Wie und durch wen das Kindlein zustande kam.

[48] Die Frage, wie der Page flugs zu entflammen sei, kostete der Seneschallin wenig Nachdenken und bald hatte sie die Falle vorbereitet, in der sich natürlich jeder gefangen hätte: Zur Mittagszeit nämlich machte der Alte seit den Tagen seines Kreuzzuges sein Nickerchen, also daß Blanche freie Hand hatte. Dies stille Stündlein nun gedachte sie fortan der Erziehung ihres Pagen zu widmen. Und sobald am nächsten Tage der Seneschall sanftselig in Morpheus Armen ruhte, machte es sich Blanche in einem würdigen Großvaterstuhle bequem, der erfreulich[48] hoch war: denn solchermaßen boten sich dem, der unten hockte, manch zufällige Anblicke dar. Die pfiffige Maid schmiegte sich hinein, wie ein Schwälblein in sein Nest, und neigte anmutiglich ihr Köpfchen auf den Arm, wie ein Kind, das schläft. Und derweile sie ihre Vorbereitungen traf, schaute sie mit frischen, lachenden Äuglein um sich und genoß schon im voraus, wie der Page alsbald im geheimen erbaut emporschielen und mählig außer Rand und Band geraten würde. Denn sie schob das Sitzpolster für den Ärmsten so sorglich auf den rechten Fleck, daß selbst ein Heiliger aus Stein genötigt gewesen wäre, von dort aus der Glieder Pracht zu gewahren, die ein verräterisches Gewand vor seiner Nase enthüllte. Wie also sollte da nicht so ein schwacher Knabe erliegen! Und nachdem sie sich solange gedreht und gewendet hatte, bis ihre Stellung allen Anforderungen genügte, da rief sie sacht: »René!« und schon steckte der Schlingel, der im Vorzimmer jedes Rufes gewärtig war, seinen Lockenkopf durch die Vorhänge.

»Was ist gefällig?« fragte er, und das Samtbarett in seiner Hand war nicht so rot wie seine frischen Wangen mit den zieren Grübchen.

»Komm her,« lispelte sie, und vor Wonne versagte schier ihre Stimme. Denn wahrlich, Renés Augen waren blinker denn Edelgestein, milchweiß die Haut und frauenhaft schlank seine Gestalt. Und da er ihr nun so nahe war, schien er ihrer Sehnsucht noch weitaus begehrenswerter. Dann sprach sie, und wies dabei auf ein offenes[49] Buch: »Lies mir die Litaneien der heiligen Jungfrau vor, auf daß ich sehe, ob du auch bei deinem Lehrer gut lernst.«

So begann René die süß-geheimnisvollen Litaneien zu sprechen; aber die ›ora pro nobis‹ Blanches wurden immer leiser und als der Page mit heißer Stimme las: »O wundersame Rose du!«, da antwortete die Schloßfrau nur noch mit einem leisen Seufzer. René vermeinte, daß sie schliefe, und hub darob an sie zu beäugen und sich an dem gebotenen Anblick weidlich zu ergötzen. Schon waren die frommen Gedanken liebevolleren gewichen, sein Herz schlug ihm bis zum Halse und derweile seine Augen in Wonnen schwelgten, erträumte er tausend Seligkeiten, davon ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Dabei entglitt ihm das Buch; aber nach dem ersten Schreck ward er just hierdurch sicher, daß sie wohl ganz fest schlafen müsse. Ja, auch wenn schlimmeres passiert wäre, hätte die Listige mit keiner Wimper gezuckt, denn sie hoffte, daß noch ganz andere Dinge fallen würden als das Stundenbuch. Daran kann man sehen, wie sehr ihr Sinn nach einem Kinde stand! – Indes blieben Renés Augen auf dem Füßchen haften, das zierlich beschuht auf einem Schemel stand, maßen sie doch in dem Stuhle so gar hoch saß. Das war zier und klein wie ein Spatz ... ein zuckersüßes Jungfernfüßlein, eines Kusses so wert, wie ein Dieb des Galgens; ein Wonnefuß, der einen Erzengel zu Fall gebracht hätte, wollüstig, ein wahres Teufelsdingelchen, und der[50] Page hätte es um alles gern unverhüllt gesehen. Darum glitten seine glühenden Augen flink empor, um zu sehen, ob die Herrin auch fest schliefe. So lauschte er ihrem Schlummer, trank ihren Atem und wußte am Ende nicht, welcher Kuß wohl süßer sei: einer auf ihre frischen roten Lippen, oder der auf den so verheißungsvollen Fuß. Wars nun Respekt, oder Angst, oder übergroße Liebe, kurz, er wählte endlich den Fuß und küßte ihn wie ein Jüngferlein, das sich nicht recht traut. Und dann ergriff er flugs das Buch und rief, puterrot und lustgepeitscht, laut wie ein Blinder: »Janua coeli, Himmelspforte ...« Aber Blanche erwachte nicht, denn sie dachte, er würde zum Knie emporsteigen und weiter in den Himmel. So ward sie arg enttäuscht, als René seine Litaneien ohne weiteren Zwischenfall beendigte und sich glückstrahlend davonschlich, maßen er sich schon überreich beschenkt glaubte.

Als die Seneschallin allein war, bedachte sie, daß es angebrachter gewesen wäre, den Pagen das ›Magnifikat‹ singen zu lassen, da selbiges viel länger dauerte. Des weiteren beschloß sie, am nächsten Tage ihren Fuß etwas höher zu placieren, um solchermaßen auch ein wenig von jener Schönheit zum Vorschein zu bringen, die man in der Touraine ›vollendet‹ nennt, maßen sie den Unbilden der Witterung nie ausgesetzt ist und daher immer hübsch frisch bleibt. Man kann sich vorstellen, wie ungeduldig der Page auf das erquickliche Lesestündlein harrte, nun sein Begehren ihn peinigte und seine Gedanken[51] lohten. Er ward gerufen und schon nach den ersten Worten versank Blanche wieder in tiefen Schlaf. Diesmal liebkoste René mit zarter Hand ihr wonniges Bein und wagte es gar zu untersuchen, ob das Knie wohl sanft geründet und das weitere auch so sammetweich sei. Aber inmitten dieser holden Erkenntnisse überkam den Ärmsten wieder blasse Angst, die seine Gier in Banden schlug, also daß er es bei wenigen schüchternen Schmeichelgriffen bewenden ließ und das Seidenfellchen nur mit einem sacht gehauchten Kusse bedachte. Dann verhielt er sich stille. Die Seneschallin hatte schier die Zähne aufeinandergebissen, um sich nicht zu regen. Als sie nun seiner erneuten Zurückhaltung inne ward, lispelte sie: »Nicht doch, René. Ich schlafe ja!« Aber der Page deutete ihren sanften Vorwurf falsch, ließ alles stehen und liegen und lief angstgepeitscht davon: also daß die Gräfin diese Litaneien mit dem Klagerufe beschloß: »Heiliger Himmel, wie schwer ist es doch, ein Kindlein zu machen!« Als der Page beim Essen seine Herrin und ihren Gemahl bediente, stand ihm der Angstschweiß auf der Stirn. Da traf ihn jach wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein Blick aus Blanches Augen – so wunderzart und liebeheiß, wie wohl ansonsten niemals ein Weib holdseliger geäugt haben mochte. Dieser eine Blick machte mit einem Schlage den Knaben zum Manne. Und so kam es, daß noch am selbigen Abend (derweile der Alte in seiner Kanzlei beschäftigt war) René zu seiner Herrin schlich und der Schlafenden zu einem wunderholden[52] Traume verhalf. Keck sprengte er das Tor, das sie beengte und säete also reichlich, daß es wohl nicht nur für eines, sondern noch für zwei andere Kindlein gelangt hätte. Darob packte die Schöne seinen Lockenkopf, preßte ihn an sich und hauchte: »Ach René, welch wonniges Erwachen!« Denn am Ende hatte sie nicht mehr an sich zu halten vermocht und eine Heilige, die solchen Wecker widerstanden hätte, müßte in einem gar bleiernen Schlafe befangen gewesen sein. So war es denn auch kein sonderliches Wunder, daß auf der Stirne des greisen Gatten jenes zierliche Gehörn zu sprießen anhub, ohne daß er eine Ahnung davon hatte.

Fortan ward das Nickerchen ihres Ehekrüppels für die Seneschallin die Quelle holdester Wonnen, an denen sie immer noch mehr Geschmack fand, derweile ihr der Greis immer widerwärtiger wurde. Und so führten die regelmäßigen zarten Litaneien am Ende zu dem so innig ersehnten Ziele, indem die Schloßfrau mählig in ihren jungfräulich-schlanken Hüften eines Kindleins Keimen verspürte. Maßen nun aber ihre Liebe zu dem gelehrigen Knaben immer wuchs, so begann sie um sein Seelenheil und seine Zukunft in bange Sorge zu verfallen; und als sie einstens an einem Regentage wie zwei unschuldige Kindelein ihr ›Katz und Maus‹ spielten und Blanche wieder einmal gehascht war, da seufzte sie: »Hör' mal, René: weißt du eigentlich, daß ich zwar ob meines tiefen Schlafes nur einer läßlichen Sünde schuldig bin, du aber eine Todsünde begangen hast?«[53]

»Ach, holde Herrin,« meinte jener, »wo sollte Gott mit all den Sündern hin, wenn das sündigen heißt.«

Blanche lachte hellauf und küßte ihn auf die Stirn: »Still, Schlingel! Du weißt gar nicht, wie ich mich um dich bange, weißt nicht, daß ich ein Kindlein unter dem Herzen trage und das in Bälde nicht mehr verbergen kann. Aber was wird der Abt, was der Seneschall sagen? Der kann dich in jähem Zorne gar erschlagen. Drum denke ich, beichte du dem Abte von Marmoustier und laß dir raten, wie man sich zu meinem Gemahl verhalten soll.«

»Aber wenn er unsre Liebe ächtet,« warf der Page listig ein. »So hilft es nichts! Dein Seelenheil steht auf dem Spiel.«

»Ach wehe: ist Euch wirklich bitterernst?«

»Ja,« hauchte sie beklommen.

»Nun denn, so schlafet noch einmal, auf daß ich Euch so recht Lebewohl sagen kann.«

Und so betete das holde Paar die Abschiedslitaneien, als hätten beide geahnt, daß ihre lenz-junge Liebe keine Sommerblüte erleben sollte. Und schon tags darauf eilte René, mehr aus Sorge für seine Herrin denn für sich selbst, gehorsam zum Kloster.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 48-54.
Lizenz:

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