Siebenter Auftritt.

[28] Susanne. Cherubin.


CHERUBIN den Kopf durch die Mittelthür hereinsteckend, dann hastig vorkommend. Endlich allein! Seit zwei Stunden pass' ich auf den Augenblick, Suschen ohne Zeugen zu finden. Ach Susanne, was für ein Unglück: Du heirathest und ich muß fort!

SUSANNE. Wie hängt denn meine Hochzeit und des Herrn Pagen Abreise zusammen?

CHERUBIN kläglich. Susanne, der Herr Graf jagt mich weg!

SUSANNE seinen kläglichen Ton nachahmend. Cherubin, der Herr Page wird wieder einmal einen dummen Streich gemacht haben.

CHERUBIN. Gestern fand er mich bei deiner Muhme Fanchette, der ich ihr Verschen zu der heutigen Festlichkeit abhörte. Da gerieth er in einen Zorn! Hinaus, schrie er, du kleiner .... Ich mag vor einer Dame das grobe Wort gar nicht wiederholen, womit Seine Excellenz mich regalirte. Morgen Abend, sagte er, hast du das Schloß geräumt, oder .... Wenn meine gütige, schöne Pathin, die Frau Gräfin, ihn nicht besänftigt, so ist's um mich geschehen. Susanne, ich muß fort, kann dich nie wiedersehen.

SUSANNE. Mich? Bin denn jetzt ich an der Reihe? Als ob man nicht wüßte, daß der junge Herr im Stillen für meine Gebieterin brennt!

CHERUBIN. O Susanne, wie edel und schön sie ist, aber auch wie erhaben!

SUSANNE. Das heißt, ich bin das nicht, und bei mir kann man schon etwas wagen.

CHERUBIN. Du weißt nur zu gut, Schelmin, daß ich nicht wage zu wagen. Aber du bist glücklich, sie jeden Augenblick sehen und sprechen zu können, Morgens sie anzukleiden, Abends auszuziehen, Nadel für Nadel ... O Susanne, ich gäbe ... Aber, was hältst du denn da in der Hand?

SUSANNE spottend. Himmel, das glückliche Häubchen und das beneidenswerthe Band, welche Nachts das Haar der schönen Frau Pathe einschließen.[28]

CHERUBIN lebhaft. Ihr Nachthäubchen? Gieb es mir, mein Herz! Er greift darnach.

SUSANNE zurückziehend. Warum nicht gar, sein Herz! Welche Vertraulichkeit! Wenn es nicht ein kleiner Taugenichts ohne Gefahr wäre ... Cherubin entreißt ihr das Band. Ach, das Band!

CHERUBIN um den Lehnsessel herumlaufend. Sage, du hast es verloren, verdorben. Sag', was du willst.

SUSANNE ihm nachlaufend. In drei oder vier Jahren wirst du der größte kleine Schelm sein, das prophezeie ich. Giebst du das Band heraus? Sie hascht darnach.

CHERUBIN ein Notenblatt aus der Tasche ziehend. Laß es mir, Suschen; ich gebe dir meine Romanze dafür. Während das Andenken an deine schöne Gebieterin mich immer traurig macht, wird dein Bild den einzigen Sonnenblick in mein Herz werfen und es erheitern.

SUSANNE. Dein Herz erheitern, junger Taugenichts? Du glaubst wohl, mit deiner Fanchette zu sprechen? Bei ihr überrascht man dich; für meine Gräfin schwärmst du, und mir machst du obendrein auch den Hof.

CHERUBIN außer sich. Auf Ehre, es ist wahr: ich weiß nicht mehr, was ich bin. Seit einiger Zeit fühl' ich mich so aufgeregt: mein Herz zittert bei dem bloßen Anblick einer Frau; die Worte »Liebe, Zärtlichkeit« verwirren mich. Einem Wesen sagen zu können: »Ich liebe dich«, das ist für mich so nothwendig geworden, daß ich es allein ausrufe, wenn ich im Park umherirre, deiner Gebieterin zurufe, dir, den Bäumen, den Wolken, dem Winde, der den verlorenen Seufzer entführt. Gestern begegnete ich Marzellinen.

SUSANNE lachend. Hahaha, auch sie?!

CHERUBIN. Warum nicht? Sie ist ein Weib, ein Mädchen! Weib, Mädchen! welche süße Namen, wie entzücken sie!

SUSANNE. Er wird rasend.

CHERUBIN. Fanchette ist sanft; sie hört mich wenigstens; du nicht.

SUSANNE. Das fehlte auch noch, den Herrn anhören; mein Band will ich. Sie hascht darnach.[29]

CHERUBIN ihr entwischend. Nichts da! Nur mit meinem Leben entreißest du es mir. Aber wenn die Romanze nicht Preis genug dafür ist, gebe ich tausend Küsse zu. Er verfolgt sie.

SUSANNE. Tausend Nasenstüber, wenn du es wagst. Ich werd' es meiner Gräfin klagen; nein, besser noch, dem Grafen selbst. Er hat vollkommen Recht, daß er den Taugenichts fortjagt, der seiner Gemahlin den Hof macht, Fanchetten Verse einstudirt und mir Bänder und Küsse stiehlt.

CHERUBIN den Grafen eintreten sehend. Himmel, ich bin verloren! Flüchtet hinter den Lehnstuhl.

SUSANNE gewahrt erst jetzt den Grafen und tritt vor den Stuhl, um den Pagen zu verstecken. Der Herr Graf!


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 28-30.
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