Dritter Auftritt.

[93] Gräfin. Susanne.


GRÄFIN. Hast du alles bereit, was zu unserem Kleidertausch gehört?

SUSANNE zögernd. Verzeihung, gnädige Gräfin, wenn ich auf den Scherz nicht eingehe.

GRÄFIN erstaunt. Du bist anderen Sinnes geworden?

SUSANNE. Figaro wünscht nicht ....

GRÄFIN heftig einfallend. Figaro ist der Mann nicht, der eine Mitgift ausläßt. Du hintergehst mich.

SUSANNE. Gnädige Frau könnten glauben ...

GRÄFIN wie oben. Daß du Ernst aus dem Scherz machen willst und dich wirklich mit dem Grafen verständigt hast. Ich durchschaue dich. Es ist gut. Sie will abgehen.[93]

SUSANNE ihr zu Füßen fallend. Bei Allem, was mir heilig ist, gnädige Gräfin, Sie thun mir unrecht und weh. Wie könnte ich nach Ihren zahllosen Wohlthaten, nachdem Sie noch heute so reich und großmüthig mich beschenkt haben, im Stande sein, mit Ihrem und meinem eigenen Glück freventlich zu spielen?

GRÄFIN erhebt sie, indem sie sie auf die Stirn küßt. Vergieb mir, Susanne, meine treue, meine einzige Freundin. Deine plötzliche Weigerung machte mich irr an dir. Du begehst doch auch keine Untreue an Figaro, wenn ich, statt deiner, in den Garten komme. Wann und wo sollte die Zusammenkunft stattfinden?

SUSANNE. Der Herr Graf sprach von einem Dämmerstündchen im Park.

GRÄFIN. Wir müssen das genauer bestimmen. Auf den Tisch rechts zeigend. Setze dich und schreibe!

SUSANNE. Wollen die gnädige Gräfin das nicht übernehmen?

GRÄFIN. Damit der Graf meine Hand erkennt? Sei unbesorgt; ich vertrete Alles, und damit du dich in nichts compromittirst, schreiben wir ohne Adresse.

SUSANNE sich setzend. Aber was?

GRÄFIN nachsinnend. Ich muß zu Rosinens alten Künsten meine Zuflucht nehmen. Ein Brieflein an Lindoro .... Halt, so geht's. Du schreibst den Anfang einer Romanze von Moratin, für unsern Zweck wie gemacht. Fällt das Blatt dann auch in unrechte Hände, so ist nichts verrathen. Diktirt:

O wie selig ist's zu träumen,

Unbewacht und unbelauscht,

Unter den Kastanienbäumen,

Die der Abendwind durchrauscht.

SUSANNE. »Unter den Kastanienbäumen«. Das ist die dunkelste Stelle im Park.

GRÄFIN weiter diktirend:

Luna schläft. Im dunklen Garten,

Um der zehnten Stunde Schluß,

Mag der Liebste mich erwarten,

Wenn ich sein nicht harren muß.[94]

SUSANNE. Eine Bestellung in bester Form. Aber womit siegeln?

GRÄFIN. Mit einer Nadel. Auf die Adresse schreibst du: »Man bittet zum Zeichen der Zustimmung das Siegel zurückzuschicken.«

SUSANNE lachend, indem sie schreibt. Allerliebst! »Das Siegel zurückschicken.« Mit diesem Siegel werden wir hoffentlich weniger Noth haben, als mit dem unter des Pagen Patent.

GRÄFIN mit schmerzlicher Erinnerung. Armes Kind!

SUSANNE suchend. Muß ich gerade jetzt keine Nadel bei mir haben!

GRÄFIN. Da nimm! Sie zieht aus ihrem Halstuch eine Nadel, wobei ihr das Band des Pagen entfällt. Ach, mein Band!

SUSANNE das Band aufhebend. Das des kleinen Spitzbuben? Haben gnädige Gräfin es über das Herz bringen können, dem armen Schelm seinen Raub wieder abzunehmen?

GRÄFIN. Ich hätte es wohl gar um seinen Arm lassen sollen? Gieb her!

SUSANNE neckend. Es ist nicht mehr zu brauchen. Sein Blut klebt daran.

GRÄFIN. Gut genug als Dank für Fanchettens ersten Strauß.


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 93-95.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter