481. Das Kegelspiel am Dom zu Ratzeburg.

[353] Die Stadt Ratzeburg liegt bekanntlich auf einer Insel im Ratzeburger See. Sie war früher durch zwei Brücken mit dem Festlande verbunden, die aber jetzt abgebrochen und statt deren Dämme gemacht sind, und soll ehemals, als die Geschütze noch von schlechter Beschaffenheit und der See von ziemlicher Breite war, eine nicht unbedeutende Festung gewesen sein. Von den Festungswerken sind jetzt nur noch die Pfähle rund um die Stadt vorhanden; die Wälle vor dem Lüneburger Thor sind schon lange abgetragen und in schöne Gärten umgewandelt worden, dagegen die vor dem Langebrücker Thor erst in neuerer Zeit. An dem nördlichen Ende der Stadt steht die Domkirche, darin viele Kanonenkugeln eingemauert sind, die bei der Belagerung von 1693 durch die Dänen hineingeschossen sein sollen. Die Hannöverschen hatten damals den Vertrag mit den Dänen gemacht: wenn ein berühmter Schütze, der sich bei Letzteren vor der Stadt befand, ein Kegelspiel in die Mauer der Domkirche hineinschießen könne, so solle die Stadt übergeben werden, könne er es aber nicht, so solle das Heer abziehen. Der dänische Kanonier stand auf der in der Vorstadt aufgeworfenen Schanze und schoß wirklich[353] ein ganzes Kegelspiel hinein. Als er aber zuletzt den Kegelkönig hineinschießen wollte und Alle in der größten Besorgniß waren, lud ein Hannöverscher Kanonier seine Kanone und schoß dem Dänen den Kopf vom Rumpfe. Darum sieht man noch heutigen Tages das Kegelspiel an der Domkirche eingemauert – aber der König fehlt. In letzterer Zeit ist jedoch eine von diesen acht Kugeln herausgefallen.


Nach Müllenhoff S. 79, durch J.F.L. Bohn in Demern bei Niederh. 3, 110 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 353-354.
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