276. Die Kaienmühle.

[215] In der bei Rostock liegenden Kaienmühle kam vor langen Jahren Abends in der Dämmerstunde ein sogenannter ›Fierbursche‹ an, den Meister um Arbeit ansprechend. Da dieser gerade um einen Gehilfen benöthigt war, so wurde er auch sogleich angenommen. Nachdem er zu Abend gegessen, sagte ihm der Meister, daß er seine Schlafstelle auf der Mühle habe, wohin sich der Geselle denn auch bald begab. Hier traf er den Burschen, welcher ihm sofort seine Freude aussprach, daß er jetzt nicht allein mehr auf der Mühle zu sein brauche; denn, fügte er hinzu, auf der Mühle ist es nicht richtig. Auf die Frage des Gesellen erzählte er, daß er Nachts bei seinem Umgange durch die Mühle wiederholt eine weiße Gestalt gesehen habe. Der Geselle nahm sich vor, gleich in der ersten Nacht die Sache zu untersuchen. Er begab sich an die bezeichnete Stelle und richtig – die Gestalt war wieder da. Der Müller sagte ›Alle guten Geister loben Gott den Herrn!‹ ›Ich auch,‹ sagte die Gestalt. Halt! dachte der Müller, vom Bösen ist sie nicht und fragte nun die Gestalt weiter aus. Da erfuhr er denn, daß sie ein reisender Müller gewesen, der dicht bei der Mühle erschlagen und an der Hecke, die sich an der Mühle hinzog, eingescharrt worden sei. Die Gestalt forderte ihn auf, dafür zu sorgen, daß der Leichnam in geweihter Erde seine Ruhe finde; und zum Zeichen dafür, daß er solches thun wolle, möge er ihr die Hand geben. Dagegen sträubte er sich jedoch, da bat ihn der Geist, er möge doch nur den Schoß seines Kleides berühren. Dies that er, und sofort war das Gewand an der erfaßten Stelle pechschwarz. Nachdem ihm der Erschlagene noch mitgetheilt, daß er das Geld für die Beerdigung in einer Rocktasche habe, war er verschwunden. Am andern Morgen erzählte der Geselle seinem Meister den Vorfall, sie gruben an der bezeichneten Stelle und fanden auch bald den Leichnam, der deutliche Merkmale eines[215] gewaltsamen Todes an sich trug. In der Rocktasche fanden sie wirklich einen Louisd'or, für welchen das Begräbniß auf dem Biestower Friedhofe bewerkstelligt wurde. Seit der Zeit hatten die Müller auf der Mühle keine Erscheinung wieder.


Lehrer F. Haase in Rostock.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 215-216.
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