298. Gaul aus dem Pfuhl

[218] Bei Dassel liegt ein Pfuhl, von dem geht die Sage wie von den Teufelskreisen auf dem Schneekopf im Thüringer Walde und vom schwarzen Moor auf dem Rhöngebirge, daß er unergründlich sei und ein Wohnplatz und Tummelplatz des Teufels. Zu Leuthorst saß ein Bauer, der konnte nimmer genug haben und hatte neben dem Pfuhl einen Acker, den pflügte er an einem Sonnabend und brachte sein Werk vor Feierabend nicht zu Ende und pflügte immer fort. Die Betglocke läutete, aber der Bauer hatte kein Acht darauf; er stand nicht still wie andere bei den dreimal drei feierlichen Schlägen, tat seine Mütze nicht ab und sprach kein frommes Vaterunser, er rief vielmehr seinen Pferden zu: Jü hott, ihr Schindmähren! Wollt ihr ins Teufels Namen ziehen, daß 's endlich ein Ende wird? Hatte auch seinen Jungen bei sich, der mußte neben den Pferden herlaufen und sie schlagen und antreiben, und endlich prügelte er selbst die Pferde und den Jungen wie unsinnig und wünschte sie zu allen Teufeln. Schon wurde es dämmerig, da stieg ganz langsam ein großer kohlenschwarzer Gaul aus dem Meerpfuhl, und wie der Bauer den sah, freute er sich der Hülfe und rief dem Jungen zu: Geh hin, fange den Gaul und spanne ihn vor den Pflug in aller Teufel Namen, daß wir mit dem verfluchten Acker zu Rande kommen! Der arme gescholtene und geprügelte Junge heulte und schrie, doch gehorchte er und holte den schwarzen Gaul als Vorspann, und nun ging es, heissa, hast du nicht gesehen; die Schar riß Furchen in den Acker so tief wie ein Weggraben, und der Bauer konnte die Hand nicht mehr vom Pflugsterz bringen und mußte laufen, und wie er an des Ackers Ende war und wenden wollte, da ließ das der Gaul nicht zu, sondern zog immer geradeaus, frisch und gewaltig, bis an den[218] Pfuhl, und da ist er hineingegangen mitsamt dem Bauer, Pflug und Pferden, und ist keines davon wieder zum Vorschein gekommen.

In selbigem Teufelspfuhl liegt auch eine goldene Glocke, die stammt vom Kirchturm zu Portenhagen, und weil sie einen so wonnesamen Klang hatte, dem niemand wiederstehen konnte, und alles in die Kirche gleichsam magisch zog (jetzt gibt es leider keine solchen Glocken mehr), da hat sie der Teufel aus Gift und Ärger geholt und in den Pfuhl geworfen. Einst wagte sich ein Taucher in den Meerpfuhl hinab, vielleicht die Glocke heraufzuwinden; da sah er auf einer grünen Wiese einen Tisch, und auf dem Tisch stand die Glocke, aber unter dem Tisch lag der Teufel als ein schwarzer Hund, der funkelte ihn an mit feurigen Augen und streckte eine armslange feurige Zunge gegen ihn heraus, und daneben war auch ein grünes Meerweib, das rief: Noch nicht an der Zeit! Noch nicht an der Zeit! Da eilte der Taucher, wieder hinaufzukommen, und seitdem hat niemals wieder jemand die goldene Glocke gesehen.

In der alten Grafschaft Dassel ist auch ein Dorf, Coenhausen, in dessen Kirchturm hängt eine Glocke, von deren Läuten das Volk fest glaubt, daß es die Gewitter vertreibe. Diese Glocke hat die bekannte Aufschrift, welche über Schillers Gedicht von der Glocke zu lesen ist:


Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango.


Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 218-219.
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