe über dich!!« Und der Greis, der aus demselben Teige wie die Heiligen gebacken war, zermalmte des Jünglings Seele mit tausenderlei furchtbaren Verheißungen und christlichen Ermahnungen, und er war schier erfindungsreicher denn ein Teufel, der ein Jüngferlein verführen will. Als er dann aber sah, daß René windelweich war, da ward er sanfter und befahl ihm, er solle sich seinem Herrn zu Füßen werfen und ihm alles gestehen; und käme er mit blauem Auge davon, so müsse er das Kreuz nehmen und im heiligen Lande fünfzehn Jahr wider die Ungläubigen streiten. Ganz zerknickt kehrte der arme René zum Schlosse zurück und traf gleich als ersten den Seneschall, der im Schloßhofe auf einer Marmorbank saß und im warmen Sonnenschein zusah, wie man seine Rüstungen blank scheuerte. Der war baß erstaunt, als sich der Page vor ihm niederwarf: »Was gibt es denn?«

»Gnädiger Herr, schicket bitte die Leute hinweg.«

Und als selbige fort waren, gestand der Sünder, wie er seine Herrin im Schlummer überfallen und gleich jener Heiligen offenbarlich mit einem Kindlein beladen habe, nunmehro aber auf Geheiß seines Beichtigers ihn um Gnade anflehe. Und damit harrte René geschlossenen Auges und gottergeben seines letzten Stündleins. Der Seneschall ward kreidebleich und die Luft ging ihm schier aus. Dann aber wallte die Manneskraft, die für ein[55] Kind nicht gelangt hatte, jach in ihm auf und mit behaarter Faust packte er einen schweren Streitkolben und ließ ihn wie ein Spielzeug durch die Luft wirbeln, um Renés blasse Stirne damit zu zermalmen. Doch der Anblick solch hold-verführerischer Jugend weckte in dem Greise ein menschlich Rühren, also daß er das Gewaffen wider einen Hund schleuderte, der zerschmettert niederbrach: »Da sollen doch tausend Millionen Teufel in alle Ewigkeit dem Kerl in die Knochen fahren, der den Eichbaum pflanzte, daraus der Stuhl entstand, auf dem du mich hörntest!! Und deinen Erzeugern gleichermaßen, verdammter Bengel! Scher' dich zum Satan! Aus meinem Hause – und nicht gefackelt, sonst laß ich dich auf einem Feuerchen rösten, daß du ein übers andere Mal deine verhurte Buhle verfluchen sollst!!«

Flugs gab der Page Fersengeld, derweile der Alte wetterte, wie er es in seiner Jugend nicht schöner gekonnt hätte. Dann aber raste Bruyn wutschnaubend in den Garten und trampelte nieder, was ihm in die Quere kam, bis er das gewesene Jüngferlein erblickte, das ahnungslos seines Pagen harrte: »Ha, du Weib! Bei des Satans glühender Höllengabel, bin ich etwa ein gängelndes Kind, das glauben könnte, du wachtest nicht auf, wenn man dich multiplizieren lehrt?! Himmelkreuzbombenelement!!«

»Oh,« entgegnete sie, »das sag' ich nicht. Aber da Ihr mich darin nicht unterwiesen hattet, meinte ich zu träumen.«[56]

Darob schwand des Alten Grimm wie Schnee an der Sonne – wer hätte Blanches Lächeln widerstehen können! »Da sollen doch tausend Millionen Teufel diesen Wechselbalg beim Kragen nehmen! Ich schwöre..«

»Nein, nein! Schwört lieber nicht! Ist's nicht Euer Kind, so ist's doch meines, und sagtet Ihr nicht eines Abends, daß Ihr alles lieben wolltet, was von mir käme?«

Und dann wickelte sie ihn mit güldenen Worten, Tränen und Schmeicheleien nach Frauenart gar sänftiglich ein: daß er doch eines Stammerben bedürfe, daß nie ein Kind schuldloser gezeugt worden sei und was noch alles, bis der gute Kerl ganz weich wurde und sie gar wagen durfte, nach dem Pagen zu fragen.

»Der ist beim Teufel!«

»Wie, Ihr habt ihn getötet?« rief sie totenbleich und die Knie versagten ihr. Ihr Jammer brachte den Alten schier um und er ließ schleunigst überall nach René suchen. Aber der war schon über alle Berge und eilte seine Buße zu erfüllen. Als Blanche erfuhr, was der Abt ihrem Herzliebsten auferlegt hatte, versank sie in tiefen Gram; und wenn der Alte auch tat, was er ihr an den Augen ablesen konnte, in einem Punkte konnte er sie nicht zufrieden stellen, und deshalb vielleicht konnte Blanche den Pagen nicht vergessen. – So schenkte sie eines Tages dem ersehnten Kindlein das Leben. Heih, was war das für ein Festtag für den guten Alten! Der Knabe war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten[57] und das wurde der Mutter einziger Trost, die nun wieder ein wenig aufblühte. Wie dann aber der Kleine zwischen dem Seneschall und der Gräfin hin und wieder sprang, da war der Alte schon so in ihn verliebt, daß er über jeden Zweifel an seiner Vaterschaft an die Decke gegangen wäre. Und da nie etwas von der Pagengeschichte durchgesickert war, so mußte man ihm seine Greisentat bewundernd glauben. Blanche aber war geradezu ein Musterbild von Tugend geworden, die wahrhaft Bruyns Lebensabend vergoldete, also daß er schier das Sterben vergaß.

Aber eines Abend schlug sein Stündlein doch und Blanche betrauerte ihn so aufrichtig, als hätte sie einen Vater verloren. Auch ging sie keine zweite Ehe ein, zumal sie von ihrem Herzliebsten keinerlei Kunde vernahm und auch ihn für tot hielt. So verbrachte sie gar manche Nacht in heißen Tränen und bald waren vierzehn Jahre in Gram und Kummer dahingegangen. Aber eines Abends sprang ihr Söhnchen, der nun mehr denn dreizehn Jahre zählte und René geradezu unerlaubt glich, heiß und atemlos herzu, warf sich ihr um den Hals und rief freudestrahlend: »Denk dir, Mutter, eben hat mich im Schloßhof ein Pilger umarmt und geküßt!«

»Wie!« herrschte sie des Knaben Wärter an. »Hab' ich nicht verboten, daß irgendwer, und sei es auch ein Heiliger, ihm zu nahe kommt?! Aus meinem Dienste!«

»Ach, edle Herrin!« sprach der greise Diener betreten,[58] »der da hatte sicher nichts böses vor, denn er weinte bitterlich, als er ihn küßte.«

»Er weinte?« rief sie. »Weh! sein Vater!« Und dabei sank ihr Haupt wider die Lehne des Stuhles, darauf sie saß – just desselben Stuhles, auf dem sie einst gesündigt hatte. Und alle waren ob ihrer Worte gar verwundert, und niemand merkte darum, daß sie sanft verschieden war. Auch weiß man nicht, war's Schmerz, war's Freude, die sie dahin raffte. Ihr Tod aber schuf viel Trauer rings umher und der Herr Jallanges ward schier von Sinnen, als man sie zur letzten Ruhe bettete, also daß er am Ende Mönch wurde zu Marmoustier, so dermalen das schönste Kloster in Frankreich war.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 54-59.
Lizenz: