Sechste Szene.

[331] Katharine von Rosen. Baron von Ringelstern.


KATHARINE. Was hat der Präsident? So fremd, so förmlich war er noch nie.

BARON. Hören Sie mich ruhig an, mein Fräulein –

KATHARINE. Mit Ihnen soll ich sprechen? Nimmermehr!

BARON. Mein Onkel wünscht es – ich bitte darum. – Vor allem muß ich Sie über das Vorgefallene um Vergebung bitten. Allein Sie nahmen den Scherz von gestern vielleicht zu hoch auf.

KATHARINE. Scherz? Es war Spott, Verhöhnung –

BARON. Gewiß nicht! Ich habe gestern den Ton verfehlt, weiter nichts. Sie schienen mir auf Witz und Scherz nicht ungern einzugehen, aber ich kann auch ernsthaft sein, wenn Sie es verlangen, ja unsere Lage verlangt es. Sind gewisse Mißverständnisse ausgeglichen, so wird sich die Heiterkeit von selbst wieder finden. – Der Präsident ist ungehalten auf Sie.

KATHARINE. Und weshalb?

BARON. Ihre Spazierfahrt mit einem jungen Manne, der als Bräutigam einer anderen bekannt ist –

KATHARINE. Sittig?

BARON. Allerdings. Er ist mit Rat Zaberns Tochter so gut wie verlobt.

KATHARINE. Davon sagte er mir kein Wort.

BARON. Der arme Mensch kam vermutlich nicht zur Besinnung; er ist gutmütig, dienstfertig, kann nichts abschlagen, was man mit Ernst von ihm verlangt. Nun ist der Präsident über ihn erzürnt, von dessen Gunst oder Ungunst Sittigs Beförderung abhängt; vermutlich hat auch die Braut bereits erfahren –

KATHARINE. Ich will zu ihr, will sie aufklären –

BARON. Lassen Sie das mir über. Die Sache ist im ganzen nicht so schlimm.[331]

KATHARINE. Meinen Sie?

BARON. Wir sind auf dem Lande, wo die Formen der Gesellschaft nicht so strenge herrschen. Die Leute werden Glossen machen – was schadet's? Sieht man erst, daß die unmittelbar interessierten Personen bei guter Laune bleiben, so hat man keinen Grund, weiter etwas Arges zu denken –

KATHARINE. Die Familie des Rats! In welchem Lichte werd' ich ihr erscheinen!

BARON. Wie gesagt, lassen Sie mir über, diesen Knäuel zu lösen; ich bin ja an seiner Verwirrung schuld. Auch meinem Onkel will ich alles entdecken, ich will mich selbst bei ihm anklagen. – Und nun wiederhole ich meinen Antrag von gestern. Sie sehen, mein Fräulein, aus dem, was vorfiel, wie schwer sich eine Dame, bei allem Geist und Witz, in der Welt allein behaupten kann. Die Tugend und Sittsamkeit selbst sind vor bösen Zungen nicht sicher, wenn sie ohne Paß und männliche Begleitung reisen. Minna von Barnhelm und Sophie im Tom Jones, die tugendhaftesten Mädchen, die ich kenne, und die herrlichsten Geschöpfe einer dichterischen Phantasie, würden in der Wirklichkeit eine ziemlich zweideutige Rolle spielen, denn unsere Zeit und unsere Gesellschaft entbehrt leider aller Poesie und aller Romantik.

KATHARINE nach einer Pause. Sie haben meine Lage durchschaut, Sie haben mich richtig beurteilt. Aber wie sehr mußten Sie mich verkennen!

BARON. Seit gestern Abend nicht mehr. Aber ich sehe, was Ihnen not tut. Erlauben Sie mir, Ihnen zu raten. Ich bin nicht zu jung dazu, wie Sie gestern selbstbemerkten. – Der Charakter eines Mädchens verflüchtigt sich in der Freiheit; Häuslichkeit und Sorge für andere bilden ihn erst aus. Sie stehen allein in der Welt, Sie müssen sich an eine Familie anschließen. Was sagen Sie, zum Beispiel, zu dem Hause des Rats? Es sind wackere Leute, wenn auch ein wenig prosaisch. Die Tochter ist ein sehr verständiges Mädchen; sie wird sich zu Ihrer Freundin eignen. Was halten Sie von meinem Vorschlag, Fräulein?

KATHARINE. Ich will alles tun, alles. – O die Glücklichen, die an der Hand sorgsamer Eltern heiter und sicher durch das Leben wandeln!

BARON. Der Rat kennt Sie; auf das Wort des Präsidenten nimmt er sie gerne auf. Ich will vorläufig mit Cäcilien sprechen, die, nebenbei gesagt, das Haus regiert.

KATHARINE. Ich danke für Ihre Sorgfalt, Herr Baron. Sie sind sehr gütig, sehr freundlich, aber – warum bringen Sie mich nicht lieber zu Ihrer Frau?[332]

BARON. Zu meiner Frau? Ich habe keine Frau.

KATHARINE. Man sagte mir doch –

BARON. Wer sagte –?

KATHARINE. Der Diener im Badhause –

BARON. Unruh? – Was mochte der wieder für einen Grund haben –? Nein, liebes Fräulein, ich bin kein Ehemann. Aber Sie erwarten doch auch keinen Bräutigam?

KATHARINE. Erinnern Sie sich nur: den Bräutigam haben Sie erfunden.

BARON. Eine tolle Laune riß mich hin. Doch nun ist alles ausgeglichen, nicht wahr?

KATHARINE. Vollkommen.

BARON. Darf ich Sie jetzt nach Hause geleiten?

KATHARINE. Ich danke. Mein Mädchen wartet draußen. Leben Sie wohl, Herr Baron. Ich war doch recht kindisch. Wissen Sie, daß ich die Nacht aus Ärger nicht geschlafen habe? So böse war ich über Sie.

BARON. Nicht geschlafen? Ich Ungeheuer! Und ich war schuld?

KATHARINE. Nein, nein! Ich selbst. Warum war ich so albern? Ich schäme mich. Noch eins: die Art, wie wir miteinander bekannt wurden, bleibt ein Geheimnis. Sind Sie es zufrieden?

BARON. Liebes, vortreffliches Mädchen!

KATHARINE. Leben Sie wohl, leben Sie wohl. – Das Mißverständnis war doch recht komisch. Wir werden viel darüber lachen; nicht wahr? Ab.


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 331-333.
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