428. Die Inseln im Krakower See.

[318] Im Krakower See, gegenüber dem Dorfe Dobbin, liegen zwei Inseln; die eine wird Burgwall, die andere ›die Küche‹ genannt. Ursprünglich sollen die beiden eine Insel gebildet haben, welche später durch das andringende Wasser in zwei Theile getrennt wurde. Früher soll auf der damals noch zusammenhängenden Insel das Schloß eines Fürsten von Werle gestanden haben, welches durch eine Zugbrücke mit dem gegenüberliegenden Ufer, dem Gute Dobbin, verbunden gewesen ist. Hier hat ein Bruder des eben genannten Fürsten in dem jetzt noch dort befindlichen Schlosse gewohnt. Auf dem Dobbiner Gebiete liegt ein Buchengehölz, in dessen Mitte noch Trümmer eines Schlosses sind, welches von dem zweiten Bruder des Fürsten von Werle bewohnt gewesen ist. Diese drei Brüder sind in fortwährendem Streit mit einander gewesen, und um während seiner Abwesenheit vor Anfällen seiner räuberischen Brüder gesichert zu sein, ließ der Fürst in Dobbin sein Pferd verkehrt beschlagen, so daß, wenn er ausgeritten war, die Spuren nach dem Hofe zu standen und die Brüder ihn zu Hause glaubten. Als der Fürst, welcher in dem alten Schloß im Buchenwald wohnte, in einen Krieg gezogen war, fielen seine Brüder über seine wehrlose Familie her, ermordeten seine Frau und Kinder, zerstörten das Schloß und nahmen von seinem Eigenthum[318] Besitz. Als nun der Bruder wieder kam, fand er von seinen vier Söhnen keinen mehr und von seinem schönen Schloß nur noch die Trümmer. Traurig verließ er die Stätte; doch vorher sprach er über seine beiden grausamen Brüder einen furchtbaren Fluch aus. Derselbe sollte sich bald erfüllen. Die jungen Söhne des Fürsten in Dobbin starben in wenigen Jahren und der Vater folgte ihnen bald. Das Schloß auf dem Burgwall versank, als, zur Feier der Geburt des ersten Sohnes, der Fürst ein glänzendes Fest veranstaltet hatte. Aber die Todten fanden keine Ruhe im Grabe. Jedes Jahr am Mittage des Johannistages kommen die Geister aus dem Berg hervor, und eine wunderschöne, reich gekleidete Frau schöpft mit goldenen Eimern Wasser aus dem See. Der Fürst muß so lange um Mitternacht um den Schloßberg reiten, bis Jemand kommt, um das verwünschte Schloß zu erlösen. Die Söhne seines Bruders, welche, ehe er sie tödten ließ, lange von ihm gefangen gehalten waren, reiten ohne Kopf auf Schimmeln um den Schloßberg mit Klagen und Seufzen. Einmal ist eine Frau auf dem Burgwall gewesen, um dort Kraut zu pflücken. Plötzlich kriecht aus einem Busche eine riesig große Schlange auf sie zu und sagt zu ihr, daß sie das verwünschte Schloß erlösen könne, wenn sie sich, ohne zu widerstehen, von der Schlange küssen ließe. Nach einigem Bedenken ist sie entschlossen, das zu thun. Die Schlange ist schon bis zum Kinn an ihr emporgekrochen, da schaudert die Frau vor ihrem Anblick und fährt zurück. Da fällt die Schlange zur Erde und plötzlich steht eine wunderschöne Frau vor ihr und sagt, daß sie nun wieder tausend Jahre warten müßte, um erlöst zu werden. Darauf ist sie in Gestalt einer Schlange wieder verschwunden.

Vor einigen Jahren hat eine andere Frau dieselbe Schlange gesehen; auch zu ihr hat sie gesagt, sie könne sie erlösen, wenn sie über ihren aufgesperrten Rachen spränge und während des Sprunges einen Schrei ausstieße. Die Frau aber, mißtrauisch, daß die Schlange ihr etwas zu Leide thun könne, ist davongelaufen. In dem Augenblick, als sie über den Berg läuft, hört sie lautes Klagen und Gewimmer, ein Klirren wie von eisernen Panzern und lautes Pferdegetrappel, dann einen lauten Schrei, worauf plötzlich Alles still wird und die Schlange verschwindet.


H. Ohnesorge.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 318-319.
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