1.

[428] An der südlichen Seite der Sternberger Kirche, nahe der Haupteingangspforte und der heiligen Blutskapelle, befindet sich in der äußern Kirchenmauer, nicht hoch über der Erde ein viereckiger Granitstein eingefügt, auf dem sich ein paar Vertiefungen befinden, nicht ganz unähnlich den Eindrücken zweier sehr großer nackter menschlicher Füße.

Von diesem Stein wird Folgendes erzählt. Um das Jahr 1492 kam ein in Sternberg lebender Jude durch Vermittlung eines pflichtvergessenen Priesters in den Besitz zweier geweihten Oblaten. Die Juden machten sich ein Vergnügen daraus, bei einem Feste die auf einen Tisch gelegten Oblaten mit Nadeln zu durchstechen. Aber o Wunder! es quollen Blutstropfen aus den Oblaten. Darüber erschreckt, befahl der Jude dem bei ihm dienenden christlichen Mädchen, die in ein Tuch gewickelten Oblaten vor das Thor zu tragen und in den Mühlbach zu werfen. Kaum hat das Mädchen das Mühlenthor erreicht, als sie nicht weiter kann; sie steht wie festgebannt, es ist ihr, als wenn sie in das Steinpflaster versinke. Sie strebt vorwärts zu kommen, aber sie kann nicht; wohl aber kann sie rückwärts. Sie wankt nach Hause und sinkt todt vor der Thür ihres Dienstherrn zusammen. Am andern Morgen fand man vor dem Mühlenthore auf einem dort liegenden Steine die Spuren zweier menschlicher Füße eingedrückt.

Die Oblaten werden in der eigens dazu erbauten heiligen Blutkapelle aufbewahrt; dort befand sich auch der Tisch, auf welchem die Juden dieselben durchbohrt hatten, mit der Inschrift ›Dit is de tafel, dar de joden dat hilligt sacrament up gesteken und gemartelet hefft tom Sternberge in jare 1492.‹ Von den Juden aber wurden siebenundzwanzig auf dem Judenberge verbrannt.


Niederh. 2, 141-156 in sehr ausführlicher Darstellung.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 428.
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