332. Tetzel und der Ritter

[238] Da Tetzel, der Ablaßkrämer, mit seinem Kasten im deutschen Lande herumzog, kam er auch nach der Altmark und in ein Dorf bei Salzwedel, heißt Flechtingen, und schlug seinen Kram auf, predigte von den Sündenstrafen, dem Fegefeuer und der Höllenpein und rühmte die Kraft des Ablasses. Nun saß zu Flechtingen ein Edelmann, Herr Bernard von Schenk genannt, der hörte auch andächtiglich zu und nahm sich's absonderlich zu Herzen, daß einer nicht nur für begangene, sondern auch für vorhabende und zukünftige Sünden, sie bestehen, aus welcher Tat sie wollen, sich Ablaß kaufen könne, und für das Geld springe seine Seele, sobald es im Kasten klinge, aus dem Fegefeuer und bleibe sündelos noch drei Tage nach der aschgrauen Ewigkeit. Das alles malte der Ablaßprediger mit feurigen und beredten Worten aus, und der Ritter trat auch hinzu und kaufte sich einen gar schönen Brief, auf Pergament gedruckt, und Tetzel mußte seinen, des Ritters, Namen und das Datum hineinschreiben, auch ein Siegel wurde nicht vergessen, und die nachbarlichen Edeln kauften auch, und der Kasten wurde schier voll Ortstaler und Goldgülden, und Tetzel zog mit seinem Kasten wohlgemut von dannen. Wie er nun so durch den Flechtinger Forst zog, siehe, da harrete seiner schon, ihm vorausgeeilt, Herr Bernard von Schenk und sagte: Pfaff, tue mir die Freundschaft und gib mir –, Meinen Segen, o frommer Sohn, den sollt du haben! unterbrach ihn Tetzel und hob die Hände zum Segnen. Nein, deinen Kasten, den Segen laß ich dir! erwiderte der Ritter. Des erschrak Tetzel mächtiglich und sprach die beweglichen Worte: Solch ein edler Ritter wird nicht so ehrlos sein, das Gut der Kirche anzutasten, das sie zu frommen Werken und zur Wiederherstellung gebrechlicher Gotteshäuser gar notwendig braucht. Kirchenraub ist ja der sträflichste Raub und neben dem Vater- und Muttermord die größte und schwerste Sünde! Da zog Herr Bernard von Schenk den kurz zuvor erst gekauften Ablaßbrief hervor und hielt ihn Tetzeln vor Augen und sagte: Mag es eine Sünde sein, hier ist mein Ablaß dafür, von Euch selbst, ehrwürdiger Vater, mir erteilt, daher ziehet mit Gott und lasset den Kasten mit mir ziehen und empfanget auch meinen Segen. So Ihr es wollt, könnt Ihr auch den Heiligen Vater zu Rom von mir grüßen. Da nun Tetzel nur ein schwaches Geleit bei sich hatte, dem Ritter aber mehrere mannliche Reisige gefolgt waren, so mußte er mit kummervollem Blick auf den geldvollen Kasten von diesem Abschied nehmen und seines Weges ziehen. Herr Bernard von Schenk aber nahm das Geld und zeigte sich als ein echter und rechter Schenk, er schenkte es zum Bau einer Kirche, die dem Dorfe Flechtingen damals noch fehlte. Den großen und dicken Ablaßkasten aber, den schenkte er in die Kirche zu Wittenberg, wo er noch steht und gezeigt wird. Tetzel aber ließ sich einen andern Kasten machen, das wird der sein, der hernach nach Goslar gekommen ist, woselbst er[238] sich noch befindet. Es gibt der Ablaß- und Tetzelkästen auch sonst noch hier und da, aber das Geldlein ist herausgetan.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 238-239.
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