XXXIV. Helena.

[138] »Dem Kinde gieb ein Spielzeug, so weinet es nicht mehr;

Doch Du bist Mann, o Faustus, und grämest Dich so sehr?

Muss Dir zum Freudengarten ein Thor verschlossen sein,

Ei, schreite durch ein Andres nur keck und kühn hinein!«


»Du grollst, weil wir das Mägdlein zur Ehe Dir versagt,

Die nach der Haube lüstern; vergiss die niedre Magd!

Nur Deines Winks bedarf es, so fliegen wir im Nu

Und führen Königinnen für Deine Lust Dir zu.«


So redet zu dem Magus der listenreiche Geist,

Der Köstliches versagend, noch Köstlichers verheisst.

»Wir hauchen neues Leben und neue Liebesgluth

Der Schönheit ein, und ob sie Jahrhunderte gernht.«


Da blitzt durch Faustus Innres ein Machtgedanke gross;

Er reisst sich von dem Düster, das ihn umnachtet, los.

Ein wunderbarer Geist tritt ihm nah aus alter Zeit;

Er steht, ein zorn'ger Heros, der seinem Knecht gebeut.[138]


»Wohlan, so halte Wort mir; ich will, wie Du gesagt!

Gieb Leben der Verwesung, eh' neu der Morgen tagt!

Und bringe mir, die Paris mit sel'gen Augen sah,

Und bringe mir zur Buhle die schöne Helena


Fort stäubt der Geist, und Faustus nachblicket ihm voll Groll;

Dann wandelt er im Zimmer ernst und erwartungsvoll.

Bald geht er tief verdüstert, nachdenkend, sonder Ruh,

Bald steht er still und flüstert sich selber Fragen zu:


»Kann er, was ich gefordert, mir wirklich bringen? Nein!

Wird ein Phantom des Abgrunds nicht die Gewünschte sein?

Und ist Phantom nicht alles, was unser Auge sieht?

Die Schönheit, wie sie leuchtet, die Blume, wie sie blüht?«


»Wer ist, der seinem Dasein ein dauernd Glück erstrebt?

Glück ist ein Götzenbildniss, das unser Wunsch er hebt.

Ist unser Wunsch befriedigt, dann, Göttin, fahre wohl!

Wir finden bald ein neues, ein schöneres Idol.«


»Von einem Volk im Nordland seltsam die Sage klingt:

Es schlage seine Götzen, wenn ihm ein Wunsch misslingt.

Sind wir um vieles besser? Wir knie'n vor einem Gott,

Gleich, täuscht uns Hoffnung, nennet ihn machtlos unser Spott.«


»Und ach, wie sollte dauernd ein Glück auf Erden sein?

Die Kinder des Verlangens wiegt Zeit als Amme ein.

Sie weinen oft, die Kinder; wenn sie sich müd' geweint,

Entschlummern sie, und schlummern vergessen, ja versteint.«[139]


»Doch ewig ringen Wünsche sich aus dem Herzen los;

So grünet über Gräbern gar üppig junges Moos.

So weckt zu neuem Leben, was Winterschlaf erstarrt,

Aus trauerbleichem Schneekleid der Lenz der Gegen wart.« –


Wie Faustus so vom Rocken der Zeit Gedanken spinnt,

Und für sein eignes Hoffen sich Bild auf Bild ersinnt,

Stört ihn im tiefen Denken ein leiser Odemzug,

Der sanft, wie Lenzessäuseln an seine Wange schlug.


Um blickt er rasch, durchschauert vom Ahnungsschreck, und bebt:

Ist's Aphroditens Liebreiz, der dem Olymp entschwebt?

Ist's Majas Blüthenzauber, den er verkörpert sah?

Ist's eine Lichtsilphide? Nein, es ist Helena.


Sie steht mit glühnden Wangen, mit leisem Zittern dort,

Von seinem Blick bewundert, und waget noch kein Wort.

In Götterschöne blühet ihr Zauberangesicht,

Nicht schöner ist Kythere, Latona sanfter nicht.


Einhüllet, golddurchwoben, ein Schleier ihren Leib,

Daraus den Arm erhoben das anmuthreiche Weib.

Nimmt von der Stirn den Schleier, und lächelt Faustus an,

Nicht weiss der, sieht er Wahrheit, täuscht ihn ein schöner Wahn?


Hin sinkt er, ihr zu Füssen, blickt auf zum Wunderbild,

Und ihn als Herrn zu grüssen neigt sie sich zärtlichmild.

Hebt ihn in ihre Arme, küsst ihn mit süsser Lust,

Und presst ihn an die warme wonnedurchwallte Brust.[140]


»Du mein! Urbild der Schönheit!« ruft Faustus kummerfrei:

»Nun will ich nicht mehr klagen, dass ich verloren sei!

O solchen Reiz geniessen wiegt Welten auf voll Qual!

Lass, Helena, Dich grüssen und küssen tausendmal!« –


Der Geist spricht: »Gieb ein Spielzeug dem Kind, dann weint's nicht mehr;

Ich seh', es giebt auch Männer, die lieben Spielen sehr.

Und Mancher, der der Hausfrau schier überdrüssig ist,

Verschrieb' uns Leib und Seele, wenn er solch Spielzeug wüsst'!« –[141]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 138-142.
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Faustus. Ein Gedicht
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