Erster Auftritt.

[40] Gräfin. Susanne.


GRÄFIN auf der Chaise-Longue liegend. Schließ die Thür, Susanne, und erzähle mir Alles, ganz genau.

SUSANNE neben der Gräfin stehend. Ich habe der gnädigen Gräfin Alles berichtet.

GRÄFIN. Als förmliche Anträge hat dir mein Gemahl gemacht?

SUSANNE. Anbote, wie sie ein vornehmer Herr einer Dienerin zu machen pflegt.

GRÄFIN. In Gegenwart des kleinen Pagen?

SUSANNE. Der war hinter den Lehnstuhl versteckt. Die Gräfin sieht sie argwöhnisch an. Er kam nur, um meine Fürbitte bei der gnädigen Gräfin anzusprechen.

GRÄFIN. Warum bat er nicht mich selbst? Würde ich ihn abgewiesen haben?

SUSANNE. Das sagt' ich auch. Aber der Schmerz, die gnädige Gräfin verlassen zu müssen, hatte den armen Jungen ganz verwirrt[40] gemacht. Den Pagen nachahmend, pathetisch. Ach Susanne, wie reizend ist sie, wie himmlisch; aber auch so vornehm, so erhaben!

GRÄFIN. Sehe ich so aus, Susanne? Ich, seine treue Beschützerin!

SUSANNE. Zufällig hielt ich eine Nachthaube der gnädigen Gräfin in der Hand. Er fiel darüber her, riß das Band herunter ...

GRÄFIN lächelnd. Mein Band? Wie kindisch!

SUSANNE. Und da ich es ihm wieder abnehmen wollte, vertheidigte er seinen Raub wie ein Löwe. Hätten gnädige Gräfin nur gesehen, wie seine Augen funkelten, wie er mir um den Hals fiel, mich küssen wollte..

GRÄFIN. Dich, Susanne?

SUSANNE. Nun ja doch, aus lauter Respekt vor der gnädigen Frau Pathin, weil er den Saum Ihres Kleides nicht einmal zu küssen wagt.

GRÄFIN. Thorheit, Thorheit ... Sprechen wir lieber – Seufzend. vom Grafen. Was sagte er dir zuletzt?

SUSANNE. Er würde auf Marzellinens Seite treten, wenn ich nicht nachgäbe.

GRÄFIN aufstehend, umhergehend, den Fächer von der Toilette nehmend, sich fächelnd. Er liebt mich nicht mehr.

SUSANNE. Woher aber dann seine Eifersucht?

GRÄFIN. Gatten-Eitelkeit, nichts weiter. Ach, ich habe ihn zu sehr geliebt, ihn ermüdet durch meine Zärtlichkeit, meine Treue. Das ist mein einziges Unrecht gegen ihn. Doch soll dir dein offenes Geständniß nicht schaden. Du sollst deinen Figaro haben. Nur muß er dazu behülflich sein. Er allein vermag es. Wird er kommen?

SUSANNE. Sobald der gnädige Herr fort ist auf die Jagd.

GRÄFIN Fächerspiel, wie oben. Oeffne das Fenster! Es ist eine Hitze hier, zum Ersticken.

SUSANNE das Fenster links aufmachend. Gnädige Gräfin regen sich durch Reden und Umhergehen auf Hinausschauend. Sieh da, Excellenz reiten eben die Allee hinunter. Pedrillo hinterdrein. Zwei, drei, vier Hühnerhunde.[41]

GRÄFIN. So haben wir Zeit zu überlegen. Sie setzt sich wieder. Hat's da nicht geklopft?

SUSANNE zum Haupteingang links eilend. Das ist Figaro, mein Figaro!


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 40-42.
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Ausgewählte Ausgaben von
Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter