Sechster Auftritt

[332] Baldinger, dann Hermine.


BALDINGER allein. Eine treue Seele! – Kann ich wohl sagen, daß mich meine Frau so hebt, wie er? – Jetzt an die Geschäfte! Nimmt die Briefe, im Gehen. Diese Schriftzüge gehören keinem Kaufmann an. Aus London? Wer ist der unbekannte Correspondent? Erbricht einen Brief. Von ihm! Herminens Namen! Liest. Sonderbar.

HERMINE auftretend. Mein Freund –

BALDINGER. Hermine! Nun, bist Du zufrieden?

HERMINE. Zufrieden? Mehr als das. Eine Reihe Zimmer, bequem, schön, ja prächtig – wem bliebe da noch ein Wunsch?

BALDINGER. Du bist zufrieden? Das freut mich, das freut mich!

HERMINE. Ich wollte Dich eben aufsuchen, Dir zu danken, Dir zu sagen – aber ich störe Dich in Geschäften?

BALDINGER. Nicht so eigentlich. Das ist der Brief eines Freundes – auch des Deinigen.

HERMINE. Mein Freund? Wer wäre das?

BALDINGER. Baron Wildenhain. Du erinnerst Dich seiner?

HERMINE. Aufrichtig: nicht ungetrübt. Seine Unruhe hatte immer etwas Unbehagliches für mich.

BALDINGER. Er ist jetzt ruhiger geworden, wie es scheint. Du weißt, diese Ritterburg war einst sein Eigenthum. Der Moment, wo sie in meinen Besitz überging, verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth hervor zu bringen, und spornte ihn zur Thätigkeit an. Er steht jetzt als Obrist in englischen Diensten – ein deutscher Freiherr gilt noch etwas auf der Insel – ist zu einer bedeutenden Expedition bestimmt, und freut sich seiner neuen Stellung.

HERMINE. Ich hätte dem Baron so viele Energie nicht zugetraut.

BALDINGER. Wer sich nicht selber rühren mag, den macht sein Schicksal rührig. Baron Wildenhain erkundigt sich auch nach Dir.

HERMINE. Nach mir?

BALDINGER liest den Brief, sie sieht hinein. »Was macht Frau von Löwenberg? Ich denke oft und gerne an sie. Hermine ist eines von den weiblichen Wesen, bei welchen große Vorzüge durch kleine liebenswürdige Schwächen erst in ihr volles, schönes Licht treten; in dieser Mischung liegt, nach meiner Empfindung, der eigentliche Zauber der weiblichen Natur. Sie fuhren Prozeß mit ihr; wenn Ihr Beide Euer eigentliches Interesse verstündet, so gab' es vielleicht ein Mittel, den Streit auf die friedlichste Weise zu schlichten. Sie mögen lächeln, mein Freund, wenn Sie dieses lesen; aber als ich Sie zum ersten Male Ihrer Cousine entgegentreten sah, da mußt' ich mir im Stillen sagen: das sind zwei Naturen, die sich gegenseitig ergänzen, deren Eine der Andern würdig ist.« – Was sagst Du zu unserm Freunde? Er besitzt eine Art Divinationsgabe.

HERMINE. Möchte er unser Verhältniß richtig vorempfunden – möchte er mich nicht zu günstig beurtheilt haben!

BALDINGER. Der Baron läßt Dir nur Gerechtigkeit widerfahren, und stillschweigend auch mir. Er weiß nichts von unserer Verbindung, und billigt sie im Vorhinein; diese Zustimmung eines vorzüglichen Mannes, die uns an der Schwelle unserer Ehe begrüßt, erscheint mir wie ein freundliches Omen. Dir nicht, Hermine?

HERMINE. Gewiß – doch schöner däucht es mir, keines Vorzeichens zu bedürfen.

BALDINGER. Wer bedarf deren nicht? Zumal wer liebt, ist abergläubisch. Abbrechend. Ich gehe auf mein Zimmer, um die übrigen Briefe durchzusehen. Später besuchen wir etwa unsere neue Gutsnachbarin. Adieu, liebe Hermine, Adieu! Ab zur Seite links.


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 332.
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