XXIV. Der Schatz.

[98] Der Schätze viele giebt es, verschieden ist ihr Ort,

Verschieden sie zu heben ist auch das Zauberwort.

Gar mancher liegt uns nahe, zu dem der Blick nicht dringt,

Indess oft Kraft vergebens nach fernen Gütern ringt.


So ruht in manchem Herzen ein Zauberhort gar still,

Der an des Tages Helle herauf nicht steigen will;

Der, hold im Dunkel leuchtend, sich dem nur offenbart,

Der seines Glücks Geheimniss in treuer Brust bewahrt.


Heil, wem solch innrer Reichthum ersetzt das äussre Glück!

In Schmerzennächten strahlt ihm des Trostes Silberblick.

Ihm quillt die Freudenzähre vom Herzen warm herauf,

Ein Steiger aus der Teufe mit fröhlichem Glückauf!


Und will ihn Gram umnachten, umtosen Sturmgebrüll,

Birgt er sich in die Schachten des reinen Innern still,

Lässt droben Wogen tosen, so wie die Meerfei thut,

Die süss auf blühnden Rosen tief im Krystallschloss ruht.[98]


Doch solche Schätze kennt nicht, wer wild durchs Leben treibt,

Ein bleichgespenst'ger Schiffer, der fern vom Hafen bleibt.

Der den Sirenenliedern nachzieht in voller Hast,

Und statt der hehren Göttin ein Wolkenbild umfasst.


Ein Solcher gräbt und schaufelt nach Gold und reichem Gut,

Das tief im dunkeln Reiche der Nachtdämonen ruht.

Er buhlt mit Zauberformeln, erzwingt mit Schwüren Gunst,

Ein solcher ist auch Faustus, ausübend gleiche Kunst.


Nicht g'nug des Gutes schafft ihm der Geist, so dienstbereit,

Hinschleudert er den Mammon, wie seine Seligkeit.

Wild zwingt sein Trotz die Hölle zu halten den Vertrag,

Und quälet seinen Diener mit Wünschen Tag um Tag.


Wer ist im Leben wunschlos? Wer nicht an Wünschen reich?

Und stellt ihn Glückes Laune dem ärmsten Bettler gleich?

Und ob es ihn emporhebt auf einen Königsthron,

Stets bleiben Wunsch und Hoffnung vereint dem Erdensohn.


Ein Schatz ruht in der Zukunft, der Wunscherfüllung heisst,

Und den bewachet achtsam ein wunderbarer Geist.

Ein Geist, gar ernst und furchtbar, gerüstet stets zum Streit,

Den keine Formel bindet, kein Bannspruch schreckt – die Zeit.


Doch wird des Schatzes theilhaft, wer kundig der Magie,

Und eine Wünschelruthe besitzt, die fehlschlägt nie.

Nur sei der Wunsch bescheiden, der Magus frei von Schuld;

Ein reines Herz sein Zauber, sein Wunderstab – Geduld. –[99]


Faustus durchstürmt die Länder, reich, und doch hoffnungsleer,

Ihm ruht im Schooss der Zeiten kein Eldorado mehr.

Die Jahre fliehen eilend dahin wie Stromeslauf;

Vergangenheit ist's Weltmeer, das nimmt den Zeitstrom auf.


An dessen Ufern irren Gespenster auf und ab;

Sie winken und sie tauchen in Schauertiefen hinab.

Der Ruhm steht nackt am Meerstrand, und haucht sich in die Hand;

Die wilden Wogen raubten ihm längst sein Prachtgewand.


Die Freude wandelt traurig, verhüllt ihr Angesicht;

Als Göttin, die vom Thron sank, ihr Blumenscepter bricht.

Die Hohheit steht und deckt kaum die nackten Blössen zu,

Der Jubel schweigt, nicht schläfrig, und wünscht sich ew'ge Ruh.


Zerbrochne Kronen werfen die Wellen an den Strand;

Verwelkte Kränze liegen verstreut am Uferrand.

Zerschellter Harfen Saiten durchsaust der Nachtorkan,

Nachklänge schönrer Zeiten wimmern übern Ozean.


Doch was sind schöne Zeiten, und wann ist schöne Zeit? –

O sucht den Schatz der Freuden nicht in Vergangenheit!

Nie waren Zeiten schöner, als ihr sie heut erblickt,

Nur dass Erinnrungszauber das Sonst mit Blüthen schmückt.


Ihr preisst der Kindheit Freuden! Sagt, habt ihr sie gefühlt?

Ihr rühmt das Glück der Jugend! Hat Euch kein Schmerz durchwühlt?

Ihr wünscht, hat Euch das Alter die Sehnen nun erschlafft,

Zurück die schönen Jahre der blühnden Manneskraft![100]


Saatkörner sind die Freuden in die Vergangenheit,

Begraben oft mit Thränen, dem dunkeln Gott geweiht.

Doch grünt Erinnrung dorten als schöner Rosenstrauch,

Und trägt er Freudenblumen, trägt er Schmerzdornen auch. –


Der Schätze viele giebt es, von Sterblichen geschätzt,

Bald ihrer Hoffnung Zielpunkt nach grosser Müh gesetzt,

Bald der Erinnrung heilig, ein Todtenhof der Zeit,

Vom Zauberbaum des Lebens mit Blüthenschnee bestreut.[101]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 98-102.
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